II. Historisches und Kritisches.
Vielfach hat man gemeint, im Felde des Sichtbaren
könne überhaupt kein anderes Prinzip der Wohlgefälligkeit
gelten, als im Gebiete des Hörbaren, und hieraus folge von selbst,
dass die einfachsten leichtestfaßlichen rationalen Verhältnisse,
welche als Schwingungsverhältnisse die Konsonanzen in der Musik geben,
auch als Dimensions- und Abteilungsverhältnisse sichtbarer Gegenstände
einen ästhetischen Vorzug haben; zieht man doch sonst überall
die leichtere Faßlichkeit der schwierigem vor. Insbesondere bevorzugt
Wolff in seinen Beiträgen zur Ästhetik der Baukunst als
Dimensions- und Abteilungsverhältnis in der Architektur vor Allem
das Verhältnis 1 : 1, was als Verhältnis der Länge
zur Breite das quadratische gibt, findet auch dasselbe im Bau des menschlichen
Körpers vorzugsweise befolgt. Heigelin in seinem Lehrbuch der
höhern Baukunst, Thiersch in seinem Lehrbuch der Ästhetik,
der Engländer Hay in seinen Schriften: "The geometrie beauty
of the human figure defined etc. (1851)" und "The natural principles of
beauty etc. 1852" bevorzugen die einfachen rationalen Verhältnisse
überhaupt, letzterer ausdrücklich in Übertragung von der
Musik.1) Und mindestens für die Gliederung
des menschlichen Körpers sind früherhin fast immer die einfachen
rationalen Verhältnisse als natürliche wie ästhetische Normalverhältnisse
in Anspruch genommen worden.
1) Dabei hat jedoch Hay vielmehr Winkelverhältnisse
als Dimensions- und Abteilungsverhältnisse im Auge. Ein Bericht darüber
findet sich in Zeisings N. L. S. 62.
Hiergegen hat neuerdings Zeising, Professor der
Philosophie in München, für die Architektur, den menschlichen
Körper und überhaupt das unten näher zu bezeichnende sog.
goldne Schnittverhältnis als ein ebenso von der Natur vorzugsweise
eingehaltenes wie ästhetisch vor jedem andern Verhältnisse bevorzugtes
Normalverhältnis geltend gemacht. Der goldne Schnitt ist nach ihm2)
"dasjenige Verhältnis, welches der ganzen Gliederung der Menschengestalt,
dem Bau der edleren Tiere, der Konstruktion der Pflanzen, namentlich in
Gestalt ihrer Blattstellung, den Formen verschiedener Kristalle, der Anordnung
des Planetensystems, den Proportionen der anerkannt schönsten architektonischen
und plastischen Kunstwerke, den befriedigendsten Akkorden der musikalischen
Harmonie und so noch anderen Erscheinungen in Kunst und Natur als Normalverhältnis
zu Grunde liegt;" und die Frage nach der Gültigkeit des goldnen Schnitts
berührt hiernach "die gesamte Anthropologie, namentlich die Anatomie,
Physiologie und Ethnographie, ferner die Zoologie, Botanik und Mineralogie,
die Geographie und Astronomie, die Mathematik, Physik und Chemie, kurz
alle Gebiete der Naturwissenschaft, und nicht minder die gesamte Ästhetik,
namentlich die Theorie und Praxis der Baukunst, Bildhauerkunst und Malerei,
der Musik, Poesie und Mimik", ja Zeising erwartet von einer zusammenfassenden
Behandlung der Lehre vom goldnen Schnitt: "sie dürfte vielleicht geeignet
sein, nach und nach eine Wissenschaft begründen zu helfen, die am
treffendsten mit dem Namen einer »vergleichenden Naturwissenschaft«
zu bezeichnen und ... zumeist berufen sein möchte, an die Stelle der
aprioristischen Naturphilosophie zu treten."
2) S. seine Schrift über das Normalverhältnis der chemischen
und morphologischen Proportionen S. 1.
Nach dieser so außerordentlichen Bedeutung,
welche der goldne Schnitt hat, muß man sich freilich wundern, dass
dieselbe so lange hat verborgen bleiben können, und dies möchte
von vorn herein geeignet sein, einiges Bedenken dagegen zu erwecken; ja
wenn Zeising Andeutungen des goldnen Schnittes sogar in mehreren
Sternbildern, in den Planetenabständen und der Gliederung von Land
und Meer auf der Erde u. s. f., Spuren davon sogar "in den rein geistigen
Sphären der Wissenschaft, sowie in den ethischen und religiösen
Beziehungen" findet und Alles, was nur leidlich zu passen scheint, dazu
herbeizieht, so wird sich Jeder von vorn herein sagen, dass seine Lehre
mindestens an Übertreibung und Mängeln der Kritik leiden
muß.
Inzwischen hat Zeising Fleiß und Eifer
nicht gespart, dieselbe zur Anerkennung zu bringen, indem er seine Ansicht
darüber in einer ganzen Reihe von Schriften und Abhandlungen entwickelt
hat, wovon folgende, künftig kurz als N. L. und als N. V. zu zitierende,
Hauptschriften den Titel führen.3)
3) Die weitere Literatur von Zeisings Abhandlungen
über den goldnen Schnitt, so weit sie mir bekannt ist, s. im folgenden
Abschnitte.
I. Neue Lehre von den Proportionen des menschlichen
Körpers aus einem bisher unbekannt gebliebenen, die ganze Natur und
Kunst durchdringenden morphologischen Grundgesetze entwickelt und mit einer
vollständigen historischen Übersicht der bisherigen Systeme begleitet
von Prof. Dr. A. Zeising. Mit 177 in den Text gedruckten Holzschnitten.
Leipzig, Rud. Weigel. 1854.
II. Das Normalverhältnis der chemischen und morphologischen
Proportionen. Leipzig. Rud. Weigel. 1856.
Bei den Naturforschern hat nun freilich Zeisings
Streben, die Anerkennung des goldnen Schnittes durchzusetzen, wenig Erfolg
gehabt; man hat sich, wenig Ausnahmen abgerechnet, um sein allgemeines
Gestaltungsprinzip der Natur nicht gekümmert. Doch ist seine Lehre
in dem Handbuche der Anatomie von Harless wesentlich berücksichtigt
worden und Dr. Hagen4) will durch
seine Messungen den Satz des goldnen Schnitts im Kopf- und Gehirnbau sogar
im größten Detail bestätigt finden. Auch beweist die Aufnahme
mancher Abhandlungen Zeisings in naturwissenschaftlichen Zeitschriften
wenigstens, dass man ihr einen Platz nicht überall hat versagen wollen.
4) Münchn. Abendbl. 1856, Nr 27.
Den meisten Naturforschern aber sind die Bestrebungen
Zeisings so gut als unbekannt geblieben. Größere Aufmerksamkeit
hingegen haben sie ästhetischerseits gefunden; man darf sagen, dass
seine Ansicht nach dieser Seite Aufsehen erweckt und größtenteils
Beistimmung gefunden hat, obwohl es auch an einzelnem Widerspruch nicht
gefehlt hat. Jedenfalls dürfte man in keiner neueren ästhetischen
Schrift von allgemeiner Tendenz eine Rücksichtnahme auf den goldnen
Schnitt vermissen. Von einer gründlichen Prüfung der Zeisingschen
Ansichten freilich habe ich nirgends etwas gefunden.
Uns geht nun überhaupt hier bloß die
Frage nach der ästhetischen Bedeutung des goldnen Schnittes an; ich
glaubte nur die viel allgemeinere Bedeutung, welcher dieselbe von Zeising
untergeordnet wird, nicht unerwähnt lassen zu dürfen, ohne sie
aber über das ästhetische Gebiet hinaus verfolgen zu wollen.
Der Begriff des goldnen Schnittes beruht darin,
dass die kleinere Dimension eines Gegenstandes sich zur größeren,
also z. B. bei einem Rechteck die kleinere Seite zur größeren,
verhält wie die größere zur Summe beider; oder, wenn es
sich um Abteilungen handelt, dass die kleinere Abteilung sich zur größeren
Abteilung verhält, wie die größere zur Summe beider, oder
zum Ganzen. Die kleinere Dimension oder Abteilung, welche in das Verhältnis
eingeht, wird von Zeising Minor, die größere Major genannt.
Untersucht man nun, welches Verhältnis der Minor zum Major haben muß,
um obigem Begriffe zu genügen, so findet man, dass es eigentlich ein
irrationales Verhältnis, wie das des Kreisdurchmessers zur Kreisperipherie
ist, welches aber für das Augenmaß schon nahe zulänglich
durch 5 : 8,5) weniger zulänglich
durch 3 : 5, mit steigender Approximation in ganzen Zahlen aber
durch 13 : 21, durch 21 : 34, durch 34 : 55 usw. dargestellt
werden kann, in Dezimalen durch 1 : 1,61803 oder 0,61803 :
1, oder in Bruchteilen der Einheit durch 0,38197 : 0,61803. (Über
die allgemeine Regel, nach welcher die Approximation beliebig gesteigert
werden kann, vergl. den folgenden Abschnitt.) Mit musikalischen Schwingungsverhältnissen
verglichen läßt sich der goldne Schnitt als eine unreine Sexte
betrachten, indem er zwischen der großen Sexte 3 : 5 (= 1,6667)
und kleinen Sexte 5 : 8 (1,6000) inne liegt, näher aber der
letzteren als ersteren.
5) Durch Versuche mit zwei, in der Verlängerung
von einander, doch in einigem Abstande von einander, sehr genau dem Umriß
nach verzeichneten Rechtecken, respektive von 60 u. 96 und von 60 und 97
mm Seite, deren ersteres also das Seitenverhältnis 5 : 8 oder
1: 1,6000, das andere das merklich genaue Verhältnis des goldnen
Schnittes nämlich 1 : 1,6163 statt ganz genau 1 : 1,6180
hat, habe ich unter Zuziehung mehrerer Personen zu den Versuchen bei senkrechter
und horizontaler Lage der Rechtecke gefunden, dass in der Mehrzahl der
Fälle letzteres Rechteck richtig als das schlankere beurteilt wird,
dass aber auch nicht wenige Verwechselungen in dieser Hinsicht vorkommen.
Jedenfalls steht hiernach das Verhältnis 5 : 8 noch nicht an
der vollen Grenze der Nichtunterscheidbarkeit vom genauen goldnen Schnitt.
Bestimmtere Rechenschaft von diesen Versuchen künftig.
Die einfachen rationalen Verhältnisse läßt
Zeising nur in so fern gelten, als sie in das (rückwärts
von 3 : 5 verfolgte) System der Approximationen an den goldnen Schnitt
(wovon im folgenden Abschnitt) hineintreten und sich demselben selbst mehr
oder weniger nähern. Da er aber die Ansicht teilt, dass im Felde des
Sichtbaren und Hörbaren dasselbe Prinzip der Wohlgefälligkeit
gelten müsse, überhaupt der Macht des goldnen Schnittes nichts
entzogen wissen will, so findet er sich, in Widerspruch freilich mit dem
allgemeinen Urteil, durch die Konsequenz genötigt, die beiden Sexten
für die musikalisch wohlgefälligsten Verhältnisse zu erklären,
wofür er Gründe in den musikalischen Kompositionsverhältnissen
zu finden glaubt (N. L. S. 414 ff.).6)
Durch die volle Konsequenz freilich würde er genötigt sein, statt
der reinen Sexte die unreine Sexte, welche dem goldnen Schnitt
genau entspricht, für das allerwohlgefälligste musikalische
Verhältnis zu erklären; und da dies doch nicht wohl angeht, so
nimmt Zeising hier wie überall, wo der goldne Schnitt nur in
grober Annäherung paßt, (N. L. 431) seine Zuflucht zu dem, bis
zu gewissen Grenzen freilich zuzugestehenden, Satze: "dass überhaupt
die realen Erscheinungen die Idee nie ganz erreichen und gewisse Abweichungen
sogar notwendig werden, wenn der innere Reichtum der Idee in mannigfacher
Erscheinung zu Tage treten soll." Nur kann man fragen, wie ein Verhältnis
noch als Idealverhältnis der Wohlgefälligkeit gelten soll, wenn
Abweichungen davon es an Wohlgefälligkeit übertreffen. Denn jenes
Prinzip würde doch nicht hindern, dass wo der Idealfall unter so vielen,
wenn auch notwendigen, Abweichungen einmal eintritt, auch ein besonders
ausgezeichnetes Wohlgefallen daran sich geltend mache.
6) Insbesondre macht er geltend , dass die Sexten und
ihre Komplemente die Terzen die einzigen Zweiklänge seien, mit denen
sich eine musikalische Periode schließen läßt und in welchen
sich der improvisierte zweistimmige Volksgesang und die einfache Musik
zweier Waldhörner bewegt.
Dies dahingestellt, so hat die Übertragbarkeit
einer ästhetischen Bedeutsamkeit gewisser Zahlenverhältnisse
aus dem Gebiete des Hörbaren ins Gebiet des Sichtbaren, überhaupt
nichts so Selbstverständliches, um sich den Zwang derselben a priori
aufzuerlegen, da Schwingungsverhältnisse nicht eben so ins Gehör
als Abteilungs- und Dimensionsverhältnisse ins Gesicht fallen, und
man zwar jede Musik den Zahlenverhältnissen ihrer Schwingungen nach
ins Sichtbare durch eine Reihe von Linien oder Rechtecken von entsprechenden
Verhältnissen der Dimensionen oder Abteilungen übersetzen, aber
nichts einem musikalischen Eindruck Analoges damit erreichen kann. Inzwischen,
um den wenig durchschlagenden theoretischen Erörterungen zu Gunsten
dieser Übertragbarkeit nicht mit eben so wenig durchschlagenden Gegenerörterungen
zu begegnen, wird es am besten sein, die Erfahrung direkt zu befragen.
Dies haben nun zwar auch die Vertreter der einen
und andern Ansicht nicht versäumt, ohne dass aber bisher eine sichere
Entscheidung damit gewonnen ist, weil man sich an zu komplizierte Beispiele,
als namentlich den menschlichen Körper und Architekturgegenstände,
gehalten und das Experiment unter einfachst möglichen Bedingungen
nicht angewandt hat. Bei jenen Beispielen ist aber die Gestalt jedenfalls
noch durch andere als ästhetische Rücksichten und ästhetischerseits
durch die Zusammensetzungsweise der Formen so wie Vorstellungen des Zwecks
oder der Bedeutung, kurz kombinatorisch und assoziativ mitbestimmt, und
nicht leicht zu scheiden, was auf Rechnung dieser Umstände oder auf
einfache Formwohlgefälligkeit an sich zu schreiben. Die Dimensionen
dieser Gegenstände sind ungleichförmig, der menschliche Körper
z. B. an manchen Stellen breit, an andern schmal, das Bauwerk mit allerlei
Ausladungen versehen und zum Dache zugespitzt, der Abteilungen und Unterabteilungen
aber an diesen Gegenständen so viele und zum Teil so unbestimmte,
dass im Allgemeinen eine gewisse Willkür bleibt, was man als Hauptdimension
oder Hauptabteilung betrachten und an welchen Grenzpunkten man das Maß
anlegen will. Natürlich zieht dann jeder die Anlegungsweise der Maße
vor, welche am besten zu seiner Voraussetzung paßt, und werden nun
noch überdies unter den verschiedenen Gegenständen die herausgesucht,
deren Maßverhältnisse am besten zur Ansicht stimmen und die
vernachlässigt, welche gar nicht dazu stimmen, oder hält man
es schon genug, dass unter den schwankenden Maßangaben, wie sie namentlich
bezüglich des menschlichen Körpers vorliegen, sich solche finden,
die mit der Ansicht zusammentreffen, ohne Rücksicht, ob auch das Mittel
der Angaben dazu stimmt, so kann man leicht eben so gut die eine als andere
Ansicht bewährt finden, und der Beweis dafür ist, dass man wirklich
die eine wie andre auf diesem Wege bewährt gefunden hat.
So findet Wolff, nachdem er seine Ansicht
durch allgemeine Gründe zu stützen versucht hat, bei den griechischen
Säulenstellungen glücklich überall das Quadrat heraus, indem
er den Abstand einer Säule von der je zweiten, oder, paßt das
nicht, den Abstand derselben von der je dritten mit der Säulenhöhe
vergleichen läßt; wo aber der Abstand der Mittellinien der Säulen
dies Verhältnis nicht gibt, den Abstand einer Mittellinie von einer
Seitenlinie in Betracht nehmen läßt; wo dies wieder nicht reicht,
nötigenfalls auch noch die Höhe des Gebälkes zur Säulenhöhe
rechnen läßt. Hiergegen ist Zeising, nachdem er den goldnen
Schnitt philosophisch begründet hat, eben so glücklich, in den
Säulenstellungen des Parthenon die Durchbildung des goldnen Schnitts
zu finden7), indem er darauf hinweist,
dass unten zwischen der Säulendistanz (von Zentrum zu Zentrum der
Säulendicke) und dem Säulendiameter das Verhältnis 7 :
5, oben das Verhältnis 12 : 7 besteht, wo zwischen das arithmetische
Durchschnittsverhältnis 19 : 12 = 0,631 8)
dem goldnen Schnitt sehr nahe komme, und dass namentlich dieses Verhältnis
sehr genau getroffen werde, wenn man die Säulendicke in einer Höhe,
wo die Säulenlänge nach dem goldnen Schnitt geteilt ist, mit
dem Zwischenraume der Säulen vergleicht.
7) Deutsches Kunstbl. 1857. Nr. 49 ff.
8) Das arithmetische Mittelverhältnis von Brüchen
kann freilich eigentlich nicht durch Division der Summe der Zähler
mit der Summe der Nenner erhalten werden und ist bei obigen Brüchen
vielmehr 0,6488; das geometrische oder Verhältnismittel aber, woran
man sich nach späterer Erörterung zu halten hätte, ist 0,6455,
wobei zuzugeben, dass die Approximation an den goldnen Schnitt durch diese
Änderung nur wenig leidet.
Außer dem Parthenon führt er (N. L. S. 396)
noch acht andere griechische und römische Tempelgebäude und Propyläen
an, die nach ihm (S. 397) "namentlich in der Gliederung der Höhe",
für die überhaupt das Proportionalgesetz des goldnen Schnittes
von besondrer Wichtigkeit sei, "so genau mit dem Parthenon übereinstimmen,
dass ihre Übereinstimmung mit dem Gesetz nicht besonders nachzuweisen
sei", und bezieht sich dabei auf die Aufrisse dieser Gebäude im Atlas
zu Kuglers Kunstgeschichte oder den Denkmälern der Kunst von
Voit, Guhl und Kasper. Ich habe diese Aufrisse an
ersterm Ort nachgemessen, finde aber nur bei zweien eine gute Übereinstimmung
betreffs der Höhengliederung mit dem Parthenon und leidliche Annäherung
an den goldnen Schnitt. Indes nun aber nach Zeising das Parthenon
im Verhältnis von Breite und Höhe wie überhaupt ganz nach
dem goldnen Schnitt gegliedert ist, findet Heigelin, der vom goldnen
Schnitt noch nichts wußte, im Parthenon "fast genau" und "in sehr
vielen Gebäuden aller Zeiten zum Teil vollkommen genau, immer mit,
großer Befriedigung" das Verhältnis 2 : 1 als das von
Breite und Höhe. Dabei bleibt, zuzugeben, dass in Zeisings
Registrierung genauer Messungen namentlich des Parthenon und Kölner
Doms viel Beachtenswertes bleibt, nur etwas Durchschlagendes für unsere
Frage kann ich aus den angegebenen Gesichtspunkten nicht darin finden.
Wolff, indem er den Hauptschnitt des menschlichen
Körpers "in den stark markierten Abschnitt, wo sich die Beine von
dem Rumpfe trennen" legt (Beitr. S. 14), findet dadurch den Körper
in zwei gleiche Teile geteilt, Zeising, indem er ihn in die Nähe
des Nabels legt, findet den goldnen Schnitt. Wolff findet, dass
"die am meisten hervorgehobene Horizontallinie (des Kopfes) durch die Augenwinkel
die Mitte des Kopfes bildet", und Zeising (N. L. 186), indem er
die Teilungslinie seiner, vom Scheitel bis zur ungefähren Halsmitte
gerechneten Kopfpartie durch die Augenbrauenbogen legt, findet den goldnen
Schnitt. Wolff findet, dass "die Entfernung von jener Horizontallinie
aus bis zu dem Ende der Nase in den regelmäßigsten Gesichtern
der untern bis zum Kontur des Kinnes gleich sei", und Zeising findet
(S. 187), indem er die Teilungslinie seiner untern Kopfpartie (von den
Augenbrauenbogen bis um die Halsmitte) ebenfalls durch das untere Nasenende
legt, den goldnen Schnitt. Während sonst überhaupt niemand eine
Abteilung des menschlichen Körpers um die Mitte des Halses, eben so
wenig eine solche in der Kniebucht (der Einbiegung unter dem Knie) gesucht
hat, findet Zeising durch jene obwohl nicht die genaue, sondern
eine von ihm proportional genannte, Mitte den obern Körperteil, durch
diese den untern Körperteil, beide von der Nabelgegend an (obwohl
nicht genau vom Nabel an), respektive bis zum Scheitel und zur Sohle gerechnet,
nach dem goldnen Schnitte geteilt. Und irgend wohin muß freilich
der goldne Schnitt treffen; nur dass er, so gelegt, mit keiner wirklich
ausgesprochenen Abteilung des Körpers zusammentrifft. Denn der Hals
ist eine Art Stiel, durch dessen beide Grenzen vielmehr als durch dessen
wirkliche oder in Zeisings Sinne proportionale Mitte man sonst Abteilungen
bestimmt hält; und Zeising selbst würde eine Abteilung
nicht um die Mitte eines Schwanenhalses suchen wollen; noch durfte er es
bequem finden, trotz dem, was er (N. L. S. 164) zur Verteidigung des Schnittes
durch die Kniebucht sagt, dass hiernach der goldne Schnitt beim Knieenden.,
Sitzenden und Schreitenden einen Knick im Knie erhält, indes jeder
durch keine Voransicht Befangene eine deutliche Abteilung der Gliederung
im Knie selbst finden wird, wo auch Zeising selbst sicher eine solche
suchen würde, wenn der goldne Schnitt damit zu finden wäre. Carus
findet für die Proportionen der drei Glieder des knöchernen Mittelfingers
7, 5, 3, Schmidt findet für dieselben 5, 3, 2, und Zeising
findet zwischen dem Hintergliede und den beiden Vordergliedern den goldnen
Schnitt, indem jeder die Maße zwischen andern Punkten nimmt, und
die wirklich gefundenen Maßzahlen bis zum Passenden abrundet, oder
unter den schwankenden Maßen die, welche ihm am besten passen, vorzieht.
Nach Zeising (N. L. S. 413) entsprechen bei
der Sixtinischen Madonna von Raphael in Dresden die Hauptabteilungen der
Höhe "genau dem Gesetze des goldnen Schnittes". Doch habe ich in einer
Abhandlung im Archiv f. Zeichenkünste (XI. 1865. S. 100) gezeigt,
dass das nur bei einer sehr willkürlich vorgezogenen Anlegungsweise
der Maße, auch da nicht genau, paßt, dass es nicht paßt
bei ganz entsprechenden Maßnahmen von andern Raphaelschen Gemälden,
noch bei der mit der Sixtina analog gruppierten Holbeinschen Madonna in
Dresden.
Man hat hierin Beispiele, die sich leicht vermehren
ließen, wie je nach Anlegungsweise der Maße, Auswahl und Verwertung
der Beispiele verschiedene Verhältnisse als maßgebend für
die menschlichen Bauwerke, den Bau des menschlichen Körpers und Werke
der bildenden Kunst erscheinen können, ohne dass man in den geführten
Untersuchungen selbst ein sichres Prinzip findet, sich vielmehr nach einer
als der andern Seite zu entscheiden, und ohne dass durch das Statthaben
der betreffenden Verhältnisse, in so weit solches anzuerkennen sein
mag, für den ästhetischen Wert derselben schon hinreichend bewiesen
ist, da ja, wie schon oben bemerkt, die Dimensions- und Abteilungsverhältnisse
des menschlichen Körpers und der menschlichen Bauwerke gar nicht bloß
durch ästhetische Rücksichten, sondern auch Zweckrücksichten
bestimmt und bei Werken der bildenden Kunst durch ideelle Rücksichten
der Bedeutung mitbestimmt sind, wo sich dann noch fragt, wiefern die einen
Rücksichten mit den andern Hand in Hand gehen. Wenn man also auch
Anwendungen der Gesetze reiner Formwohlgefälligkeit in organischen
und unorganischen Bauwerken finden kann, nachdem diese Gesetze schon festgestellt
sind, und selbst Anzeichen darauf in solchen Werken suchen kann, wozu Zeising
jedenfalls ein reicheres Material als alle seine Vorgänger geboten
hat, so ist doch eine sichre Feststellung der Gesetze selbst nicht auf
diesem Wege zu gewinnen. Vielmehr wird es in dieser Beziehung mit den ästhetischen
Gesetzen wie mit den physikalischen sein. Die Gesetze der Schwere, der
Tragkraft, kann man nicht nur auf die organischen und unorganischen
Bauwerke anwenden; sondern muß sie darauf anwenden; eine fundamentale
Ermittlung und Bewährung derselben aber ist nicht darauf zu gründen.
Der Erfolg selbst beweist es; denn während
die Resultate der folgends auseinanderzusetzenden Methoden, denen ich glaube
eine verhältnismäßige Sicherheit beilegen zu können,
Zeisings Ansicht in gewissen Grenzen entschieden Recht und der gegenteiligen
Ansicht entschieden Unrecht geben, werden sie doch eben so entschieden
beweisen, dass das Recht von Zeisings Ansicht ein viel beschränkteres
ist, als er nach seiner Untersuchungsweise anzunehmen Anlaß fand
und dass auch die gegenteilige Ansicht bis zu gewissen Grenzen Recht behält.
Entschieden bestätigt gefunden habe ich nämlich
den Vorzug des goldnen Schnitts als Dimensionsverhältnis für
einfache Rechtecke, was zugleich der einfachste und fundamentalste Fall
ist, der sich untersuchen ließ, ohne dass daraus schon sichere Folgerungen
für das Verhältnis der Hauptdimensionen von Ellipsen und komplizierteren
Formen zu ziehen, was vielmehr besonders untersucht werden muß.9)
Hingegen hat sich für eine fundamentale ästhetische Bedeutung
des goldnen Schnittes als Abteilungsverhältnis nach denselben Methoden,
welche zur Anerkennung der Bedeutung des goldnen Schnittes als Dimensionsverhältnis
geführt haben, überhaupt keine Bestätigung finden lassen,
ungeachtet Zeising seine Bedeutung in dieser Beziehung noch stärker
hervorhebt, als in jener, und ein noch massenhafteres Material von Belegen
dafür beigebracht hat. Nun gestehe ich selbst, dass ich, ohne diese
Belege den früher erhobenen Einwürfen im Allgemeinen entzogen
zu halten, doch namentlich in den architektonischen Verwendungen, die Zeising
geltend macht, nicht Weniges finde, was für den Wert des goldnen Schnittes
als Abteilungsverhältnis insofern zu sprechen scheint, als wenigstens
nicht bestimmt nachzuweisen, mithin nicht sicher zu behaupten ist, dass
jene Einwürfe in Bezug darauf durchschlagen, wonach ich einige Scheu
trage, die Bedeutungslosigkeit des goldnen Schnittes als Abteilungsverhältnis
überhaupt entschieden auszusprechen. Aber da ich doch den von Zeising
behaupteten Wert in dieser Hinsicht nicht unter den einfachsten Bedingungen,
in den einfachsten Verwendungen wiederfinden kann, wo zu erwarten, ja nach
Zeisings Theorie zu verlangen war, dass er am reinsten hervortreten
müsse, so kann ich nicht anders als glauben, dass der goldne Schnitt
zwar durch gewisse Mitbedingungen oder in gewissen Zusammensetzungsweisen,
die es aber erst genauer zu bezeichnen und zu formulieren gelte, ein wohlgefälliges
Abteilungsverhältnis geben kann10),
ohne dass ihm aber eine so durchgreifende und überwiegende ästhetische
Bedeutung, als Zeising demselben beilegt, zukommt.
9) Die Übertragung der Wohlgefälligkeitsverhältnisse
von Rechtecken auf Ellipsen ist jedenfalls gar nicht so selbstverständlich,
als es für den ersten Anblick scheinen möchte, weil sich mit
den Dimensionsverhältnissen zugleich die Krümmungsverhältnisse
und Exzentrizitätsverhältnisse der Ellipsen ändern, und
man nicht a priori voraussehen kann, was daran hängt. Um so weniger
kann die Übertragung von Rechtecken auf kompliziertere Formen ohne
ausdrücklich darauf gerichtete Versuche gerechtfertigt sein. Mit Versuchen
über Ellipsen bin ich noch beschäftigt, ohne schon jetzt ein
sicheres Resultat aussprechen zu wollen.
10) Von einer noch nicht hinreichend geprüften Möglichkeit
in dieser Hinsicht, welche dem goldnen Schnitt immerhin auch als Abteilungsverhältnis
eine wichtige, nur nicht die von Zeising beigelegte fundamentale, sondern
gegen die Symmetrie entschieden zurückstehende, Bedeutung lassen würde,
spreche ich selbst unten (S. 30.)
Mein Urteil in dieser Beziehung ist sehr unbefangen.
Von vorn herein gestehe ich, mit dem größten Mißtrauen
gegen eine ästhetische Bedeutung des goldnen Schnittes überhaupt
an die Untersuchung darüber gegangen zu sein, einmal, weil es mir
nach schon gemachter Bemerkung seltsam schien, dass sich seine Bedeutung,
wäre sie so groß, wie Zeising will, nicht längst
vor Zeising sollte geltend gemacht haben, nachdem die von Zeising
doch viel geringer geschätzte Symmetrie ihren Vorteil von jeher hat
empfinden lassen, zweitens aus den angegebenen kritischen Gesichtspunkten.
Und so glaubte ich, Zeisings Ansicht, durch die einfachsten Versuche
nach den folgends anzugebenden Methoden leicht widerlegen zu können11),
fand mich aber überrascht, sie vielmehr in Bezug auf Dimensionsverhältnisse
schlagend dadurch bestätigt zu finden; nur dass der Vorteil der Symmetrie
viel entschiedener als der des goldnen Schnittes bleibt, so dass kleine,
nicht durch Zweck oder Bedeutung geforderte, Abweichungen von der Symmetrie
viel mißfälliger empfunden werden, als solche vom goldnen Schnitte,
was man nach Zeisings Überhebung des goldnen Schnittes nicht
vermuten sollte, indes es allein erklärt, dass dessen Wert so lange
unerkannt geblieben. Nachdem ich aber betreffs der Dimensionsverhältnisse
keinem Zweifel mehr Raum geben konnte, dass Zeising wesentlich im
Rechte sei, erwartete ich natürlich durch dieselben Methoden eine
gleich schlagende Bestätigung für den Wert des goldnen Schnittes
als Abteilungsverhältnis zu finden, und fand mich nun gegenteils überrascht,
sie nicht dadurch finden zu können. Erst aber, nachdem ich durch mehrfach
abgeänderte Versuche der Enttäuschung in dieser Hinsicht zu begegnen
gesucht, habe ich wohl oder übel bei dem obigen Urteile stehen bleiben
müssen.
11) Hierin lag überhaupt der Ausgangspunkt dieser
ganzen Untersuchungen, da ich fand, dass sich auf solchen Wegen etwas finden
lasse.
Nun kann es freilich auffällig erscheinen, und
hat mich selbst befremdet, dass für Abteilungsverhältnisse nicht
dasselbe Prinzip der Wohlgefälligkeit gelten soll, als für Dimensionsverhältnisse,
zumal man meinen sollte, der goldne Schnitt müsse, als Abteilungsverhältnis
in einer und derselben Richtung verfolgt, noch leichter faßlich sein
als durch die Rechtwinklichkeit der Dimensionen gebrochen. Doch werde ich
weiterhin von einer möglichen Erklärung dieses Umstandes sprechen,
und jedenfalls konnte folgender sehr einfache erfahrungsmäßige
Gesichtspunkt schon ohne weitläufige Versuche darauf führen,
dass faktisch nicht dasselbe Zahlenprinzip nach beiden Beziehungen
gleich fundamentale Geltung hat.
Trotz Allem was Wolff zur Begründung
des quadratischen Verhältnisses als ästhetischen Normalverhältnisses
vorgebracht, sieht man das Quadrat in allen Verwendungen, wo es nicht durch
besondere Mitbedingungen oder Zusammensetzungsweisen mit andern Formen
erträglich oder selbst wohlgefällig gemacht wird, als monotonste,
trockenste, steifste, so zu sagen einfältigste Form vermieden; – man
gehe in dieser Hinsicht nur die Werke der Tektonik durch; – auch Fenster,
Grundrisse von Gebäuden, Dimensionen von Gemälden usw. sind nur
ganz ausnahmsweise quadratisch; und was so in den Verwendungen jedem unbefangenen
Blicke offen liegt, wird sich durch meine Versuche am abstrakten Quadrat
in Vergleich mit abstrakten Rechtecken bestätigt zeigen; nur in den
ihm zunächst stehenden wie anderseits den gestrecktesten Rechtecken
hat es Rivale der Ungefälligkeit, so dass man sagen kann, das quadratische
Verhältnis, d, i. 1 : 1, sei als Dimensionsverhältnis,
wenn nicht das ungefälligste überhaupt, doch sicher eins der
ungefälligsten. Hiergegen wird man bei Abteilung eines horizontal
gestreckten Gegenstandes, abgesehn von Rücksichten der Verwendung,
die wir hier überall ausschließen, keine Teilung der symmetrischen,
d. i. im Verhältnis l : l vorziehen; – man versuche es auch
nur an der einfachsten Linie; – an horizontalgestreckte Gegenstände
aber muß man sich hierbei halten, um allerlei assoziative Mitbestimmungen
auszuschließen, welche an der vertikalen Lage hängen, sei es
die Mitbestimmung durch die Vorstellung, dass oben etwas Leichteres sein
müsse, als unten, oder dass das Untere als dienender Träger sich
nicht so hoch erheben dürfe, als das davon Getragene, oder dass es
gegenteils zu dienen habe, etwas seiner Bedeutung nach Hohes; seinem eigenen
Höhenmaße nach Kleines recht hoch über die niedre Welt
zu erheben, um es aus großer Höhe darauf herabblicken zu lassen
und dem objektiven Blicke aus großem Umkreise frei zugänglich
zu machen; woraus nach Umständen die Forderung, dass der obere oder
dass der untere Teil der kleinere sein müsse, hervorgeht. Aber die
eine wie andere Forderung ist schon der reinen Formwohlgefälligkeit
fremd, und wo weder die eine noch andre Vorstellung mit besondrer Kraft
auftritt, wie bei den gewöhnlicheren Fensterkreuzen, den Ordenskreuzen,
Medaillons usw. kehrt, die Symmetrie selbst in vertikaler Richtung wieder;
ja wer möchte eine kaleidoskopische Figur unsymmetrisch in vertikaler
Richtung sehen. Als Abteilungsverhältnis ist also das einfachste rationale
Verhältnis im größten Vorteil, während es als Dimensionsverhältnis
in eminentem, wenn nicht größtem Nachteil, hingegen ein irrationales
Verhältnis in größtem Vorteil ist. Ein so fundamentaler
Unterschied läßt weitere Unterschiede voraussehen, und gibt
den Beweis, wie vorsichtig man mit Verallgemeinerungen in unserm Gebiete
sein müsse. Auch erkennt Zeising selbst einen ästhetischen
Vorteil der Symmetrie an, nur dass er ihn dem des goldnen Schnittes sehr
nachsetzt. Und zuzugeben ist, dass der goldne Schnitt als Gleichheit zweier
Verhältnisse etwas Höheres als die Symmetrie oder bloße
Gleichheit nach zwei Seiten ist; aber damit ist noch nicht bewiesen, dass
er in ästhetischem Vorteil dagegen ist.
Nun hätte sich recht wohl denken lassen, dass
der goldne Schnitt, wenn nicht abstrakt von Mitbestimmungen überhaupt,
doch unter den einfachsten Mitbestimmungen, wie sie durch die senkrechte
Lage12) eingeführt werden, oder allgemeiner,
unter solchen Mitbedingungen, welche eine ungleiche Teilung zwar begünstigen
oder fordern, aber das Maß derselben in gewissen Grenzen frei lassen,
den größten Vorteil behaupte; aber auch hierfür habe ich
weder an der abstrakten Linie, noch an solchen einfachen Verwendungen,
deren Wahl zwischen diesem oder jenem Verhältnisse der Höhenabteilungen
wesentlich nur durch Wohlgefälligkeitsrücksichten bestimmt scheint,
eine Bestätigung erhalten können, sei es, dass ich Kreuze, ohne
Rücksicht auf Verwendung und Bedeutung, oder als Schmuckkreuze vorgestellt,
auf die vorteilhafteste Höhenstellung des Querbalkens untersuchte,
– wobei sich zeigt, dass diese Stellung sich nach der Länge des Querbalkens
ändert, dass aber bei dem vorteilhaftesten Längenverhältnisse
desselben die vorteilhafteste Höhenstellung nicht die des goldnen
Schnitts ist13), – oder dass ich die vorteilhafteste
Abtheilungsweise eines Fensters nach der Höhe durch die Querleiste
des Fensterkreuzes, oder die vorteilhafteste Teilung eines denkmalartigen
Steines in einen Untersatz und darauf gesetzten Stein von gleicher Querdimension,
oder die vorteil-hafteste Stellung eines Punktes über einem einfachen
senkrechten Striche, als J gedacht, an schematischen Zeichnungen oder Herstellungsobjekten
in verschiedenen Abänderungen nach den anzugebenden Methoden untersuchte.14)
12) Unter senkrecht schlechthin verstehe ich
der Kürze halber hier wie folgends überhaupt eine auf die Ver-bindungslinie
der Augen senkrechte Lage, unter horizontal eine damit parallele
Lage. Erstere kann freilich auch in einer Horizontalebene stattfinden,
doch macht die Senkrechte in unserm Sinne als Bild des Vertikalen hier
einen analogen Eindruck als dieses, wogegen die Horizontale in unserm Sinne
in vollem Gegensatze dazu steht.
13) Zeising meint, bei ganz verschiedenen Längenverhältnissen
des Querbalkens zum Längsbalken die Höhenstellung des Querbalkens
nach dem goldnen Schnitte allgemein als Normalstellung beibehalten zu können,
was eben so entschieden unrichtig ist, als dass diese Höhenstellung
überhaupt die vorteilhaftest mögliche ist. Er hat S. 223 und
S. 224 seiner N. L. sechs Kreuze a priori nach dem Prinzip des goldnen
Schnittes, als eine Art Normalkreuze konstruiert, indem bei variierter
Anwendung dieses Prinzips auf das Längenverhältnis von Querbalken
zum Längsbalken überall (wenn nicht vielleicht bei Fig. 56 Gleichteilung
gemeint ist) die Höhenabteilung nach dem goldnen Schnitte beibehält.
Nach meinen Versuchen sowohl an linearen Kreuzen wie Kreuzen von verschiedenen
Balkenbreiten kann ich jedoch diesen Konstruktionen gar keinen ästhetischen
Normalwert zuschreiben, und das Kreuz, was Zeising nach seiner Theorie
unter allen am meisten vorzieht (Fig. 55) ist tatsächlich nicht das
am meisten Vorgezogene.
14) Abänderungen sind namentlich bei den schematischen
Figuren, wodurch Kreuze, Fenster und Steine vorgestellt werden, aus dem
Gesichtspunkte nötig, dass das Abteilungsverhältnis eine kombinatorische
Mitbestimmung durch das Verhältnis von Höhen- und Breitenausdehnung
der Figur erleidet, wo dann zu prüfen ist, wiefern sich der Vorteil
oder Nachteil eines gegebenen Abteilungsverhältnisses durch die Variationen
des Verhältnisses von Höhe und Breite forterhält. Beim J-Versuche
fällt eine solche Komplikation weg, und der Versuch ist nur mit verschiedenen
absoluten Längen des senkrechten Striches vorzunehmen.
Hält nun der goldne Schnitt als Abteilungsverhältnis
weder an der abstrakten Linie, welche assoziativen und kombinatorischen
Mitbestimmungen so viel als möglich entzogen ist, noch in den einfachsten
Verwendungen, wo der Zweck, die Bedeutung kein Hindernis gegen die Erfüllung
reiner Formwohlgefälligkeit ist und keine Willkür in Anlegung
des Maßes stattfindet, Stich, so ist nicht wohl abzusehen, wie durch
die von Zeising geltend gemachten komplizierten Beispiele dafür
bewiesen werden kann, bei welchen Mitbestimmungen mannig-facher Art und
Willkür in der Anlegungsweise der Maße ein unberechenbares Spiel
treiben.
Hiergegen erinnert man vielleicht, dass eben die
Einfachheit dieser Beispiele den goldnen Schnitt verhindere, seinen Vorteil
dabei geltend zu machen. Sei er doch an sich ein höheres komplizierteres
Verhältnis als die Symmetrie, also könne er auch seinen ästhetischen
Wert erst in höheren Zusammensetzungen, mithin in komplizierteren
Beispielen entwickeln. Aber zuvörderst weiß ich nicht, auf welches
rationale oder Erfahrungsprinzip man den Satz stützen will, dass ein
Verhältnis, je zusammengesetzter es ist, um so mehr des Eingehens
in noch zusammengesetztere Verhältnisse bedürfe, um einen ästhetischen
Vorzug vor einem einfacheren merkbar werden zu lassen. Ein Akkord beweist
doch seinen Vorteil vor dem einfachen Tone schon ohne in ein Musikstück
einzugehen. Entschieden aber wird dieser Ausweg dadurch abgeschnitten,
dass dann auch der Vorteil des goldnen Schnittes als Dimensionsverhältnis
nicht an ganz abstrakten einfachen Rechtecken hätte konstatiert werden
können, wie mir doch gelungen ist. Man beweist nichts, wenn man zu
viel beweist. Dass der Vorteil des goldnen Schnittes, in so weit ein solcher
überhaupt anzuerkennen ist, durch Eingehen in Verwendungen überhaupt
gesteigert werden könne, habe ich selbst schon bemerkt; nur muß
ein Vorteil schon ohne Rücksicht auf Verwendungen da sein, was man
sich an den früher gebrauchten Beispielen von Reim und Versmaß
im Gedichte, oder Wohllaut und Takt, in der Musik erläutern kann.
Hierzu noch folgender einfacher Versuch, den ich
vorwegnehme, da er mit dem entschiedensten Ergebnisse von jedem sofort
angestellt werden kann. Nach Zeising beruht die menschliche Formschönheit
(abgesehen von dem dieselbe erhöhenden Ausdruck vorteilhafter körperlicher
und geistiger Eigenschaften) wesentlichst auf der Durchbildung des goldnen
Schnittes in Hauptabteilungen und Unterabteilungen. Nun stelle man die
Hauptabteilungen des Körpers nach dem goldnen Schnitt mit den nächsten
Unterabteilungen, wie sie Zeising für den menschlichen Körper
statuiert, in einem stehenden Rechtecke15)
schematisch durch horizontale Teilstriche dar, gebe demnach der obern Hauptabteilung
zur untern das Verhältnis 5 :8 oder 8 : 13, was merklich
identisch ist, und wiederhole dieses Verhältnis der Teilung in der
untern wie obern Hauptabteilung durch eine Unterabteilung, so dass in der
obern Abteilung der Minor, in der untern der Major die obere Stelle hat,
mithin der Major in beiden Abteilungen dem Trennungsstriche beider anliegt:
das gibt ein Rechteck mit vier einfachen Höhenabteilungen, welche
durch drei Querstriche getrennt sind. Daneben stelle man ein übrigens
ganz gleiches Rechteck, nur dass alle vier Abteilungen einander gleichgemacht
sind, mithin das Ganze nicht minder in der Höhenrichtung als Breitenrichtung
symmetrisch erscheint. Nach der obigen Hypothese sollte der goldne Schnitt
durch seine zusammengesetzte Durchführung einen Vorzug der Wohlgefälligkeit
vor der Abteilungsweise in gleiche Teile entwickeln, wenn ein solcher nicht
schon bei der einfachsten Teilung nach dem goldnen Schnitte spürbar
war; aber eher kann man sagen, dass sich ein Nachteil entwickelt; man findet
diese Abteilung prinziplos, unmotiviert, sozusagen liederlich, und gibt
der gleichen Teilung den entschiedenen Vorzug, ein Beweis, dass das ästhetische
Urteil beim Vergleich dieser abstraktesten Teilungsweisen doch nicht müßig
ist: nur ist es eben nicht der goldne Schnitt, für den es sich
entscheidet. Übrigens fällt es mir nicht ein, die Schönheit
des menschlichen Körpers auf die gesuchte Durchführung einer
Höhenabteilung in gleiche Teile zu beziehen; sie hängt in etwas
an der zweiseitigen Symmetrie und dem später zu besprechenden Prinzip
der Mitte, unterstützt durch einen allgemeinen Vorteil rundlich fließender
vor steifen eckigen Formen, in der Hauptsache an instinktiven und assoziativen
Mitbestimmungen, wovon aber hier kein Anlaß ist zu sprechen.
15) Ich habe teils ein solches von dem Seitenverhältnisse
des goldnen Schnittes, teils von 2 : 1 dazu verwandt.
Schließlich ist das allgemeinste und Hauptresultat,
wozu ich durch die Gesamtheit meiner bisherigen Versuche geführt bin,
– von so manchen interessanten Nebenbestimmungen spreche ich hier nicht
– dieses:
Als Dimensionsverhältnis hat nur ein
Verhältnis einen fundamentalen ästhetischen Wert an sich selbst,
der sich in den Dimensionen einfacher Rechtecke einfach herausstellt, der
goldne Schnitt; indem nach Maßgabe als er verlassen wird, das Verhältnis
ungefälliger wird, ohne dass die bei der Abänderung mit unterlaufenden
einfachen rationalen Verhältnisse 1 : 1, 1 : 2 usw.
irgend eine Erhöhung der Wohlgefälligkeitskurve mitführen;
ja das einfachste, an der einen Grenze der Abwandlung stehende Verhältnis
1 : 1, was als Dimonsionsverhältnis das Quadrat gibt, teilt
sich mit den nächst stehenden sehr kurzen und der anderen Grenze (l
: ¥ ) zustrebenden sehr langen Verhältnissen16)
in den größten Nachteil. Ebenso hat als Abteilungsverhältnis
nur ein Verhältnis einen fundamentalen ästhetischen Wert, dasselbe,
was als Dimensionsverhältnis zu den unvorteilhaftesten gehört,
das Verhältnis 1 : 1, was die Symmetrie gibt, und sich frei
von assoziativen Mitbestimmungen an der einfachen horizontalen Linie als
vorteilhaftestes rein und klar herausstellt, indem nach Maßgabe als
es verlassen wird, das Verhältnis ungefälliger wird, ohne dass
der bei dieser Abänderung mit unterlaufende goldne Schnitt eine Erhöhung
der Wohlgefälligkeit mitführt. Aber durch assoziative und kombinatorische
Mitbestimmungen können die vorigen Sätze Abänderungen erleiden,
deren allgemeine Gesetze noch zu studieren sind. Doch scheint mir nach
meinen bisherigen, nur in dieser Beziehung noch nicht hinreichend ausgedehnten,
Versuchen unter Bedingungen, welche eine Ungleichheit der Abteilung begünstigen
oder fordern, ohne einen bestimmten Grad derselben zu fordern, das Verhältnis
1 : 2 einen merkbaren Vorzug vor dem goldnen Schnitt und andern
Verhältnissen zu zeigen, was, wenn es einen allgemeinern und sicherern
Ausdruck zulassen sollte, als ich ihm schon jetzt zu geben vermag, in gewisser
Weise als eine Ausdehnung des Prinzips der einfachen rationalen Zahlen
angesehen werden könnte, und darauf deuten würde, dass die Leichtigkeit,
mit der wir durch das Auge die Abteilung 2 in zwei Unterabteilungen zerlegen,
deren jede der Abteilung l gleich ist, wodurch die Symmetrie in der Vorstellung
hergestellt wird, eine Rolle hei diesem Vorteile spielt.
16) In Kürze bezeichne ich hier und folgends als
langes und kurzes Verhältnis oder Rechteck respektive ein solches,
wo die eine Seite ein großes Verhältnis zur andern hat,
oder sich der Gleicheit damit nähert, wenn nicht dieselbe gleicht.
Von anderer Seite halte ich es noch für möglich,
dass der goldne Schnitt auch als Abteilungsverhältnis einen Vorteil
geltend macht, wenn man ihn mit sich selbst in solcher Weise zusammensetzt,
dass die Störung der Symmetrie dadurch wegfällt, welche jedenfalls
die obere Rücksicht in Anspruch nimmt; und manche Beispiele, die Zeising
anführt, treten unter diesen Gesichtspunkt. Man verwirklicht diesen
Fall, wenn man mit einer nach dem goldnen Schnitte zweigeteilten Form die
entsprechende Form symmetrisch verbindet, oder in anderer Weise, wenn man
von einer dreiteiligen Form dem mittleren Teile das Verhältnis des
goldnen Schnit-tes zu jedem beider Seitenteile gibt. Einige nicht ausdrücklich
darauf gerichtete Versuche mit in einander geschachtelten Rechtecken aus
früherer Zeit, deren ich in der oben (S. 21) zitierten Abhandlung
im Archiv für zeichnende Künste beiläufig gedachte, würden
freilich einer solchen Vermutung widersprechen; doch kann ich ihnen jetzt,
kein Gewicht mehr beilegen, da ich mich eines Versehens an einem Probeobjekte,
auf das ich bei jenen vorläufigen Versuchen Gewicht legte, schuldig
bekennen muß. Die Frage ist vielmehr noch als intakt anzusehen, und
ich werde selbst neue Versuche darauf richten. Zeising freilich
mißt dem goldnen Schnitte als Abteilungsverhältnis nicht bloß
eine solche, der Symmetrie untergeordnete, Bedeutung bei, sondern eine
höhere übergeordnete, die sich schon bei der einfachen Teilung
danach aussprechen soll. Auch ist nicht ausgeschlossen, dass Zeising
noch ein anderes kombinatorisches Prinzip finde, nach welchem der goldne
Schnitt ohne Mitwirkung der Symmetrie durch Eingehen in gewisse Zusammensetzungen
einen ästhetischen Vorzug erhält, nur ist es eben erst noch zu
finden.
Wenn die vorhin aufgestellte Vermutung Bestätigung
finden sollte, was ich doch bis jetzt noch ganz dahinstelle, so würden
sich Dimensions- und Abteilungsverhältnisse allerdings unter einem
gewissen einheitlichen Prinzipe vereinigen. Die Symmetrie hat hiernach
abgesehen von allen Mitbestimmungen, sei es, dass es sich um Dimensionen
oder Abteilungen handelt, das ästhetische Prinzipat, und will vor
Allem gewahrt sein, was bei Rechtecken eben so wohl der Fall ist, als beim
Quadrat, den erstern aber den Vorteil einer größern Mannigfaltigkeit
der Formbestimmungen läßt; daher allgemeingesprochen der Vorzug
der Rechtecke vor dem Quadrate. Bei sehr verlängerten Rechtecken jedoch
kehrt die Monotonie des Quadrats in anderem Sinne wieder, indem das Auge
statt bei der Wendung derselben Lange wieder zu begegnen, dieselbe Richtung
lange zu verfolgen hat. Wird nun aber der goldne Schnitt so angewandt,
dass er die Symmetrie nicht stört, so macht er seinerseits einen ästhetischen
Vorteil vor andern Verhältnissen geltend, nimmt in so fern die zweite
Stelle nach der Symmetrie ein und kann den Vorteil der Symmetrie wesentlich
erhöhen. Hieraus würde sich vortrefflich erklären, warum
der im Rechteck gebrochene goldne Schnitt einen Vorzug verrät, indes
er ihn als eine einfache Abteilung in continuo verfolgt nicht verrät.
Als Seitenverhältnis eines Rechtecks stört er die Symmetrie nicht,
als einfaches Abteilungsverhältnis stört er sie. Doch wie gesagt
ist über die Richtigkeit der hier aufgestellten Vermutung noch nichts
entschieden.
So wenig ich mich hiernach mit der Ausdehnung, welche
Zeising der ästhetischen Bedeutung des goldnen Schnitts gibt,
mit der Übertreibung der Wichtigkeit dieser Bedeutung und mit der
unzulänglichen Weise, wie er dieselbe zu begründen sucht, einverstehen
kann, bin ich doch weit entfernt, das Verdienst, dass er diese, bis zu
gewissen Grenzen gesicherte, Bedeutung überhaupt entdeckt hat, zu
unterschätzen; ich halte es für die erste eigentliche Entdeckung,
die überhaupt in der Ästhetik gemacht ist, sie wird Zeisings
Namen in der Geschichte der Ästhetik rühmlichst forterhalten,
und leichter ist es, eine Entdeckung zu konstatieren, zu beschränken
und zu verschärfen, als sie zu machen. Selten wird überhaupt
vom Autor einer Entdeckung von vorn herein der richtige Maßstab an
dieselbe gelegt, und der Weg, auf dem sie gemacht wird, ist selten auch
der Weg, auf dem sie sich forterhält, falls sie überhaupt haltbar
ist. Auch darin ist ein besonderes Verdienst Zeisings anzuerkennen,
dass er, so viel sich an seiner Weise das Erfahrungsmaterial zu verwerten,
mäkeln lassen mag, doch das Bedürfnis, solches seinen allgemeinen
Ansichten zur Bestätigung unterzubreiten, mehr als alle früheren
Bearbeiter empfunden und durch die Herbeischaffung eines reichen Schatzes
desselben zu befriedigen gesucht hat.