I. Eingang.
Unstreitig kann es nur erwünscht erscheinen,
wenn für ein Gebiet, was sich bisher einer exakten Untersuchung zu
entziehen schien, Angriffspunkte und Anfänge einer solchen gefunden
werden. Aus diesem Gesichtspunkte mag das Folgende beurteilt werden, was
sich auf eine Lehre bezieht, welche bisher fast bloß eine Sache philosophischer
Spekulation und künstlerischer Apercus war, d. i. die Ästhetik;
indem hier Seiten und Wege derselben aufgesucht sind, wodurch sie ins Bereich
des Experimentes, des Maßes und der Rechnung tritt. Insofern dies
aber der Fall ist, kann sie als ein Zweig der äußeren Psychophysik
gelten, die sich nach dem von mir aufgestellten Begriffe derselben, welchen
ich wohl als akzeptiert ansehen darf, mit den Maßbeziehungen zwischen
Reiz und Empfindung oder allgemeiner zwischen äußeren körperlichen
Anregungen und innern psychischen Folgen zu beschäftigen hat. Denn
auch die Lust und Unlust, die man bei der Wahrnehmung eines äußern
Gegenstandes empfindet, d. i. das Gefallen und Mißfallen daran, womit
die Ästhetik zu tun hat, tritt unter diesen Gesichtspunkt. Ein triftiger
Weg der Untersuchung hat aber in diesem wie in jedem Felde mit den elementarsten
Verhältnissen zu beginnen, und so macht auch unsere Untersuchung nicht
im Entferntesten den Anspruch, Zielpunkte der Ästhetik festzustellen,
sondern nur Elemente dazu beizutragen. Sie ist noch unvollkommen und unvollständig,
enthält aber, wie ich glaube, den Keim zu fruchtbarer barer Fortentwicklung,
und mehr wird man von einem Anfange nicht verlangen können.
Die Frage, die hier zunächst in Angriff genommen
werden soll, ist die, ob gewisse Dimensions- und Abteilungsverhältnisse
der Gegenstände einen Vorzug der Wohlgefälligkeit vor andern
haben, und im Fall der Bejahung, welche es sind. Nun sind die Formen der
meisten Gegenstände durch Idee, Zweck, Bedeutung derselben bedingt
oder doch mitbedingt; jede Form kann durch ihre Angemessenheit dazu gefallen,
jede durch ihre Unangemessenheit dazu mißfallen, Ersteres namentlich,
wenn der Zweck, die Bedeutung des Gegenstandes selbst uns zusagen, indem
sich das Wohlgefallen daran unwillkürlich auf die Form des Gegenstandes
überträgt. Da nun die Zwecke und Bedeutungen der Gegenstände
die allerverschiedensten sind, so können auch die allerverschiedensten
Formen, je nachdem sie dazu passen oder nicht passen; wohlgefällig
oder mißfällig werden, und erscheint hiernach unsere Aufgabe
als eine ganz unbestimmte. Aber es fragt sich, ob die Angemessenheit oder
Unangemessenheit einer Form zu etwas, was über die Form an sich hinausliegt,
der einzige Grund des Gefallens oder Mißfallens daran ist,
nicht in den Formverhältnissen an sich selbst. Bedingungen der Wohlgefälligkeit
und Mißfälligkeit liegen, welche bei den Verwendungen und im
ästhetischen Urteil Mitrücksicht erfordern. Mag man es nun auch
bei den Verwendungen vor Allem als Regel setzen, der Angemessenheit Rechnung
zu tragen, so läßt aber diese sehr oft noch die Wahl zwischen
verschiedenen Dimensions- und Abteilungsverhältnissen frei, und sollte
es also überhaupt gewisse Verhältnisse geben, die an sich wohlgefälliger
sind als andere, so könnten sie in solchen Fällen praktisch bevorzugt
und bei ästhetischer Beurteilung ein Grund der Wohlgefälligkeit
darin gefunden werden; wo aber Zweck oder Bedeutung bestimmte Forderungen
an die Form stellen, könnte die Wohlgefälligkeit wachsen, wenn
ein an sich wohlgefälliges Verhältnis das passende ist, und einen
Abzug erfahren, wenn es ein an sich ungefälliges ist. Gelegenheiten
aber, unsere Frage aus diesen Gesichtspunkten zu erheben, bieten sich in
Fülle dar. Z. B. es gilt, ein Haus zu bauen: welches Verhältnis
wird man seiner Breite zu seiner Höhe und der Mauerhöhe zur Dachhöhe
zu geben haben, damit es sich architektonisch gut ausnehme? Nirgends häufiger
spricht man ja von schönen Verhältnissen als in der Architektur,
aber welches sind sie? Welche Höhe hat man einer Statue im Verhältnis
zu ihrem Postament zu geben? wie hoch den Querbalken eines Schmuckkreuzes
zu stellen, wie lang ihn im Verhältnis zum Längsbalken zu machen?
usw. Jeder fühlt in der unmittelbaren Anschauung, dass es hier überall
ein Zuviel und ein Zuwenig gibt; aber welches ist die rechte Mitte? Gibt
es überhaupt allgemein gültige Bestimmungen in dieser Beziehung?
Insofern jede Form überhaupt außer von den Verhältnissen
der Geradlinigkeit, Ebenheit, Eckigkeit, Krümmung ihres Umrisses oder
ihrer Oberfläche durch die Verhältnisse ihrer Dimensionen und
Abteilungen als bestimmt angesehen werden kann, gewinnt auch unsere Frage
in allgemeinster Fassung die allgemeinste Bedeutung, nur dass es bemerktermaßen
gilt, zuerst die einfachsten Fälle vorzunehmen.
Dabei bleibt zuzugestehen, dass sie für die
höhere Ästhetik insofern nur ein untergeordnetes Interesse hat,
als die Schönheil aus höherem Gesichtspunkt immer an der Erfüllung
von Forderungen hängt, welche über den Gesichtspunkt einer Formwohlgefälligkeit
an sich weit hinausgreifen. Aber denken wir an das Gedicht, dessen höhere
Schönheit auch an solchen Forderungen hängt; doch trägt
der Wohllaut des Reimes und Versmaßes wesentlich zur vollen Schönheit
des Gedichtes bei, ja mehr bei, als man nach der Wirkung für sich
(bei einem Gedichte in fremder Sprache) vermuten sollte, indem nach einem
bisher freilich in keinem Lehrbuch der Ästhetik zu findenden, doch
von uns mehrfach zu erwähnenden, ästhetischen Prinzipe, welches
ich das ästhetische Hilfsprinzip nenne, der niedere und höhere
Reiz sich bei widerspruchslosem Zusammentreffen wechselseits steigern;
oder denken wir an die Musik, deren höhere Schönheit in Melodie
und Harmonie ruht, doch tragen die untergeordneten Momente, Wohllaut der
einzelnen Töne und Takt, die für sich (bei gleichartigen Tönen)
nicht viel sagen wollen, zur vollen Schönheit einer Musik nach demselben
Prinzipe viel bei. Also werden auch an sich wohlgefällige Dimensions-
und Abteilungsverhältnisse, gibt es anders solche, unstreitig zwar
nicht reichen, ohne Zutritt höherer Faktoren höhere Schönheit
zu erzeugen, doch aber im Zusammentreffen mit solchen, als Basis der höheren
Beziehungen selbst, nach jenem Prinzipe wichtigen Anteil an der vollen
Schönheit gewinnen können. Um so mehr wird ein Vorteil davon
bei Gegenständen zu erwarten sein, die keine höhere Bedeutung
überhaupt beanspruchen, die man doch aber auch wohlgefällig herzustellen
wünscht, als namentlich den Werken der sog. Tektonik, d. i. Kunst
der Gefäße, Geräte, Möbel, Waffen, Kleider, Teppiche,
Schmucksachen u. dgl. bis in die allerdings auch höherer ideeller
Bezüge nicht ermangelnde Architektur hinein,1)
endlich in der Ornamentik.
1) Böttger, der meines Wissens den Ausdruck Tektonik
zuerst in seiner "Tektonik der Hellenen" gebraucht hat, rechnet die Architektur
selbst mit zur Tektonik; aber in einem engeren Sinne setzt man auch wohl
die Architektur als höhere Kunst der Tektonik als der Gesamtheit der
obgenannten, wesentlich auf gleichen Prinzipien beruhenden, doch niedern,
Künste gegenüber, welchem Gebrauch ich mich hier anschließe,
weil das Bedürfnis dieser Unterscheidung aus gewissem Gesichtspunkte
wirklich vorliegt.
Insofern der Eindruck, welchen Formen, Farben, Töne,
so wie die Verhältnisse von Formen, Farben, Tönen durch ihre
eigene Beschaffenheit machen, von dem Eindruck, den sie als Träger
gewisser Bedeutungen, im Dienste gewisser Zwecke oder Ideen machen, jedenfalls
zu unterscheiden ist, nenne ich der Kürze halber ersteren den direkten,
letzteren den assoziativen Eindruck, oder, insofern beide zu einem einheitlichen
Eindruck verschmelzen, ersteren den direkten, letzteren den assoziativen
Faktor des Eindrucks; und spreche, wo ein Mitspiel des letztern zum erstern
in Betracht kommt, von einer assoziativen Mitbestimmung desselben. Man
bringt sich nämlich leicht zum Bewußtsein, dass Bedeutung, Zweck,
Idee, nicht an sich selbst aus den Formen heraus sprechen und wirken, sondern
nach Gesetzen der Vorstellungs-Assoziation von Innen daran angeknüpft
werden. Die Bedeutung der Formen will so gut erlernt sein, als die der
Worte; brächten sie ihre Bedeutung von selbst dem Geiste entgegen,
so bedürfte es des Erlernens nicht für den nur eben operierten
Blindgebornen; aber erst nach wiederholter Erfahrung über den Zusammenhang
der Formen mit gewissen Bedeutungen oder Zwecken knüpft sich allmälig
im Geiste eins an das andere. Unsere Aufgabe nun ist hier nur, zu ermitteln,
was die einfachsten Formverhältnisse abgesehen von assoziativer
Mitbestimmung in ästhetischer Beziehung wirken; wozu es Mittel
zu finden gilt, sie von dieser Mitbestimmung zu emanzipieren oder dieselbe
zu kompensieren. Der assoziative Einfluß wird dann seinerseits in
möglichster Abstraktion vom direkten zu untersuchen, und endlich die
Untersuchung auf die Verhältnisse ihres Zusammentreffens, wonach beide
einstimmig oder in Konflikt wirken können, zu richten sein; wir beschäftigen
uns aber hier nur mit der ersten dieser drei Aufgaben.
Welcher Art und welchen Ursprungs auch der ästhetische
Eindruck einer Form sei, so kann er durch die Zusammensetzung oder Zusammenstellung
mit andern gleichen oder verschiedenen Formen eine Abänderung erleiden,
was ich den kombinatorischen Einfluß nenne. Derselbe kann direkt
oder assoziativ sein; ersteres, wenn durch die Verhältnisse der Zusammensetzung
oder Zusammenstellung neue Bedingungen der Wohlgefälligkeit oder Mißfälligkeit
an sich erwachsen, wie z. B. ein Kreis sich ohne nachweisbare assoziative
Mitbestimmung besser in einem als um ein Quadrat ausnimmt; letzteres, wenn
neue Bedeutungen, Zweckbeziehungen, ideelle Beziehungen dadurch hervorgehen.
Hiernach kann etwas, was für sich oder in gewisser Zusammenstellung
wohlgefällt, in andrer mißfällig erscheinen und umgekehrt;
obwohl es auch ästhetisch gleichgültige Kombinationen gibt. Sei
z. B. bei einem Fenster, wenn es für sich betrachtet wird,
ein gewisses Verhältnis der Höhe zur Breite als das vorteilhafteste
erschienen, weil es mit dem ästhetisch vorteilhaftesten Verhältnis
eines isolierten Rechtecks überhaupt übereinstimmt, so folgt
daraus noch gar nicht, dass es denselben Vorteil auch in der Zusammenstellung
des Fensters mit den andern parallel angebrachten Fenstern behauptet, und
läßt sich denken, dass sich die Verhältnisse der Fenster
mit nach den Verhältnissen der Häuserfronte, worin sie angebracht
sind, zu richten haben, das Verhältnis der Häuserfronte aber
durch die Verhältnisse des Daches ästhetisch mitbestimmt ist.
Wonach sich überhaupt fragen läßt, was damit gewonnen sei,
den ästhetischen Wert eines Verhältnisses für sich erkannt
zu haben, wenn dieser Wert sich in jeder andern Zusammensetzung und Zusammenstellung
abändert. Hierauf aber ist zu erwidern: erstens, dass in vielen Fällen
zusammengesetzter Formen doch ein gewisses Verhältnis die Hauptgestalt
des Gegenstandes bestimmt, hiernach einen dominierenden Einfluß gewinnt;
dass zweitens bei vielen Gegenständen, namentlich Kunstgegenständen,
durch Umrahmung oder absichtliche Herstellung einer gleichgültigen
Umgebung eine Isolierung von äußern Einflüssen künstlich
bewerkstelligt, hiermit der Einfluß der Zusammenstellung seiner Form
mit andern Formen merklich beseitigt wird; dass drittens bei vielen Gegenständen
die Umgebung nach Zufall wechselt, was den Einfluß im Ganzen kompensiert.
Insofern aber der betreffende Einfluß im Allgemeinen doch weder abzuleugnen
noch zu unterschätzen, nicht überall zu beseitigen, vielmehr
möglichst vorteilhaft zu verwenden ist, wird die Aufgabe unserer Untersuchung
dadurch nicht aufgehoben, sondern erweitert, indem es nun auch den Einfluß
der Zusammenstellungen und Zusammensetzungen zu ermitteln gilt. Sind auch
deren unendlich viele, so sind doch der Gesetze, welchen sich dieser Einfluß
unterordnet, nicht unendlich viele, und hauptsächlich auf deren Ermittelung
ist die Absicht zu richten. Dabei bleibt aber der Ausgang immer von Untersuchung
des ästhetischen Wertes möglichst einfacher isolierter Formen
zu nehmen, als welcher so zu sagen zentral für alle durch die verschiedenen
Zusammensetzungen und Zusammenstellungen bedingten Abweichungen bleibt
und nach Maßgabe reiner hervortritt, als das betreffende Formverhältnis
mehr dominiert und sich vollkommener isoliert, überhaupt der kombinatorische
Einfluß mehr zurücktritt. Wie denn in unserm eben so als in
jedem andern Untersuchungsfelde nur dadurch Klarheit und Erfolg zu erzielen
ist, dass man untersucht, was jede Bedingung für sich leistet, und
was an der Zusammensetzung derselben hangt. So ist es in der Physik, so
wird es auch in der Ästhetik sein. Nun wird man freilich, so weit
man auch die Regeln der Zusammensetzung treiben mag, kein schönes
Bauwerk oder schönes sichtbares Kunstwerk überhaupt nach diesen
Regeln zu Stande bringen; nur das Gefühl des Künstlers ist fähig,
alle im Sinne einer Aufgabe liegenden Bedingungen der Wohlgefälligkeit
zum vorteilhaftesten Resultat zu kombinieren. Aber ist dies wohl anders
bei der musikalischen Komposition; und ist deshalb eine Lehre von den Tonleitern,
den dissonierenden und konsonierenden Akkorden, den Auflösungen der
Dissonanzen, dem Takt und Rhythmus usw. überflüssig? Es würde
lästig sein, auseinanderzusetzen, warum sie nicht überflüssig
ist; genug, man kann die Anwendung davon auf unser Gebiet machen.
Dabei kommt in Rücksicht, dass der assoziative
Faktor überhaupt in der Musik nur die Nebenrolle, der direkte die
Hauptrolle spielt, indes in den höhern Künsten der Sichtbarkeit
die Hauptrolle dem assoziativen Faktor anheimfällt. Aber der Unterschied
ist nur relativ; denn auch in Malerei und Plastik kann nicht Alles
auf den assoziativen Faktor geschrieben werden, und die Tektonik, in der
sich allgemeingesprochen beide Faktoren die Wage halten oder mit dem Übergewicht
wechseln, so wie in der Ornamentik, wo der direkte allgemeingesprochen
das Übergewicht hat, wollen auch beide Faktoren bis zu den elementarsten
Bestimmungen herab berücksichtigt werden.
Nach Allem ist unnötig, das Interesse unserer
Frage erst weitläufig zu beweisen, nachdem es sich schon hinreichend
historisch bewiesen hat, sofern eine Mehrzahl namhafter Ästhetiker,
Kunstschriftsteller, insbesondere auch Architekten, worüber Näheres
im folgenden Abschnitte, sich damit ernsthaft beschäftigt hat. Darunter
gibt es allerdings einige, welche, wie Böttger in seiner Tektonik
der Hellenen, die Frage in negativem Sinne dahin beantworten, dass es an
sich wohlgefällige Formverhältnisse in unserm Sinne überhaupt
nicht gebe; abgesehen von Rücksichten der Verwendung sei jedes Verhältnis
ästhetisch gleichgültig. Ja im Gespräch mit Künstlern
wird man diesen Satz zumeist als einen Fundamentalsatz ausgesprochen finden.2)
Inzwischen wird demselben schon durch die Symmetrie widersprochen, die
freilich durch Unangemessenheit zur Idee, dem Zweck oder der Bedeutung
der Gegenstände, kurz in Widerspruch mit dem assoziativen Faktor,
auch mißfallen kann, daher in den Künsten der Sichtbarkeit über
Ornamentik, Tektonik und Architektur hinaus zumeist mißfällt,
hingegen bei fehlendem Konflikt oder einträchtigem Zusammengehen mit
dem Sinne der Darstellung ihre Wohlgefälligkeit unzweideutig zu erkennen
gibt. So namentlich im Kaleidoskop, wo gar keine Rücksichten der Verwendung
ins Spiel kommen, der assoziative Faktor des Eindruckes überhaupt
ganz zurück tritt.3) Nun bleibt freilich
der wohlgefällige Eindruck der kaleidoskopischen Figur, obschon intensiv
genug, doch eben deshalb, weil er sich vom assoziativen isoliert und in
keine höhere Zusammensetzung eingeht, niedrig und arm; aber das gilt
überhaupt von jeder isolierten Grundbedingung der Wohlgefälligkeit;
und man muß doch jede möglichst isolieren, um zu wissen, was
auf sie an sich zu rechnen; in Verwendungen kann dann jede, insoweit sie
nicht andern Bedingungen der Wohlgefälligkeit widerspricht, nach dem
ästhetischen Hilfs-prinzip mit gesteigertem Reize eintreten. Die Symmetrie
aber muß, um nicht in solchen Widerspruch zu geraten, in den meisten
Verwendungen, sei es von der Reinheit oder Vielseitigkeit oder Buntheit
nachlassen, auf deren Zusammentreffen im Kaleidoskop ihr intensiver Eindruck
beruht, oder gar merklich ganz zurücktreten. Inzwischen wird selbst
noch in der Malerei eine gewisse Abwägung der Massen, welche an die
Symmetrie erinnert, zu jedem guten Bilde verlangt, ohne durch den Sinn
der Darstellung an sich gefordert zu sein; man will weder in einem Landschafts-
noch Genrebilde, welche der Symmetrie am meisten zu widerstreben scheinen,
die Hauptmasse des Inhalts fast ganz auf eine Seite verlegt sehen; um so
mehr strebt die Darstellung des Malers der vollen Symmetrie zu, wo diese
Annäherung mit dem Sinne Hand in Hand geht, wie bei vielen religiösen
Bildern, indem die Vorstellung einer höhern Ordnung dadurch unterstützt
wird. Eine reine Durchführung der Symmetrie aber ist ohne mißfälligen
Widerspruch mit dem Charakter einer lebendigen Darstellung überhaupt
nicht wohl in der Malerei möglich; daher eben die vorteilhaftere und
reinere Anwendbarkeit derselben in Tektonik und Architektur nach horizontaler
Richtung, wo dieser Widerspruch wegfällt, indes nach vertikaler Richtung
Zweckrücksichten zum Unterlassen der Symmetrie drangen. Wogegen nicht,
spricht, dass in manchen Bauwerken sogar nach horizontaler Richtung die
Symmetrie mit Vorteil verlassen wird, indem sich dann immer assoziative
Momente angeben lassen, welche in diesem Sinne überwiegen; es würde
nur hier zu weit führen, in weitere Erörterungen darüber
einzugehen.
2) Gerade entgegengesetzt Kant, Schiller,
Herbart, welche dem assoziativen Faktor bei der Beurteilung der
Formenschönheit keine wesentliche Bedeutung zugestehen. Die Streitfrage
in dieser Hinsicht bis in ihre Wurzeln zu verfolgen und zu diskutieren,
kann hier nicht die Absicht sein. Indem ich mich überall auf faktische
Verhältnisse beziehe, glaube ich, dem Zweck unserer Aufgabe zu genügen.
Der Streit wurde schwerlich entstanden sein, wenn man überhaupt einen
klaren Unterschied zwischen direkter und assoziativer Seite des Eindrucks
gemacht, und genauer als bisher untersucht hätte, was auf jede Seite
zu legen.
3) Oersted führt in einer seiner ästhetischen
Schriften oder Abhandlungen folgendes, vielleicht schon sonst bekanntes,
Experiment an. Man macht mit Tinte auf einer Seite eines in eine Falte
zusammengebrochenen, doch wieder aufgeschlagenen Papiers irgend einen unregemäßigen
Krakel, der bis an die Teilungslinie beider Seiten des Blattes reicht,
und faltet dann das Papier wieder so zusammen, dass sich der Krakel symmetrisch
auf der andern Seile abdruckt. Man erstaunt über den Gewinn von Wohlgefälligkeit,
den man trotz der unreinlichen Vermischung der Züge beim Abdruck solchergestalt
erhält, und kann sich wie mit dem Kaleidoskop durch Abänderung
des Versuchs längere Zeit unterhalten finden.
Lotze hebt in
seiner Geschichte der Ästhetik den Unterschied, den ich zwischen direkten
und assoziativen Eindrücken mache, gewissermaßen auf, indem
er den Eindruck der Symmetrie so wie fast Alles, was ich sonst als direkten
Eindruck fasse, in der Hauptsache auf ein assoziatives Moment zurückzuführen
sucht, nämlich die direkte Wirkung zwar nicht ganz leugnet aber als
von wenig Gewicht gegen das assoziative Moment zurücksetzt. (Vergl.
insbesondere Gesch. S. 74 ff. und 232 ff.) Des Näheren kommt nach
Lotze die Wohlgefälligkeit und Mißfälligkeit objektiver
anschaulicher Raumformen und Raumverhältnisse, Bewegungen, Stellungen,
wesentlich dadurch zu Stande, dass sich darin Formen und Verhältnisse,
Bewegungen, Stellungen unsers eigenen Körpers wiederspiegeln,
solche, worin unser Wohl und Wehe, Freude, Leid, Behagen, Mißbehagen
einen Ausdruck findet. Die Lust und Unlust, die sich darin im Laufe unsers
bisherigen Lebens ausgesprochen hat, kehrt uns nämlich beim objektiven
Anblick durch assoziative Erinnerung an die früher erfahrene in einem
Abklange wieder. Wir fühlen die Lust und Unlust so zu sagen in die
objektiven Formen, Verhältnisse, Bewegungen, Stellungen hinein auf
Grund unserer früheren Erlebnisse von Lust und Unlust unter entsprechenden
Formen, Verhältnissen, Bewegungen, Stellungen unseres eignen Körpers;
und nur dies macht die objektiven ästhetisch wirksam und verständlich
für uns. Im Sinne dieser allgemeinen Auffassung, verstehe ich anders
Lotze recht, ist es das befriedigende Gefühl des durch Selbsttätigkeit
vermittelten oder durch Gunst äußerer Umstände erhaltenen
statischen Gleichgewichts des eignen Körpers, was sich assoziationsweise
auf den Anblick einer symmetrischen Figur übertragen muß, um
Wohlgefallen daran zu finden.
Aber so wenig ich
bestreite, dass derartige Assoziationen eine unter Umständen wichtige
Rolle bei objektiven Eindrücken überhaupt spielen, kann ich doch
nicht zugeben, dass sie beim Eindruck der Symmetrie die wesentliche,
die Hauptrolle spielen. Denn zuvörderst wüßte ich nicht,
warum durch die Anschauung einer symmetrischen Figur nicht so gut im Gebiete
des Gesichtes als durch den Genuß einer wohlschmeckenden Speise im
Gebiete des Geschmackes, direkt Bewegungen in unsrer Organisation
sollten ausgelöst werden, die uns zusagen, indem sie nach Lotze's
anderwärts entwickelter tieferen Fassung den Eindruck "eigener Vortrefflichkeit"
gewähren, warum vielmehr erst assoziative Erinnerung an frühere
lustvolle Bewegungen oder Gleichgewichtszustände unsers eigenen Körpers
nötig sein sollte, den Eindruck erheblich lustvoll zu machen. Dieser
Umweg schiene mir nur zu nehmen, wenn er sich als nötig erweisen
sollte. Suche ich mir aber klar zu machen, wozu Lotze selbst auffordert,
ohne dass ich dieser Aufforderung von ihm selbst nach Wunsch entsprochen
finde, wie die Wohlgefälligkeit der Symmetrie nach seinem Prinzip
zu Stande kommen soll, so treten mir Schwierigkeiten entgegen, die ich
nicht zu überwinden weiß, und die mir unter seiner hier wie
überall sinnigen und stilvollendeten Darstellung sich vielmehr zu
verbergen, als dadurch beseitigt zu sein scheinen, worüber ich gern
bereit bin, anderwärts in Erörterungen einzugehen; hier würden
sie zu weit führen. Doch konnte ich nicht umhin, meine Abweichung
von einer, mit unserer Frage in Beziehung stehenden, fundamentalen Ansicht
der vorzüglichsten Autorität, die wir jetzt in der Ästhetik
haben, mit einigen Worten zu bezeichnen. Sollte aber Lotze's Ansicht
gegen die meinige doch Recht behalten, so würde sich nicht sowohl
unsere Aufgabe als der Ausdruck derselben wesentlich zu ändern haben.
Die Symmetrie beweist nun jedenfalls, dass es im
Gebiete der Sichtbarkeit mindestens ein Verhältnis gibt, welches einen
Vorteil die Wohlgefälligkeit an sich, ohne Rücksicht auf die
Weise der Verwendung, nur nicht in Widerspruch mit Rücksichten der
Verwendung, vor davon abweichenden Verhältnissen voraus hat. Die Frage
ist bloß, ob mit diesem einen Beispiel das Gebiet an sich ästhetisch
bevorzugter Verhältnisse überhaupt erschöpft ist. In der
Musik gibt es eine Mehrheit konsonierender Verhältnisse, die einen
Vorteil die Wohlgefällig-keit an sich vor allen dissonierenden haben;
könnte nicht etwas Entsprechendes im Felde der Sichtbarkeit stattfinden?
Ohne nun die Frage in voller Allgemeinheit zu behandeln, wobei namentlich
auch die Verhaltnisse der Geradlinigkeit, Ebenheit, Eckigkeit und Krümmung
in Untersuchung zu nehmen waren, fassen wir sie hier nur, nach der oben
ausgesprochenen Beschränkung der Aufgabe, bezüglich der einfachsten
Dimensions- und Abteilungsverhältnisse ins Auge und überblicken
zunächst, was in dieser Beziehung bis jetzt von Hauptansichten vorliegt,
um zu wissen, worauf wir die Prüfung hauptsächlich zu richten
haben, unter Angabe der Gründe, welche eine neue Prüfung nötig
erscheinen lassen.