XLV. Psychophysische Kontinuität und Diskontinuität. Psychophysischer Stufenbau der Welt. Anknüpfungspunkt der Psychophysik an Naturphilosophie und Religion.

    Als gewissen Ausgangspunkt der folgenden, am Schlusse sich in ferne Aussichten verlie-renden, Betrachtungen sehe ich folgenden allgemeinen Satz an, der sich durch die hinzuzufü-genden Tatsachen zugleich zu erläutern und zu begründen haben wird, stillschweigend auch schon früher vorausgesetzt worden ist und vorausgesetzt werden mußte, sofern die Tatsachen überall keine andere Deutung und Verwertung zulassen, als unter seiner Voraussetzung.

    Das psychisch Einheitliche und Einfache knüpft sich an ein physisch Mannigfaltiges, das physisch Mannigfaltige zieht sich psychisch ins Einheitliche, Einfache oder doch Einfachere zusammen. Oder anders: das psychisch Einheitliche und Einfache sind Resultanten physischer Mannigfaltigkeit, die physische Mannigfaltigkeit gibt einheitliche oder einfache Resultanten.

    Das psychisch Einheitliche und Einfache sind insofern unterschieden, als das Einheitliche selbst noch die Verknüpfung einer unterscheidbaren Mehrheit ist, woraus aber das Bewußtsein der Verknüpfung oder verknüpfende Bewußtsein als etwas identisch Einfaches abstrahierbar ist, wie man sich an der Einheit des Bewußtseins, der Einheit einer Idee oder eines Begriffes erläutern kann, indes das schlechthin Einfache keine unterscheidbare Mehrheit mehr einschließt, und nur Element für Verknüpfungen, aber nicht selbst mehr Verknüpfung von Einfacherem ist, wozu eine einfache Ton-, Farben-, Geruchsempfindung Beispiele gewähren.

    Untriftig hat man oft die abstrakte Einfachheit des Bewußtseins mit einer Einfachheit der ganzen konkreten Seele verwechselt, nutzlos meines Erachtens durch ein einfaches hinterwirkliches Seelenwesen hypostasiert.

    Denselben Satz habe ich im 37. Kapitel mit anderer Richtung der Auffassung auch so ausgesprochen, daß der Geist, die Seele, das verknüpfende Prinzip für die körperliche Zusam-menstellung und Auseinanderfolge sei, unter Hinweis (Kap. 37), wie beide Ausdrucksweisen im Faktischen zusammentreffen, so daß es hier wie früher gleichgültig sein kann, welcher man sich bedienen will.

    Die Tatsachen, als deren Zusammenfassung ich sie betrachte, und in deren Sinne sie zu verstehen sind, sind folgender Art.

    Die identische Einheit des Bewußtseins knüpft sich an ein zusammengesetztes körperli-ches System; und die Gründe, welche im 37. Kapitel (über den Sitz der Seele) dargelegt sind, gestatten faktisch nicht, dieses bloß als äußere Hülle eines einfachen Seelensitzes anzusehen. Mit beiden Gehirnhälften denken wir nur einfach, mit den identischen Stellen beider Netzhäute sehen wir nur einfach; dem einfachsten Gedankengange liegt nach den zusammengesetzten Anstalten in unserem Gehirne ein sehr zusammengesetzter Prozeß unter; die einfachste Licht- oder Schallempfindung knüpft sich an Vorgänge in uns, die als angeregt und unterhalten durch äußere Oszillationsvorgänge, auch selbst irgendwie oszillatorischer Natur sein müssen, ohne daß wir etwas von den einzelnen Phasen und Oszillationen unterscheiden. Die unsäglich mannigfaltigen einfachen Geruchs- und Geschmacksempfindungen würden sich psychophysisch nicht repräsentieren lassen, wenn wir nicht einfache Resultanten verschieden zusammengesetzter Prozesse darin sehen wollten, welche sich nach dieser Zusammensetzung verschieden qualifizieren.

    So gewiß es hiernach ist, daß einheitliche und einfache psychische Resultanten an physischer Mannigfaltigkeit hängen, so gewiß ist von der anderen Seite, daß nicht alles physisch Zusammengesetzte, selbst wenn es einem in sich zusammenhängenden körperlichen Systeme angehört, in eine einfache psychische Resultante zusammengeht. Ob nicht doch in eine einheitliche, ist Glaubenssache, denn man kann fragen, ob nicht schließlich die ganze Welt eine einheitliche psychische Resultante gebe; dann fehlt uns aber wenigstens das Bewußtsein dieser Einheit.

    Zuvörderst unterscheiden sich verschiedene Bewußtseinsgebiete in den verschiedenen Menschen und Tieren, ungeachtet ihre Leiber Teile desselben allgemeinen Systems materieller Punkte sind, das wir kurz Natur nennen. Dann weiter unterscheiden sich in jedem Menschen und Tiere die verschiedenen Sinnesgebiete, und im Felde des Gesichtes und Getastes können wieder mehrere gleichzeitige Empfindungen unterschieden, auch solche Unterschiede in der Erinnerung reproduziert werden.

    Überhaupt befaßt das Seelenleben jedes Menschen und Tieres eine unzählige Menge teils koexistierender, teils sukzessiver unterscheidbarer Phänomene, ungeachtet doch das ganze körperliche System und Leben desselben räumlich und zeitlich in sich zusammenhängt.

    Der Kürze halber mögen wir die beiden Fälle, um deren Unterscheidung es sich hier handelt, als psychophysische Kontinuität und Diskontinuität unterscheiden. Kontinuität, sagen wir, findet statt, sofern eine physische Mannigfaltigkeit eine einheitliche oder einfache psychische Resultante gibt, Diskontinuität, sofern sie eine unterscheidbare Mehrheit von solchen gibt. Insofern aber in der Einheit eines allgemeineren Bewußtseins oder Bewußtseinsphänomens selbst noch eine unterscheidbare Mehrheit vorhanden ist, schließt die Kontinuität eines allgemeineren Bewußtseins die Diskontinuität besonderer Phänomene nicht aus.

    Eine der wichtigsten Fragen und Aufgaben der Psychophysik ist nun die, die Gesichtspunkte festzustellen, unter welche der Fall der psychophysischen Kontinuität und Diskontinuität tritt.

    Woran hängt es, daß die verschiedenen Organismen ein geschiedenes Bewußtsein haben, ungeachtet ihre Leiber so gut durch die allgemeine Natur zusammenhängen, als die Teile jedes Organismus unter sich, die doch zu einem einheitlichen Bewußtsein zusammenstimmen. Unstreitig kann man sagen, der Zusammenhang der Teile in einem Organismus sei inniger, als der der Organismen in der Natur. Aber was heißt ein innigerer Zusammenhang? Läßt sich auch an eine Relation ein absoluter Unterschied knüpfen? Und zeigt nicht die Natur im Ganzen so gut die Charaktere einer festen, ja noch unlösbareren, Verknüpfung, als jeder Organismus in ihr? Dieselben Fragen wiederholen sich innerhalb jedes Organismus. Woran hängt es, daß wir mit verschiedenen Gesichts- und Tastnervenfasern verschiedene Raumpunkte unterscheiden, indes Alles, was durch dieselbe Faser eintritt, Ununterschieden bleibt; ungeachtet doch die verschiedenen Nervenfasern so gut im Gehirne zusammenhängen, als die Teile derselben Nervenfaser unter sich? Wieder kann man einen innigeren Zusammenhang der letzteren geltend machen, aber wieder werden sich ähnliche Gegenfragen als oben bezüglich der ganzen Organismen wiederholen.

    Unstreitig ist die Aufgabe, welche hier für die Psychophysik vorliegt, bis jetzt noch keiner scharfen Lösung fähig, doch läßt sich ein allgemeiner Gesichtspunkt dafür wohl aufstellen, und zwar in konsequentem Zusammenhange mit dem, welcher über die Beziehung zwischen den allgemeinen und besonderen Bewußtseinsphänomenen im 42. Kapitel aufgestellt worden ist. Daher erläutere ich denselben auch an dem dort gebrauchten Schema, was der abstrakten Darstellung um so mehr vorzuziehen sein wird, als das Schema selbst von einer Seite so bestimmt, von anderer Seite so unbestimmt ist, als unsere Kenntnis von den Bedingungen der Frage.

    Wenn sich zwischen den verschiedenen Organismen jene Kontinuität des Bewußtseins unterbrochen zeigt, vermöge deren sich eine Vielheit von Sonderphänomenen in derselben Seeleneinheit verknüpft; ungeachtet doch alle Organismen durch die allgemeine Natur zu einem einzigen Systeme verknüpft sind, so kann dies nur darauf geschrieben werden, daß die psychophysische Tätigkeit sich zwischen ihnen nicht in derselben Weise durch die Natur forterstreckt, als in ihnen, sei es, daß sie in der äußeren Natur, oder selbst schon über jedes Nervensystem hinaus, überhaupt fehlt oder daß sie unter die Schwelle sinkt, was unter dasselbe Prinzip tritt, sofern ein Aufhören der psychophysischen Tätigkeit nur die größtmögliche Tiefe unter der Schwelle bedeutet.

    Insofern wir nun jedes System psychophysischer Tätigkeit, was durch ein allgemeines oder Hauptbewußtsein verknüpft ist, durch eine Welle, Hauptwelle darstellen können, welche mit ihrem Gipfel eine gewisse Grenze, die Schwelle, übersteigt, werden wir den physischen Zusammenhang aller psychophysischen Systeme durch die Natur mit ihrer psychophysischen Diskontinuität zugleich dadurch darstellen können, daß wir alle Wellen in Zusammenhang verzeichnen; aber nicht oberhalb, sondern unterhalb der Schwelle zusammenhängen lassen, nach diesem Schema: Hier stellen a, b, c

drei Organismen oder vielmehr die psychophysischen Hauptwellen dreier Organismen vor, AB die Schwelle. Was von jedem Wellenberge die Schwelle überragt, hängt in sich zusammen und trägt ein einiges Bewußtsein; was unter der Schwelle ist, trennt als Unbewußtsein tragend das Bewußte, indes es doch noch die physische Verbindung dazwischen unterhält.

    Allgemein: wenn eine psychophysische Hauptwelle oberhalb ihrer Schwelle in sich zusammenhängt, so findet Einheit, Identität des Hauptbewußtseins statt, indem dann der Zusammenhang der psychischen Phänomene, welcher den Teilen dieser Welle zugehört, auch in das Bewußtsein fällt. Wenn hingegen Hauptwellen nicht oder nur unter der Schwelle zusammenhängen, so findet Scheidung des zugehörigen Bewußtseins statt, indem dann ein Zusammenhang des Bewußtseins für das Bewußtsein nicht vorhanden ist. Oder kurz: das Hauptbewußtsein ist kontinuierlich oder diskontinuierlich, einheitlich oder diskret, je nachdem die psychophysischen Hauptwellen, die ihm unterliegen, kontinuierlich oder diskontinuierlich oberhalb ihrer Schwelle sind.

    Unter denselben Gesichtspunkt als der Fall der durch die äußere Natur geschiedenen Organismen tritt der zuweilen vorgekommene Fall zusammengewachsener Menschen, deren Gehirn nicht zusammenhängt, sofern die Hauptwelle ihrer psychophysischen Tätigkeit unstreitig nur innerhalb ihres Nervensystems oder selbst nur Gehirnes oberhalb der Schwelle ist, durch den übrigens verwachsenen Organismus also nur unterhalb der Schwelle zusammenhängt.

    Es würde hinreichen, den ganzen Wellenzug a, b, c ... im Schema zu erheben, so daß die Wellentäler in der Natur mit den Bergen zugleich über die Schwelle träten, so würden sie nur noch Einsenkungen eines und desselben oberhalb der Schwelle kontinuierlichen Wellenzuges bilden, und die Diskontinuität des Bewußtseins in der Natur würde sich in Kontinuität verwandeln. Das können wir nicht verwirklichen. Es würde auch hinreichen, die Berge so zusammenzuschieben, daß die Täler wegfielen, und die Berge oberhalb der Schwelle konfluierten; so würden die diskret empfindenden Organismen zu einem einheitlich empfindenden Organismus werden. Auch das kann der Mensch nicht willkürlich verwirklichen; er ist aber selbst die Verwirklichung davon. Seine zwei Hälften, die rechte und linke, sind in dieser Weise verbunden; und die Menge Segmente eines Straltieres und anderer teilbarer Tiere beweisen, daß noch mehrere dergleichen so verbunden sein können. Man braucht sie in der Tat bloß wieder zu trennen, d. h. einen Teil der Natur unter der Schwelle zwischen sie einzuschieben, so zerfallen sie auch wieder in zwei für sich empfindende Wesen.

    Zum Anhalte für die Vorstellung, wie sich die Phänomene bei solchen Trennungsversuchen darstellen, teile ich hier einige Beobachtungen:
Bonnet’s 1) aus seiner Abhandlung "Observations sur quelques espèces de vers d'eau douce, qui coupés par morceaux, deviennent autant d'animaux complets" mit.

1) Oeuvres d'hist. nat. T. I, 1779. p. 167 ff.
 
 
    Bonnet beschreibt das Tier, an dem er seine Versuche angestellt, ohne einen naturhistorischen Namen dafür anzugeben; Treviranus (die Ersch. u. Ges. d. org. Leb. I, 57. 59) bezeichnet es als bunte Naide (Nais variegata oder Lumbricus variegatus Müll.).

    p. 178. "J'avois partagé un pareil ver en deux parties. Je fis cette opération le 3. de Juin 1741. — Immédiatement après je mis les deux moitiés dans une espèce de tasse de verre, de trois à quatre pouces de diamètre sur un pouce ou environ de profondeur. Je ne les perdis presque pas de vue : je remarquai que la première moitié, celle où tenoit la tête, se mouvoit comme à l'ordinaire. Mais ce qui me parut bien autrement remarquable, c'est que l'autre moitié qui n'avait point de tête, se mouvoit presque comme si elle en avoit eu une. Elle alloit en avant en s'appuyant sur l'extrémité antérieure de son corps; elle avancoit même avec assez de vitesse. On voyoit que ce n'étoit point un mouvement sans direction, un mouvement produit par une cause telle que celle qui fait mouvoir la queue d'un Lézard après qu'elle a été séparée du tronc, mais un mouvement très-volontaire. On l'observoit se détourner à la rencontre de quelque obstacle, s'arrêter, puis se remettre à ramper. Lorsque les deux moitiés venaient à se rencontrer, c'étoit comme si elles n'eussent jamais formé un même insecte: elles né paroissoient ni se chercher, ni se fuir. Chacune tiroit de son côté; ou si elles alloient de compagnie vers le même endroit, la première dévançoit ordinairement la seconde. Mais celle-ci ne montroit jamais mieux une sorte de volonté, que lorsque je l'exposois au soleil ; elle hâtoit alors considérablement sa marche."

    "Deux jours s'étant écoulés, je crus devoir mettre dans la tasse un peu de terre et de lentille aquatique. La première moitié ne tarda pas à s'y enfoncer: mais la seconde se contenta de se cacher entre les menues racines de la lentille: Dans ce temps-là j'observois au bout antérieur de cette moitié une espèce de petit renflement, une sorte de bourlet analogue à celui qui vient à une branche d'arbre dont on a enlevé circulairement une portion d'écorce: je ne le distinguai pas si bien à l'extrémité postérieure de l'autre moitié. Ce bourlet sembloit lui donner plus de facilité pour ramper, elle ne paroissoit plus craindre autant le frottement."

    "Le lendemain j'apperçus à la coupe de chaque moitié un petit accroissement reconnoissable par la différence de couleur, qui était là beaucoup plus claire que dans le reste du corps. Les jours suivons tout devint plus sensible. Enfin au bout d'environ une semaine, chaque moitié fut un ver complet. La tête qui avoit poussé à la seconde, était précisément telle, quant à la forme, que celle de la première, et capable des mêmes fonctions; et la nouvelle queue de celle-ci, en tout semblable à celle de la seconde moitié; le coeur, l'estomac, les intestins, etc. s'étoient prolongés dans l'une et dans l'autre; de nouveaux anneaux avoient poussé à la suite des anciens. En un mot, tout ce que le premier ver faisoit avant que d'avoir été partagé, nos deux vers qui en étoient provenus, le faisoient pareillement; même agilité, mêmes inclinations, même façon de vivre, de se nourrir."

    p. 241. "Tout cela, quoique fort remarquable, ne l'est pas néanmoins autant que ce que j'ai observé sur de semblables vers, peu de temps après leur avoir coupé la tête, Je les ai vus, à mon grand étonnement, s'enfoncer dans la boue en se servant de leur bout antérieur comme d'une tête, pour s'y frayer un chemin. J'ai vu le ver no. 2. de la Tab. II. ramper le long des parois du vase de verre, où je le tenois renfermé, et faire effort pour en sortir, quoiqu'il n'eût ni tête ni queue."

    p. 183. Bonnet wiederholte nachher diese Versuche so, daß er die Tiere, statt bloß in zwei, in drei, in vier, in acht, in zehn, in vierzehn Teile teilte, und alle oder fast alle, reproduzierten Kopf und Schwanz; einmal selbst geschah dies bei einem in sechzehn Teile geteilten Tiere. Über die Weise der Lebensäußerungen der Stücke bis zur Reproduktion ist aber nichts angegeben.

    p, 191. So wie Knochen, wenn einmal die Verknöcherung bis zu einem gewissen Punkte gediehen ist, nur noch an ihren Enden wachsen, fand auch Bonnet nach mehreren Beobachtungen, daß die Stücke des geteilten Tieres sich nur durch Sprossen an den Enden, nicht durch inneres Wachstum wieder zur früheren Größe ergänzen.

    p. 218. "Man kann dasselbe Tier wiederholt um Kopf oder Schwanz verkürzen; es erfolgt immer Wiedererzeugung, doch gelang es Bonnet nicht, dies über 16mal bei demselben Tiere zu treiben."

    p. 228. Kopf und Schwanz, wenn man sie zu nahe am Körper abschneidet, reproduzieren sich niemals. "Je suis maintenant si persuadé, que ni l'une ni l'autre de ces parties ne sauroient devenir des animaux parfaits, que je le regarde comme un principe dans cette matière, d'où je crois pouvoir tirer cette conséquences que la source de reproduction ne réside pas dans tout le corps de ces vers, mais que si l'on fait la section à une distance de l'une ou de l'autre extrémité, qui soit moindre qu'une ligne et demie, la partie coupée périra sans se reproduire." Hingegen reproduzierten sich Stücke von 1/2 bis 2/3 Linie, zwischen diesen beiden Punkten genommen, zu Tieren, denen nichts fehlte.

    Die Gesamtheit der Tatsachen, welche sich auf diese Verhältnisse der Verbindung und Trennung beziehen, führt zu folgendem allgemeinen Satze, welcher in das hineintritt, was im 37. Kapitel über die solidarische Ergänzung und Vertretung der Körperteile im Dienste der Seele gesagt wurde.

    Wenn ein psychophysisches System sich aus einer Mehrheit von gleichen Teilen, Segmenten zusammensetzt, die oberhalb der Schwelle zusammenhängen, so geben sie in ihrer Verbindung eine einheitliche psychische Leitung derselben Art, als jeder für sich zu geben vermöchte, unterstützen sich also in derselben Leistung, so lange sie oberhalb der Schwelle zusammenhängen, und geben dieselbe einheitliche Leistung jeder für sich nur mit verminderter Stärke, die unter Umständen unter die Schwelle fallen kann, wenn sie so getrennt werden, daß sie nicht mehr oberhalb der Schwelle zusammenhängen.

    In der Tat ist dies nur der Ausdruck der Tatsachen, die man an teilbaren Tieren beobachtet, in soweit man die natürlichste Deutung ihrer Lebensäußerungen vor und nach der Teilung gelten läßt. Daß die getrennten Teile bei gleicher Art der psychischen Leistung solche doch nicht in gleicher Stärke als vorher das ganze Tier geben, läßt sich aus der im Allgemeinen geringeren Energie ihrer Lebensäußerungen schließen, die unter Umständen bis zum Absterben gehen kann, bis es gelungen ist, die abgetrennte Hälfte durch Reproduktion zu ersetzen, wozu alle teilbaren Tiere befähigt sind.

    Dasselbe, was die Versuche mit völliger Teilung von Tieren lehren, lehren die Versuche mit Abspaltung oder Zerstörung bloß einer Hirnhälfte. In der Tat gewährt jede Hirnhälfte nach Abtrennung oder Zerstörung der andern, falls das Leben überhaupt fortbesteht, noch dasselbe Bewußtsein, wie die Versuche von Flourens an Tieren, sofern ihr Bewußtseinszustand nach ihren Äußerungen beurteilbar ist, und approximative pathologische Erfahrungen an Menschen gelehrt haben, nur mit leichterer Ermüdung, als wenn die wechselseitige Unterstützung stattfindet, wie man aus einigen merkwürdigen Erfahrungen schließen kann.

    Ferrus berichtet von einem Generale, der durch eine Verwundung einen großen Teil des linken Scheitelbeines verloren hatte, was eine beträchtliche Atrophie der linken Hirnhemisphäre nach sich zog, die sich äußerlich durch eine enorme Depression des Schädels kund gab. Dieser General zeigte noch dieselbe Lebhaftigkeit des Geistes, dasselbe richtige Urteil als früher, konnte sich aber geistigen Beschäftigungen nicht mehr hingeben, ohne sich bald ermüdet zu fühlen. Longet sagt bei Mitteilung dieser Erfahrung, er habe einen alten Soldaten gekannt, der sich ganz in demselben Falle befinde. (Longet, Anat. et physiol. du syst. nerv. I, 670.)

    Diese wie die folgenden Beispiele sind gewissermaßen pathologische Wiederholungen der, von Flourens an Tieren angestellten, physiologischen Versuche am Menschen, und können dienen zu beweisen, daß in der Tat für Menschen und Tiere in dieser Hinsicht ganz dieselben Verhältnisse gelten.

    "Diemerbroek 2) erzählt von einem Mädchen, welchem die ganze rechte Hirnhälfte durch den Fall eines schweren Steines zerstört wurde, und bei welchem noch 36 Stunden lang das psychische und das sensorielle Leben sich ungestört zeigte. Einen ähnlichen Fall erzählt Roloff 3) von einem Weibe, bei welchem man bei der Sektion bedeutende Zerstörungen der linken Hirnhälfte fand, während die rechte Hemisphäre ganz normal war; bei diesem Individuum waren die psychischen Funktionen nicht im Mindesten getrübt.... Bei einer alten Frau, welche an Lungenentzündung starb, fand man die linke Gehirnhälfte vollkommen gesund, die rechte aber fast in allen ihren einzelnen Teilen atrophisch, und dieses Weib hatte nie an der geringsten psychischen Störung gelitten 4). "(Friedrich’s Handb. 60.) Longet berichtet von einem 29jährigen Manne, dessen geistige Kräfte keine merkliche Abweichung darboten, ungeachtet die ganze rechte Hemisphäre des großen Gehirns, mit Ausnahme der Basalteile, fehlte. (Longet, Anat. et Physiol. du syst nerv. 1842. I, 669.) — Neumann führt einen Fall an, in welchem eine Kugel eine ganze Hemisphäre zerstört hatte, ohne die Besinnung zu rauben. (Neumann, von den Krankheiten des Gehirns des Menschen. Koblenz 1833. S. 88.) — Abercrombie berichtet von einer Frau, bei welcher die Hälfte des Gehirns in eine krankhafte Masse aufgelöst war, und die dennoch, eine Unvollkommenheit des Sehens abgerechnet, alle ihre geistigen Vermögen bis zum letzten Augenblicke behielt, so daß sie noch einige Stunden vor ihrem Tode einer fröhlichen Gesellschaft in einem befreundeten Hause beiwohnte. (Abercrombie, inquiries etc.) — Ein Mann, dessen O' Holloran erwähnt, erlitt eine solche Verletzung am Kopfe, daß ein großer Teil der Hirnschale auf der rechten Seite weggenommen werden mußte; und da eine starke Eiterung eingetreten war, so wurde bei jedem Verbande durch die Öffnung eine große Menge Eiter mit großen Quantitäten des Gehirns selbst entfernt. So geschah es 17 Tage hindurch, und man kann berechnen, daß fast die Hälfte des Gehirns, mit Materie vermischt, auf diese Weise ausgeworfen wurde. Dessen ungeachtet behielt der Kranke alle seine Geisteskräfte bis zu dem Augenblicke seiner Auflösung, so wie auch während dieses ganzen Krankheitszustandes seine Gemütsstimmung ununterbrochen ruhig war.

2) Anat. lib. 111, cap. 5.

3) Nasse’s Zeitschr. 1825. Heft 3. S. 173.

4) Bell, in d. revue médic. Mai 1831.
 
 

    Es verhält sich mit beiden Hirnhemisphären faktisch eben so wie mit zwei Pferden, die vor einen und denselben Wagen gespannt sind. Man kann das eine Pferd ausspannen und der Wagen geht noch in demselben Sinne wie früher fort, nicht minder das andere, und hiernach könnte man meinen, sie seien beide gleich überflüssig für den Gang des Wagens; der Wagen würde auch noch gehen, wenn man beide ausspannt. Aber dann steht er still; und auch während beide am Wagen sind, sind sie nicht bloß da, sich für etwaigen Wegfall des andern zu vertreten, sondern auch sich in dem Zuge zu unterstützen; denn spannt man das eine aus, so geht der Wagen träger, oder wenn etwa noch gleich schnell wegen stärkern Antriebes des einen Pferdes, doch mit minderer Dauer.

    Für den ersten Anblick muß es freilich sehr paradox erscheinen, daß Wegfall oder Zerstörung einer ganzen Hemisphäre des Gehirnes den normalen Gang des Seelenlebens so wenig oder gar nicht benachteiligt, indes viel kleinere Schädigungen auf einer Seite oder nicht korrespondierende Schädigungen auf beiden Seiten des Gehirnes oft die größten Störungen darin hervorrufen. Aber auch dies erklärt sich leicht aus der Solidarität, in der die Tätigkeit der Hemisphären bezüglich ihrer psychischen Leistungen steht und läßt sich an dem nur eben gebrauchten Bilde erläutern. Wenn von zwei Pferden vor einem Wagen das eine wild oder lahm durch einen lokalen Schaden wird, so wird der Gang des andern mit gestört, weil sie eben nur in Verbindung ziehen können; spannt man das wilde oder lahme ganz aus, so hört die Störung auf, und geht bloß der Wagen schwächer; daher unstreitig manche Geistesstörungen durch Amputation eines Teiles des Gehirns eben so gehoben werden könnten, als man manche andere Schäden durch Amputation des schadhaften Teiles hebt, ließe sich anders die Operation ohne Gefahr für das Leben ausführen.

    Inzwischen, was wir nicht willkürlich vornehmen können und mögen kann wieder durch äußere oder innere von unserer Willkür unabhängige Umstände erfolgen. So gehören wahrscheinlich hierher die nicht zu selten vorkommenden Fälle, daß der Wahnsinn kurz vor dem Tode aufhört, indem der Tod die kranken Teile des Gehirns, welche durch ihren Zusammenhang mit gesunden eine Störung des geistigen Lebens bewirken, vor den gesunden zerstört. Auch ist dies im Wesentlichen die Erklärung, welche Friedreich, in dessen Handb. d. allg. Pathol. der psych. Krankhh. S. 497 mehrere Fälle dieser Art zusammengestellt sind, davon gibt.

    Noch direkter können hierher einige merkwürdige Fälle bezogen werden wo die Verwundung des Gehirnes mit Verlust von Gehirnsubstanz vorteilhaft für die Intelligenz gewesen zu sein scheint. Es ist sehr wahrscheinlich, daß der Vorteil hierbei aus demselben Gesichtspunkte zu betrachten ist, den das Trepanieren hat, sofern nämlich mit Verminderung der Gehirnsubstanz ein nachteiliger Druck, den das Gehirn wahrscheinlich vorher erlitt, recht wohl vermindert werden konnte, der die geistigen Vermögen vorzugsweise beeinträchtigt. In der Tat litten die Individuen, bei denen dieser vorteilhafte Erfolg vom Verluste der Hirnsubstanz beobachtet ward, vorher an Kopfschmerz, Stumpfsinn oder träumerischem Wesen, was Alles sehr wohl von einem Drucke auf das Gehirn abhängen konnte.

    Ich habe 4 Fälle, die hieher gehören, gefunden, einer ist in den Nov. Akt. nat. cur. II, 364; ein anderer in the north-americ. med. surg. Journ. 1830. Jan. p. 213; ein dritter in Carresi selecta, Siena 1830. dec IX; ein vierter in l'Institut. 1836. no. 134 mitgeteilt.

    Man übersieht leicht, wie der Fall der Zerstörung einer Hirnhälfte mit der Spaltung eines Tieres zusammenhängt. Ob die einander gleichen Segmente des psychophysischen Systems hinter oder neben einander liegen, ist nur ein unwesentlicher Unterschied, und ob das abgespaltete Stück zerstört wird oder nicht, ist für das überlebende ebenfalls gleichgültig. Es findet nur der Unterschied statt, daß beim Menschen nicht eben so wie bei den niedern Tieren eine volle Trennung des ganzen Systems in der Art, daß beide Teile fortleben, stattfinden kann. Im Übrigen stimmen beide Fälle darin überein, daß vor der Spaltung die beiden Teile des Geschöpfes in Eins empfinden, und sich in der psychischen Leistung unterstützen, aber auch der eine Teil den andern missen kann, und doch noch dieselbe, nur schwächere, psychische Leistung als vorher gibt.

    Unstreitig gehört der organische Zusammenhang der Teile selbst zu den Bedingungen, die zur lebendigen Erhaltung jedes einzelnen, und mithin auch zur Erhaltung der psychophysischen Tätigkeit über der Schwelle darin, beitragen, aber in den höhern Geschöpfen ist diese Solidarität viel stärker als in den niedern.

    Könnten beide Hälften eines in der Längsmittellinie geteilten Menschen überhaupt noch fortleben, d. h. die psychophysischen Tätigkeiten noch in beiden Hälften über der Schwelle fortbestehen, so würden wir unstreitig eben so gut die Verdoppelung einer Menschen- als Tierseele durch die Trennung der sich seitlich entsprechenden und vertretenden Hälften erzielen können, als wir sie bei Tieren durch Trennung der hintereinander liegenden sich entsprechenden Segmente zu erzielen im Stande sind.

    Es wäre jedoch müßig, viel darüber nachzudenken, wie sich die beiden Hälften eines geteilten Menschen beim Fortleben verhalten würden, da der Fall nicht zu verwirklichen ist. Unstreitig würden sie mit gleichem Gemütszustande, gleichen Anlagen, Kenntnissen, Erinnerungen, gleichem Bewußtsein überhaupt beginnen, nach Maßgabe aber, als sie in verschiedene Verhältnisse kämen, sich verschieden entwickeln.

    Man scheint bisher in Verlegenheit gewesen zu sein, unter welchen Gesichtspunkt man die Erfolge der Spaltungsversuche an niedern Tieren fassen soll. Offenbar entstehen zwei Seelen aus einer durch Teilung des Körpers, an dem vorher die eine Seele hing. Also scheint sich der Vorgang nicht anders fassen zu lassen, als daß die Seele mit dem Körper in zwei geteilt wird. Aber der Begriff der Einfachheit der Seele widersprach; und ich habe schon (Kap. 37) angeführt, wie man Seitens der auf diesem Begriffe fassenden Ansicht vom einfachen Seelensitze es vorgezogen hat, statt einer Teilung der Seele das Erwachen einer neuen Seele in der einen der getrennten Hälften anzunehmen, aber auch angegeben, was hindert, dies er Auffassung sich zu fügen.

    Die Sache ist die, daß man mit der abstrakten Kategorie der Einfachheit nicht ausreicht, die wesentlichen Verhältnisse, unter welche die Seele treten kann, zu decken. So einfach man die Seele nennen mag, so ist doch gewiß, daß die Intensität ihres Bewußtseins zunehmen und abnehmen kann, auf die Hälfte herabkommen, und auf das Doppelte steigen, und ganz unter den Nullpunkt sinken kann. Hiernach kann man einfach und das Tatsächliche scharf bezeichnend sagen; die Seele wird bei jener Spaltung des Körpers der Zahl nach verdoppelt, der Intensität nach geteilt, doch mit der Möglichkeit des Widerersatzes des Intensitätsverlustes, den jede durch Abspaltung erlitten hat, wenn die Reproduktion ihres Trägers groß genug ist.

    Es kann auch der Fall sein, daß von beiden getrennten Teilen bloß der eine oberhalb der Schwelle bleibt, der andere ganz darunter sinkt; dann lebt bloß der eine fort; so, wenn man ein Stück vom Gehirn abschneidet; oder daß beide durch die Trennung anfangs unter die Schwelle sinken, aber sich allmälig wieder darüber erheben, dann tritt das getrennte Bewußtsein erst nach einiger Zeit ein; oder daß beide dauernd unter die Schwelle sinken; oder daß, wenn beide getrennte Teile psychophysisch verschieden sind, auch die Qualität des Bewußtseinszustandes für die getrennten Teile eine verschiedene wird.

    Unter welchen der verschiedenen möglichen Fälle die Pflügerschen und so viele verwandte Versuche treten, ob ein Kopf ohne Rumpf, ob ein Rumpf ohne Kopf bei höheren Tierklassen und dem Menschen noch eine Zeit lang empfinden könne, sind Fragen, die nach den Erörterungen im 37. Kapitel noch nicht sicher zu entscheiden sind. Wir wissen bisher weder, ob eine psychophysische Bewegung über der Schwelle bei irgend einem lebenden Geschöpfe in das Rückenmark hineinreichen kann, noch ob sie sich nach Trennung vom Kopfe darüber erhalten kann, noch welche Verschiedenheiten etwa zwischen verschiedenen Tierklassen bestehen; und so sinnreich die angestellten Versuche und darüber gepflogenen Erörterungen sind, so bleibt immer noch die Möglichkeit verschiedener Auslegung übrig.

    Zu den Spaltungsvorgängen, welche eine extensive Verdoppelung der Seelen zur Folge haben, gehört die Geburt des Menschen und der höheren Tiere. Nur kommt diese Verdoppelung hier nicht dadurch zu Stande, daß zwei ähnliche Teilsysteme, die über der Schwelle zusammenhängen, getrennt werden, sondern daß ein solches unter der Schwelle, der Organismus des Kindes, von einem solchen über der Schwelle getrennt wird, und durch die Trennung selbst über die Schwelle tritt. Die Reize der Außenwelt gehören nämlich zu den Bedingungen, welche ein sonst dazu disponiertes System über die Schwelle zu heben vermögen, wie das Erwecken aus dem Schlafe beweist, daher das abgetrennte Kind, ungeachtet ihm durch Trennung des Zusammenhanges mit der Mutter eine Lebensbedingung entzogen wird, doch erst mit dieser Trennung zu erwachen vermag. Bei niederen Tieren tritt an die Stelle der Fortpflanzung durch Geburten zum Teil die freiwillige Spaltung des ganzen Organismus über der Schwelle, und der Unterschied zwischen beiden Fällen hat hiernach auch nicht den Charakter eines absoluten.

    So viel von den Verhältnissen der psychophysischen Kontinuität und Diskontinuität des Hauptbewußtseins nach räumlicher Beziehung. Nun besteht aber für jedes Individuum im Besondern noch eine Kontinuität des Hauptbewußtseins durch die Sukzession der Zeit, welche sich als Forterhaltung der Identität oder Einheit desselben durch den Zeitlauf ausspricht und den Zusammenhang einer Reihe sukzessiver Phänomene in derselben Seele begründet. Hierbei kann man es auffallend finden, daß das zeitweise Sinken der Hauptwelle im Schlafe unter die Schwelle keine entsprechende Unterbrechung der Kontinuität des Hauptbewußtseins bei dem Individuum hervorruft, als das räumliche Sinken unter die Schwelle zwischen den Individuen, da sich vielmehr nach jedem neuen Erwachen das neue Bewußtsein in Kontinuität mit dem alten fühlt. Dieser Unterschied kann mit Wahrscheinlichkeit darauf geschrieben werden, daß die Oszillation jedes psychophysisch tätigen Punktes der Zeit nach kontinuierlich in sich bleibt, wogegen eine räumliche Kontinuität wegen der, von der exakten Naturwissenschaft statuierten und notwendig zu statuierenden atomistischen Disposition der Materie an sich nicht stattfindet, daher auch nur insofern von einer Kontinuität der Welle oberhalb der Schwelle die Rede sein kann, als die Reihenfolge der psychophysisch tätigen Teilchen oberhalb der Schwelle nicht durch solche unter der Schwelle unterbrochen ist, wobei der Zukunft noch manche genauere Bestimmung zu machen übrig bleibt.

    So wenig die Kontinuität des Hauptbewußtseins in der Zeit durch das Herabsinken der psychophysischen Hauptwelle im Schlafe unterbrochen wird, so wenig ist es der Fall durch den Übergang auf ganz andere Materien, und durch den Wechsel der Formen, wie sich erfahrungsmäßig dadurch beweist, daß der Organismus sich durch den Stoffwechsel fortgehends erneuert, und der Leib des Greisen im Allgemeinen aus ganz anderen und in anderen Formen zusammengefaßten Materien besteht, als der des Kindes, ohne daß die Kontinuität des Hauptbewußtseins irgendwie dadurch unterbrochen wird. Überhaupt sind, so weit wir Erfahrungen darüber machen können, nur Möglichkeiten bekannt, dieses Kontinuum zeitweise unbewußt werden zu lassen, indem die Seele in Schlaf versinkt, aber nicht die Kontinuität aufzuheben, indem nach jedem Erwachen das frühere Bewußtsein sich identisch mit dem alten verknüpft, und das System aus der neuen Materie das frühere Bewußtsein identisch fortbehält.

    Eine Bedingung besteht hierbei. Die Seele kann im Zeitlaufe von einem materiellen Systeme auf ein nach Stoff und Form ganz anderes übergehen; aber nicht überspringen; sondern die neuen Materien müssen in das alte psychophysische System eintreten, indes die alten austreten, wie im Stoffwechsel allmählig geschieht, oder die alte psychophysische Bewegung muß sich in continuo auf neue Materien überpflanzen, wie bei dem Wechsel der Aufmerksamkeit plötzlich geschieht.

    Hieran läßt sich eine wichtige Folgerung knüpfen. Der Gedanke, daß wir im Übergange zu einem künftigen Leben auf andere Planeten, die Sonne, oder in ferne Himmel versetzt werden, d. h. daß unser psychisches Leben sich fortan an das dort vorgehende psychische Leben knüpfen werde, hat keinen Boden. Sondern, wenn es eine künftige Fortexistenz gibt, kann sie nur darauf sich gründen, daß die Hauptwelle unseres psychophysischen Systems, an der unser Hauptbewußtsein hängt, von dem Teile des irdischen Systems, an dem sie jetzt hängt, oder in dem sie jetzt die Schwelle übersteigt, auf einen andern Teil oder weitem Teil dieses Systems in continuo übergehe, welche Möglichkeiten zu diskutieren jedoch hier nicht der Ort ist.

    Die Kontinuitäts- und Diskontinuität-Verhältnisse, welche für die Hauptwellen stattfin-den, können sich für deren Oberwellen wiederholen, und hieran wird natürlicherweise die Unterscheidung und Nichtunterscheidung dessen, was im Bewußtsein ist, zu knüpfen sein. Eine Hauptwelle, die in sich oberhalb der Hauptschwelle AB zusammenhängt, kann doch Oberwellen tragen, die unterhalb ihrer Schwelle A' B' zusammenhängen; nach folgendem Schema: 5)


5) Dies Schema stellt die Erhebung der Oberwellen über die Schwelle in gleicher Richtung mit der Erhebung der Unterwellen dar, wobei davon abstrahiert ist, daß Oberwellen eben so gut durch Bewegung in entgegengesetzter als gleicher Richtung mit den Unterwellen die Schwelle übersteigen können; worauf es hier nicht ankommt.
 
 
    Daß alle Oberwellen a, b, c... oberhalb derselben Hauptschwelle in einer Hauptwelle zusammenhängen, ordnet sie demselben Hauptbewußtsein ein und unter, daß sie aber zugleich diskontinuierlich über ihrer eigenen Schwelle sind, läßt sie innerhalb dieses Hauptbewußtseins unterscheiden.

    Schon früher (Kap. 34) habe ich diese Ansicht in Bezug auf die extensiven Empfindungen geltend gemacht. Bei intensiven, wie bei Tönen, durfte die Unterscheidbarkeit durch die Wirkung der Aufmerksamkeit daran hängen.

    Wenn korrespondierende Fasern der Netzhaut nur eine identische Empfindung geben, nicht zwei, wenn beide Gehirnhälften sich stets nur in einem Gedanken vereinigen, so werden sie, d. h. die Tätigkeiten in ihnen, nicht nur über der Hauptschwelle, sondern auch über der Oberschwelle zusammenhängen müssen.

    Unstreitig hat die Verteilung der psychischen Leistung auf zwei gleiche Hirnhälften beim Menschen und den höheren Tieren, und auf eine Mehrheit hintereinander liegender oder symmetrisch im Kreise geordneter ähnlicher Segmente bei den niederen Tieren, ihre wichtige teleologische Bedeutung, und es wird damit ein Beispiel zu den unzähligen Beispielen gefügt, die wir in der Einrichtung des Organismus finden können, daß mit geringstmöglichem Aufwande an Mitteln die größtmöglichen Leistungen erzielt werden, und mit derselben Einrichtung eine Mehrheit von Zwecken zugleich erfüllt wird.

    Denn diese Einrichtung erfüllt einmal den Zweck, daß Verletzungen nicht so leicht die psychische Integrität benachteiligen können, indem ein Teil zur Vertretung und bei vielen Tieren selbst zur Anknüpfung des Wiederersatzes des anderen da ist; sie tritt zweitens bei niederen Tieren als eins der Mittel auf, die Seelen zu vervielfältigen, sie macht drittens nach den Prinzipien, die im 21. Kapitel entwickelt sind, möglich, mit einem gegebenen Quantum psychophysischer Tätigkeit mehr zu leisten, als wenn es auf einen Punkt oder in zu engem Raume konzentriert wirken müßte, wobei freilich vorausgesetzt, was noch nicht bewiesen ist, daß die für diskret empfindende Punkte gültigen Gesichtspunkte auch für die in continuo empfindenden gültig bleiben.

    Schließen wir die Betrachtungen, die wir in diesem und einem früheren Kapital an unser Schema geknüpft haben, noch mit einigen Betrachtungen allgemeinster Natur ab, welche in Verbindung mit denen des folgenden Kapitels geeignet sein können, auf die große Tragweite der Psychophysik einen Vorblick tun zu lassen.

    Unsere Hauptwellen, an denen unser Hauptbewußtsein hängt, tragen Wellen, an denen unsere besonderen Bewußtseinsphänomene hängen. Aber können nicht unsere Hauptwellen ihrerseits als Oberwellen einer größeren Hauptwelle betrachtet werden? Physisch sind sie es wirklich, warum nicht auch psychophysisch? denn die gesamte Tätigkeit des irdischen Systems ist unter dem Schema einer großen Welle darstellbar, wozu die Tätigkeitssysteme der einzelnen organischen Geschöpfe nur als kleine Oberwellen gehören; und die Tätigkeitssysteme der einzelnen Weltkörper sind wieder nur Oberwellen des allgemeinen Systems der gesamten Bewegungen der Natur. Der Stufenbau, der sich in uns hinein fortsetzt, setzt sich auch über uns hinaus fort.

    Wenn nun die Oberwellen in uns, an denen die unterscheidbaren Bewußtseinsphänomene in uns hängen, nur diskontinuierlich über ihrer Schwelle, aber kontinuierlich über unserer Hauptschwelle sind, werden nicht auch die Hauptwellen, an denen unser Hauptbewußtsein hängt, nur diskontinuierlich über ihrer Schwelle, aber kontinuierlich über einer tieferen Hauptschwelle sein? Das würde mitführen, daß es zu unserm Hauptbewußtsein noch ein allgemeineres gibt, welches das unsere eben so als seine Besonderheiten umfaßt, wie das unserige seinerseits wieder seine Besonderheiten umfaßt.

    Die Konsequenz dieser Auffassung führt zur Ansicht eines in der Natur allgegenwärtigen bewußten Gottes, in dem alle Geister leben, weben und sind; wie er in ihnen, mit, den Weltkörpern inwohnenden, individuellen geistigen Zwischenstufen zwischen ihm und uns, welche die geschöpflichen Geister eben so einheitlich verknüpft in sich tragen, wie sie ihrerseits im göttlichen Geiste getragen werden, und wie die geschöpflichen Geister wieder ihre Sinneskreise und diese ihre Sonderempfindungen in sich tragen. Diese Ansicht kann auf Grund der Analogien und Zusammenhänge, welche der im Menschen selbst sich schon darbietende Stufenbau gewährt, weiter entwickelt und gestützt werden.

    Hiermit tritt die Aussicht auf unsere eigene Fortexistenz nach dem Tode von mehreren Seiten in Beziehung. Besonders nahe liegt folgender Gesichtspunkt:

    Wenn ein Bild in unserem Auge, geknüpft an Oberwellen, nach seinem Erlöschen im Auge noch einen Erinnerungsnachklang hinterläßt, welcher eintritt in ein allgemeineres und höheres Reich von Erinnerungen und Gedanken des allgemeinen oder Hauptbewußtseins, so dürfen wir glauben, daß etwas Entsprechendes unseren Hauptwellen begegnen wird, sofern sie ihrerseits Oberwellen über einer tieferen Schwelle sind, und daß unsere Geister somit nach dem Tode eingehen in ein höheres Geisterreich in Gott.

    Auch diese Ansicht kann auf Grund von Analogien und Zusammenhängen, welche unser diesseitiges Leben darbietet, weiter entwickelt und gestützt werden. Es ist aber dieses wie jenes für jetzt vielmehr Sache der Naturphilosophie und einer religiösen Naturanschauung, als Sache der Psychophysik, welche nach ihrem heutigen Stande erst nur Anknüpfungspunkte dazu zu gewähren vermag.

    Ausführlich findet man diese Ansichten in meiner Schrift "Zend-Avesta oder die Dinge des Himmels und des Jenseits vom Standpunkte der Naturbetrachtung." 3 Teille. 1851, und kürzer in der neuen : "Über die Seelenfrage" 1860, dargestellt. Der Anfang und die erste Anlage der jetzigen Schrift haben sich selbst erst im Zusammenhange mit den Betrachtungen, die in jenen dargelegt sind, entwickelt; und so mag es natürlich sein, daß sie auf ihrem Wege wieder zu den dort dargelegten Ansichten zurückführt.