XXVIII. Bemerkungen zu den Maßmethoden der Empfindlichkeit.

    Ohne hier in alle Ausführungen eingehen zu wollen, zu denen dieser Gegenstand Anlaß geben könnte, knüpfe ich Einiges, was zur Erläuterung und in gewissem Sinne selbst Erweiterung der früher besprochenen Maßmethoden der Empfindlichkeit dienen kann, an die Erörterungen und Formeln des vorigen Kapitels, unter Beibehaltung der darin gebrauchten Bezeichnungen, indem ich jedoch dabei zu zeigen suchen werde, daß die Gültigkeit der Prinzipien, um die es sich hier handeln wird, und der daraus fließenden Regeln über die Gültigkeit dieser Formeln hinausreicht, was insofern zu bemerken ist, als die Maßmethoden der Empfindlichkeit auch für Falle zu dienen haben, wo das Weber’sche Gesetz, auf das sich die bisherigen Formeln stützen, nicht oder nicht mit hinreichender Approximation gilt.

    Wie im Kap. 27 bemerkt, kann der Einfluß der Zeit- und Raumlage der verglichenen Reize bei den Versuchen über Unterschiedsempfindlichkeit doppelt gedeutet werden. Gewiß ist, daß verschieden gelegene Reize mit verschiedener absoluter Empfindlichkeit aufgefaßt werden können (absoluter Grund); fraglich, ob nicht die zeitliche oder räumliche Relation der Reize noch einen anderen Grund (relativen Grund) ins Spiel bringe.

    In der Tat kann ein Einfluß der Zeitlage sehr wohl darauf beruhen, daß der zu zweit eintretende Reiz das empfindende Organ durch den ersten Reiz schon verändert trifft, sofern einerseits eine gewisse Nachdauer jeder Reizwirkung stattfindet, anderseits eine Abstumpfung durch jede Reizwirkung1), Einflüsse, welche in entgegengesetztem Sinne wirken, und aus deren Konflikte und respektivem Überwiegen nach Umständen sich die proteusartige Variabilität des Zeitfehlers nach Umständen erklären dürfte, die ich bei meinen Gewichts- und Tastversuchen beobachtet habe. Beide Einflüsse aber lassen sich bei allgemeinster Fassung des Begriffes absoluter Empfindlichkeit als auf diese gehend ansehen. Denn, wenn eine Reizwirkung in einem Organe nachdauert, so bedarf es nachher nur eines geringeren Reizes als sonst, um noch dieselbe Empfindungsgröße hervorzurufen; der Begriff und das Maß der absoluten Empfindlichkeit kann aber nur darauf gestützt werden, dass sie im umgekehrten Verhältnisse des Reizes steht, der dieselbe Empfindungsgröße hervorruft. Bezüglich der Abstumpfung leuchtet die Zurückführbarkeit auf eine Abänderung der Empfindlichkeit von selbst ein. Was beides übrigens nicht hindert, da man jede Abänderung der Empfindlichkeit in eine Abänderung der Reizwirkung übersetzen kann, dies auch hier zu tun, und was die Untersuchung nicht nur nicht ausschließt, sondern in jedem Falle noch übrig läßt, inwiefern der eine oder andere Umstand Schuld an der Änderung der Empfindlichkeit oder Reizwirkung sei.

1) Was man Ermüdung nach Heben von Gewichten nennt, wird vielmehr auf ersteren als letzteren Umstand zu rechnen sein, da man im ermüdeten Zustande selbst ohne Last die ermüdeten Gliedmaßen als schwer spürt und dieselben Lasten schwerer als sonst findet; wogegen das, was man Ermüdung des Auges nach Sehen ins Helle nennt, vielmehr auf letzteren Umstand zu schreiben sein wird, sofern ein durch Licht ermüdetes Auge minder hell sieht, als ein nicht ermüdetes.
 
 
    Den Einfluss der Raumlage anlangend, so ist selbstverständlich, daß verschiedene Organe oder Teile eines empfindenden Organs oder auch dieselben Teile in verschiedenen Raumlagen, wenn diese mit Zustandsänderungen der Teile verbunden sind, mit verschiedener Empfindlichkeit behaftet sein können; und daß daher, wenn die zwei verglichenen Reize nicht immer gleichmäßig mit denselben Teilen und im selben Zustande derselben aufgefaßt werden, hieraus ein Einfluß auf ihre Schätzung hervorgehen kann, so, wenn ich bei den Gewichtsversuchen ein Gewicht mit einer, das andere mit der anderen Hand hebe, oder im Übergange von einem zum anderen Gewichte mit derselben Hand das Handgelenk links oder rechts drehe, je nachdem ich in diese oder jene Richtung übergehe, kurz der Hand bei den zwei verschiedenen Gewichten eine verschiedene Stellung gebe.

    So wie jeder Reiz in dem Organe, auf das er wirkt, eine gewisse Nachdauer hat und eine Abstumpfung hinterläßt, die in Konflikt kommen, so wirkt auch jeder Reiz in einer gewissen Weise um sich, irradiiert einerseits auf andere Teile und stimmt anderseits die Empfindlichkeit anderer Teile antagonistisch herab, Einflüsse, die sich mit den vorigen komplizieren können, wenn die Reize von verschiedenen Organen oder Organteilen aufgefaßt werden.

    Insofern nun in einer oder der anderen Weise die verschiedene Zeit- und Raumlage der verglichenen Reize Einfluß auf die absolute Empfindlichkeit gewinnt, mit der sie aufgefaßt werden, werden dadurch die Schwellenwerte b, b', deren reziproker Wert das Maß der absoluten Empfindlichkeit für diese Reize ist, abgeändert; und die Bedeutung dieser Abänderungen soll demnächst auf Grund unserer bisherigen Formeln, dann allgemeiner, in Betracht gezogen werden.

    Die im Kap. 23 aufgestellte Unterschiedsschwellenformel gibt uns den Wert eines wahren Empfindungsunterschiedes in Abhängigkeit von der Verschiedenheit der Schwellenwerte b, b', wodurch diese Verschiedenheit auch hervorgegangen sein mag; die Lagenformeln des vorigen Kapitels geben uns den Wert eines empfundenen Unterschiedes in Abhängigkeit von derselben Verschiedenheit der Schwellenwerte b, b', unter Voraassetzung, daß der Einfluß der Lage nur auf dieser Verschiedenheit, mithin dem absoluten Grunde, beruht, eine Voraussetzung, die folgends als bestehend angenommen wird. Setzen wir hiernach in den Lagenformeln A = 1, welches der Grenze der Unterschiedsempfindlichkeit entspricht, so empfinden wir den Unterschied so wie er ist, und müssen also hiermit von den Lagenformeln auf die Unterschiedsschwellenformel zurückkommen.

    Ziehen wir nun zuvörderst bloß eine einfache Abhängigkeit des empfundenen Unterschiedes von der Lage in Betracht, so erhalten wir durch Setzung von A = 1 in den demgemäßen Lagenformeln

(1)

indes die Unterschiedsschwellenformel in der früheren Aufstellung, je nachdem wir b' oder b in den Zähler setzen, gibt:

(2)

Der Vergleich der Formeln (1) und (2) zeigt somit, daß

woraus das wichtige Resultat fließt, daß wir in den Fehlerschwellen B, der Lagenformeln oder den damit reziproken Lagenfaktoren das Verhältnis der absoluten Empfindlichkeit haben, mit welchem die Reize je nach ihrer Lage aufgefaßt werden; wobei ein Wert B> 1 bedeutet, daß die Empfindlichkeit für den Reiz b größer als für b' ist, ein Wert von B < 1 aber, daß umgekehrt die Empfindlichkeit für b' größer als für b ist.

Im Falle einer zusammengesetzten Abhängigkeit der Fehlerschwellen von der Zeit- und Raumlage können wir auch für das einfache Verhältnis  und  ein zusammengesetztes Verhältnis von der Form  mit 4fach verwechselbarer Stellung der Werte darin substituieren, welches das Verhältnis der absoluten Empfindlichkeiten nach dieser zusammengesetzten Abhängigkeit bezeichnet, und an die Stelle der Werte F1, F2, F3, F4 oder ihrer reziproke Werte F1, F2, F3, F4 tritt. Allgemein werde es  oder genannt, so daß  mit dem Werte F und  mit F übereinstimmt.

Im Falle einer einfachen Abhängigkeit reduziert sich  und  auf  und , und was allgemeiner für  bewiesen wird, gilt daher von selbst auch für .

    Sofern bei größerer Empfindlichkeit für einen Reiz dieser größer als der andere erscheint, wenn schon er ihm gleich ist, entsteht daraus für ihn ein positiver konstanter Fehler, bei kleinerer Empfindlichkeit hingegen ein negativer konstanter Fehler. Nun lassen sich die konstanten Fehler durch unsere Maßmethoden der Empfindlichkeit sehr genau bestimmen; die Abhängigkeit des Wertes F oder Fje nach den Lagenverschiedenheiten der Reize von den konstanten Fehlern ist im vorigen Kapitel ebenfalls bestimmt, und hiernach können die bei Versuchen über die Unterschiedsempfindlichkeit gewonnenen konstanten Fehler dienen, das Verhältnis der absoluten Empfindlichkeiten für verschieden gelegene Reize finden zu lassen, insofern der absolute Grund des Lageneinflusses allein als gültig angesehen werden kann, was, wenn auch nicht überall, doch in vielen Fällen statthaft sein wird. Hiernach haben wir zu dieser Bestimmung:

und in Fällen, wo D = 0 ist

    Konstante Fehler, welche diese Anwendung gestatten, werden gelegentlich teils durch die Methode der richtigen und falschen Fälle, teils die Methode der mittleren Fehler gewonnen. Wo man aber die Empfindlichkeitsverhältnisse zweier verschiedenen Organe oder Organteile absichtlich vergleichen will, wird man zweckmäßig die Methode der Äquivalente anwenden, welche Th. I. S. 131 auseinandergesetzt ist, und welche sich wie folgt durch unsere Formeln erläutert.

    Nehmen wir die Lagenformel (1)

so wird nach Kap. 27 kein Unterschied empfunden, so lange bWerte zwischen  und  hat, oder der Wert  zwischen  und  fällt. Nun bringen wir bei der Methode der Äquivalente das Verhältnis  stets in diese Grenzen herab, und stellen eine größere Anzahl Versuche der Art an, wobei die Wahrscheinlichkeit, nach Zufall getroffen zu werden, für alle Werte von  zwischen jenen Grenzen gleich groß ist, so daß der Wert  und , der Wert  und  durchschnittlich gleich oft getroffen werden wird, wenn x irgend eine Größe; die kleiner als A ist, bezeichnet. Multiplizieren wir nun alle Werte von , die wir so erhalten, und ziehen das geometrische Mittel aus diesen Werten, so heben sich die Faktoren A - x und , und wir behalten den Wert  allein übrig, welcher uns sagt, daß sich die Schwellenwerte direkt, mithin die Empfindlichkeiten umgekehrt wie die einander äquivalenten Reize b , zu denen sie gehören, verhalten, was in der Tat die Aussage der Methode der Äquivalente ist. Hieraus erhellt zugleich, daß prinzipiell nicht das arithmetische, sondern geometrische Mittel zwischen den verschiedenen Verhältnissen  zu nehmen ist, bei welchen Äquivalenz gefunden wurde; bei nicht zu weit abweichenden Werten  ist aber der Unterschied zwischen beiden Mitteln zu vernachlässigen.

    Sollte bei den Äquivalenzversuchen außer der Raumlage auch die Zeitlage und Herstellungsweise der Größen einen Einfluß gewinnen, so wird man das von der Raumlage abhängige Verhältnis oder  doch immer auf die vorige Weise rein gewinnen, wenn man gleich viel Versuche mit verwechselter Zeitlage und Herstellungsweise der Größen auf beiden Teilen anstellt, und das geometrische Mittel aus dem Produkte aller so erhaltenen Äquivalenzverhältnisse zieht, indem sich die von der Zeitlage und Herstellungsweise abhängigen Faktoren hierbei ebenfalls kompensieren.

    Obwohl der vorige Nachweis der Benutzbarkeit der konstanten Fehler und Äquivalenzen zum Vergleiche der absoluten Empfindlichkeiten sich an Formeln geknüpft hat, welche die Gültigkeit des Weber’schen Gesetzes voraussetzen, so ist doch diese Benutzbarkeit ganz unabhängig von der Gültigkeit dieses Gesetzes; und auch bei jedem anderen Gesetze besteht noch dieselbe Abhängigkeit des Verhältnisses F oder  von c, welche durch die Formeln (s. o.) gegeben ist, und kann die Methode der Äquivalente in derselben Weise verwendet werden. Dies übersieht sich des Näheren so:

    Zwei an sich gleiche, aber verschieden angebrachte Reize, welche hier P, P' heißen mögen, würden ohne den Einfluß der Lage auch als gleich empfunden werden. Durch den Einfluß der Lage erscheint der eine, z. B. P größer, als der andere; aber wir vermögen nach dem Prinzipe (Kap. 27) dadurch die Gleichheit der Empfindung wiederherzustellen, daß wir P' um einen gewissen Wert c vergrößern, welcher zugleich das Maß des konstanten Fehlers bei P ist, sofern er zu dessen Kompensation dient. Nun erwecken P und P' + c gleich starke Empfindung. Nach dem Begriffe der absoluten Empfindlichkeiten aber stehen diese im reziproken Verhältnisse und die zugehörigen Reizschwellen B, B' im direkten Verhältnisse der Reizgrößen, welche eine gleiche Empfindung geben; also haben wir

oder, sofern P' = P ist,

mithin 

wo c als konstanter Fehler des Reizes anzusehen ist, auf den sich B bezieht.

    Da diese Formeln allgemein gültig für jeden Wert P sind, so kann man darin auch für P setzen P + D. So erhält man alle Ausdrücke für  und wieder, welche (s. o.) gegeben wurden, ohne nötig zu haben, auf die Lagenformeln zurückzugehen.

    Was die Methode der Äquivalente anlangt, so ruht sie, ebenfalls unabhängig vom Weber’schen Gesetze, im Wesentlichen nur darauf; daß, wenn zwei Reize von zwei Teilen mit verschiedener Empfindlichkeit aufgefaßt werden, und man bei wiederholtem Versuche ihr Verhältnis  immer auf den Punkt bringt, wo der Unterschied für die Empfindung verschwindet, dieses Verhältnis um ein gewisses mittleres Verhältnis  schwankt, welches durch die Zufälligkeiten eben so oft und in gleichem Verhältnisse erhöht als vermindert auftritt, und als geometrisches Mittel aller Werte , die man so erhält, gefunden werden kann. Dieses mittlere Verhältnis wird als das der Reizgrößen angesehen, welche unabhängig von Zufälligkeiten gleich erscheinen würden, und nach dem Begriffe der absoluten Empfindlichkeiten liegt hierin zugleich das Verhältnis der absoluten Empfindlichkeiten für diese Reizgrößen.

Durch die Maßmethoden der Unterschiedsempfindlichkeit erhalten wir bei gegebenen Zeit- und Raumlagen der Reize immer nur den aus Raum- und Zeitfehler komplizierten konstanten Fehler c, entweder für sich, wie nach der Methode der mittleren Fehler, oder selbst noch mit D kompliziert, in der Form h(D + c) 2), bei der Methode der richtigen und falschen Fälle; und es gilt dann, hieraus die einfachen Zeit- und Raumfehler abzuleiten.

        2) Das M Th. I. S. 112 stimmt nämlich mit dem, was hier c heißt, überein.
 

    Wie dies bei der Methode der richtigen und falschen Fälle zu geschehen habe, ist schon Th. I. S. 113 f. erörtert, womit das Verfahren bei der Methode der mittleren Fehler wesentlich übereinstimmt. Doch mag die Analyse des konstanten Gesamtfehlers bezüglich dieser Methode hier nachträglich noch etwas näher erläutert und dabei Rücksicht auf den in der Erfahrung wirklich vorkommenden Fall genommen werden, daß c außer von p, q auch noch von einem dritten Werte in Abhängigkeit steht.

    Legen wir dabei zum Anhalt unsere, Th. I. S. 120 ff. im Allgemeinen besprochenen, und Th. I. S. 211 teilweise mitgeteilten, Augenmaß- und Tastversuche unter.

    Bei diesen Versuchen würde die Fehldistanz mit der Normaldistanz, welche hier den Wert P vertritt, im Durchschnitte der Versuche, und abgesehen vom konstanten Fehler gleich gefunden werden, so daß man im Durchschnitte D = 0 zu setzen hat 3). Die Abweichung, welche die mittlere Fehldistanz von der Normaldistanz zeigt, kommt ganz auf Rechnung des konstanten Fehlers c, und stellt diesen selbst dar, welcher nun aber nach den Lagenverhältnissen der Normaldistanz und Fehldistanz gegen einander verschieden ausfällt, indem er sich verschieden aus p, q und nach Umständen noch einem dritten Werte s zusammensetzt.

3) Das D der Augenmaßversuche Th. I. S. 211 folg. ist, als die Normaldistanz bedeutend, nicht mit dem D dieses und des vorigen Kapitels zu verwechseln, sondern vergleicht sich vielmehr dem P.
 
 
    Soll eine gesonderte Bestimmung dieser Komponenten des Gesamtfehlers c stattfinden, so müssen die Versuche mit strenger Sonderung und methodischem Wechsel entgegengesetzter Zeit- und Raumlage angestellt, und die dabei erhaltenen verschiedenen Werte von c durch Rechnung in der gleich anzuzeigenden Weise kombiniert werden.

    Eine respektiv mit I und II zu bezeichnende entgegengesetzte Zeitlage, womit der Zeitfehler + p und - p als Komponente des konstanten Gesamtfehlers c in Beziehung zu setzen, geht bei Tastversuchen hervor, wenn man bei der Lage I jedesmal zuerst den Normalzirkel aufsetzt, dann den Fehlzirkel, und hiernach die Abänderung des Fehlzirkels vornimmt, falls seine Spannweite als verschieden von der des Normalzirkels empfunden wird, bei der Lage II aber jedesmal zuerst den Fehlzirkel aufsetzt, dann den Normalzirkel, und hiernach den Fehlzirkel abändert, falls der Normalzirkel dem vorher aufgesetzten Fehlzirkel nicht entsprechend erscheint. Dieses methodische Verfahren mit Sonderung der dabei erhaltenen Fälle habe ich bei meinen Tastversuchen im Allgemeinen eingehalten. Auch bei den Augenmaßversuchen könnte man so verfahren, indem man, statt die Abänderung der Fehldistanz nach unregelmäßigem Hin- und Herblicken vorzunehmen, wie es bei den bisherigen Versuchen immer geschehen ist, jedesmal bei I zuerst die Normaldistanz, bei II die Fehldistanz zuerst ins Auge faßte, und diese Fälle sonderte.

    Als entgegengesetzte Raumlage R und L, oder O und U, womit der Fehler + q und - q in Beziehung zu setzen, kann man einführen: bei Tastversuchen das Halten des Normalzirkels einmal in rechter, das anderemal in linker Hand, oder mit oberem und unterem Teile der Hand4), indes der Fehlzirkel jedesmal in der entgegengesetzen Weise gefaßt wird; bei den Augenmaßversuchen Lage der Normaldistanz rechts und links, oben und unten gegen die Fehldistanz; wovon erstes Verhältnis bei horizontaler, letztes bei vertikaler Distanz in Betracht kommt.

4) Eine derartig verschiedene Haltung kommt in Rücksicht, wenn man beide Zirkel in derselben Hand faßt, um z. B. Versuche damit an der anderen Hand anzustellen. Des Näheren verstehe ich hierbei unter O, wenn man den Stiel des Normalzirkels zwischen Daumen und Zeigefinger (was ich den oberen Teil der Hand nenne), den des Fehlzirkels zwischen den übrigen drei Fingern und der Vola der Hand (was ich den unteren Teil der Hand nenne) faßt; unter U, wenn das umgekehrte Verhältnis der Fassung stattfindet.
 
 
    Vielleicht zwar ist die verschiedene Haltungsweise der Zirkel bei Tastversuchen vielmehr als eine in räumlicher Hinsicht verschiedene Herstellungsweise als verschiedene Raumlage der verglichenen Größen zu fassen; indes ändert dies nichts in der mathematischen Behandlung der davon abhängigen Fehler.

    Gesetzt nun, wir haben in den 4 Hauptfällen, welche sich so bei unseren Versuchen ergeben,

I L,     II L,     I R,     II R

oder

I U,     II U,     I O,     II O

die vier konstanten Fehler c1, c2, c3, c4 als Spezialwerte des Fehlers c gefunden, so haben wir, falls diese Fehler bloß von p, q abhängen — ob es aber der Fall sei, wird sich aus der folgenden Behandlung selbst ergeben — die Gleichungen dafür wie Kap. 27 anzusetzen:

c1 = + p + q ;     c2 = - p + q;

c3 = + p - q;       c4 = - p – q

und können nun (respektiv durch Addition oder Subtraktion je zweier dieser Gleichungen von einander und Division mit 2) p und q, jeden beider Werte auf 4 fache Weise, wie folgt bestimmen:

                                                                                (1)            (2)         (3)             (4)

    Diese 4 Bestimmungsweisen dürfen nicht weiter von einander abweichen, als nach Wahrscheinlichkeit auf unausgeglichene Zufälligkeiten geschoben werden kann; wenn wirklich bloß eine Abhängigkeit von p, q stattfindet, und die Versuche bei allen 4 Lagen vergleichbar geblieben sind. Wofern sieh erheblichere Abweichungen zwischen jenen 4 Bestimmungsweisen zeigen, hat man entweder anzunehmen, daß eine hinreichende Vergleichbarkeit nicht stattgefunden hat, vielmehr bei gewissen Lagen die Zufälligkeiten einen anderen Spielraum oder der Zeit- und Raumeinfluß eine andere Größe gehabt haben, als in anderen Lagen, oder daß außer jenen konstanten Einflüssen, wovon p, q abhängen, noch ein anderer eingewirkt hat, welcher sich dann, wie anzugeben, bestimmen läßt.

    Dabei übersieht man leicht, daß das Mittel der Werte (1) und (2) mit dem Mittel der Werte (3) und (4) übereinkommt; so daß man, wo es nur auf mittlere Bestimmung von p, q ankommt, mit den Gleichungen (l) und (2) nur dasselbe erreicht, als mit den Gleichungen (3) und (4), so wie umgekehrt.

    Wie (Kap. 27) bemerkt, kommt nun bei der Methode der mittleren Fehler mitunter noch ein konstanter Fehler in Anschlag, welcher daraus hervorgeht, daß bloß die Fehlgröße, auf welche wir den konstanten Fehler beziehen, aber nicht die Normalgröße der Abänderung unterworfen wird. Dieser Fehler, welcher s heiße, behält bei entgegengesetzter Zeit- und Raumlage der Fehlergröße denselben Wert und dasselbe Vorzeichen. Obschon ich ihn nicht immer von erheblicher Größe gefunden habe, ist doch, wo man sich überhaupt auf eine Analyse der konstanten Fehler einläßt, in jedem Falle zu untersuchen, ob er einen solchen hat, und mit Rücksicht hierauf die Gleichungen für den konstanten Fehler bei der Methode der mittleren Fehler allgemeiner so zu stellen:

                    c1 = p + q + s;     c2 = - p + q + s;

                    c3 = p - q + s;       c4 = - p - q + s.

Dies gibt: (1)          (2)

    Es bleiben also in diesem Falle bloß zwei Gleichungen für die Bestimmung jeder Komponente übrig, welche hinreichend einstimmige Werte geben müssen, wenn die Annahme dieser Abhängigkeitsverhältnisse genügen soll, oder hinreichende Vergleichbarkeit der Versuche stattgefunden hat.

    Zur Unterscheidung der beiden Werte von p, q, s, die man nach (1) und (2) erhält, können dieselben durch die entsprechenden Indizes, als p1, p2 etc. unterschieden und für ihr Mittel oder nach Umständen ihre Summe der Buchstabe ohne Index gebraucht werden.

    Allgemeine Bemerkung verdient nun, daß, wenn die Werte p1, p2 gut unter einander stimmen, dies auch notwendig mit den Werten q1, q2 und s1, s2 der Fall ist, wie umgekehrt, und eben so hängt die Nichtzusammenstimmung der Doppelwerte aller dreier solidarisch zusammen. Die nahe Zusammenstimmung kleiner Doppelwerte muß aber nicht darin gesucht werden, daß ihr Verhältnis nahe das der Einheit ist, sondern daß beide wenig von 0 abweichen; indem, wenn ein konstanter Fehler p, q oder s sehr klein gegen einen der anderen oder die zwei anderen ist, er nur eben in so weit sicher bestimmbar ist, daß seine geringe Größe überhaupt hervortritt.

    Die Werte der konstanten Fehlerkomponenten p, q, s, welche man aus obigen Gleichungen erhält, bleiben überhaupt durch Zufälligkeiten um so mehr affiziert, je weniger durch Zahl und Vergleichbarkeit der Versuche deren Ausgleichung bewirkt ist.

    Wo ein Fehler p, q oder s der Natur der Sache nach nicht besteht, findet er sich daher wegen solcher unausgeglichenen Zufälligkeiten doch im Allgemeinen nicht null durch obige Gleichungen, aber so klein, daß sein durch diese Gleichungen ausgeworfener Wert nach Wahrscheinlichkeit eben nur auf Zufälligkeiten geschoben oder als ganz unsicher angesehen werden muß. Die Wahrscheinlichkeitsrechnung gibt Regeln zu einer genaueren Beurteilung in dieser Beziehung, auf die jedoch hier nicht näher eingegangen werden kann.

    Bei nicht wenigen meiner Tastversuche mit Selbstapplikation der Zirkel habe ich nicht nur die Doppelwerte von p, q, sondern auch von s so groß und übereinstimmend erhalten, daß an der Existenz sämtlicher drei Fehler unter den Umständen dieser Versuche nicht zu zweifeln, indes unter anderen Umständen der eine oder andere Fehler zweideutig blieb. Näheres darüber in den "Maßmethoden". Die Augenmaßversuche sind bisher nicht so angestellt worden, um eine vollständige Analyse der konstanten Fehler zu gestatten, sondern bloß so, daß sich der Raumfehler besonders herausstellte, indem der konstante Fehler in einen von der Raumlage abhängigen und einen davon unabhängigen, dessen Zusammensetzungsweise unbekannt blieb, zerlegt ward.

    Wenn man nämlich keine vollständige Analyse der konstanten Fehler beabsichtigt, sondern nur die eine oder andere Komponente derselben, z. B. die von der Raumlage abhängige q, bestimmen will, so reicht es hin, Versuche bei verwechselter Raumlage anzustellen, indes die Zeitlage und Herstellungsweise der verglichenen Größen durchschnittlich dieselbe bleibt. Dann erhält man bloß zwei konstante Fehler c1, c2, für die man die Gleichungen so ansetzt:

                    c1 = q + C

                    c2 = - q + C

woraus sich ergibt


Hierin ist q die von der Raumlage abhängige, C die von der Raumlage unabhängige, möglicherweise noch zusammengesetzte Komponente der konstanten Fehler.

    Wenn die Versuche mit hinreichenden Abänderungen angestellt werden, so können p und q dem Versuche einer noch weiteren Analyse unterworfen werden. So kann man bei Versuchen mit abgeänderten Hauptgrößen untersuchen, ob sich p oder q in einen dabei konstanten und einen nach irgend einer Funktion von den Hauptgrößen abhängigen Teil zerlegen lassen. Bei einer Tastversuchsreihe variierte ich die Fassung der Zirkel absichtlich so, daß ich einmal den Normalzirkel immer am Stiele, den Fehlzirkel an den Schenkeln, das anderemal immer umgekehrt faßte, und den Erfolg dieser Lagen mit dem verglich, wo beide Zirkel immer am Stiele, und wo beide immer an den Schenkeln gefaßt werden, u. s. f. Alle diese Abänderungen hatten Einfluß auf die konstanten Fehler. Spezielleres darüber aber muß ich auf die "Maßmethoden" versparen.

    Während die konstanten Fehler, die wir bei Ausführung der Maßmethoden der Unterschiedsempfindlichkeiten erhalten, in angezeigter Weise zum Vergleiche der absoluten Empfindlichkeiten dienen können, insoweit der absolute Grund gültig ist, führen diese Methoden in früher angezeigter Weise durch Elimination der konstanten Fehler zum Maße der Unterschiedsempfindlichkeit, wie sie unabhängig vom Lagenwechsel der Reize besteht. Wir bringen nämlich dabei entweder den Wert D auf einen Punkt, daß D dem unabhängig vom konstanten Fehler bestehenden eben merklichen Unterschiede d gleich wird, was die Methode der eben merklichen Unterschiede ist, oder wir bestimmen im mittleren Fehler e der Methode der mittleren Fehler einen Wert, welcher mit d in direkter Proportion steht, oder im Werte t = hD der Methode der richtigen und falschen Fälle einen Wert, welcher mit d in reziprokem Verhältnisse steht, sofern h als der Unterschiedsempfindlichkeit direkt proportional mit d umgekehrt proportional ist. Dabei ist in Rücksicht zu ziehen, daß d je nach dem Spielraume der Zufälligkeiten größer oder kleiner ausfällt, wenn schon nicht allein hiervon abhängt, ausgenommen beim idealen Maximum der Unterschiedsempfindlichkeit, so daß, wie mehrfach erinnert, die Maße der Unterschiedsempfindlichkeit nur insofern vergleichbar sind, als sie einen gleichen Spielraum der Zufälligkeiten voraussetzen.