XXVII. Die Lagenformeln. Anwendung derselben auf die Beurteilung der Verhältnisse konstanter Fehler.1)


    Sofern es im Folgenden zwei Reize in verschiedener zeitlicher oder räumlicher Lage gegen einander zu bezeichnen gilt, wird der in einer Weise angebrachte Reiz mit b, der in anderer Weise angebrachte mit b', ihr Größenverhältnis mit j oder in solcher Weise bezeichnet werden, daß der größere Reiz immer in dem Zähler verwandt wird, wonach die Buchstaben b, b ' ihre Lage im Zähler und Nenner eben so zu vertauschen haben, wenn die zwei gegebenen Reize bei gleichbleibender Größe die Lage vertauschen, als wenn sie bei gleichbleibender Lage die Größe vertauschen, was auf dasselbe herauskommt, wenn beide Reize sich in Nichts als der Größe unterscheiden, wie hier vorausgesetzt wird. 1) Revision S. 130 ff. Über die Maßbestimmungen des Raumsinnes, Abh. der kgl. sächs. Ges. d. W. Math.-phys. Cl. XIII, S. 273 ff.
 
    Das Verhältnis , worin also nach Vorigem b > b ' ist, soll insbesondere mit j, das Verhältnis  wo b' > b ist, mit bezeichnet und für beide gemeinsam das Zeichen F gebraucht werden.

    Indem ich im Folgenden mehrfach auf meine früher besprochenen Gewichtsversuche werde Bezug zu nehmen haben, ist der kleinere Reiz durch das einfache Hauptgewicht P, der größere durch das Hauptgewicht plus dem Zusatzgewichte, also durch P + D vertreten, wonach das Reizverhältnis j, oder durch  gegeben ist, der Art, daß D einesfalls die entgegengesetzte Lage als andernfalls hat. Sofern aber die Gewichtsversuche folgends bloß als Beispiele zur Erläuterung allgemeiner Verhältnisse dienen, können auch unter P und P + D Reize jeder anderen Art als Gewichte verstanden werden.

    Insofern die zwei Reize, deren Unterschied es aufzufassen gilt, nach ihrer zeitlichen oder räumlichen Anbringungsweise verschieden sind, findet sich auch im Allgemeinen, daß der Unterschied zwischen ihnen bei gleichbleibendem Verhältnisse F doch als verschieden groß empfunden wird, je nachdem sie bei gleichbleibender Lage die Größe, oder bei gleichbleibender Größe die Lage wechseln oder der Überschuß des einen über den anderen Reiz auf die eine oder andere Seite fällt, was nach Obigem nur Ausdrücke für dieselbe Sache sind.

    So macht es bei den Gewichtsversuchen, von denen im ersten Teile die Rede gewesen, einen Unterschied in der Größe des empfundenen Unterschiedes, ob die Gewichtszulage bei gleichem Hauptgewichte P im erst- oder zweitaufgehobenen Gefäße, im links- oder rechtsstehenden Gefäße liegt. Trotz dem, daß sich das Reizverhältnis F hierbei nicht ändert, fällt der empfundene Unterschied einesfalls von anderem Werte aus, als anderenfalls, oder, was dasselbe sagt, scheint uns das eine Gewicht das andere einesfalls mehr oder weniger zu überwiegen, als anderenfalls.

    Selbst ohne Dasein eines Mehrgewichtes D macht sich dieser Einfluß geltend; denn, wenn ich zwei gleiche Gewichte ohne D vergleichungsweise aufhebe, erscheint mir doch im Mittel so vieler Versuche, daß sich die unregelmäßigen Zufälligkeiten ausgleichen, das eine Gewicht konstant schwerer oder leichter als das andere; je nach der Raum- oder Zeitlage der Aufhebung. Ich bin aber im Stande, diesen Einfluß dadurch zu kompensieren, daß ich das Gewicht, welches leichter erscheint, mit einem hinreichenden Mehrgewichte versehe, und hierdurch zugleich im Stande, den Einfluß der Lage seiner Größe und Richtung nach messend zu bestimmen, indem ich ihn dem zur Kompensation nötigen D der Größe nach äquivalent, der Lage nach entgegengesetzt setze. Mag dann auch ein anderes D und in anderer Lage angebracht werden, so wird man es doch immer so ansehen können, als wenn der Einfluß der Zeit- und Raumlage seinerseits durch jenes ideale, aber einem wirklichen gleich wirkende Mehrgewicht vertreten bliebe, wodurch es als gemessen angesehen werden kann, welches nun aber als additiv oder subtraktiv zur Wirkung des wirklichen Mehrgewichtes D hinzutritt, je nachdem es gleiche oder entgegengesetzte Lage hat als D, und eben hiermit den verschiedenen Wert des empfundenen Unterschiedes je nach der Lage von D begründet.

    Die Größe, um welche solchergestalt durch den Einfluß der Zeit- oder Raumlage oder den vereinigten Einfluß derselben, abgesehen von D, das Gewicht P oder überhaupt irgend ein Reiz vergrößert oder vermindert erscheint, dieser ideale, doch einem wirklichen gleich zu achtende, positive oder negative Zuwachs dazu, bildet das, was man den konstanten Fehler nennt, sofern er sich in der vergleichungsweisen Schätzung der Reize wirklich als ein Fehler geltend macht und bei gleichbleibendem Einflusse der Zeit- und Raumlage der Reize konstant begangen wird, oder, insofern sich dieser Einfluß durch unregelmäßige Zufälligkeiten abändert, im Mittel einer Mehrzahl von Versuchen herausstellt. Wie die konstanten Fehler und hiermit das Maß des Einflusses der Zeit- und Raumlage genau zu bestimmen sind, ist bei Darstellung der Maßmethoden der Unterschiedsempfindlichkeit angegeben worden.

    Man ersieht leicht aus Vorigem, daß der konstante Fehler weder seinem Dasein, noch seiner Größe und Richtung nach von der Größe und Lage von D abhängt, vielmehr unabhängig davon besteht, und nur insofern eine Verschiedenheit des empfundenen Unterschiedes je nach der Lage von D mitführt, als er in einer Lage desselben mit ihm in gleichem, in der entgegengesetzten im entgegengesetzten Sinne wirkt, also erstenfalls den von D abhängigen Unterschied, welcher in die Empfindung fällt, vergrößert, zweitenfalls verkleinert.

    Es kann selbst der Fall eintreten und tritt oft genug bei Versuchen über die Unterschiedsempfindlichkeit ein, daß vermöge des Einflusses der Zeit- und Raumlage der kleinere Reiz als der größere erscheint und der empfundene Unterschied vielmehr zu- als abnimmt, wenn D verkleinert wird, und hiermit beide Reize sich der Gleichheit nähern, was ich einen empfundenen Unterschied in verkehrtem Sinne nennen werde. Wie leicht begreiflich, tritt ein solcher Fall notwendig dann ein, wenn der konstante Fehler als positiver Zuwachs zum kleineren Reize hinzutritt und das D des größeren Reizes so weit überwiegt, daß der eben merkliche Unterschied überschritten wird.

    So ist in meinen Gewichtsversuchen bei hinreichend schwerem Hauptgewichte das erstaufgehobene, also in Betreff der Zeitlage vorangehende, Gewicht, abgesehen von Zufälligkeiten, stets als das leichtere erschienen, wenn schon das Mehrgewicht D bei demselben war, so lange dieses Mehrgewicht nicht über eine gewisse Grenze stieg. Vergrößert man freilich das Mehrgewicht hinlänglich, so wird der von der Lage abhängige konstante Fehler dadurch überwogen, und es tritt statt des verkehrten Sinnes der richtige Sinn des empfundenen Unterschiedes ein. So lange aber der verkehrte Sinn besteht, besteht auch der Umstand, daß sich der empfundene Unterschied vielmehr vergrößert als verkleinert, wenn sich die Reize der Gleichheit mehr nähern.

    Aus der Bedingung, daß der konstante Fehler als positiver Zuwachs des kleineren Reizes das D des größeren Reizes um mehr als den eben merklichen Unterschied überschreiten muß, damit der Unterschied in verkehrtem Sinne empfunden werde, folgt übrigens, daß nicht notwendig ein verkehrt empfundener Unterschied entsteht, wenn ein positiver konstanter Fehler am kleineren Reize das D des größeren Reizes übersteigt, weil eben nicht bloß D, sondern auch der eben merkliche Unterschied dadurch noch überschritten werden muß, widrigenfalls die Empfindung des Unterschiedes, anstatt sich für das Bewußtsein zu verkehren, unbewußt bleibt.

    Der Grund, daß je nach der verschiedenen Lage des Reizüberschusses der empfundene Unterschied größer oder kleiner, oder gar in verkehrtem Sinne erscheint, kann ein doppelter sein. Indem die beiden Reize b, b ' von verschiedenen Teilen eines empfindenden Organs aufgefaßt werden oder als sukzessiv einwirkende in verschiedene Zeiten fallen, können dieselben mit verschiedener absoluter Empfindlichkeit aufgefaßt werden, und ihnen demgemäß verschiedene Schwellenwerte b, b' zukommen. Nun haben wir aber früher (Kap. 23) gesehen, daß der bei Verschiedenheit von b, b¢ durch die Unterschiedsschwellenformel bestimmte wirkliche Unterschied der Empfindungen bei gleichem F größer oder kleiner ist, je nachdem der größere oder kleinere Reiz mit größerer Empfindlichkeit (welcher ein kleinerer Schwellenwert entspricht) aufgefaßt wird, wonach er unter übrigens gleichen Umständen auch hiernach stärker oder schwächer in die Empfindung fallen wird. Abgesehen davon aber könnte auch z. B. ein früherer Reiz, ungeachtet in der Gegenwart mit gleicher Empfindlichkeit aufgefaßt, als der jetzige, doch beim Vergleiche mit dem jetzigen durch die Erinnerung vergrößert oder verkleinert in den empfundenen Unterschied eintreten, wo dann erstenfalls der empfundene Unterschied kleiner oder größer ausfallen würde, je nachdem der frühere Reiz der kleinere oder größere war, letzterenfalls umgekehrt. Nicht minder könnte möglicherweise die Relation in der räumlichen Lage des größeren und kleineren Reizes, abgesehen von der verschiedenen Empfindlichkeit, womit beide aufgefaßt werden, für die Größe des empfundenen Unterschiedes mitbestimmend sein.

    Der Kürze halber und in Ermangelung passenderer Bezeichnungen soll der Grund, daß j bei gleicher Größe anders als j ' empfunden wird, sofern er im ersten Sinne auf einer Verschiedenheit der absoluten Empfindlichkeiten für b, b ' beruht, der absolute genannt werden, sofern er aber im zweiten Sinne auf der zeitlichen oder räumlichen Relation von b,b', abgesehen von dem Verhältnisse von b, b' beruht, der relative. Das Vorhandensein und die Wirksamkeit des absoluten Grundes ist Tatsache, was den relativen anlangt, so ruht er jetzt noch in der Hypothese, und es bedarf erst noch experimentaler Untersuchungen, die bis jetzt nicht vorliegen, um zu entscheiden, ob er überhaupt besteht.

    In der Tat kann es noch sehr fraglich sein, ob wirklich nach einem für die Erinnerung bestehenden Gesetze eine konstante Neigung stattfinde, den früheren oder späteren Reiz als den größeren in Vergleich zu ziehen, ob nicht vielmehr der Unterschied, gleichviel, ob der vorangehende oder folgende Reiz der größere ist, überhaupt nur undeutlicher wird, so daß er nach Zufälligkeiten eben sowohl durch Erinnerung vergrößert als verkleinert erscheinen kann, was keinen konstanten Fehler, sondern nur einen Einfluß auf die, von der Zeitdistanz unstreitig mit abhängige, Größe der relativen Unterschiedsempfindlichkeit begründen und bedeuten würde. Noch weniger läßt sich übersehen, inwiefern der relative Grund bei einem Wechsel der Raumlage des größeren und kleineren Reizes in Betracht kommen könnte, wenn schon zu völliger Sicherstellung deshalb nötig wäre, durch direktes Maß der absoluten Empfindlichkeit der Teile, auf welche die Reize b, b ' fallen, nach den dazu geeigneten Methoden sich zu überzeugen, daß die konstanten Fehler ihrer Größe nach durch Verhältnisse dieser Empfindlichkeiten gedeckt werden können.

    Für das Folgende ist die Frage, inwiefern der erste oder zweite Grund vorzugsweise oder allein im Spiele sei, insofern überhaupt nicht wesentlich, als die folgenden Betrachtungen und Formeln für die eine und andere Ursache gleich gültig bleiben, ohne eine Unterscheidung nötig zu machen, indes sie doch auch eine Einführung der Unterscheidung gestatten, sofern sich solche nach Erfahrung bewirken lassen sollte.

    Wenn der Unterschied zwischen zwei Reizen verschieden groß erscheint, je nachdem von den zwei verschieden angebrachten Reizen der eine oder andere im Verhältnisse F den Zähler bildet, so wird es, welches auch das Maß dieser Empfindung sei, eine Empfindung mittlerer Größe zwischen beiden Empfindungen geben, welche U sei. Der positive und negative Zuwachs + a und - a, welchen diese mittlere Empfindung je nach dem Wechsel der Lage des größeren und kleineren Reizes erfährt, wird das sein, was in der Empfindung von diesem Wechsel abhängt, und auf die mittlere Empfindung selbst, welche wir die Normalempfindung nennen wollen, als eine, von dem Lagenwechsel der Reize unabhängige, die Unterschiedsmaßformel in der früheren Aufstellungsweise bezogen werden können. Ihr Maß nach dieser Formel sei

indem wir hier das früher in der Maßformel gebrauchte j und v durch F und A ersetzen. Insofern A der Wert des Verhältnisses F ist, bei dem die Normalempfindung verschwindet, können wir den Ausdruck Normalschwelle dafür brauchen. Unten wird gezeigt werden, wie sie durch Erfahrung zu bestimmen ist.

    Seien nun allgemein u und u' die vom Lagenwechsel mit abhängigen Empfindungen, und zwar u oder u', je nachdem es der Reiz b oder b' ist, welcher als der größere in den Zähler tritt, so haben wir, so lange u, u' mit Wachstum von F wachsen, d. h. der empfundene Unterschied im rechten Sinne stattfindet 2), welches bei hinreichend großem F stets der Fall ist,

2) Die Aufstellung der Unterschiedsmaßformel selbst setzte nämlich diesen Sinn voraus.
 
    Nun hindert nichts, der Größe a eine beliebig andere Form zu geben. Setzen wir also a = k log B, indem wir B die demgemäße Größe geben, so erhalten wir folgende Formeln, die wir kurz die Lagenformeln nennen:

(1)

(2)

Oder, indem wir  und BA = v¢ setzen:

    Wie man sieht, sind wir hiermit zur Form der Unterschiedsmaßformel zurückgelangt, nur daß je nach der entgegengesetzten Lage des großen und kleinen Reizes die Verhältnisschwelle einen verschiedenen Wert respektiv v und v' angenommen hat, von denen ersterer anzuwenden ist, so lange b > b', letzterer, wenn b' > b . Wir nennen sie die Lagenschwellen.

    Die Lagenformeln sind das Allgemeinere der Unterschiedsmaßformel, indem diese den besonderen Fall derselben darstellt, wo B = 1, was dem Falle entspricht, wo der Einfluß des Lagenwechsels verschwindet. Auch hätten sich die Lagenformeln mit ihren Spezialschwellen, wie in Kap. 24 gezeigt worden, gleich aus allgemeinen Grundgleichungen ableiten lassen, ohne erst den besonderen Fall der Unterschiedsmaßformel dargestellt zu haben.

    Die Normalschwelle A findet sich als geometrisches Mittel der beiden Lagenschwellen v, v', sofern v , v' = BA, mithin v v' = A2 und = A. Dies gibt das erfahrungsmäßige Mittel an die Hand, A durch Versuche über Unterschiedsempfindlichkeit mit konstanten Fehlern zu bestimmen. Man sieht zu, bei welchen Werten j , j ' der empfundene Unterschied verschwindet, je nachdem die eine oder entgegengesetzte Lage des größeren Reizes statt hat, und nimmt das geometrische Mittel dieser beiden Werte.

    Des Näheren sieht man, daß jede der Lagenschwellen v, v' aus zwei Faktoren besteht, dem Faktor A oder der Normalschwelle, welcher bei Verwechselung der Zeit- und Raumlage des Reizüberschusses konstant bleibt, und einem anderen  oder B, welcher die Fehlerschwelle heißen mag, und der beim Lagenwechsel den reziproken Wert annimmt. Wenn A = 1 sein sollte, welches dem Maximum der Normalempfindlichkeit entspräche, so würden letztere allein den Wert v und v'  bilden.

    Der in solcher Richtung richtig empfundene Unterschied, daß b größer als b' erscheint, wird nach Formel (1) bemerklich zu werden beginnen, wenn  > v zu werden anfängt, der in der entgegengesetzten Richtung richtig empfundene nach Formel (2), wenn  > v' zu werden anfängt; mithin der erste, wenn b > vb ', der zweite, wenn b . In dem Intervalle von b= vb '  bis b = oder, was auf dasselbe hinauskommt, im Intervalle von b' bis b' = v'b oder endlich, was abermals dasselbe ist, im Intervalle von b bis b= bleibt der empfundene Unterschied im Unbewußten.

    Wenn ein Unterschied in verkehrtem Sinne empfunden wird, so daß der größere Reiz als der kleinere erscheint, und mit Wachstum von F der Wert u abnimmt, mit Abnahme von F wächst, so sind die obigen Lagenformeln noch eben so verwendbar, nur daß dann das Vorzeichen, was sie für den empfundenen Unterschied auswerfen, in entgegengesetztem Sinne zu deuten ist. Dies ergibt sich teils aus einer näheren Betrachtung der Weise, wie der verkehrt empfundene Unterschied mit dem richtig empfundenen zusammenhängt, teils, und mit Strenge, bei einer Ableitung der Lagenformeln aus den Grundgleichungen (vgl. Kap. 24).

    Des Näheren stellt es sich so damit.

    Alle Fälle, wo nur richtig empfundene Unterschiede möglich sind, werden nach unseren Formeln dadurch gedeckt, daß sowohl v als v' größer als 1 ist, indem der richtig empfundene Unterschied voraussetzt, daß b größer als b' erscheine, so lange b größer als b', mithin j > l ist, und daß b' größer erscheine, als b, so lange b' größer als b, mithin j ' > 1 ist, bis zur Erreichung des Schwellenwertes von F ; von wo an der empfundene Unterschied unbewußt wird; also müssen alle Werte von j sowohl als j' bis zur Erreichung von v und v', und v und v' selbst als Grenze, größer als 1 sein. Hingegen werden die Fälle, wo ein Unterschied in verkehrtem Sinne empfunden werden kann, dadurch gedeckt, daß bloß die eine von beiden Schwellen v, v' einen Wert größer als 1, indes die andere zugleich einen Wert kleiner als 1 hat.

    In der Tat, sei b der Reiz, welcher größer erscheinen kann, als der andere, trotz dem, daß er kleiner ist, so wird er natürlich um so mehr größer erscheinen, wenn er ihm gleich ist, oder wenn er gar irgendwie größer ist, wonach ein Schwellenwert von  überhaupt bei keinem Werte über 1 und nicht einmal bei 1 selbst, welches der Gleichheit von b mit b' entspricht, erreicht werden kann; der Reiz b' muß erst größer als b werden, damit scheinbare Gleichheit eintrete. Also muß der Schwellenwert v, welcher gilt, so lange b > b' ist, kleiner als 1, der Wert v', welcher dem Werte b' > b entspricht, größer als 1 sein, womit der Bedingung entsprochen wird, daß jener Wert nicht erreicht werden kann, dieser erreicht werden kann.

    Auch im jetzigen Falle aber werden die Grenzen des Intervalls, in welchem die Empfindung des Unterschiedes unbewußt wird, durch die Werte b = vb ' und b =bestimmt. Da nun v < 1 und  ebenfalls < 1 ist (weil v' > 1 ist), so ist b an beiden Grenzen < b ', und das Intervall der unbewußten Werte des empfundenen Unterschiedes fällt ganz auf die Seite, wo b' > b. So lange b > vb ', hat der empfundene Unterschied einen bewußten Wert in der einen Richtung, sinkt b unter , so nimmt er die entgegengesetzte Richtung mit bewußtem Werte an; das Intervall, in welchem der empfundene Unterschied verkehrte Werte annimmt, ist das von b = b' bis b = vb '. In diesem Intervalle ist nämlich b < b ', weil       v < 1; aber trotz dem erscheint der Unterschied noch in erster Richtung, in welcher er bei Übergewicht von b über b' erscheint.

    Um das Maß der verkehrten Empfindungswerte in dem Intervalle zu erhalten, wo b fälschlich größer als b' scheint, haben wir die für gültige Formel (2) zu verwenden, weil wirklich b' > b ist, aber das negative Vorzeichen von u', was wir hierbei erhalten, in das positive umzukehren, oder, statt auf Unbewußtsein zu deuten, auf Bewußtsein einer Empfindung von verkehrtem Sinne zu deuten, indem der empfundene Unterschied in diesem Intervalle zwar wirklich in dem Sinne von u' unbewußt ist, wie es dem negativen Vorzeichen entspricht, aber in das Intervall bewußter Werte entgegengesetzten Sinnes reicht.

    Dies ist keine willkürliche Regel, weil sich bei der fundamentalen Begründung der Formeln (Kap. 24) zeigt, daß die Formel (2) im Falle verkehrter Empfindung überhaupt durch die Formel

                                                                                                    u' = k (log v' – log j ')

zu ersetzen ist, welche den Ausdruck unserer Regel der Vorzeichendeutung unmittelbar enthält.

    Achten wir in der Aufstellung der Formeln auf den Wechsel der Zeitlage und Raumlage besonders, so löst sich damit nach einer entsprechenden Herleitung, als für den bisher betrachteten einfachen Fall, die vom Wechsel abhängige Fehlerschwelle B oder , welche als Faktor in die Lagenschwelle v, v' eingeht, ihrerseits in zwei Faktoren auf, einen von der Zeitlage abhängigen z, welcher bei Verwechselung der Zeitlage den reziproken Wert annimmt, und einen von der Raumlage abhängigen r, welcher bei Verwechselung der Raumlage den reziproken Wert annimmt, so daß wir statt bloß zweier Fehlerschwellen B und jetzt, je nach der vierfach möglichen Verwechselung der Zeit- und Raumlage des größeren und kleineren Reizes, wie sich solche durch die 4 Hauptfälle unserer Gewichtsversuche (Th. I. S. 113) erläutert, vier Fehlerschwellen erhalten, womit die Normalschwelle A respektiv zu multiplizieren ist, um die zu jeder Lage des Mehrgewichtes oder Untergewichtes (die natürlich zusammenhängen) gehörige Lagenschwelle zu geben. Seien F1, F2, F3, F4 diese 4 Fehlerschwellen, und ihre gemeinsame Bezeichnung F, so haben wir, wenn die eine dieser Schwellen zr ist, für die anderen , so daß je zwei derselben einander reziprok sind. Dabei ist es natürlich gleichgültig, welche derselben wir mit F1, F2 etc. bezeichnen wollen, so wie es auch an sich gleichgültig ist, für welchen Hauptfall wir die eine oder andere dieser allgemeinen Bezeichnungen verwenden wollen, nur daß wir die anderen konsequent verwenden, indem sich, von welcher Verwendungsweise der Werte z, r wir auch ausgehen mögen, dieselben immer so bestimmen lassen, daß sie der Erfahrung genügen. Setzen wir demnach folgends für die 4 Hauptfälle 3):

                                                                        F1; F2 ; F3 ; F4 = zr

so haben wir mit diesen Werten von F1, F2 etc. die Normalschwelle A zu multiplizieren, um die, den 4 Lagen des größeren und kleineren Gewichtes gegen einander zugehörigen Lagenformeln zu erhalten; wonach die Empfindung u respektiv für die 4 Hauptfälle folgende Werte annimmt:

(3)
 
3) Unstreitig wäre es formell an sich zweckmäßiger (wenn schon in der Sache gleichgültig), die Werte F1, F2 etc. nach ihren Indizes so zu ordnen, daß je zwei reziproke Werte hinter einander stehen. Indes habe ich die obige Ordnung angenommen, um sie mit der bei den Gewichtsversuchen des ersten Teils S. 113 eingehaltenen in Beziehung zu erhalten, welche von mir gewählt wurde, ehe mir noch die Gesichtspunkte einer zu treffenden Wahl klar vorlagen, und später, nachdem schon viele Versuchsreihen nach dieser Ordnung behandelt waren, nicht ohne Übelstand wieder aufgegeben, und ohne zu große Gefahr von Versehen in eine andere übersetzt werden konnte.
 
    Durch Addition dieser 4 Empfindungen, und Division mit 4, nachdem man die Summe der Logarithmen in den Logarithmus des Produktes verwandelt hat, erhält man wieder die von der Zeit- und Raumlage unabhängige Empfindung

    Unter den vorigen Lagenformeln sind diejenigen, welche nach Zeit und Raum zugleich entgegengesetzten Lagen des Mehrgewichtes entsprechen, dadurch charakterisiert, daß sie reziproke Werte der Fehlerschwellen enthalten, also die für u1 und u4 , so wie für u2 und u3. Sie mögen bezüglich zu einander konjugierte heißen.

    Anstatt, wie bisher, das Reizverhältnis F bei allen Lagenveränderungen unverändert zu denken und den Einfluß der Lage auf Abänderung des normalen Schwellenwertes A durch Multiplikation mit der Fehlerschwelle zu beziehen, kann man nach der Bemerkung (Kap. 32) und der Form der Formeln (1), (2), (3) den Einfluß der Lage eben so gut auf Abänderung des Reizverhältnisses F durch Multiplikation mit dem reziproken Werte der Fehlerschwelle bezogen denken, indes man die Normalschwelle A als unveränderte Schwelle behält. Erstenfalls denken wir uns ein durch die Lage der Reize ungeändertes Reizverhältnis je nach der Lage der Reize mit verschiedener Empfindlichkeit aufgefaßt, letztenfalls ein Verhältnis von Reizen, die je nach ihrer Lage in abgeänderter Weise wirken, mit einer von der Lage unabhängigen Empfindlichkeit aufgefaßt. Beide Vorstellungsweisen hängen durch den Gesichtspunkt zusammen, daß eine gegen den Normalfall abgeänderte Empfindlichkeit für ein Reizverhältnis dem Empfindungseffekte nach immer durch ein abgeändertes Größenverhältnis der Reize beim Normalfalle vertreten werden, und selbst von einem abgeänderten Verhältnisse psychophysischer Bewegungen, welche durch dieselben Reize hervorgerufen werden, abhängig gemacht werden kann. Obwohl nun hiernach die zweite Auffassungsweise nur formell von der ersten verschieden ist, verdient sie doch, namentlich wegen der Repräsentation der konstanten Fehler, die sich dadurch ergibt, und des Bezuges, den sie hiermit zu den Maßmethoden der Empfindlichkeit gewinnt, eine besondere Betrachtung, wobei wir gleich den allgemeineren Fall, daß ein Einfluß der Zeitlage und Raumlage zugleich in Rücksicht kommt, zu Grunde legen.

    Anstatt also, wie früher, die Normalschwelle A mit den 4 Fehlerschwellen F1, F2, F3, F4 zu multiplizieren, multiplizieren wir nach der jetzigen Auffassungsweise das Reizverhältnis F mit den reziproken Werten dieser Fehlerschwellen, welche wir respektiv mit F1, F2, F3, F4 allgemein mit F bezeichnen wollen, so daß

                                                                        F1 = zr ; F2 ; F3; F4

wodurch wir natürlich nur in anderer Form zu den Formeln (3) zurückgeführt werden, deren weitere Erläuterung sich wieder an unsere Gewichtsversuche knüpfen mag.

    Bei diesen Versuchen, wo das Reizverhältnis F allgemein durch  gegeben ist, hat D nur einen kleinen Wert gegen P, und z und r, so wie und  weichen wenig von der Einheit, erstere in einem, letztere in entgegengesetztem Sinne ab, da durch die konstanten Fehler das wahre Gewichtsverhältnis doch nur in kleinem Verhältnisse abgeändert erscheint. Setzen wir also z = 1 + z , und r = 1 + Q, so werden z und Q nur kleine positive oder negative Zuwüchse zu 1 sein, deren höhere Potenzen und Produkte zu vernachlässigen sind, und  durch 1 - z , 1 - Q vertreten werden können, insofern bei Ausführung der durch , und  angezeigten Division und Vernachlässigung der Potenzen von z und q, welche die erste übersteigen, der Wert 1 - z und 1 - Q als Quotient bleibt 4). Substituieren wir nun in die Ausdrücke für u1,u2 etc. den Wert  für F und die Werte 1 + z und 1 + Q für z und r, die Werte 1 - z , 1 - Q für , so erhalten wir:

etc.

 
4) Aus gleichem Grunde kann  durch  und  durch ersetzt werden, wenn c klein gegen P ist, wovon man mehrfach Gelegenheit findet, Gebrauch zu machen.
Sofern wir aber auch das Produkt der Größen z , Q wegen ihrer Kleinheit vernachlässigen können, geht dies bei Ausführung der Multiplikation über in etc. der Art, daß sich die Werte für u2, u3, u4, nur durch andere Vorzeichen vor z , Q vom Werte u1 unterscheiden.

    Erinnern wir uns nun, daß, im Falle kein Einfluß der Zeit- und Raumlage stattgefunden hätte, die Empfindung nach der Unterschiedsmaßformel gewesen wäre

so ist (P + D) (z + Q) die Größe, um welche durch diesen Einfluß das Gewicht P + D, oder, was auf dasselbe herauskommt, das Mehrgewicht D in seiner Wirkung auf die Empfindung abgeändert erscheint; indes das Gewicht P als konstant erscheint, das ist eben nichts Anderes, als der von der Zeit- und Raumlage abhängige konstante Fehler des Gewichtes, bei dem sich D befindet.

    Der konstante Fehler setzt sich nach seiner doppelten Abhängigkeit zusammen aus dem von der Zeitlage abhängigen Teile (P + D)z und dem von der Raumlage abhängigen Teile (P + D)Q, die wir früher mit p, q bezeichnet haben und ferner so bezeichnen wollen. Sie können Komponenten des konstanten Fehlers heißen; insofern man sie aber selbst konstante Fehler nennt, ist der Fehler, dessen Teile sie sind, als konstanter Gesamtfehler zu bezeichnen. Der Kürze halber mögen wir sie als Zeitfehler und Raumfehler unterscheiden.

Durch Substitution von p, q für (P + D)z und (P + D)Q erhalten wir nun statt der Gleichungen (3) folgende Gleichungen:

(4)

    Da durch Versuche sich p und q bestimmen lassen, da auch A nach Kap. 27 bestimmbar ist und P und D gegeben sind, endlich k beliebig = 1 gesetzt werden kann, weil die Einheit von u beliebig ist, so ist hiermit Alles gegeben, was zum Maße des empfundenen Unterschiedes im Falle konstanter Fehler nötig ist.

    Nennen wir den konstanten Gesamtfehler, gleichviel wovon er abhängt und ob er positiv oder negativ ist, allgemein c, so sind vorstehende 4 Lagenformeln nur besondere Fälle der allgemeinen Formel

(5)

worin c je nach der 4fach möglichen Zeit- und Raumlage des Reizes, zu welchem D hinzutritt, einen vierfach verschiedenen Wert, respektiv c1, c2, c3, c4 annimmt, entsprechend den 4 Fehlerschwellen und Lagenfaktoren. Insbesondere haben wir hiernach

c1 = p + q ; c2 = - p + q ;

c3 = +pq ; c4 = - pq ; (6)

wonach c1 und c4, sowie c2 und c3 bei gleicher Größe ein entgegengesetztes Vorzeichen haben. Sie können bezüglich zu einander konjugiert heißen, sofern sie den konjugierten Gleichungen im Sinne von Kap. 27 zugehören.

    Man darf übrigens nicht vergessen, daß die Gleichungen (6) nur insofern gültig sind, als z und r wenig von der Einheit abweichen, mithin z und Q kleine Bruchteile sind, d. i. wenn der Zeit- und Raumfehler nur wenig im Verhältnisse zu P + D beträgt; widrigenfalls in den Ausdruck von c1, c2etc. auch Potenzen und Produkte von p, q mit eingehen; wie man leicht findet, wenn man die vorigen Entwickelungen vornimmt; ohne etwas zu vernachlässigen.

    Bei den zur Erläuterung untergelegten Versuchen, welche nach dem Schema meiner Gewichtsversuche angestellt und behandelt werden, wird das Mehrgewicht D sukzessiv in die 4 möglichen Lagen gebracht, so daß es bei jeder mit positivem Vorzeichen zum Hauptgewichte hinzutritt, dessen Lage man ins Auge faßt, und der konstante Fehler c wird stets auf das hierdurch vergrößerte Hauptgewicht bezogen. An sich aber hindert nicht nur nichts, sondern es kann auch unter Umständen formelle Dienste leisten, wie sich gleich zeigen wird, den konstanten Fehler auf das kleinere Gewicht zu beziehen, welches sich in entgegengesetzter Lage als das große befindet, also ein entgegengesetztes c hat, wozu dann nur nötig ist, das größere Gewicht als Hauptgewicht P in den Nenner voriger Formeln einzuführen, und das D im Zähler negativ zu nehmen, da natürlich das kleinere Gewicht eben so viel Untergewicht gegen das größere, als dieses Übergewicht gegen das kleinere hat. Unter dieser Voraussetzung hat man in Fällen, wo das positive Mehrgewicht D dieselbe Lage beibehält, wie es innerhalb eines und desselben Versuches, so wie Hauptfalles der Versuche der Fall ist, immer die Wahl, beliebig die eine oder andere der konjugierten Gleichungen anzuwenden, deren eine dann immer auf das größere Gewicht, die andere auf das kleinere Gewicht zu beziehen ist, wobei der ganze Wert D + c bei gleicher Größe ein entgegengesetztes Vorzeichen für das größere und kleinere Gewicht annimmt, und der Wert von P zwischen dem Werte des kleineren und größeren Gewichtes wechselt.

    Macht man sich nun zur Regel, von je zwei konjugierten Gleichungen stets diejenige zur Bestimmung des Wertes u anzuwenden, in welcher D + c positiv ist (was bei negativem D der Fall ist, wenn c zugleich positiv und > D ist), so tritt dadurch P + D + c überall an die Stelle des größeren Reizes, P an die des kleineren Reizes der Unterschiedsmaßformel; und kann man es ganz so ansehen, als wenn man u nach dieser Formel bestimmte, welche keine besondere Regel wegen Umkehr des Vorzeichens im Falle verkehrt empfundener Unterschiede nötig macht. Wir erhalten vielmehr so in jedem Falle ein positives Vorzeichen von u für einen bewußten, ein negatives für einen unbewußten Wert. Die verkehrt empfundenen Fälle unterscheiden sich aber dann von den richtig empfundenen dadurch, daß die verkehrt empfundenen der Anwendung des negativen D, die richtig empfundenen der des positiven D entsprechen.

    Sollten beide Reize gleich sein, so würden die vorigen Formeln immer noch dienen können, den Wert der Empfindung je nach der Zeit- und Raumlage der Gewichte zu bestimmen, indem wir D gleich Null setzen, und den Reiz in den Zähler setzen, dessen konstanter Fehler positiv ist, um positive Werte von u bewußten Werten der Empfindung entsprechend zu finden.

    Nach dem Bisherigen läßt sich die Lagenformel für einen und denselben empfundenen Unterschied u unter drei verschiedenen Formen aufstellen, je nachdem man den Einfluß der Lage durch die Lagenschwelle F, oder den ihr reziproken Lagenfaktor F, oder den funktionell damit zusammenhängenden konstanten Fehler c darstellt, nämlich unter Rücksicht, daß , durch

.

Aus der Äquivalenz dieser Gleichungen ergibt sich das funktionelle Verhältnis zwischen c und F oder F. Denn man hat danach

mithin

Für die 4 Hauptfälle spezifizieren sich diese Formeln, indem, wenn F, F respektiv die Werte F1, F1, etc. annimmt, zugleich c den Wert c1 etc. annimmt; welcher nach Kap. 27 durch p + q gegeben ist u. s. f.

Diese funktionellen Beziehungen bleiben gleich gültig, mag der Einfluß der Lage beträchtlich oder unbeträchtlich sein, mithin c ein großes oder kleines Verhältnis zu P + D haben; nur daß bloß bei kleinem Verhältnisse von c gegen P + D, welches einer geringen Abweichung der Werte F und F von 1 entspricht, die einfache Zusammensetzung von c stattfindet, welche durch die Gleichungen (6) gegeben ist. Im Falle eines kleinen c kann man dann auch (nach Kap. 27 Anmerk.5) für den Ausdruck  schreiben:

        5) Indem man nämlich P + D anstatt P als großen Wert in Betracht zieht.
 
 

    Nachdem wir anstatt der von der Lage abhängigen Fehlerschwellen und Lagenfaktoren die konstanten Fehler in unsere Formeln eingeführt haben, werden wir auch zweckmäßig anstatt der von der Lage unabhängigen Normalschwelle A den von der Lage unabhängigen, normalen, eben merklichen Unterschied, d. i. den Wert von D, wo der empfundene Unterschied, abgesehen vom Einflusse der Lage, auf die Schwelle tritt, welcher Wert d heiße, einführen, indem wir setzen

Ziehen wir dazu in Rücksicht, daß bei den Versuchen, die wir hier im Auge haben, D und c, so wie die Summe beider, immer nur klein gegen P ist, so läßt sich die Formel (5) noch wie folgt vereinfachen.

Sei der Kürze halber

und ,

so sind E und w kleine Brüche, und die Formel (5) geht mit Rücksicht hierauf sukzessiv über in

                         (a)

                                                                                    = k log (1 - w ) (1 + E)             (b)

                                                                                   = k log (1 + E - w )                   (c)

                                                                                   = k M (E - w )                         (d)

                                                                                   = K (E - w )                             (e)

Es folgt nämlich (b) aus (a), wenn wir die Division  ausführen, und höhere Potenzen von w im Quotienten vernachlässigen, wo sich = 1 - w ergibt. Es folgt (c) aus (b), wenn wir die Multiplikation (1 - w )(1 + E) ausführen, und das Produkt der kleinen Größen w und E vernachlässigen; es folgt (d) aus (c), insofern E - w klein gegen 1 ist, so daß die Regel (Kap. 14) anwendbar wird, wenn wir für a setzen E - w; es folgt endlich (e) aus (d), indem wir kM in die Konstante K zusammenziehen.

    Lösen wir nun die so definitiv gefundene Formel

                    u1 = K (E - w ) wieder auf, indem wir für E und w ihre Werte setzen, so finden wir

(7)

welche Formel sich in die, den verschiedenen Hauptfällen entsprechenden, Lagenformeln dadurch auseinanderlegt, daß wir für c die den verschiedenen Lagen zugehörigen Werte und Vorzeichen substituieren.

    Unter diesen Formeln haben wir dann auch stets diejenige anzuwenden, wo D + c positiv ist, um allgemein positive Werte von u bewußten, negative unbewußten Werten der Empfindung zugehörig zu erhalten; und auch hier entsprechen dann verkehrt empfundene Unterschiede dem Falle, wo D negativ ist, indes D + c positiv ist, d. i. wo der an sich kleinere Reiz durch seinen konstanten Fehler das Übergewicht erhält.

    In Kap. 24 hatten wir als Unterschiedsmaßformel für den Fall, daß ein empfundener Unterschied den nur eben merklichen wenig übersteigt, was ein kleines D voraussetzt, und daß der eben merkliche Unterschied, d. i. d selbst klein ist, die Formel

                                                    u = K(J- w) gefunden. Berücksichtigt man nun, daß nach der Bedeutung von J und w

so geht diese Formel über in

wonach man sieht, wie sie als der besondere Fall unter die Lagenformel tritt, wo c gleich null; und unmittelbar übersieht, wie sich c eben sowohl als eine Abänderung von D wie von d fassen läßt.

    Wenn die Fehlerschwellen und Lagenfaktoren F, F bei verschiedener absoluter Größe des Reizes P konstant blieben, so würde der Einfluß der Lage nicht hindern, daß sich das Weber’sche Gesetz durch Versuche über Unterschiedsempfindlichkeit mit verschiedenem P bei Festhaltung einer und derselben Lage direkt bestätigte. Aber nach meinen Gewichts-Versuchen ändern sich im Allgemeinen z, r, hiermit F, F und hiermit der Faktor, welcher den Wert P + D im Ausdrucke des konstanten Fehlers nach (s. o) multipliziert, mit der Größe von P, und dies macht nötig, einmal, daß man, um bei solchen Versuchen mit abgeändertem P eine Bestätigung des Weber’schen Gesetzes zu erhalten, die konstanten Fehler eliminieren, und so durch Rechnung den Fall herstellen muß, als wenn die empfundenen Unterschiede bloß von der Unterschiedsmaßformel, nicht den Lagenformeln, abhingen; zweitens, daß man, um die Lagenformeln triftig zum Maße empfundener Unterschiede zu verwenden, die Werte z, r, F, F, so wie die davon abhängigen Werte in den konstanten Fehlern bei veränderten Werten von P mit veränderten Werten, allgemein als Funktion von P, einführen muß, in welcher Beziehung es wichtig ist, die Abhängigkeitsverhältnisse dieser Werte von P näher zu untersuchen, wozu ich in meinen, in den "Maßmethoden" spezieller mitzuteilenden, Versuchen zwar manche Beiträge liefern kann, in der Hauptsache aber doch auf noch anzustellende Untersuchungen zu verweisen habe.

    Mit Vorigem hängt zusammen, daß, wenn schon nach (s. o) in den konstanten Fehler c allgemein der Faktor P + D eingeht, doch c im Allgemeinen nicht proportional mit P + D gefunden wird, indem der andere Faktor F - 1 oder  ebenfalls davon abhängt.

    Seither habe ich immer bloß eine Abhängigkeit der Fehlerschwellen, Lagenfaktoren und hiernach auch konstanten Fehler von der Zeit- und Raumlage der verglichenen Größen in Betracht gezogen; aber auch die Weise, wie man die Größen zum Vergleiche herstellt, d. i. die Weise der Manipulation bei den Versuchen, kann die verglichenen Größen ungleich treffen, und hieraus ein Einfluß entstehen, der unter ganz dieselben Gesichtspunkte tritt, als der von der Lage abhängige, nur daß der Grund hier weniger leicht, und zum Teil gewiß nicht, in Abänderungen der absoluten Empfindlichkeit für die Reize gesucht werden kann.

    In der Tat kommt sicher unter Umständen eine Abhängigkeit des konstanten Fehlers c außer von der Lage der Größen auch von der Herstellungsweise der Größen vor. So kann bei der Methode der eben merklichen Unterschiede ein konstanter Fehler entgegengesetzten Vorzeichens entstehen, je nachdem wir den größeren Reiz durch Verkleinerung oder den kleineren Reiz durch Vergrößerung bis zur scheinbaren Gleichheit mit dem anderen bringen; und bei der Methode der mittleren Fehler ein konstanter Fehler darauf beruhen, daß wir stets die Fehlgröße, aber nicht die Normalgröße der Abänderung bis zur scheinbaren Gleichheit mit der anderen unterwerfen.

    Mehrere meiner Tastversuchsreihen nach der Methode der mittleren Fehler mit Selbstapplikation der Zirkel zeigen einen sehr beträchtlichen konstanten Fehler, welcher nach Elimination des Zeit- und Raumfehlers noch übrig bleibt, und nur diesem Grunde scheint zugeschrieben werden zu können; bei Applikation der Zirkel durch einen Gehilfen aber fehlte oder doch zweideutig blieb.

    Wo nun überhaupt noch andere Abhängigkeitsverhältnisse der konstanten Fehler, als von der Zeit- und Raumlage stattfinden, ändert dies nichts in den Prinzipien, aus denen die vorigen Formeln entwickelt sind; und hiernach auch nichts in den Formeln, welche c enthalten, es expliziert sich bloß c anders, was sich leicht nach bloßer Analogie übersehen läßt, und die Zahl der Lagenformeln wächst.

    Zweckmäßig läßt sich an das Vorige die Betrachtung der Wirkungsweise der Zufälligkeiten anknüpfen, welche, wie Th. I. S. 76 geltend gemacht wurde, bei allen Maßmethoden der Unterschiedsempfindlichkeit eine große Rolle spielen, und zugleich hiermit die Regel rechtfertigen, welche ebenda gegeben ward, Maße der Unterschiedsempfindlichkeit nur insofern vergleichbar zu halten, als man einen gleichen Spielraum von Zufälligkeiten dabei voraussetzen kann.

    Kurz gesagt repräsentiert sich die Wirkung der Zufälligkeiten als eine, mit der Größe des Spielraums derselben wachsende, Vergrößerung der Normalschwelle A, welche im Mittel einer Mehrzahl von Versuchen hervorgebt, und sich nicht in diesem Mittel ausgleicht, und als eine Abänderung der Fehlerschwelle F oder des Lagenfaktors F in jedem einzelnen Versuche, die durchschnittlich eben so oft und stark im Plus als Minus stattfindet, und sich im Mittel ausgleicht, oder was dasselbe sagt, als eine mit dem Spielräume der Zufälligkeiten wachsende Vergrößerung des Wertes d und als eine im Mittel sich ausgleichende abwechselnde Vergrößerung und Verkleinerung des Wertes c.

    In der Tat, je größer der Spielraum der Zufälligkeiten bei den Versuchen ist, um so kleiner fällt faktisch das aus einem Mittel vieler Versuche zu gewinnende Maß der Unterschiedsempfindlichkeit aus, wie schon Th. I. S. 77 geltend gemacht wurde, außerdem aber kann der Größenunterschied in jedem einzelnen Versuche durch Zufälligkeiten vergrößert oder verkleinert erscheinen, und diese Wirkungen kompensieren sich notwendig, indem sie, sofern es nicht der Fall ist, nicht mehr als Sache von Zufälligkeiten, sondern konstanten Fehlern angesehen werden.

    Des Näheren läßt sich dies so erläutern:

    Geht man von dem idealen Falle aus, daß ein Unterschied unter den günstigst möglichen Verhältnissen in die Empfindung fällt, so würde doch, da ein absolut kleiner Unterschied überhaupt nicht als besonderer empfunden werden kann, sondern in der Empfindung aufgeht, ein gewisser Wert d als eben merklicher Unterschied stattfinden, den übrigens nichts hindert, im Grenzfalle der Empfindlichkeit null zu setzen, ohne daß dies in der folgenden Betrachtung etwas ändert. Der günstigste Fall läßt sich aber überhaupt nicht absolut treffen, weil die Zufälligkeiten bald in diesem, bald in jenem Sinne Abweichungen von den günstigsten Verhältnissen hervorbringen. Welchen Sinn nun aber auch diese Abweichungen haben, so kann ihr Einfluß als Abweichung vom günstigsten Zustande immer nur der einer Verkleinerung der Empfindlichkeit, mithin Vergrößerung von A oder von d sein, welche mit der Vergrößerung des Spielraums der Abweichungen zunimmt; aber vermöge der Schwankungen der Zufälligkeiten um einen mittleren Wert auch um einen mittleren Wert schwankt, welche Schwankungen als Vergrößerungen oder Verkleinerungen von A oder von c bei den einzelnen Versuchen gefaßt werden können.