II. Begriff und Aufgabe der Psychophysik1).

    Unter Psychophysik soll hier eine exakte Lehre von den funktionellen oder Abhängigkeitsbeziehungen zwischen Körper und Seele, allgemeiner zwischen körperlicher und geistiger, physischer und psychischer, Welt verstanden werden.

            1) Revision S. 1–17.

    Zum Gebiete des Geistigen, Psychischen, der Seele rechnen wir überhaupt das, was durch innere Wahrnehmung erfaßlich oder daraus abstrahierbar ist, zu dem des Körperlichen, Leiblichen, Physischen, Materiellen das, was durch äußere Wahrnehmung erfaßlich oder daraus abstrahierbar ist. Hiermit sollen bloß die Gebiete der Erscheinungswelt, mit deren Beziehung die Psychophysik sich zu beschäftigen haben wird, bezeichnet werden, wobei vorauszusetzen, daß man innere und äußere Wahrnehmung im Sinne des gewöhnlichen Sprachgebrauches auf die Tätigkeiten zu beziehen wisse, wodurch die Existenz überhaupt zur Erscheinung kommt.

    Alle Erörterungen und Untersuchungen der Psychophysik beziehen sich überhaupt bloß auf die Erscheinungsseite der körperlichen und geistigen Welt, auf das, was entweder unmittelbar durch innere oder äußere Wahrnehmung erscheint, oder aus dem Erscheinlichen erschließbar, oder als Verhältnis, Kategorie, Zusammenhang, Auseinanderfolge, Gesetz des Er-scheinlichen faßbar ist; kurz auf das Physische im Sinne der Physik und Chemie; auf das Psychische im Sinne der Erfahrungsseelenlehre, ohne daß auf das Wesen des Körpers, der Seele hinter der Erscheinungswelt im Sinne der Metaphysik irgendwie zurückgegangen wird.

    Allgemein nennen wir das die Psychische Funktion des Physischen, davon abhängig und umgekehrt, insofern eine derartige konstante oder gesetzliche Beziehung zwischen beiden besteht, daß von dem Dasein und den Veränderungen des Einen auf die des Anderen geschlossen werden kann.

    Die Tatsache funktioneller Beziehungen zwischen Körper und Seele ist im Allgemeinen unbestritten, indes über die Gründe, die Deutung und die Ausdehnung dieser Tatsache ein noch unentschiedener Streit besteht.

    Ohne Rücksicht auf die metaphysischen Gesichtspunkte dieses Streites, welche sich vielmehr auf das sogenannte Wesen als die Erscheinung beziehen, versucht die Psychophysik, die tatsächlichen funktionellen Beziehungen zwischen den Erscheinungsgebieten von Körper und Seele möglichst genau festzustellen.

    Was gehört quantitativ und qualitativ, fern und nahe, in Körperwelt und geistiger Welt zusammen, nach welchen Gesetzen folgen ihre Veränderungen aus einander oder gehen mit einander? Diese Fragen stellt sich allgemein gesprochen die Psychophysik und sucht sie exakt zu beantworten.

    Anders gesprochen, doch nur dasselbe damit gesagt: was gehört in der inneren und äußeren Erscheinungsweise der Dinge zusammen und welche Gesetze bestehen für ihre bezugsweisen Änderungen?

    Insoweit ein funktionelles Verhältnis zwischen Körper und Seele besteht, würde an sich nichts hindern, dasselbe eben so in der einen als in der anderen Richtung ins Auge zu fassen und zu verfolgen, was man sich passend durch das mathematische Funktionsverhältnis erläutern kann, das zwischen den Veränderlichen x und y einer Gleichung besteht, wo jede Veränderliche beliebig als Funktion der anderen angesehen werden kann, und dieselbe in ihren Veränderungen von sich abhängig hat. Ein Grund aber für die Psychophysik, den Verfolg der Seite der Abhängigkeit der Seele vom Körper von der gegenteiligen zu bevorzugen, liegt darin, daß nur das Physische dem Maße unmittelbar zugänglich ist, indes das Maß des Psychischen erst in Abhängigkeit davon gewonnen werden kann, wie später gezeigt wird. Dieser Grund ist entscheidend und bestimmt die Richtung des Ganges im Folgenden.

    Die materialistischen Gründe für eine solche Bevorzugung kommen in der Psychophysik weder zur Sprache noch Geltung, und der Streit zwischen Materialismus und Idealismus, als auf Abhängigkeitsverhältnisse des Einen vom Anderen im Wesen gehend, bleibt ihr, als bloß auf Erscheinungsverhältnisse bezüglich, fremd und gleichgültig.

    Man kann unmittelbare und mittelbare Abhängigkeitsverhältnisse oder direkte und vermittelte funktionelle Beziehungen zwischen Körper und Seele unterscheiden. Sinnliche Empfindungen stehen in unmittelbarer Abhängigkeit von gewissen Tätigkeiten in unserem Gehirne, sofern mit den einen die anderen gesetzt sind, oder solche in unmittelbarer Folge haben; aber nur in mittelbarer von den äußeren Reizen, welche diese Tätigkeiten erst durch Zwischenwirkung einer Nervenleitung zu unserem Gehirne hervorrufen. Unsere ganze geistige Tätigkeit hat unmittelbar eine Tätigkeit in unserem Gehirne von sich abhängig, führt eine solche unmittelbar mit sich, oder zieht solche unmittelbar nach sich, von der dann aber Wirkungen an die Außenwelt durch Vermittelung unserer Nerven- und Bewegungsorgane übergehen.

    Die vermittelten funktionellen Beziehungen zwischen Körper und Seele erfüllen den Begriff der funktionellen Beziehung nur insofern vollständig, als man die Vermittelung in das Verhältnis mit eingehend denkt, da bei Wegfall der Vermittelung die Konstanz oder Gesetzlichkeit in der Relation des Körpers und der Seele wegfällt, die unter Zutritt der Vermittelung besteht. So löst ein Reiz nur insofern gesetzlich Empfindung aus, als es zum lebendigen Gehirne auch nicht an lebendigen Nerven fehlt, welche die Wirkung des Reizes zum Gehirne überpflanzen.

    Insofern das Psychische als direkte Funktion des Physischen betrachtet wird, kann das Physische der Träger, die Unterlage des Psychischen heißen. Physische Tätigkeiten, welche Träger oder Unterlage von psychischen sind, mithin in direkter funktioneller Beziehung dazu stehen, nennen wir psychophysische.

    Die Frage nach der Natur der psychophysischen Tätigkeiten, d. i. nach Substrat und Form derselben, wird vom Anfange herein dahingestellt, und keine Voraussetzung darüber gemacht. Und zwar kann davon anfangs aus doppeltem Grunde abstrahiert werden, einmal, weil es sich in Feststellung der allgemeinen Fundamente der Psychophysik eben so bloß um quantitative Verhältnisse handeln wird, als in der Physik, wo die qualitativen Verhältnisse erst von den quantitativen abhängig gemacht werden; zweitens, weil wir nach der gleich folgenden Einteilung unserer Lehre im ersten Teile derselben auf die psychophysischen Tätigkeiten überhaupt noch keine spezielle Rücksicht zu nehmen haben werden.

    Der Natur der Sache nach teilt sich die Psychophysik in eine äußere und eine innere, je nachdem die Beziehung des Geistigen zu der körperlichen Außenwelt oder der körperlichen Innenwelt, mit welcher das Geistige in nächster Beziehung steht, in Betracht gezogen wird, oder anders, in eine Lehre von den mittelbaren und von den unmittelbaren funktionellen Beziehungen zwischen Seele und Körper.

    Die grundlegenden Erfahrungen für die ganze Psychophysik können nur im Gebiete der äußeren Psychophysik gesucht werden, sofern nur dieses der unmittelbaren Erfahrung zugänglich ist, und der Ausgang ist daher von der äußeren Psychophysik zu nehmen; doch kann sich diese nicht ohne stete Mitrücksicht auf die innere entwickeln, in Betracht dessen, daß die körperliche Außenwelt nur durch Zwischenwirkung der körperlichen Innenwelt mit der Seele funktionsweise verknüpft ist.

    Auch so lange wir erst noch bei der Betrachtung der gesetzlichen Beziehungen zwischen äußerem Reiz und Empfindung stehen, dürfen wir nicht vergessen, daß der Reiz doch nicht unmittelbar Empfindung in uns erweckt, sondern nur durch Erweckung irgendwelcher körperlichen Tätigkeiten in uns, die zur Empfindung in direkterer Beziehung stehen. Ihre Natur mag noch ganz unbekannt sein, die Frage nach dieser Natur anfangs ganz dahingestellt werden, wie es von uns erklärtermaßen geschehen soll; aber ihre Tatsache muß statuiert und öfters auf diese Tatsache rekurriert werden, wenn es gilt, jene gesetzlichen Beziehungen selbst, um die es uns in der äußeren Psychophysik zunächst zu tun ist, triftig ins Auge zu fassen und zu verfolgen. Eben so werden wir, wenn schon die körperlichen Tätigkeiten, die unserer Willenstätigkeit unmittelbar unterliegen und folgen, noch gänzlich unbekannt sind, nicht vergessen dürfen, daß das, was durch den Willen in der Außenwelt gewirkt wird, doch eben nur mittelst solcher Tätigkeiten von ihm gewirkt wird. Und werden so überall in Gedanken das unbekannte Mittelglied einzuschalten haben, was nötig ist, die Kette der Wirkungen zu vervollständigen.

    Der Psychologie und Physik schon durch den Namen verwandt, hat die Psychophysik einerseits auf der Psychologie zu fußen und verspricht andererseits, derselben mathematische Unterlagen zu gewähren. Von der Physik entlehnt die äußere Psychophysik Hilfsmittel und Methode; die innere lehnt sich vielmehr an die Physiologie und Anatomie, namentlich des Nervensystems, und setzt eine gewisse Bekanntschaft damit voraus. Leider freilich ist von den so mühsamen, genauen und wertvollen Untersuchungen in diesem Felde, welche die neuere Zeit gebracht hat, bis jetzt noch nicht der Vorteil für die innere Psychophysik zu ziehen, welcher unstreitig dereinst davon zu ziehen sein wird, wenn jene Untersuchungen und die von einem anderen Angriffspunkte her geführten Untersuchungen, auf welche sich diese Schrift stützt, bis zu dem Punkte der Begegnung gediehen sein werden, wo sie im Stande sind, sich wechselseitig zu befruchten. Daß dies bis jetzt noch wenig der Fall ist, bezeichnet nur den unvollkommenen Zustand, in dem sich unsere Lehre noch befindet.

    Der Gesichtspunkt, von dem aus wir hier den Angriff auf unsere Lehre nehmen werden, ist dieser.

    Bevor uns noch die Mittel gegeben sind, die Beschaffenheit der körperlichen Tätigkeiten zu ermitteln, welche in unmittelbarer Beziehung zu unseren geistigen Tätigkeiten stehen, können doch die quantitativen Abhängigkeitsverhältnisse zwischen beiden sich bis zu gewissen Grenzen ermitteln lassen. Empfindung hängt vom Reize ab; eine stärkere Empfindung hängt von einem stärkeren Reize ab; der Reiz aber wirkt nur Empfindung durch Zwischenwirkung einer inneren körperlichen Tätigkeit. Insofern sich gesetzliche Beziehungen zwischen der Empfindung und dem Reize auffinden lassen, müssen sie gesetzliche Beziehungen zwischen dem Reize und dieser inneren körperlichen Tätigkeit einschließen, welche in die allgemeinen Gesetze, wie körperliche Tätigkeiten einander hervorrufen, hineintreten und mithin allgemeine Schlüsse auf Verhältnisse dieser inneren Tätigkeit begründen. In der Tat wird die Folge zeigen, daß bei aller unserer Unkenntnis über die nähere Beschaffenheit der psychophysischen Tätigkeiten doch über die Verhältnisse derselben, welche für die wichtigeren Verhältnisse des allgemeinen Seelenlebens in Betracht kommen, schon jetzt bis zu gewissen Grenzen sichere und zulängliche Vorstellungen auf fundamentale Tatsachen und Gesetze, die von der äußeren Psychophysik in die innere übergreifen, zu begründen sind.

    Abgesehen aber von dieser Bedeutung für die innere Psychophysik haben die gesetzlichen Verhältnisse, die sich auf dem Gebiete der äußeren ermitteln lassen, ihre Wichtigkeit für sich. Auf Grund derselben ergibt sich, wie man sehen wird, zum physischen das psychische Maß, und auf dieses Maß lassen sich Anwendungen gründen, die ihrerseits von Wichtigkeit und Interesse sind.