XXI. Unterstützende Gesichtspunkte und Einwände.

    Die allgemeinsten Gesichtspunkte, aus welchen ich die einfache Atomistik behaupte, sind vorigen Kap. angegeben. Zur Unterstützung aber und zur Hebung dessen, was doch auch entgegen zu stehen scheinen kann, mag Folgendes dienen:

    Vielfach ist man geneigt, die einfachen Atome für Nichtse zu erklären, weil sie keine Ausdehnung haben. Nun aber berechtigt von vorn herein nichts, in räumlicher Ausdehnung eine wesentliche Kategorie der Existenz zu sehen. Auch dem Geiste spricht man keine räumliche Ausdehnung zu, und Manche reduzieren sogar die Seelen selbst geradezu auf einfache unausgedehnte doch räumlich lokalisierte Wesen. Was könnte auch noch für ein philosophi-scher Anstoß in der Annahme einfacher realer Wesen liegen, nachdem man die Leibniz’ischen Monaden und Herbart’schen einfachen Wesen geduldet, wenigstens nicht um ihrer Einfachheit willen verworfen hat? Kam doch auch schon Kant vor uns auf die Annahme einfacher diskreter Atome, eine Annahme, die er freilich später verlassen hat; hat doch Lotze unabhängig von uns ein System auf solche Annahme gegründet. Also muß es doch möglich sein, sie unter philosophische Gesichtspunkte zu fassen. (Vgl. das historische Kapitel.)

    Hart freilich widerspricht die Annahme einfacher Atome der Ansicht jener Philosophen, welche sich den Geist selbst wie ein fließendes Wesen und die Schöpfung der materiellen Welt gleichsam als die Solidifikation seines Willens vorstellen. Aber ist es nötig, es sich so zu denken, um nicht im Sinne von Leibniz, Herbart, Lotze zu denken, in deren Sinne ich freilich auch nicht denke, welche die einfachen Körperwesen mit Seelen, Geistern selbst identifizieren? Sogar rein idealistisch kann man es sich noch anders denken, wie denn ich selbst im Sinne der idealistischen Auffassung des 18. Kapitels die einfachen Atome vielmehr zum geistigen Inhalt rechne, sofern "der Geist sie im Bedenken und Analysieren seines eigenen Erfahrungsinhaltes als feste aber notwendige letzte Ansatz- und Haltepunkte des Zusammenhanges und zusammenhängenden Bedenkens desjenigen (sog. äußeren) Erscheinungskreises findet, in dem sich die einzelnen Geister zu begegnen haben."1) – Nur dass solche Betrachtungen die Physik als solche nichts angehen, welche den Begriff der einfachen Atome auf ihrem eigenen Gebiete im Zusammenhange mit ihren übrigen Grundbegriffen so festzustellen hat, dass sie der philosophischen Vertiefung nur nicht widerstreben.

1) Seelenfrage S. 216.
 
 
    Wie Gott die einfachen Atome geschaffen hat, vermag ich freilich nicht zu erklären, noch ob sie überhaupt geschaffen sind, zu entscheiden. Aber vermag man dies besser mit der fließenden Materie? Fragt man aber, wozu sie geschaffen sind, oder wozu sie da sind, so läßt sich auf Alles hinweisen, was mit ihnen besteht und was nur mit ihnen bestehen kann.

    Im Allgemeinen und von vorn herein wird man freilich zuzugestehen haben, dass der Begriff absolut einfacher, punktueller, im strengsten Sinne unendlich kleiner Wesen von derselben Schwierigkeit gedrückt bleibt, als der Begriff einer unendlich großen Welt, sofern ihm die Vorstellung nie erschöpfend nachkommen kann. Wir können aber den Begriff des Unendlichkleinen eben so wenig als den des Unendlichgroßen in der Mathematik und Weltbetrachtung missen, und anstatt ihn zu verbannen, gilt es nur, ihn an der Stelle einzuführen, wo er Frucht bringt, man ohne ihn weniger leistet als mit ihm. Alles Bedenken muß schwinden, wenn wir gestatten, die Sache so zu fassen: die Resultate, die man in Betreff der erscheinlichen Wirklichkeit aus der Annahme von Atomen ableitet, werden sich ohne Grenze um so genauer finden, je kleiner man die letzten Atome denkt. Diese drücken wir kurz dadurch aus, dass wir sagen: sie sind Punkte. Wenn man will, kann man alles Folgende im Sinne solcher Fassung umschreiben; aber es würde damit nur die Umständlichkeit der Darstellung wachsen und die Schärfe der Fassung abnehmen.

    Eine mathematische Schwierigkeit kann in der Annahme einfacher Atome jedenfalls nicht liegen. Das Einfachste, womit die Geometrie zu tun hat, ist der Punkt. Sehr untriftig hat man behauptet (Fichte’s philos. Zeitschr. XXXI. 35), dass der Punkt sich nur als Grenze einer Linie fassen lasse; hiergegen vergl. meine Abhandlung über die Definitionen des Punktes (ebend. XXXIII. 161). Die einfachsten geometrischen Verhältnisse sind die, welche durch den kontinuierlichen Raum zwischen isolierten Punkten stattfinden. Es gibt in diesem Sinne eine reine Geometrie der Punkte, die nur eben durch die einfache Atomistik zu einer reinen Mechanik der Punkte wird.

    Sehr wohl kann etwas mathematisch aus einem Gesichtspunkte oder nach einer Seite, in einer Richtung null, in einer anderen endlich oder unendlich sein, wie jede Linie und Fläche beweist, die in ihrer Dickenausdehnung null, nach ihrer Längen- oder Flächenausdehnung aber endlich oder unendlich ist. Und so kann endlich etwas auch in Betreff seiner ganzen räumlichen Ausdehnung null, in Betreff seines Ortes und seiner, die Sinneswahrnehmungen bedingenden, Intensität ein ganz reales Wesen sein.

    Jeder Einwand, den man daraus erheben möchte, dass einfache Atome doch absolut nicht rein vorstellbar sind, würde eben so gegen die Anwendung der Differenziale von Zeit- und Raumgrößen für Darstellung der Bewegungsgesetze laufen. So wenig wir aber dieser zur genauesten Darstellung der Gesetze kontinuierlicher Bewegungen missen können, so wenig dürften wir der reinen Punkte zur genauesten Darstellung des Diskontinuierlichen und Bewegten missen können.

    Schyanoff in seinem "Essai sur la métaphysique des forces, inhérentes à l'essence de la matière, Kiew 1857" überträgt gewissermaßen den Begriff des Differenzial auf das Atom selbst, indem er unter Anderem, was ich nicht unterschreibe, die atomistisch gedachten letzten Elemente der Körperwelt als Partikeln erklärt, welche unendlich dicht, unendlich klein, aber doch nach drei Dimensionen ausgedehnt, also nicht als Punkte zu fassen sind, wobei er sich zur Erläuterung darauf beruft (p. 11. Anm.), dass ein Kreisbogen unendlich klein im Verhältnis zum Durchmesser des Kreises und doch zugleich unendlich groß im Verhältnis zum Sinus versus sein könne. Auch er identifiziert ein punktförmiges Atom mit einem Nichts. Hiergegen kann ich meinerseits den Begriff eines Unendlichkleinen, was nicht mit einem Punkt zusammenfällt, nur auf das Element eines Continuum, was Atome nicht sein sollen, anwendbar finden; und das Erläuterungsspiel Schyanoff’s paßt eben deshalb nicht auf Atome, weil es sich auf das Element eines Continuum bezieht. Der Raum, den ein unendlichkleines Atom einnimmt, kann aber unmöglich mit dem unendlichkleinen Element eines Kreises identifiziert werden, sondern nur allenfalls mit dem Raume, den ein unendlichkleiner isolierter Kreis einnimmt; dieser aber wird seiner Größe nach mathematisch nicht durch ein Differenzial, wofür allerdings Verhältnisse obiger Art gelten, sondern durch Null dargestellt. Dabei bemerke man, dass dieser Nullwert sich eben nur auf die räumliche Ausdehnung bezieht, und dass die Mathematik nicht nur die Orte solcher Nullen durch Koordinaten zu bezeichnen vermag, sondern auch nicht hindert, dass diese Orte durch Intensitäten von beliebigem Größenverhältnisse gegen einander erfüllt gedacht werden, was hingegen beides hindert, in diesem Erfüllenden ein Nichts zu sehen.

    Dass aus allgemeinem Gesichtspunkte Seitens der Physik der Annahme einfacher Atome nichts entgegensteht, dafür läßt sich zuvörderst geltend machen, dass schon vor uns nicht nur achtungswerte Physiker und Mathematiker des Auslandes, wie Boscovich, Ampere, Cauchy, Séguin, Moigno, St. Venant die Existenz einfacher Atome behauptet haben (vergl. das historische Kapitel XXVI), sondern auch bei einheimischen Physikern der Gedanke einfacher Atome immer häufiger auftritt, wenn schon meist eben so wie bei uns nur als Gedanke dessen, wobei man schließlich stehen bleiben wird. In diesem Sinne hat W. Weber in seinem Schreiben an mich die Möglichkeit derselben statuiert, beruft sich Helmholtz (Fortschr. d. Phys. 1856, S. 354) auf die Möglichkeit einfacher Atome als geeignet eine Schwierigkeit der Gastheorie zu erklären, nimmt R. Hoppe in einer, unten von mir wörtlich anzuführenden Stelle darauf Bezug. Abgesehen von Autoritäten aber kann man die Behauptung, dass nichts dem Geiste und der Behandlung der Physik Widersprechendes darin liege, den Ort der Materie in ausdehnungslosen diskreten Punkten zu suchen, dadurch gerechtfertigt finden, dass die Physik ja sogar die Masse ganzer ausgedehnter Körper, z. B. der Sonne und Erde, bei Berechnung der Hauptgröße ihrer wechselseitigen Anziehung auf Punkte reduziert oder in Punkten (den Schwerpunkten) konzentriert setzt, und für ihre Distanz den Abstand dieser Punkte nimmt.

    Freilich ist das nur uneigentlich, nur eine Fiktion, um die Darstellung der Erscheinungen bei zusammengesetzten Körpern unbeschadet der Vorstelligkeit zu erleichtern; aber um so weniger kann es dem Geiste der Physik widerstreben, dieselbe Vorstellung bei den Elementen der Körper als wahr gelten zu lassen, und hiermit für die Fiktion eine reale Grundlage im Metaphysischen zu erhalten.

    Man kann die Bemerkung hinzufügen, dass die Anziehung der Körper als Funktion ihres Abstandes überhaupt gar nicht anders denn als eine Anziehung von Punkt zu Punkt gefaßt werden kann, weil nur zwischen Punkt und Punkt ein bestimmter Abstand stattfindet, mithin auch die Funktion des Abstandes nur hiermit eine bestimmte wird. Und es ließe sich fragen, ob eine Funktion, die sich ihrem Begriff und Wesen nach auf Punkte bezieht, nicht auch von selbst die Diskretion dieser Punkte voraussetzt, weil ein Punkt weder an sich ein Continuum sein, noch durch Zusammensetzung mit anderen Punkten ein solches geben, noch durch Analyse eines solchen hervorgehen kann (vgl. einige weiterhin folgende Erörterungen hierüber). Inzwischen wollen wir auf derartige Betrachtungen, die immerhin einiges Dunkle behalten, keinen Beweis zu begründen versuchen, wie es wohl geschehen ist. 2)

2) In der Tat glaubt Moigno (Cosmos II, p 378) ein entscheidendes Argument für die Einfachheit der Atome in der wesentlich punktuellen Beschaffenheit der Anziehungszentra zu finden. Ich gestehe indes, seine Argumentation nicht ganz klar gefunden zu haben.
 
 
    Von einer anderen Seite bietet sich folgende Betrachtung dar. Unter Voraussetzung diskreter einfacher Atome berechnet sich die Anziehung zweier ganzen endlichen Körper zu einander einfach und rein aufgehend durch die Summation der Anziehungen einer endlichen Zahl bestimmter Punkte in bestimmten Abständen. Sollten die letzten Atome noch eine kleine Ausdehnung haben, so würde die Anziehung zweier ganzen endlichen Körper sich nur halb durch solche endliche Summation, halb durch infinitesimale Integration (des Continuums halber, was jedes Atom noch einschließt) zu berechnen haben. Sollte endlich die dynamische Ansicht richtig sein, so würde man, wie es wenigstens zunächst scheint, zur Berechnung der Anziehung zweier Körpermassen bloß Intregation nötig haben. Unstreitig nun kann sich aus formellem Gesichtspunkte das erste mit dem letzten dieser drei Prinzipien streiten, das Prinzip der bloß endlichen Summation mit dem der Integration, ja für den ersten Anblick und aus gewissem Gesichtspunkte die Integration noch mehr für sich zu haben scheinen, als die endliche Summation; aber es wäre jedenfalls kein formell günstiges Verhältnis, wenn (im Sinne des zweiten Prinzips) die Berechnung halb auf endliche Summation, halb auf infinitesimale Integration gestellt werden müßte, wie es der Fall, wenn man diskreten Atomen noch eine Ausdehnung beilegt. Dagegen gewinnen wir in der Idee bei absolut einfachen Atomen ein reines und rein durch die ganze materielle Welt durchführbares Prinzip der Berechnung. Alles reduziert sich jetzt im Bereiche der Anziehung endlicher Körper auf rein aufgehende endliche Summation der Wirkungen der kleinsten Teile. Wenn aber die Integration im Sinne der dynamischen Ansicht denselben Vorteil eines rein durchführbaren Prinzips darzubieten und insofern noch vorzuziehen scheint, als man in der Ausführung der Anziehungsrechnungen doch immer zur Integration seine Zuflucht zu nehmen veranlaßt sein wird, so ist, ganz ohne Rücksicht auf die im vorigen Teile entwickelten sachlichen Gründe, welche nun einmal nicht gestatten, sich den dynamischen Voraussetzungen zu fügen, Folgendes in Rücksicht zu ziehen:

    Die Integration bei Berechnung der Anziehung zweier Körper ist überhaupt streng und eigentlich nur auf vollkommen homogene oder solche Körper anwendbar, in denen die Dichtigkeit sich nach einem angebbaren Gesetze kontinuierlich in unmerklichen Übergängen von Punkt zu Punkt ändert, ein Fall, der in der Wirklichkeit überhaupt gar nicht vorkommt, und jedenfalls ist ganz unmöglich, die Integration im Zusammenhang durch die ganze materielle Welt durchzuführen, wo sich so viele heterogene Körper von einander absetzen. Möchte man auch die Anziehung von Mond und Erde gegen einander im Sinne der dynamischen Voraussetzung so berechnen können, dass man sowohl Erde als Mond kontinuierlich mit gleichförmiger Materie gefüllt dächte, und demgemäß integrierte, so hört die Möglichkeit dazu auf, sowie man die Anziehung von Mond und Erde zusammen auf einen dritten Himmelskörper berechnen will; hier kann man bloß summieren, und es geschieht dies überall. Also fällt man doch mit der dynamischen Ansicht notwendig in das zweite Prinzip zurück, nach welchem endliche Summation mit infinitesimaler Integration sich vermengt. Die endliche Summation läßt sich selbst, für Approximationen gar nicht allgemein durch Integration ersetzen; dagegen jede Integration in unbestimmter Annäherung auf endliche Summation zurückgeführt werden kann; ja sogar in der Ausführung fast immer darauf zurückgeführt werden muß; denn man muß bedenken, dass ein Integrationszeichen noch keine Integration ist; und die Integration meist nur durch Quadraturen oder die Summation einer endlichen Zahl Glieder einer unendlichen Reihe bewirkt werden kann. Und wo auch die Integration rein ausführbar ist, kann sie doch den Resultaten nach in der Erfahrung nicht von der endlichen Summation unterschieden werden, so dass hiernach stets die Wahl bleibt, was an sich richtiger. Man gewinnt also nach der dynamischen Ansicht doch kein rein durchführbares Prinzip, die Anziehungswirkungen zu berechnen, weder in der Idee, noch in der Ausführung; dagegen man nach der atomistischen allerdings ein solches, wenigstens in der Idee gewinnt, indem man danach überall die Summation der Anziehungswirkungen für das eigentlich Richtige, und die Integration nur für eine Approximation zur Wirklichkeit anzusehen hat, welche der Summation in gewissen Fällen ohne einen in der Erfahrung merklichen Irrtum substituiert werden kann. Dies so anzusehen hat nichts Widerstrebendes, da man ohnehin überall bei Berechnungen, die sich auf das Naturgebiet beziehen, auf Approximationen gewiesen ist, und selbst, wenn die dynamische Ansicht richtig wäre, die Berechnung der Anziehung des Erdkörpers durch reine Integration nur als eine Approximation anzusehen haben würde, indem die dynamische Ansicht doch eben so wenig die Zusammensetzung des Erdkörpers aus heterogenen Massen, deren Wirkung sich nicht unter ein Integral vereinigen läßt, als dir Ungleichförmigkeiten seiner Oberfläche, die eben so wenig dadurch faßbar sind, wegzubringen vermag. Man könnte also auch hier nur sagen, die Integration gewährt eine vom Richtigen nicht merklich für die Erfahrung abweichende Approximation.

    Ganz anders, als in Bezug zur Materie, stellt sich die Infinitesimalrechnung in Bezug auf Raum und Zeit. Diese sind wesentlich gleichförmig und kontinuierlich, und lassen sich nicht anders denken; und so liegt keine Unangemessenheit darin, zu glauben, dass der Berechnung von Flächen, Linien und Volumen andere Gesichtspunkte unterliegen, als von Anziehungsgrößen und sonstigen Verhältnissen der Materie.

    Die Einwände, welche man doch auch von einigen Seiten aus physikalischem Gesichtspunkte gegen die einfachen Atome erhoben, sind leicht zu heben. Liebig sagt in seinen chemischen Briefen (1844. S. 57): "Es ist für den Verstand durchaus unmöglich, sich kleine Teilchen Materie zu denken, welche absolut unteilbar sind; im mathematischen Sinne unendlich klein, ohne alle Ausdehnung können sie nicht sein, weil sie Gewicht besitzen," und wesentlich damit stimmt der anderwärts (von George in Fichte’s Zeitschr. 1856) gemachte Einwand überein, dass die Atome nicht ausdehnungslos sein könnten, weil sie Masse besitzen. Wogegen zu sagen ist, dass Ausdehnung überhaupt nichts mit Gewicht noch Masse zu schaffen hat, insofern man nur eben unter Masse das versteht, was der Physiker darunter versteht.

        Zu der Äußerung W. Weber’s in dieser Beziehung füge ich noch die Äußerung eines anderen gründlichen Forschers mit seinem Urteil über die einfache Atomistik überhaupt.

    R. Hoppe sagt in einer Abhandlung "Über Bewegung und Beschaffenheit der Atome" (Pogg. Anm. CIV. 1856. S. 287):

    "Der Begriff der Materie kann in der Theorie der Atome kein anderer sein als in der Mechanik, da in jener alle nicht mechanischen Elemente auf rein mechanische zurückgeführt werden sollen. In der Mechanik tritt die Materie nur in zwei Beziehungen auf, sie hat Masse und Kräfte. Die Masse, als die Fähigkeit im ruhigen oder bewegten Sein zu verharren, ist eine bloße Quantität, bestimmt durch die erforderliche Kraft, welche Bewegung in ihr erzeugt oder verändert, und hat außerdem als Merkmal nur einen Ort im Raume. Die Kraft, als die Fähigkeit einer Materie, anziehend oder abstoßend die Bewegung einer Zweiten zu verändern, ist eine Quantität und hat Bezug auf zwei Orte, einen von dem aus, und einen auf den sie wirkt. In keiner dieser Beziehungen ist räumliche Ausdehnung enthalten. Im Gegenteil ist es nur möglich, die genannten Begriffe in der erforderlichen Schärfe und Einfachheit zu fassen, wenn man die Orte als Punkte denkt. Der Begriff in Bezug auf räumlich ausgedehnte Orte läßt sich erst aus diesem einfachen ableiten."

    "Es beruht auf einem Irrtum, wenn man die Sperrbarkeit der Materie als Beweis für ihre räumliche Ausdehnung anführt. Keine Masse kann durch sich selbst einer anderen hindernd in den Weg treten, sondern nur durch abstoßende Kräfte; und diese sind allein fähig, die Durchdringung zweier Massen zu verhindern; die Raumerfüllung trägt nichts dazu bei."

    Jemand machte mir mündlich den Einwand, der Widerstand der Trägheit sei nicht mit der einfachen Atomistik verträglich; und dieser Einwand kann für den ersten Anblick einigen Schein haben. Gesetzt, eine endliche Masse erhalte einen Stoß durch eine andere endliche Masse oder überhaupt einen endlichen Kraftanstoß, so wird sie eine endliche Geschwindigkeit erlangen. Die halbe Masse würde durch denselben Kraftanstoß die doppelte Geschwindigkeit, also eine unendlich kleine Masse, ein einfaches Atom, nach Proportion eine unendliche Geschwindigkeit annehmen müssen, woraus dann aber für eine endliche Masse, als doch nur bestehend aus einer endlichen Zahl einfacher Atome, keine, nach Proportion der Masse abnehmende endliche Geschwindigkeit, kurz kein Trägheitswiderstand zu folgern wäre, wie er doch besteht. Der Fehler dieser Betrachtung aber liegt darin, dass aus dem Tatbestande des Trägheitswiderstandes für einen ganzen Körper eine unendliche Geschwindigkeit für ein einfaches Teilchen gefolgert wird. Sei eine endliche Masse beispielsweise aus einer Million einfacher Atome gegeben. Nach dem Gesetze des Trägheitswiderstandes wird die Hälfte dieser Masse unter dem Einfluß derselben Stoßkraft die doppelte Geschwindigkeit und ein Milliontel der Masse, d. i. ein einfaches Atom, nur die millionfache Geschwindigkeit der ganzen Masse, aber nicht eine unendliche Geschwindigkeit annehmen; womit sich der ganze Einwand von selbst hebt.

    Ein leicht sich darbietender populärer Einwand ist dieser, dass unter Annahme einfacher Atome selbst der dickste Körper uns ganz durchsichtig und lose erscheinen müßte, Undurchsichtigkeit überhaupt gar nicht existieren könnte, weil einfache Atome, so viele und in so viel Schichten man sie hinter einander denken will, doch alle zusammen keinen Raum von merklicher Größe einnehmen, also der Lichtstrahl den Weg von den hintersten Schichten durch die vordersten in keiner Weise versperrt finden kann. Aber die Undurchsichtigkeit erklärt sich daraus, dass Lichtstrahlen, die von hinten auf die Hinterfläche eines Körpers fallen, durch die Wirkung der bezüglich zu uns zu vorderen Schichten nach den Gesetzen der Absorption (durch Übergang in Wärmeschwingungen) ausgelöscht werden; dass uns aber die vorderen Schichten nicht als etwas ganz Loses erscheinen, zunächst daraus, dass jeder sichtbare Punkt einen Lichtkegel in unser Auge sendet, der, statt sich wieder in einen Punkt auf unsrer Netzhaut zu vereinigen, einen kleinen Kreis darauf bildet, der mit den Nachbarkreisen verfließt. Nun freilich besteht auch unsere Netzhaut, unser Gehirn, unser ganzer Körper aus einfachen diskontinuierlichen Atomen, und so kann man meinen, trotz des Ineinandergreifens der kleinen Kreise auf unserer Netzhaut, deren jeder eine Vielzahl einfacher Atome umfaßt, müßte doch jede sichtbare Erscheinung, ja jede sinnliche Erscheinung überhaupt, insofern ihr Schwingungen unserer Nervenelemente unterliegen, als etwas ganz Loses erscheinen. Aber das gehört in das Kapitel der Beziehung von Leib und Seele, und tritt nur in das allgemeine Gesetz dieser Beziehung hinein, was ich im zweiten Teile meiner Elem. d. Psychophysik S. 526 ff. ausführlich behandelt habe, dass die Seele überhaupt das, was nach Seiten ihrer äußeren Erscheinlichkeit als körperlich Vieles erscheint, in einfachen Resultanten zusammenfaßt, wie denn der einfachsten Sinnesempfindung ein zusammengesetzter körperlicher Prozeß unterliegt. Betrachtungen, die in dies Gebiet greifen, muß man eben so von Erklärungsprinzipien der Physik, die sich rein auf Verhältnisse des äußerlich Erscheinlichen bezieht, als von Einwänden gegen physikalische Erklärungen fern halten.