XX. Grundgesichtspunkte.

    Das Vorige vorausgesetzt sage ich nun: anstatt, wie man der Atomistik vorwirft, auf halbem Wege stehen zu bleiben, oder endlich zu Nichts zu kommen, und hiermit entweder physikalisch bleiben oder nihilistisch werden zu müssen, bleibt noch ein Drittes als philosophischer Abschluß der physikalischen Atomistik übrig, d. i. dass man zu einfachen Wesen kommt, die nur noch einen Ort, aber keine Ausdehnung mehr haben, indes sie durch ihre Distanz verstatten, dass die aus ihnen bestehenden Systeme noch solche haben.

    Einfach ist noch nicht Nichts; man hüte sich, beides zu verwechseln, es sind sehr verschiedene Kategorien; wozu und woher auch sonst zwei Worte dafür und die verschiedene Physiognomie, womit sie uns entgegentreten?

    Nichts häufiger freilich, als eben diese Verwechselung, ja unter allen gegen die einfache Atomistik vorgebrachten Einwänden ist mir keiner häufiger begegnet, als dieser, dass man die Atome durch Reduktion auf einfache Wesen auf Nichts reduziere. Stellen wir jedoch Einwürfe dieser Art für den Augenblick dahin, um im folgenden Kapitel darauf zurückzukommen; zunächst aber nur die allgemeinsten Gesichtspunkte der Ansicht selbst darzulegen, die wir hier vertreten.

    Sofern sich bei den Atomen als kleinen ausgedehnten Massen nicht als einem Letzten philosophisch stehen bleiben ließ, stand allgemein gesprochen allerdings die doppelte Möglichkeit offen, die ganze Ausdehnung des Raums mit Materie zu erfüllen, und die Ausdehnung der Materie auf Nichts zu reduzieren. Die dynamische Ansicht hat den ersten Weg eingeschlagen, und a priori könnte sie so gut Recht haben, als unsere einfache Atomistik. Nun aber nötigt nicht nur die Gesamtheit der Betrachtungen der vorigen Abteilung a posteriori, vielmehr auf den zweiten Weg einzugehen, sondern alles Folgende wird auch zeigen, dass wir im Felde allgemeiner philosophischer Zusammenhänge besser mit dieser als der dynamischen Vorstellung fahren.

    Man mag die einfachen Wesen materielle Punkte, Kraftmittelpunkte, punktuelle Intensitäten, substantielle Einheiten, einfache Realen, Monaden nennen, der Name ist gleichgültig. Ihre Natur, Bedeutung, Begriff, Verwendung und Verwertung aber bestimmt sich dadurch und eben nur dadurch, dass sie als Grenze der Zerlegung des aufzeigbaren und mit aufzeigbaren Eigenschaften begabten objektiv (sinnlich äußerlich) erfaßlichen realen Rauminhalts auftreten. Nur in solcher Beziehung zum erfahrungsmäßig Gegebenen sind sie zu definieren, hiernach sind sie vorzustellen, als Punkte nicht hinter oder außer Zeit und Raum sondern in Zeit und Raum, nur mit Bedacht, dass, wie klein man diese Punkte vorstellen will, es immer noch nicht reicht; die Mathematik hat an dergleichen schon gewöhnt; wir bleiben stets in ihrer Sicht, wo nicht an ihrer Hand; wonach übrigens nichts hindert, noch weiter über die Natur dieser Punkte zu spekulieren, ja mit einer Ableitung von oben der Ableitung von unten entgegenzukommen, wenn man Zutrauen dazu hat; für uns aber bleiben sie nur eine für die Konstruktion des Gegebenen notwendige Grenzvorstellung des Gegebenen, die letzten Bausteine des Gegebenen, aus denen es erbaut, weil in sie zerfällt werden kann.

    Nun freilich gehört zum Bau jedes Hauses außer den Steinen noch Raum, Zeit, Maß, Regel, Plan und zu all dem Äußeren Einer, für den das ganze Haus gebaut wird, der es baut und der es bewohnt. Die Bausteine tun’s nicht allein, noch durch sich selber; weder das Verbinden noch Zerfällen ist ihre Tat; sie sind nur eben das Zerfällte; und das Allgemeinste, Höchste, Beste, was zum Bau gehört, ging bei der Zerfällung des Baues verloren, ist in den Steinen nicht mehr zu finden; doch gibt’s auch keinen Bau ohne die Bausteine, und man wird bei den großen so lange zu fragen haben, aus was und wie sie sich wieder bauten oder gebaut wurden, bis der Begriff, selbst die Grenze der Frage stellt. Diese Grenze ist endlich beim Einfachen zu finden, und nur bei ihm zu finden.

    Der Vorstellung werden sich die einfachen Atome immer nur als die kleinsten sichtbaren und tastbaren Punkte darbieten können; mit dem Geständnis aber darzubieten haben, dass sie doch noch kleiner sind, als das Kleinste, was wir mit unseren Augen und Händen wirklich sehen, tasten und danach vorstellen können, wodurch sie aus physisch eben metaphysisch werden. Doch reicht voraussetzlich ein Atom in Beziehung zu dem Atomsystem unserer Nerven schon hin, durch die Erzitterung oder den Widerstand, den es darin begründet, ein Element oder Differenzial der Empfindung zu begründen, was nur der Summierung bedarf, um die endliche Empfindung zu geben, deren wir empirisch bedürfen. Man hat sich aber deshalb bei den Konstruktionen im körperlichen Gebiete an die Formen des Sichtbaren und Tastbaren, nicht Hörbaren, Riechbaren, Schmeckbaren zu halten, weil erstere, nicht letztere, Messung, Zählung, klare Bestimmung gestatten.

    Wenn man die Verhältnisse unserer einfachen Atome den daraus zusammengesetzten Körpern gegenüber betrachtet, so wird man, finden, dass ihnen eine Menge Eigenschaften fehlen, die den letzteren zukommen, indem sie erst mit der Verbindung der Atome entstehen; und sofern sich der Begriff des Körpers doch nur mit Rücksicht auf diese Eigenschaften gebildet hat, hindert nichts zu sagen, dass die Atome unkörperlich seien, und die Körper also aus unkörperlichen Wesen zusammengesetzt seien, was keinen größeren Widerspruch enthält, als wenn man sagt, eine Gesellschaft werde aus Personen gebildet, die nicht selbst eine Gesellschaft sind, ein Baum werde aus Zellen gebildet, denen der Begriff des Baums noch fern liegt. Von anderer Seite wird aber auch nichts hindern, die Atome als wesentlichste Elemente des Körperlichen auch schon körperlich zu nennen, ohne dass man deshalb die ganzen Eigenschaften der Körper in ihnen zu suchen hat. Sich über diese Bezeichnung, ob körperlich oder unkörperlich, zu streiten, wäre reiner Wortstreit; sie sind das Eine oder das Andere je nach der Beziehung, in der man die Worte verstehen will, oder dem Zusammenhange, in dem man sie braucht. Es mag aber nützlich sein, das Verhältnis der Atome und der Körper hinsichtlich ihrer Eigenschaften noch mit ein paar Worten näher zu erläutern.

    Dass unsere einfachen Wesen keine Ausdehnung und Gestalt haben, hindert nicht, dass die aus ihnen bestehenden Körper eine Ausdehnung und Gestalt haben; man bestimmt ja auch die Ausdehnung und den Umriß eines Waldes nicht durch die Ausdehnung und den Umriß der Stämme, woraus er besteht, sondern des Platzes, den sie in ihrer Gesamtheit einnehmen. Die einfachen Wesen mögen keine Dichtigkeit haben, so hindert dies doch nicht, dass die aus ihnen bestehenden Körper eine Dichtigkeit haben; man mißt ja auch die Dichtigkeit der Bevölkerung nicht nach der Dichtigkeit der einzelnen Menschen, sondern nach der Menge derselben, die auf einem gegebenen Raume bestehen. Sie mögen an sich qualitätslos oder von gleichgültiger Qualität sein, so hindert dies doch nicht, dass die aus ihnen gebildeten Körper je nach der verschiedenen Anordnung und Bewegung der einfachen Wesen verschiedene Qualitäten haben; bestehen doch Menschen, Tiere, Pflanzen selber aus gleichen Stoffen; nur deren unterschiedene Anordnung und Bewegung gibt ihnen verschiedene Qualitäten. Sie mögen für sich geistlose Wesen sein, so hindert dies doch nicht, dass sich Geist an ihre Kombinationen knüpfe; auch bei dem Menschen hängt der Geist an der Kombination, nicht an den Stücken.

    Nicht ohne Interesse dürfte man folgende, mit der unserigen ganz gut zusammenstimmende, Auffassung des Begriffes der einfachen Atome Seitens Boscovichs, des ersten Urhebers der physikalischen einfachen Atomistik (in s. Theoria philos. nat. § 138. p. 60 ff.), hier finden.

    § 133. "Ad concipiendum punctum indivisibile et inextensum non debemus consulere ideas, quas immediate per sensus hausimus; sed eam nobis debemus efformare per reflexionem. Reflexione adhibita non ita difficulter efformabimus nobis ideam ejusmodi. Nam imprimis ubi et extensionem et partium compositionem conceperimus; si utramque negemus, jam inextensi et indivisibilis ideam quandam nobis comparahimus per negationem illam ipsam eorum, quorum habemus ideam; uti foraminis ideam habemus utique negando existentiam illius materiae, quae deest in loco foraminis."

    134. "Verum et positivam quandam indivisibilis et inextensi puncti ideam poterimus comparare nobis ope Geometriae. . . Boscovich führt nun aus, wie man sich eine Ebene, z. B. die Ebene eines Tisches, kreuzweis durchschnitten denken könne, und im Durchschnittspunkt einen einfachen Punkt habe, der, vorausgesetzt, dass man sich die durchschnitten gedachten Teile an einander gelegt denke, mit der Ebene zugleich beweglich sei und dabei eine Linie beschreibe, welche nur Länge, nicht Breite habe, und fährt dann weiter fort:

    § 136. "Post hujusmodi ideam acquisitam illud unum intererit inter geometricum punctum et punctum physicum materiae, quod hoc secundum habebit proprietates reales vis inertiae et virium illarum activarum, quae cogent duo puncta ad se invicem accedere vel a se invicem recedere, unde fiet, ut ubi satis accesserint ad organa nostrorum sensuum, possint in iis excitare motus, qui propagati ad cerebrum perceptiones ibi eliciant in anima, quo pacto sensibilia erunt adeoque malerialia et realia non pure imaginaria."