ÜBER

DIE PHILOSOPHISCHE ATOMENLEHRE.

(Einfache Atomistik.)

XIX. Eingang.

    Der Physiker hat dem Philosophen eingehalten: wollt ihr uns die Atome nehmen, ersetzt sie uns; behauptet nicht bloß, dass, sondern zeigt uns, wie wir das Gleiche, wo nicht ein Mehreres auch ohne Atome leisten, unseren Real- und Formalzusammenhang ohne sie begründen, behaupten und fortentwickeln können, mit einem Wort, wie wir sie missen und doch noch eine Physik, die diesen Namen verdient, behalten können.

    Unstreitig nun kann der Philosoph dem Physiker etwas Entsprechendes entgegen halten: wollt ihr uns Atome aufdringen, sagt nicht bloß, dass, sondern zeigt uns, wie ein philosophisches System; damit möglich, eine philosophische Naturansicht damit konstruierbar ist. Ganz abgesehen aber von dem Streit, ob eine solche dialektisch zu konstruieren sei oder nicht, genügt dazu nicht, auf eine physische Grenze zu gehen, von wo an der Schluß aus der Erfahrung den Dienst versagt, wie in der physikalischen Atomistik geschieht, es gilt eine wahre, vom Begriffe selbst gesetzte Grenze anzugeben. Bei allem Streit der philosophischen Systeme werden sie das doch einstimmig fordern, weil es im Begriffe der Philosophie selbst liegt. Der Physiker mag sich hinter seine Unfähigkeit verschanzen, über Das, was mit der Erfahrung in verfolgbarem Bezuge steht, hinauszugehen; für den Philosophen liegt darin der Beruf. Worauf also sollen die kleinen Massen endlich führen, bei denen der Physiker mittelwegs stehen bleibt; sie sind noch nicht das Letzte, bei dem man stehen bleiben kann. Sei physikalisch in ihnen ein Fortschritt gewonnen, philosophisch bleiben sie nur ein Zurückgeschobenes, und das Ziel liegt nach ihnen noch so weit als zuvor. Ein Gang ist aber nur gerechtfertigt, wenn er überhaupt ein Ziel hat, und auch mittelwegs soll man danach blicken, sonst tappt man mit offenen Augen schlimmer als im Finstern. Und läßt sich kein haltbares Ziel finden, soll man den Weg verlassen, wie viel Verlockung auch auf dem Wege liegt.

    Wohlan, bestreiten wir der Philosophie das Recht nicht, auf ein Letztes in der Analyse der materiellen Welt zu dringen und selbst zu gehen, was die Wissenschaft des Materiellen selbst zur Zeit noch nicht zu erreichen vermag; und lassen wir sie immerhin dieser zu Gemüte führen, dass sie sich deshalb doch nicht ganz unbekümmert um dasselbe zu zeigen habe. Halten wir in dieser Beziehung auch eine Anmutung an uns gestellt. Ein philosophisches System zwar hier von vorn an neu aufzubauen, wird man uns nicht zumuten; man würde doch keine Geduld haben, es anzuhören; der Forderung aber, einen philosophischen Abschluß der physikalischen Atomistik, bei dem sich begrifflich Ruhe fassen und zugleich Anknüpfung an Allgemeineres gewinnen läßt, aufzustellen, mögen wir wohl entsprechen. Man muß nur nicht verlangen, dass dieser Abschluß und diese Anknüpfung nun auch gerade in das System dieses oder jenes Philosophen besonders hineinpasse; was dem einen paßt, würde ja doch dem andern nicht passen; genug, dass abgesehen von dem physikalischen Zwange, der auf dem Wege dazu liegt, mit solchem Abschluß und solcher Anknüpfung der allgemeinen philosophischen Forderung, worin alle Philosophen übereinstimmen, und hiermit dem Begriffe der Philosophie selbst genügt wird. Mag es auch sein, dass damit auf ein neues philosophisches System wirklich gezielt wird, so ist es eben Schicksal der Philosophie, in neuen Systemen fortzuschreiten; und verlangt man doch für ein neues die Fortentwickelung auf einer alten Basis, wohlan, die ganzen exakten Wissenschaften gehören uns zu dieser Basis. Das Neue der Metaphysik, die wir im Auge haben, denn um Metaphysik handelt sich’s doch zunächst, liegt in der Tat nur darin, nach so manchen versuchten Grundlagen der Metaphysik auch einmal die Wissenschaft des Physischen (obwohl nicht ohne die des Psychischen) dazu zu machen, und hiermit den Namen der Metaphysik zur Tat zu erheben, d. h. sie wirklich zu etwas nach der Physik, statt zu einem a priori oder Hinter der Physik zu machen.

    Zwar, welcher Metaphysiker wird nicht behaupten, auch er mache die Betrachtung des Physischen zu einer seiner unteren Grundlagen; nur das bleibt eigen, und fast schwer zu deuten, dass man der Wissenschaft des Physischen die rohe unmittelbare Betrachtung des Physischen als eine solche Grundlage vorzieht, als stände man noch auf dem Ausgangsstandpunkt der Naturphilosophie, wo die Wissenschaft des Physischen mit dessen roher Betrachtung noch fast unmittelbar zusammenfiel und darum freilich ihr nicht vorgezogen werden konnte. Jetzt ist die Wissenschaft da, hat sich hoch entwickelt, doch man bleibt auf jenem Standpunkt stehen und jauchzt Goethe zu, da er auf den alten Stein seinen Lorbeer legt. Wir aber wollen die ganze entwickelte Wissenschaft des Physischen der Metaphysik unterbauen, diese nur die letzten Spitzen dieser Wissenschaft erkennen und mit anderen Spitzen zur letzten Spitze knüpfen lassen. Auf diesem Wege liegt die Atomistik und gipfelt sich noch mit in dieser Spitze. Gerade jetzt aber dürfte eine solche Metaphysik als Gegensatz gefordert sein, nachdem Herbart’s Metaphysik sich nur eben auf den gänzlichen Ruin alles Dessen, worauf die exakte Wissenschaft baut, die gänzliche Zerstörung ihrer Grundbegriffe gestützt und den Namen des zerstörten Reiches angemaßt hat. Nun wandeln im Hades des Seins, den sie damit geschaffen, als ungreifliche Gespenster die Monaden, die bei uns im vollen Reich des Lichtes gehen, ja durch ihren Schwingenschlag dasselbe selbst erzeugen.

    Nach Allem suche ich die Aufgabe der Metaphysik darin, die allgemeinsten und die Grenzbegriffe des Gegebenen zu finden und in ihren allgemeinsten Beziehungen und Verknüpfungen zu erforschen, zu verfolgen, darzulegen, und die Methode dazu in einer Verallgemeinerung und Fortführung des durch Erfahrung, Erfahrungsschluß und Rechnung Gefundenen, Bewährbaren und Bewährten über das erfahrungsmäßig und mathematisch Verfolgbare und Bewährbare hinaus bis zu der Grenze, die das Denken fordert, so dass die Bedingung selbst, ein Allgemeinstes und Letztes zu gewinnen, die Form, die Herkunft vom Erfahrungsmäßigen den Inhalt der gefundenen Begriffe bestimmt; oder kurz: in einer Ergreifung der allgemeinsten und der Grenzbegriffe des Gegebenen durch Fortgang und Fortschluß auf Grund des Gegebenen selbst bis zum Allgemeinsten und Letzten.

    Dieser Weg, indem er zugestandenermaßen über das durch Erfahrung und Rechnung Bewährbare hinausführt und sein Ziel nur halb durch einen Vernunftschluß, halb durch eine Vernunftforderung findet, kann nun freilich nicht die Sicherheit haben, welche die exakten Methoden selbst haben und welche die dialektische Methode sich beilegt. Was die exakten Wissenschaften unsicher lassen, kann die Metaphysik nicht exakt sicher machen, sonst gehörte sie den exakten Wissenschaften selbst an. Sie kann die Vernunft nicht zwingen, wie der exakte Schluß, sondern nur ein größeres und weiter reichendes Bedürfnis derselben befriedigen, als der exakte Schluß vermag. Und somit bleibt Das, was wir als metaphysische Idee darbieten werden, physikalisch genommen immer nur eine Hypothese, die sich zwar vielleicht auch einmal exakt wird beweisen oder, sei es, widerlegen lassen, wenn die Physik an ihrem letzten Ziele die Metaphysik wird eingeholt haben, für jetzt aber nur dienen kann, eine Aussicht, nicht eine Einsicht für dieselbe zu eröffnen. Man verlange also auch keinen anderen physikalischen Beweis dafür, als dass sie den begrifflichen Schluß des physikalisch Erwiesenen bildet. Das selber aber ist nicht mehr Physik.

    Inzwischen wird diesem Beweise ein anderer von selbst entgegenkommen. Es wird sich zeigen (Kap. 22), wie derselbe Abschluß, zu welchem man sich gedrängt findet, indem man einer von der Philosophie an die Physik gestellten Forderung zu genügen sucht, so reine Begriffe, in solchem Gegensatz, solcher gegenseitigen Ergänzung und einheitlichen Verknüpfung an die Spitze der Betrachtung der Naturdinge stellt, dass damit auch der günstigste Ausgangs- und Anknüpfungspunkt für eine allgemeinere Betrachtung der Naturverhältnisse gewonnen scheint. Die Ansicht, die wir im Folgenden vortragen, fußt auf dem Zusammentreffen und Zusammenhange dieser beiden Gesichtspunkte, deren jeder für sich allein immerhin ungenügend scheinen mag, ihr Halt zu geben:

l) Man kommt zu ihr, indem man den Weg, den die exakte Wissenschaft mit Sicherheit geht, in der Idee zu Ende führt.

2) Mit diesem Ende eröffnet sich die günstigste Sachlage der Begriffe, unter welche die Realverhältnisse der Natur in allgemeinster Weise zu fassen, für die Philosophie.