XV. Über den Begriff der Materie und Substanz.

    Der Physiker versteht vor Allem, ganz übereinstimmend mit dem gemeinsten Sprachgebrauche, mit dem er eben dadurch immer in Beziehung bleibt, unter Materie Dasjenige, was sich dem Tastgefühle bemerklich macht, das ist eben das Handgreifliche;1) und wenn schon ein Begriff selbst nichts Handgreifliches ist, sein kann und sein soll, so will ich doch auch das Handgreifliche, da es einmal in der Welt existiert, als Faktum anerkannt und in Betracht seiner großen Verbreitung unter einen allgemeinen Begriff gebracht sein. Zunächst also ist und heißt ihm das Handgreifliche Materie, nimmt er Materie da an, wo man etwas greifen kann, gleichviel, was man hinter der Handgreiflichkeit, hinter Tasten, Fühlen selbst noch suchen, aus welchen höheren Gründen man das Dasein eines Handgreiflichen ableiten mag. Die Handgreiflichkeit ist etwas Aufzeigbares, durch Erfahrung Fassbares und weiter Verfolgbares; und das genügt, dem Begriffe die für seine Zwecke erforderliche feste Unterlage zu geben. Doch gibt die Beziehung auf die Handgreiflichkeit eben bloß die Grundlage des Begriffes; der Physiker bleibt so wenig dabei stehen, als der Philosoph dabei stehen bleiben möchte (geht er schon in anderer Richtung darüber hinaus), und unterscheidet sich dadurch vom Wilden und vom Bauer, denen die Materie nichts als das Handgreifliche bleibt. Er findet erfahrungsmäßig, denn anders weiß er’s nicht zu finden, dass mit der Eigenschaft, mit Händen gegriffen, oder allgemeiner tastend gefühlt werden zu können, noch andere aufzeigbare Eigenschaften sich in solidarischer Verbindung zeigen, betreffend Gleichgewichts- und Bewegungserscheinungen,2) die aber durch das Gesicht noch leichter als durch das Getast verfolgt werden können, und rechnet diese mit ihren erfahrungsmäßig gefundenen Gesetzen (welche den Begriff der Kräfte als Hilfsbegriff einschließen) dann auch zu den Bestimmungen der Materie (daher die Erklärung, die man wohl findet, sie sei das im Raum Bewegliche), und schließt nun auf das Dasein der Materie aus solchen Erscheinungen, wenn er sich nicht in die Verhältnisse versetzen kann, die Materie wirklich selbst unmittelbar tastend zu erfassen, sei es dass sie zu fern, oder verdeckt, oder auch dass sie zu verdünnt und zu verfeinert. Endlich findet er alle Sinneswahrnehmungen, auch Hören, Riechen, Schmecken, mit Getast- oder Gesichts-Erscheinungen und Verhältnissen jener Art, welche charakteristisch für das Dasein der Materie sind, in solcher solidarischen Beziehung, dass er endlich bei ihnen allen Materie als wesentlich im Spiele annimmt. Beim Tönen gibt es eine sichtbar und fühlbar schwingende Saite oder Glocke, der Duft der Blume läßt sich zur fühlbaren Flüssigkeit verdichten; das Schmeckende ist selbst sichtbar und fühlbar. Und wo nichts unmittelbar Sichtbares und Fühlbares dabei vorliegt, was das Dasein der Materie verrät, hängt doch die Erscheinung des Hörens, Riechens, Schmeckens kausal damit zusammen. So wird Materie die allgemeinste Unterlage der Naturerscheinung.

1) Wenn Ulrici (Fichte’s philos. Zeitschr. 1856. S. 114) sagt: "Damit sei das materielle Substrat nur bestimmt als die Kraft des Widerstandes", so ist dies eine Umkehr unserer Begriffsstellung, die wohl im Sinne meiner Gegner, aber nicht in dem meinigen ist. Widerstand kann erst aus Verhältnissen dessen geschlossen werden, was als Tastgefühl, Gesichtsempfindung u. s. w. in mein und anderer Bewußtsein eintritt, ist also keine erfahrungsmäßige Grundlage des Begriffs der Materie. Von solcher aber ist hier die Rede.

2) Ulrici vermißt (ebendas. S. 115), "dass ich nicht sage, warum sich mit der Materie, dem Fühlbaren, Gleichgewichts- und Bewegungserscheinungen verbinden"; aber ist denn nicht die Frage nach dem Ob und Wie zu trennen? Bei Feststellung begrifflicher Beziehungen handelt es sich um die Tatsache, nicht die Gründe der Beziehungen. Überhaupt kommt bei dem Physiker die Frage des Warum überall erst nach der Frage des Ob zur Sprache, und es ist auch in der Philosophie nicht wohlgetan, es umzukehren oder beides zu vermengen.
 
 

    Nun liegen in jenen für das Dasein der Materie im Allgemeinen charakteristischen Erscheinungen und Verhältnissen der Erscheinung doch wichtige Verschiedenheiten im Besondern, so dass man veranlaßt ist, verschiedene Materien, sog. Substrate, zur Repräsentation derselben zu unterscheiden. Man kann aber zweifelhaft sein, ob die sog. unwägbaren Substrate oder Substanzen (oder ihr Gemeinschaftliches, der Äther), worauf man einen gewissen Kreis von Erscheinungen insbesondere zu beziehen Anlaß gefunden hat, auch noch den Namen Materie verdienen, sofern sie sich nie unter die Verhältnisse bringen lassen, getastet werden zu können, doch aber denselben allgemeinsten Gesetzen des Gleichgewichts und der Bewegung gehorchen, als das Tastbare. Der Streit darum ist entweder ein Wortstreit, indem sich fragt, ob man Substanzen, die mit dem Tastbaren nur gewisse sehr allgemeine Eigenschaften, aber nicht die Tastbarkeit selbst teilen, auch noch Materie nennen will (ein jedes Wort schließt in seinem Gebrauche ursprünglich Willkür ein), oder ein Streit darum, ob jene Substanzen doch noch die Eigenschaft, getastet werden zu können, zeigen würden, wenn sie erforderlich verdichtet werden könnten, ja ob nicht wirklich die wägbaren Substanzen nur Verdichtungen engere Zusammenballungen der unwägbaren sind (wie denn Manche die ganzen Weltkörper sich aus dem Äther ballen lassen), die unwägbaren aber nur lose zwischen ihnen zurückgebliebener Atomenstaub; eine Frage, die wohl noch nicht als entschieden angesehen werden kann, daher wir auch nicht daran hängen, die Imponderabilien als Materie zu bezeichnen. Gleichviel aber ob sie Materie heißen oder nicht, so muß doch aus den früher erwähnten Gründen ihre Substanz eben so lokalisiert und so diskret als die der wägbaren Substanz vorgestellt werden, sollen die Erscheinungen repräsentiert werden. Der Äther, mag er auf Tastbares reduziert werden können oder nicht, hat doch seinen Ort so gut zwischen den Weltkörpern, als wäre er eine tastbare Flüssigkeit, und seine Wellen sind so gut durch den Raum fortschreitend zu denken, als gälte es Meereswellen, und können endlich, wie gezeigt, nur Farben im Prisma und Polarisation geben, sofern die Schwingungen in diesen Wellen durch Kräfte entstehen, die zwischen diskreten Zentris wirken, gleichviel wie man die Natur dieser Zentra selbst rückliegend fassen will.

    Der Philosoph sagt nun etwa: du hast die Materie auf Das, was gefühlt werden kann, zurückgeführt; aber was ist Das, was gefühlt wird, selbst, das Objekt des Fühlens hinter dem Fühlen? – Nichts, was den Physiker angeht, er weiß eben nur Das davon, was er fühlt und was sich an das Fühlen von anderen Wahrnehmungen, Erscheinungen, assoziiert und gesetzlich möglicherweise unter anderen Umständen daran assoziieren kann, und was aus der Gesamtheit davon abstrahierbar und nach der Gesamtheit davon erschließbar ist; auf nichts weiter bezieht sich die Physik; in diesem Kreise ist und bleibt ihre Aufgabe eingeschlossen; hierin will sie so orientiert sein und orientieren, dass jede gegebene Erscheinung der Totalität wirklicher und möglicher Erscheinungen nach Gesichtspunkten der Verwandtschaft, des Zusammenhangs und der Auseinanderfolge eingeordnet werden könne, und wenn die erscheinlichen Bedingungen gegeben sind, die erscheinlichen Folgen danach vorausgesehen werden können.

    Dazu kann sie dann auch über das unmittelbar Erscheinliche hinausgehen und zu Grenzbetrachtungen des Erscheinlichen gehen, doch immer nur unter Festhaltung von Vorstellungen unter Form des Erscheinlichen und in der Absicht, auf das wirklich Erscheinliche zurück zu kommen. Alle Begriffs-Fassungen und Stellungen, alle Konstruktionen und Methoden und Hypothesen der Physik und Naturwissenschaften überhaupt haben nur solchen Sinn und Zweck. Ihnen andere mit anderem Sinn und Zweck aufdringen wollen, heißt ihre Aufgabe verkennen und verwirren. Und wenn auch andere anderwärts Platz finden mögen, so werden sie Dem, was in dieser Hinsicht Klarheit in den Naturwissenschaften und dem Leben schafft – das Leben verdankt aber selbst den Naturwissenschaften die klarste Orientierung in den Erscheinungen – nicht widersprechen dürfen, ohne Wissenschaft und Leben selbst zu verwirren, mag man es auch von vorn herein möglich halten, dass eine Lehre, die tiefer als die Naturwissenschaft dringt, deren Begriffsfassungen und Stellungen, Konstruktionen und Methoden noch tiefer erfasse, begründe, erläutere, verallgemeinere.

    Nun aber auch, wenn wir, um die tiefste Fassung des Materiebegriffs zu gewinnen, die Frage: was ist das Objekt des Fühlens hinter dem Fühlen, abgesehen vom Fühlen, das reine Ansich der Materie? ganz allgemein stellen, sie statt an den Physiker, der genug darauf geantwortet hat, indem er sagte, ich weiß nichts von einem solchen Objekte und es geht mich nichts an, an den Philosophen, an den Menschen im Allgemeinen richten, so wird er nicht um ein Haar mehr noch Anderes darauf zu antworten wissen als der Physiker, falls seine Worte mehr als Worte sein wollen. In der Tat ist hinter der Erscheinung, die das Fühlen gewährt, für den Philosophen so wenig als für den Physiker etwas zu finden, ist für den Menschen überhaupt nichts Erkennbares, Statuierbares, Besprechbares zu finden; aber im Zusammenhang damit und auf Grund dieses Zusammenhanges darüber hinaus ist viel davon für ihn zu finden, indem der Gesamtkreis der Erscheinungen für Abstraktionen und Gesichtspunkte höherer Art den Grund legt; und hierin liegt das einzige Objekt aller inhaltsvollen, das einzige Fundament aller höheren Betrachtung. Die Gesichtspunkte und Fäden sowohl des gleichzeitigen als Folge-Zusammenhanges der gesamten körperlichen und geistigen Erscheinungen hat nun der Mensch nach Tatsachen zu verfolgen, das Gleiche, Konstante, sich Wiederholende, nach Gesetzen Mögliche darin besonders ins Auge zu fassen und besonders zu benennen, das Einzelne darin im abwärts steigenden Gange durch immer schärfere Beobachtung zu analysieren, im aufwärts steigenden durch immer allgemeinere Begriffe und Gesetze zu verknüpfen, bis er zum Allgemeinsten und zum Letzten kommt, worunter sich alles Tatsächliche vereinigt, bis wohin die feinste Analyse dringt. Die Unzulänglichkeit der unmittelbaren Beobachtung, die Beschränktheit des Standpunkts, auf dem jeder Einzelne steht, endlich hat er durch Schlüsse nach Regeln und Gesetzen zu ergänzen, die einer so weit als möglich getriebenen, so allgemein als möglich gemachten Beobachtung genügen, also, dass die Lücken des beobachteten Zusammenhangs im Sinne desselben selbst erfüllt, die Grenzen nur in diesem Sinne überschritten werden.

    Wie viel gibt’s hier zu tun, wie hoch, wie tief, wie allgemein können diese Betrachtungen gehen, wie viel Unbekanntes Ungeahntes ist auf diesem Wege zu finden; Gott und Unsterblichkeit selber entziehen sich ihm nicht; doch all Das führt nicht hinter das Fühlen zurück, sondern nur über das Fühlen hinaus in einen allgemeineren Kreis von Erscheinungen, dem es angehört, zu Wesen mit und über uns, denen Anderes und mehr als uns erscheinen mag, und zu Gesichtspunkten, unter denen sich ihre und unsere Erscheinungen verknüpfen, gewinnbar aus dem Gebiete der Erscheinungen selbst mit unserem sich selbst erscheinenden Geiste, doch aus nichts dahinter und mit nichts dahinter.

    Dies ist in letzter Instanz die Stellung, die der Begriff der Materie für den Physiker, und nach klarer Fassung überhaupt, hat. Der Physiker und jeder klar Denkende geht darin von etwas Aufzeigbarem, hiermit ganz Bestimmtem aus; und wenn er über das Aufzeigbare hinausgeht, bleibt doch die Beziehung zum Aufzeigbaren, der Zusammenhang mit Aufzeigbarem, die Erläuterung durch Aufzeigbares stets bestehen, und mit der Vorstellung klar zu verfolgen. Der Philosoph aber, indem er den Begriff der Materie hinter das Erscheinliche zurückzuverfolgen meint, verfolgt ihn in die Leere.

    Wohl kann man sich hierbei leicht durch folgende Betrachtung beirrt finden. Das Tastbare, Handgreifliche (und verallgemeinert das sinnlich Wahrnehmbare überhaupt) soll nach Obigem die nicht weiter rückführbare noch analysierbare Grundlage für den Begriff der Materie bilden; aber um etwas handgreiflich zu finden, muß meine ganze organisierte Hand dasein, müssen besondere Bedingungen dasein, unter denen sie mit dem Steine, dem Holze, das sie anfühlt, in Beziehung tritt; das Alles, sagt man, steckt verborgen im Begriffe des Handgreiflichen; also ist es sächlich der allerzusammengesetzteste Begriff, der, statt ein Letztes in der Analyse des Materiebegriffes, bilden zu können, die weitläufigste rückgehende Analyse erfordert, und wenn man auf sie eingeht, findet man, die Materie, die auf das Handgreifliche zurückgeführt werden soll, wird selbst erfordert, um die Hand zu geben, mit der man greift; so kommt man in einen reinen Zirkel der Betrachtung.

    Aber dies ist gerade so, als wenn Jemand sagte: die einfachen Stoffe der Chemie sind nicht wahrhaft einfach, und man darf nicht auf sie als ein Letztes in der Chemie zurückgehen wollen; denn um sie darzustellen, sind die verwickeltsten Operationen mit sehr zusammengesetzten Tiegeln, Retorten, Filtern u. s. w. nötig, in denen diese Stoffe selber schon enthalten sind. Vielmehr das selber, dass man diese Werkzeuge auch eben in Nichts weiter analysieren kann als Das, was man mittelst ihrer und anderer Körper gewinnt, ist ein Beweis, dass die ganze Körperwelt aus weiter nichts als diesen Stoffen besteht, dass sie das Letzte sind, worauf man kommen kann. So ist es nun auch wahr, dass die Hand, das Auge, mittelst deren ich Tast- und Gesichtsempfindung erlange, auch selber wieder nur durch Tast- und Gesichtsempfindung als Hand, als Auge erfasst werden können; aber eben das beweist nun auch, dass man überall in der Körperwelt zuletzt auf Tast- und Gesichtsempfindung als letzte Elemente, worein sich das Körperliche qualitativ auflösen läßt, kommt. So mag man auch untersuchen, was die einfachsten Tätigkeiten des Geistes sind; und man wird finden, es sind dieselben, die der Geist zu dieser Untersuchung braucht.

    Man hüte sich überhaupt, die Einfachheit eines Begriffes oder einer Sache durch die Komplikation der Bedingungen, unter denen er nur gedacht werden, oder sie nur hergestellt werden kann, gefährdet zu halten. Damit eine einfache Tastempfindung zu Stande komme, ist im Grunde nicht nur die Hand und ein Stein nötig, ist der ganze Weltzusammenhang nötig, ohne den Hand und Stein nicht existieren könnten. Aber dennoch bleibt das Tastgefühl ein Einfaches, nicht weiter Rückführbares, Analysierbares, das man als solches aus dem Weltzusammenhange aussondern und besonders ins Auge fassen, in seinen Abänderungen und Kombinationen verfolgen kann. Im Grunde ist überhaupt Alles, was es gibt, nur im ganzen Zusammenhange Dessen, was es gibt, möglich; dennoch gilt es, in diesem Zugammenhange auch Einzelnes und Einfaches anzuerkennen und aufzusuchen.

    Das selbst freilich, dass in der Welt der Erscheinung immer nur Eins mit und durch das Andere bestehen kann, kann leicht dazu führen, und hat dazu geführt, allen Erscheinungen überhaupt die eigentliche Existenz abzusprechen, und als letzten haltbaren und Halt gewährenden Grund ihrer wechselnden Vielheit an sich bestehende, selbstständig seiende feste Dinge dahinter anzunehmen, die mit ihrem Ansich nie in die Erscheinung treten können, vielmehr den ganzen unselbstständigen Schein der Erscheinung sei es durch äußeres Wechselwirken in einander hineinwerfen, oder durch inneres Wirken in sich oder aus sich heraus erzeugen. Denn, sagt man: wenn sich Eins hinsichtlich des Grundes seiner Existenz immer nur auf das Andere berufen will, so fehlt zuletzt ein Grund für alle Existenz; spricht A, ich kann nur bestehen, sofern B besteht, und B hinwiederum, ich kann nur bestehen, sofern A besteht, so haben Beide sich zuletzt auf Nichts berufen. Hat Herbart sich doch durch diese Betrachtung zu einer ganz absonderlichen Metaphysik verleiten lassen. Aber statt dass A und B den Grund der Existenz, den sie nicht einseitig und wechselseitig in einander finden können, nun weiter rückwärts in etwas hinter sich zu suchen haben, was ihrem Schein den Grund und Kern gebe, haben sie ihn in der Totalität zu suchen, von der sie Beide Glieder sind; das Ganze ist der Halt und Kern des Ganzen und alles Dessen, was darin. Wurzel, Stengel, Blatt und Blüte einer Pflanze können ihre Existenz nicht wechselseitig auf einander begründen wollen, sie bestehen als Teile der ganzen Pflanze, die sich in sie geschieden oder vielmehr unter fortbestehendem Zusammenhange unterschieden hat; und die ganze Pflanze, so wie sie uns mit unseren Sinnen erscheint, zugleich mit unseren Sinnen als Teil und in Unterordnung der ganzen einheitlich gebundenen Welt und ihrer das Ganze übergreifenden Gesetze 3). Im Ganzen hat man allen Grund des Einzelnen zu suchen, nicht in etwas Einzelnem dahinter noch Anderem, nach dessen Grunde man von Neuem zu fragen hätte; doch kann man untersuchen, wie und nach welchen Regeln sich das Einzelne zum Ganzen fügt und was die letzten Elemente. Im Lichte, was durch das Ganze scheint, hat man die Klarheit des Ganzen zu suchen, nicht in etwas Dunkelm hinter Welt und Licht; doch kann man das Licht selbst mit höherem Licht erleuchten, indem man die Verhältnisse der Lichterscheinung in sich und zu Dem, was sie bescheint, ergründet.

3) Vergl. die weitere Ausführung dieses Gesichtspunktes in meiner gegen die Herbart’sche Metaphysik gerichteten Abhandlung in Fichte’s Zeitschr. N. F. XXIII. H. l.
 
 
    Also man lasse sich nicht dadurch irren, dass Sichtbares und Fühlbares und Sehen, Fühlen selbst doch nur möglich ist, nach Maßgabe als anderes Sichtbare und Fühlbare und sogar noch mehr als Sichtbares und Fühlbares und Sehen und Fühlen möglich ist, als existiere eigentlich nichts wahrhaft von all Dem, sei noch etwas in seinem Rücken zu suchen, was durch sich existiert. Das, was allein durch sich existiert, ist nicht etwas außer all diesem Schein, ist vielmehr das Ganze, was all diesen Schein selbst einschließt und eben nur in dem Zusammenhange der Erscheinungen seine Existenz führt und beweist. Als Teile, Momente, Seiten von diesem an sich seienden Wirklichen hat dann aber auch der einzelnste Schein seine relative Wirklichkeit, und nur von solcher können wir dem Ganzen gegenüber sprechen. Indes das Ganze ewig bleibt und sich ewig evolviert, verschwindet und vergeht das Einzelne, sofern es nicht wie der Menschengeist zu den ewigen Evolutionsmomenten des Ganzen selbst gehört.

    Bei all dem bleibt eine Erscheinung wohl von dem Gegenstande der Erscheinung zu unterscheiden, und indem wir die, immer nur in irgend welche Subjekte fallende, Erscheinung der Materie für die Grundlage des Begriffes der Materie erklärten, – kann man doch ohne sie gar nicht zu diesem Begriffe kommen, – erklärten wir sie noch nicht für die objektive Materie selbst. Was wir aber Objektives an einem materiellen Dinge finden können, beruht immer nicht in einem unabhängig von den Wahrnehmungen, Erscheinungen rückliegenden dunklen Dinge dahinter, sondern in einem, über die Einzelwahrnehmungen, Einzelerscheinungen, welche das Ding gewährt, hinausreichenden solidarisch gesetzlichen Zusammenhange derselben, von dem jede Erscheinung einen Teil verwirklicht. Die Orange, die ich sehe, kann ich auch tasten, riechen, schmecken, einen Schall von ihr gewinnen, indem ich auf sie schlage, ich kann es nicht bloß jetzt, ich kann es wiederholt; nicht ich allein kann es, unzählige Andere können es, und diese ganze gesetzlich in sich verknüpfte, doch begrenzte, auf eine zusammenhängende Raumerscheinung bezogene, Möglichkeit unzähliger Erscheinungen repräsentiert uns das objektive materielle Ding, das sonach freilich aus mehr als der momentanen sinnlichen Einzelerscheinung oder aus irgend einer endlichen Summe von solchen besteht. Vielmehr bleibt hinter allen Einzelerscheinungen des Dinges immer noch ein Etwas, was unzählige weitere Erscheinungen geben kann, und dies hypostasiert man nun leicht als ein unerkennbares Ding dahinter. Doch ist dies dunkle Etwas eben nichts Anderes als die ungeklärte in sich zusammenhängende Möglichkeit dieser Erscheinungen selbst, die sich an die gegebene knüpfen können, von Erscheinungen nur gleicher Art, als man hier oder sonst vor sich hat; und man erklärt die in sich zusammenhängende Möglichkeit all dieser Erscheinungen nicht durch die Annahme eines festen Dinges dahinter, sondern man erklärt das Ding dahinter, wovon man sprechen mag, indem man es auf diese durch eine allgemeine Kausalität des Erscheinens in Zusammenhang gegebene Möglichkeit zurückführt, indem man in den tatsächlichen Zusammenhang und die Gesetze der Auseinanderfolge des Erscheinens eingeht. So lernt man voraussehen, was sich finden wird, wenn man in den Körper eindringt, den man jetzt an der Oberfläche sieht und tastet, wenn man um ihn herumgeht, wie er erscheinen wird in anderm Lichte, was geschehen wird, wenn man ihn mit chemischen Mitteln behandelt; die Annahme eines Dinges dahinter erklärt und lehrt von all Dem nichts; aber was erklärt und lehrt sie denn?

    Hinter meiner Seele ist so wenig als hinter den Körpern ein dunkles Ding an sich zu suchen, was ihre mannigfaltigen und wechselnden Erscheinungen einheitlich zusammenhielte. Sondern was ihre Erscheinungen zusammenhält, ist etwas diesen Erscheinungen selbst Immanentes und zugleich das Klarste, was es gibt, ist das Bewußtsein der Erscheinungen, dessen Einheit in und mit ihnen erscheint. Wunderlich ist es in Wahrheit, zu dieser absoluten, hellen, lichten, klaren, lebendigen Einheit der Seele noch einen Grund in einem starren, dunkeln, einfachen oder transzendenten Wesen dahinter zu suchen, und zu meinen, dass man damit die Einheit des Bewußtseins klarer oder erklärlicher mache.4)

4) In der ersten Auflage S. 98 folgen noch einige Ausführungen darüber, dass man schon nach einer, in den Sprachgebrauch wohl hineintretenden, Erklärung über den Begriff des Nichts die dunklen Dinge an sich hinter den Erscheinungen für Nichts erklären könne; im Grunde laufe es auf einen identischen Satz hinaus. Ich übergehe dies hier, nicht weil ich etwas davon zurückzunehmen fände, sondern um einen Wortstreit abzuschneiden.
 
 
    Man darf dieser Betrachtung der Dinge nicht vorwerfen, dass sie uns mit dem Wegfall aller festen Anknüpfungspunkte der Erscheinungen in festen Dingen hinter den Erscheinungen in den Fluß, Strudel, Wechsel der Erscheinung rettungslos versenke. Im Gegenteile soll sie gerade dazu führen, wovon die Annahme der festen Dinge abführt, die allgemeinen und festen Einigungspunkte, Haltpunkte, Zielpunkte im Gebiete der Erscheinung aufzufinden. In den Gesetzen der Erscheinung, in der Erhaltung der Materie und wirkungsfähigen Kraft, in der Verknüpfung und Begegnung der Geister durch zusammenstimmende Zeit- und Raumvorstellungen, in den allgemeinen Kategorien des Denkens, in den sittlichen Ideen, und über Alles in der Einigung des Bewußtseins mit ihrer geforderten Gipfelung in Gott liegen solche Punkte. Nun mag man immerhin in diesen höchsten, letzten, allgemeinsten Dingen das wahre Wesen der Welt sehen, und wo sich mehrere solche höhere Gesichtspunkte darbieten, die letzte Verkettung davon selbst noch aufsuchen; gewiß ist nur, dass dies Alles doch nur eben als Kern, Gipfel, Ziel, Abstraktum, immanentes Moment, Band, Totalität einer inneren und äußeren Erscheinungswelt erfaßlich ist, dass es nur etwas Höheres, Allgemeineres, Zusammenfassendes der Erscheinung, nichts Unerkennbares, Unfaßliches hinter der Erscheinung ist.

    Der Begriff einer Substanz, die, ohne Erscheinung zu sein, den Erscheinungen bleibend, ewig, unveränderlich bedingend unterliegt, bleibt damit immer noch bestehen; es wird sogar nicht möglich sein, ohne dies Wort, oder ein anderes von entsprechender Bedeutung überhaupt auszukommen, weil es eine wirkliche Tatsache aufs kürzeste bezeichnet. Nur dass man seine Bedeutung immer eben nur auf diese ganz klare, allen triftigen Verwendungen des Wortes unterzulegende Tatsache, statt auf ein dunkles, starres Wesen zurückzuführen hat, wenn es gilt, zur letzten philosophischen Tiefe zurückzugehen, auf die es doch nicht gilt, überall zurückzugehen. Ich sehe die Sonne; diese äußere sinnliche Erscheinung, die ganz in meine Seele fällt, ist nicht die Substanz der Sonne. Aber ich weiß, und sage damit im Wesentlichen nur schon Gesagtes, es besteht ein solidarisch gesetzlicher Zusammenhang dieser sinnlichen Erscheinung mit einer Möglichkeit unendlich vieler anderen sinnlichen Erscheinungen für mich und Andere; das ist die, mit der objektiven Materie sich identifizierende Substanz der Sonne, die wir im Baum lokalisieren, insofern die Nötigung für uns besteht, ihre Erscheinung auf einen bestimmten, nur in Continuo veränderlichen Raum zu beziehen, dessen objektive Beschaffenheit seinerseits an dem solidarischen Zusammenhange aller Raumvorstellungen der verschiedensten Wesen (über alles voraussetzlich eines, alle Raumvorstellungen zusammenfassenden, göttlichen) hängt. Ich habe einen Gedanken, eine Empfindung; diese einzelne innere Erscheinung ist nicht die Substanz meiner Seele; aber es besteht ein solidarischer Zusammenhang dieser inneren Erscheinung mit unzähligen anderen innern, d. h. durch dieselbe Bewußtseinseinheit verknüpften, Erscheinungen, das ist die Substanz meiner Seele, die psychische Substanz, wozu die physische Substanz meines Körpers gehört. Mein Körper besteht aber nicht aus bleibender materieller Substanz, und so fällt auch die Substanz meiner Seele nicht einfach mit der Substanz meines jetzigen Körpers zusammen, es ist nur der durch allen Wechsel der Materie bleibende organische Zusammenhang und die organische Auseinanderfolge der Tätigkeiten meines Körpers, womit der Zusammenhang der Tätigkeiten meiner Seele in solcher Wechselbedingtheit zusammenhängt, dass wir beides (Zusammenhang der äußeren und Zusammenhang der inneren Erscheinlichkeit) als Sache, desselben Wesens fassen können; indem wir überall als Sache desselben Wesens betrachten, was untrennbar, solidarisch, gesetzlich zusammengehört, was genauer und weiter auszuführen jedoch hier nicht der Ort ist.

    Bewegen sich zwei materielle Substanzen in Beziehung zueinander, so kann man dies freilich nicht unmittelbar darein übersetzen: Zwei Erscheinungszusammenhänge bewegen sich in Beziehung zu einander, wohl aber darein: Die Erscheinungen, die zu beiden gehören, ändern ihren bezugsweisen Ort in einer für die Raumerscheinungen aller Wesen zusammenhängenden Weise. Und so kann es überhaupt bei der Verwendung des geklärten Substanzbegriffes mancher Umstellung der Worte bedürfen, um die Klarheit dieses Begriffes auch seinen Verwendungen zu Gute kommen zu lassen, ohne dass dies etwas in der sachlichen Auffassung desselben ändert.

    Wenn nun dies wirklich die letzte Tiefe ist, in die wir zurückzugehen haben, um den Substanzbegriff und hiermit Materiebegriff aufzuklären, so gilt es doch wie gesagt so wenig, überall in diese Tiefe zurückzugehen, als der Tischler auch nicht auf die letzten Bestandteile seiner Werkzeuge zurückzugehen hat, um etwas damit zu schaffen, genug nur, wenn der Chemiker darauf zurückzugehen weiß, und als man von Verhältnissen der Staaten sprechen kann und oft zu sprechen hat, ohne die Analyse der Staaten in ihre Bestandteile dazu mitzubringen, genug nur, wenn man sie dahinter vorzunehmen weiß. Nur dies Dahinter haben wir anzuerkennen, und so wird der Physiker und Chemiker von materiellen Substanzen, der Psycholog von psychol. Substanzen, Seelen, sprechen können, wie er seither gesprochen hat; so lange er nur so davon spricht, dass nichts jener Analyse des Substanzbegriffes Widersprechendes in seinen Aussagen enthalten sei.