Zusatzkapitel.

    Die folgenden Kapitel gehen auf manche Punkte ein, deren Betrachtung eigentlich über den Zweck einer Rechtfertigung der physikalischen Atomistik hinausgreift, auf deren Inbetrachtnahme aber hier kaum verzichtet werden konnte, weil sie gewöhnlich in untriftiger Vermengung mit denen, welche die physikalische Atomenfrage selbst betreffen, behandelt werden, oder noch untriftiger die Atomenfrage gar von ihnen abhängig gemacht wird, und es daher nicht ohne Belang war, zu zeigen, dass die Atomistik, wenn sie auch an jenen Punkten nicht hängt, doch eine Erörterung derselben nicht zu scheuen hat, die freilich dann auch eine sehr andere Gestalt als im Sinne der Gegner der Atomistik annehmen muß. Nicht in Abrede stelle ich, dass hierbei eigene philosophische Ansichten mit zum Vorschein kommen werden, die man eigentümlich nennen mag, in sofern sie von den herrschenden dadurch sehr abweichen, dass sie sich den gültigen physikalischen genau anschließen; sondere aber eben deshalb diese Kapitel als Zusatzkapitel von den vorigen ab, welche die Begründung der physikalischen Atomistik ganz unabhängig von irgend welchen, also auch meinen eigenen, philosophischen Ansichten über das Wesen von Materie, Kraft, Gesetz u. s. w. auf dem objektiven Boden physikalischer Tatsachen selbst betreffen. In der folgenden, speziell als philosophisch bezeichneten, Abteilung würden diese Zusatzkapitel deshalb keine passende Stelle gefunden haben, weil es sich daselbst vielmehr um einen philosophischen Abschluß der physikalischen Atomistik, als Erklärungen über philosophische Grundbegriffe handelt, wovon hier großenteils zu handeln sein wird.

XIV. Vorbetrachtung.

    Ich glaube nicht zu irren, wenn ich sage, dass so ziemlich in allem Streit der Philosophen unter einander wie mit den Philosophen ein guter Teil Wortstreit ist. Unstreitig ließe sich dieser vermeiden, wenn man sich vor dem Streite, was ein gegebener Begriff sei, immer erst darüber erklärte, was Jeder unter dem dafür gebrauchten Worte verstehen will, wo sich dann der Streit gewöhnlich in der Hauptsache darauf reduzieren würde, ob man den Sprachgebrauch richtig anwendet, oder Recht hat, ihn zu verlassen. Denn das Übrige würde sich meist als etwas Selbstverständliches oder nicht Auszumachendes finden, und sich zeigen, dass man zu einem Streit um etwas Tatsächliches gar nicht gekommen.

    Was ist schön, was ist gut, was ist Geist, was ist Seele, was ist Materie, was ist Kraft, was ist Leben, was ist Sein, Schein, Freiheit, Wille, Individualität, Persönlichkeit, Pflanze, Tier, Zelle, Zellenkern u. s. w., u. s. w. Antworte mir erst, was du darunter verstehen willst; zeige mir es auf, wenn auch nicht mit Fingern, aber durch Worte, die nicht ins Unbestimmte neue Worterklärungen fordern, als etwas, was mehr als Wort; geh zurück bis zu etwas, wo die Vorstellung einen Anhalt findet; ist’s ein Abstraktes, zeige mir den Kreis des Konkreten, aus dem es abstrahiert ist, in solcher Weise, dass die Abstraktion sich von selber wiederholt; ist’s ein Verbindendes, den Kreis, wovon es das Band; eher läßt sich davon gar nicht reden. Dann wollen wir näher zusehen. Du ersparst das besondere Aufzeigen, wenn du stets das im Auge behältst, worauf der Sprachgebrauch schon weist, ist er nur selbst bestimmt, was er freilich meist nicht ist; aber auf Etwas mußt du mit dem Worte weisen, und man muß wissen, was es ist; eher ist gar kein Streit und keine Untersuchung über die Sache möglich.

    Dann aber, wenn man weiß, was du unter jenen Worten verstehen willst, läßt sich fragen, ob es auch so draußen oder drinnen existiert, wie du es vorstellst und der Vorstellung gibst, ob es auch die näheren Bestimmungen, Ursachen, Wirkungen, Zusammenhänge, tatsächlichen Beziehungen, Gesetze, Ziele in Wirklichkeit hat, wie du sie denkst, ob es auch den Wert hat, den du ihm beilegst, vorausgesetzt man weiß erst, was du unter Wert verstehen willst. Und das nur eigentlich sind Dinge, um die es gälte zu streiten. Statt dessen streitet man, was schön, was gut, was Geist, was Materie, was Leben, was Sein u. s. w., u. s. w., indem ein Jeder etwas Anderes darunter versteht und verstanden wissen will, und der Streit betrifft gar nicht das Schöne, Gute, den Geist, die Materie, das Leben, das Sein selbst, sondern eben bloß die Worte, über die man sich nicht versteht.

    In einer Schrift betitelt "Das Sonnensystem oder neue Theorie vom Bau der Welten von S. Sachs" (Berlin, 1850), worin den Astronomen alle möglichen Untriftigkeiten vorgeworfen werden und ein neues Weltsystem aufgestellt wird, kommt S. 193 folgende Stelle vor:

    "Wer steht uns dafür, dass der Stern, den die Astronomen für Uranus halten, auch wirklich Uranus sei?"

    Ich kann in der Tat den Unterschied dieser Frage von den meisten Haupt- und Streitfragen, um welche die Philosophie sich dreht, worin die verschiedenen Systeme einander hart entgegentreten, kaum entdecken, falls man nur recht zum Grunde des Streites geht. Nun ist es gar kein Wunder, dass, wenn Jeder unter demselben Namen einen anderen Planeten versteht, wenn der Eine den Neptun dahin, wohin der Andere die Sonne setzt, das ganze Weltsystem in Frage und Streit gerät, ein Weltsystem immer das andere verdrängt, ja eine Menge zur selben Zeit sich den Platz streitig machen, eine Wechselforderung derselben zur gegenseitigen Ergänzung entsteht, und statt der Schwierigkeit, ein neues zu entdecken, nur die Schwierigkeit besteht, der neuen Entdeckung eine Geltung zu verschaffen, die über den Entdecker selbst hinaus reicht. Bei jedem meint man, man sei in einem anderen Himmel, und der eigentliche Erfolg ist doch nur, man weiß sich in dem alten und den anderen nicht mehr zurecht zu finden.

    Indessen richtet der Astronom unberührt hiervon sein Fernrohr auf das eine System, was immer besteht, und sucht, ob er nicht einen neuen Bürger desselben finde.

    Was ist der Grund, dass es also in der Philosophie steht? Dass man den Grund aller Betrachtung durch die Betrachtung für entbehrlich hält. Wir kommen immer auf diesen selben Grund zurück. Wenn die Begriffe über den Dingen schweben sollen, schwanger von denselben, ehe sie von denselben geboren oder ausgetragen worden, ist es unmöglich, nicht Worte mit Begriffen zu verwechseln, weil Worte wirklich in gewissem Sinne Das leisten, was man von den Begriffen verlangt, d. h. über den Dingen schweben und Alles von sich geben, was man aus denselben holen will. Aber die Dinge und die Verhältnisse der Dinge sind zahlreicher als die Worte, in jeder neuen Stellung kann ein Wort ein Anderes bedeuten und muß es oft bedeuten; die Sprache reicht sonst nicht; so werden die Worte und mit den Worten die Begriffe, die man mit ihnen verwechselt, selbst verwechselbar. Wenn man nicht also endlich immer von den wechselbaren Worten auf unwechselbare, d. i. aufzeigbare Dinge und Verhältnisse der Dinge, die mit und in ihnen aufzeigbar, zurückgeht, in jedem neuen Zusammenhange danach aufs neue fragt, so kann der Streit um Worte kein Ende finden, und dass er ihn nicht findet, beweist eben, dass man nicht bis dahin zurückgeht.

    Zwar gibt es ein Reich des Gedankens über den Dingen, über allem einzeln und handgreiflich Aufzeigbaren, ein Reich des Allgemeinen und Abstrakten; und auch das Abstrakte darf sich unter sich vernehmen; wie aus Blumen, die einzeln und fern von einander stehen, Düfte aufsteigen, sich kreuzen und begegnen und dadurch einen Verkehr der Blumen über den Blumen selbst begründen. Wenn aber der Blumenrauch in größter Ausbreitung, Höhe und Verfeinerung nicht mehr zusammenhängt mit seiner Esse, ist’s eben kein Verkehr der Blumen mehr, wird es die tote, willkürliche Mischung des Destillateurs und Pharmazeuten, wird es das Verfahren der Philosophie mit ihren abstrakten Worten und Begriffen; man kennt die Quelle derselben nicht mehr.

    Muß es so sein? Aber betrachten wir doch der Philosophie die Mathematik gegenüber. Die abstrakten Begriffe und Operationen des Mathematikers, mit denen er weit über die Dinge hinaus einen Verkehr der Dinge selbst vermittelt, sind doch alle in letzter Instanz am Aufzeigbaren erläuterbar, die l, die 2, das Zufügen, das Multiplizieren, die Unendlichkeit selber, als ein Gehen weiter, immer weiter und nimmer Fertigwerden, ein negativ Aufzeigbares in sofern, als ein Ende eben nicht aufzeigbar, nicht vorstellbar einmal, also soll auch ein Ende beim Unendlichen nicht vorgestellt werden. Darum ist in der Mathematik ein Wortstreit kaum möglich und hiermit bleibt beinahe kein Streit in ihr übrig; es handelt sich bloß um neue Entdeckungen und neue Methoden; und so meine ich auch, es würde in der Philosophie wenig Streit übrig bleiben, wenn man den Wortstreit überwunden hätte; es würde aber auch hiermit wenig von der ganzen bisherigen Philosophie übrig bleiben und die eigentliche Philosophie der Dinge erst beginnen.

    Wie viel hat man darüber geschrieben, was der Philosophie not tut, in unseren Zeiten zumal, wo sie in so großer Not ist; wo hat man nicht ihren Hauptschaden gesucht; wie viel Vermittelungs- und Besserungsvorschläge hat man nicht gemacht; und das Grundübel, an dem Alles hängt, mit dem wenigstens alles Übel in der Philosophie zusammenhängt, ohne dessen Hebung es nur anders, nicht besser werden kann, berührt man kaum, um nicht an den eigenen schweren Schaden mitzurühren: dass man die Worte ohne klare und bestimmte Erläuterung und Erläuterbarkeit durch Anfzeigbares und Vorstellbares verwendet. Man gibt das Dasein und den Übelstand des unklaren Wortverstandes und des Wortstreits zu, als hänge hier und da etwas daran, und sieht nicht, dass die Philosophie mit ihrer ganzen Tiefe in diesem Übelstande aufgeht; man gibt ihn zu wie einen Splitter, indes man selbst einen Balken dazu beiträgt, und aus solchen Balken ist das Haus der Philosophie gezimmert; das ist sein Fundament und Gipfel.

    An den transzendenten Begriffen des Dinges an sich, des Ich, des Absoluten, des Seins, der einfachen Qualität hängen zuletzt die philosophischen Systeme; doch diese Nägel sind alle Luft in Luft geschlagen; denn was bedeuten diese Worte? Etwa Abstraktionen aus der Welt der Erscheinung? Dann möchten sie etwas Selbstverständliches, doch was nicht über das Selbstverständliche hinausführt, bedeuten; im transzendenten Sinne aber, in dem sie wirklich verstanden werden sollen, bedeuten sie etwas, was nicht verstanden werden kann, oder auf unendlich verschiedene Weise verstanden werden kann, und somit auch in das Unverständliche oder von Jedem anders Verstandene hinausführt.

    Man kann zugestehen, dass auch in dem Streite der atomistischen und der dynamischen Ansicht, wie er zumeist geführt wird, ein Teil nur Wortstreit sei, abhängig davon, dass die dynamische Ansicht die Worte Kraft, Materie, Raumerfüllung anders braucht und versteht, als die atomistische Ansicht; ja es wäre eine sonderbare Ausnahme, wenn nicht in der Diskussion innerhalb oder mit der Philosophie hierüber wirklich das Meiste zuletzt auf Wortstreit hinausliefe. Wir haben aber unsererseits im Bisherigen gesucht, den Streit um Worte auf einen Streit um Tatsachen zu reduzieren, indem wir statt der Frage, was man unter jenen Worten verstehen will, ausdrücklich immer nur die Frage ins Auge gefaßt haben, ob Das, was der Physiker nun einmal darunter versteht, auch nach Tatsachen existiert, so wie er es versteht. Was er aber unter den von ihm gebrauchten Worten versteht, unterliegt keiner Zweideutigkeit, weil er sie stets im Sinne des Sprachgebrauchs oder mit genauer und nicht mißzuverstehender Erklärung über etwaige Überschreitung desselben auf Aufzeigbares bezieht und dadurch erläutert. Die Worte bedeuten ihm eben nur das in solcher Weise Aufzeigbare und dadurch Erläuterbare. Die Atome selbst, obwohl nicht direkt als solche, d. h. nicht in Vereinzelung, dem Auge aufzeigbar, sind doch mit geistigen Händen der Vorstellung so leicht und fest zu greifen, als ganze materielle Klumpen mit den leiblichen, weil sie eben nur als kleine Klumpen nach den großen vorzustellen, und weil der Weg selbst klar vorstellbar ist, auf dem man von den größeren zu den kleinen kommt, durch fortgesetzte Teilung, bis es nicht weiter mit den Mitteln und den Kräften geht, die dem Physiker und Chemiker zu Gebote stehen.

    Aber, sagt der Philosoph, ihr sprecht von Atomen als kleinen Teilen der Materie, und wißt nicht einmal zu sagen, was Materie selber ist; so schweben eure atomistischen Vorstellungen doch zuletzt im Unsicheren und Leeren.

    Im Gegenteil, die Materie ist dem Physiker das Handgreiflichste, was es gibt, indem eben das Handgreifliche die Materie des Physikers ist, und nur der Philosoph verflüchtigt ihren Begriff ins Unvorstellbare, Unsichere und Leere, zieht ihm die Basis unter den Füßen weg, stürzt ihn kopfüber.

    Ich will, weil ich doch vorauszusetzen habe, dass der Philosoph den Physiker endlich dahin treiben wird, sich über den Begriff der Materie näher zu erklären, obwohl es vielmehr Sache des Philosophen als des Physikers ist, das Faktum der Materie auch begrifflich zu bearbeiten, kurz zeigen, wie es sich für den Physiker hiermit stellt; und wenn man die folgende Erklärung darüber nicht explizite in irgend einem physikalischen Lehrbuch findet, so ist sie doch implizite in allen enthalten, indem sie nichts als die einfache Darstellung der Weise ist, wie der Physiker die Materie faktisch faßt und behandelt.