XI. Ästhetischer Gesichtspunkt. Vorwurf, dass die Atomistik eine zersplitternde oder materialistische Weltanschauung mitführe oder begünstige.

    Leichter und geläufiger, als die Atomistik durch wissenschaftliche Gründe zu widerlegen, ist es dem Philosophen von jeher gewesen, sie durch Bezeichnung derselben als einer groben, materialistischen, mechanischen, geistlosen, spieligen, willkürlichen, dem ästhetischen Urteil zu verleiden; aber die Zurückwendung dieser Waffe ist nicht minder leicht. Zwar kann auf diesem Wege unstreitig überhaupt nichts entschieden werden, doch da der Gegner ihn so gern betritt, sich hier am meisten im Vorteil hält, und namentlich es liebt, den außerhalb der Philosophie Stehenden einen ästhetischen Schreck vor der Atomistik einzujagen, muß es wohl erlaubt sein, ihm auch auf diesem Wege mit einigen Worten zu begegnen; es soll aber so geschehen, dass, statt uns in Allgemeinheiten zu ergehen, wir nichts tun, als die Verhältnisse beider Ansichten anschaulich einander gegenüber stellen; denn die Anschauung ist ja der Boden des ästhetischen Urteils. Und ganz gleichgültig kann ein solches doch nicht gelten; denn die Schönheit ist ja der Wahrheit Schwester. Wir fragen also jetzt nicht mehr: wie bewährt und beweist sich die Atomistik auf Unterlagen der Erfahrung dem prüfenden und sichtenden Verstande, der kombinierenden und richtenden Vernunft, sondern einfach: wie erscheint und gefällt sie dem gesunden Blick, wie spricht sie den Geist an, der in der Schönheit auch die Wahrheit ahnt? Aus diesem neuen Gesichtspunkte mögen die schon besprochenen Verhältnisse kurz noch einmal durchlaufen werden.

    Und so frage ich zuvörderst dem Dynamiker entgegen, der das zerstückte Wesen der Atomenwelt schilt, indem er ihre durchsichtige Gliederung mit Zerstückelung verwechselt: ist es denn eine schönere und erbaulichere Ansicht von der Welt, selbe mit einem zusammenhängenden Klebwerk ausgefüllt zu denken, wo nichts sich wahrhaft scheidet, nichts Platz hat, bei Bewegungen auszuweichen, es sei denn, dass es den Nachbar quetsche. Der Himmel, in dessen Ordnung wir den Gipfel der Schönheit und Erhabenheit sehen, mit seinen einzelnen Bällen, die sich so weit als möglich von einander halten, gibt uns wohl ein ander Beispiel. Warum nennt ihn der Dynamiker nicht auch eine zusammenhanglose, grobe, materialistische, mechanische, tote, spielige Veranstaltung? Er ist nichts als ein atomistisches System im Großen, wie das des Physikers ein Kosmos, ein schmuckvoller Bau nur im Kleinen.

    Nach der atomistischen Ansicht ist jeder Körper ein System, sich gliedernd und untergliedernd in größere, kleinere Gruppen, endlich Teilchen, die sich durch wirksame Kräfte gegen einander in Abstand, Ordnung, Schwebe halten, Alles individualisiert bis ins Einzelnste und doch verbunden zum haltbarsten Ganzen. Jeder Anstoß eines Körpers regt jedes seiner Teilchen zu einer besonderen Bewegung an; aber die Kraft- und Gesetzesbeziehungen, in denen alle stehen, verknüpfen die Oszillationen aller zu einem gemeinschaftlichen und sukzessiven Tanze, mit dem der Ton sich gattet, im Kleinen vorspielend, was im Menschenreiche im Großen mit Sinn und Gefühl nachgetan wird. Jeder Ton, der einfach in den Raum hineinklingt, bezeugt nichts weiter als eben den Einklang der Bewegungen aller. Die Harmonie der Sphären, eine Fabel in der großen Welt, verwirklicht sich hier in der kleinen. Der Stoß in dieser Welt ist gar kein wahrer Stoß im Sinne des Dynamikers, woran dieser den Begriff des Mechanismus knüpft; in seiner Welt allein vermag er ihn zu finden. In der Atomenwelt weicht jedes Teilchen anmutig bei Seite oder tritt zurück, je nachdem mehr Platz hier oder da, wenn sich ein anderes nähert, und gönnt ihm zeitweis seine Stelle; nur eben in der dynamischen Welt stößt, quetscht und zerquetscht sich das Nachbarliche. Doch ob das Teilchen seinen Ort zeitweis aufgibt, verlangt es ihn auch wieder und nimmt ihn wieder ein, so lange die allgemeine Ordnung des Dinges nicht zerbricht oder sich nicht dauernd verschiebt (Elastizität und deren Grenze). Aber auch einträchtig rücken sie bald zusammen, bald von einander, je nachdem es kalt oder warm, wie es die Menschen nachtun, und gatten sich wie sie, und verkehren wie sie mit einander, nicht indem sie durch einander, sondern zwischen einander durchgehen und darum auch wieder ungeändert zwischen einander hervorgehen (chemische Verhältnisse). Und nicht bloß indem sie sich mit diesen oder jenen anderen zusammenstellen, auch indem dieselben sich in andere Ordnung stellen, gibt es ein ander Ding (Isomerie). Und wo sie sich nach einer Richtung anders ordnen als nach der anderen, erlangt das Ding nach verschiedenen Richtungen verschiedene Eigenschaften (Verschiedenheit der Ausdehnbarkeit, des Blätterdurchganges, der Härte u. s. w.). Von der Sonne zur Erde stehen in langer Reihe die Boten und rufen sich des Lichtes Botschaft zu, und rufen sie noch fort durch die Straßen der Luft und des Kristalls, bis sie gelangt in den inneren Haushalt der Erde, wo der Ruf darin sein Ende findet, dass er das Wirken und das Schaffen anregt (Fortpflanzung und Absorption des Lichts), Und wie im großen Haushalt des Himmels die großen Massen die kleineren an sich gefesselt halten nicht durch starre Bande, sondern in lebendigen Kreisen, so kreisen in dem kleinen irdischen Haushalt um wägbare Zentra die unwägbaren Zentra, ihre Bahnen bald erweiternd, bald verengernd (gebundene Imponderabilien und Spiel derselben).

    Wie licht ist es in allen Räumen der Atomistik! Wie im Kristallpalast sieht man durch lauter Fenster. Das, was wir Fenster nennen, hat da erst wahre Fenster; Das, was wir dunkel nennen, strahlt doch von innerer Helle.

    Der Geist tritt auf und fragt, was habe ich mit euch zu schaffen? und die Atome sagen: wir breiten unsere Einzelnheiten deiner Einheit unter; das Gesetz ist der Heerführer unserer Scharen, du aber bist der König, in dessen Dienste er sie führt.

    Dies Alles, so organisch Gefügte und Geknüpfte, bis ins Letzte abwärts Gegliederte, bis ins Feinste Individualisierte, Ausgearbeitete, Geordnete, eine unendliche Tätigkeitsfülle Entwickelnde, im Begrifflichen handgreiflich, im Handgreiflichen begrifflich Bestimmte, jeder klaren Konstruktion sich Bietende, der Herrschaft von Zahl, Gesetz und endlich Geist sich Fügende, fließt für die Anschauung des Dynamikers klumpig zusammen und verflüchtigt sich für den Begriff in allgemeine, vieldeutige und vielspaltige Abstraktionen.1) Und das sind keine leeren Insinuationen, sondern aufzeiglich ist es so. Und wenn er jenes Alles eine Spielerei nennt, weil es in der Tat zu seiner Erbaulichkeit und Beschaulichkeit noch lustig und ergötzlich scheint, das Kind mit dem atomistischen Baukasten noch spielen möchte; so liegt doch ein hoher Ernst in diesem scheinbar kindischen Spiel, so haben doch die ernstesten und strengsten Betrachtungen darauf geführt und das Größte in der Natur spiegelt sich nur im Kleinsten der Natur. Wie oft aber knüpft sich auch sonst ein Extrem an das andere. Ich sage, die ernstesten und strengsten Betrachtungen haben auf Das geführt, was der Dynamiker für eine Spielerei ausgeben möchte, weil es nur dem Spiel der Dinge, nicht dem Spiel seiner Begriffe entspricht. Oder wollen die Dynamiker behaupten, dass die Forschungen eines Laplace, Poisson, Fresnel, Cauchy, W.Weber und so vieler anderen Mathematiker und Physiker, die diesen Weg gegangen, minder streng sind als die ihren, dass sie um Spielens Willen ihn gegangen?

1) Von verschiedenen Seiten ist mir bezüglich dieser (hier unverändert wiedergegebenen) Stelle der ganz unbegründete Vorwurf gemacht worden, ich lege der dynamischen Ansicht unter, dass sie die ganze Körperwelt in eine unterschiedslose Masse zusammenfließen lasse, während ich damit nur sage, dass sie die, von der Atomistik behauptete, letzte Gliederung der Körperwelt, wovon ich eben gesprochen (dies Alles, nicht schlechthin Alles) für die Anschauung klumpig zusammenfließen lasse, im Übrigen aber selbst darauf hinweise, dass sie ja doch die Tatsache und den Wert der Gliederung der Welt im Sichtlichen und Großen anerkenne, also nicht im Kleinsten leugnen solle. (Vergl. Fichte’s Zeitschr. 1857. S. 169. XXXIII. S. 182.)
 
 
    Blicken wir von der Welt des Kleinsten in die größere Welt, die wir nicht erst durch Schluß und Hypothese zu konstruieren nötig haben, in der wir wohnen, mit der wir durch Anschauung lebendig verkehren, so zeigt sich überall unmittelbar der Vorzug des atomistischen Prinzips, und das atomistische System tut eben weiter nichts als Das, was uns im Großen so vorzüglich scheint, bis in das Kleinste durchbilden oder bis zu seiner unteren Grenze und hiermit seinem unteren Grund verfolgen.

    Eine Säulenreihe mit einzelnen Säulen ist doch schöner als eine zusammenhängende Wand; ein Klavier mit einzelnen Tasten und Saiten reicherer Harmonien und Melodien fähig als ein Brett, Balken und Seil; ein Buch mit einzelnen Blättern einsichtiger und inhaltsvoller als ein Stück Papiermache! Ja, wenn man sieht, wie sogar der Fluß der Melodien, die einheitlichen Harmonien der Musik selbst nicht aus fließenden, sondern atomistisch von einander abgesetzten Tönen hervorgehen, die ganze Skale nur durch solche schreitet; wie der Geist, das einheitlichste Wesen, was es gibt, sich draußen an eine Zusammenstellung von diskreten Buchstaben, drinnen an eine Zusammenstellung von diskreten Hirnfasern knüpft; wie in der Menschheit die Menschen sich atomistisch gegen einander stellen, eine Armee, von einem Geiste regiert, doch nur aus einzelnen Individuen besteht; wie jedes Menschen Schritte, Worte wieder das atomistische Prinzip befolgen; so sollte man an solchen Beispielen das atomistische Prinzip wohl anders würdigen lernen, als es vom Dynamiker geschieht. Alle Schönheit, alle Einheit, alle Kraft, aller Geist der Dinge hängt ja sichtlich am atomistischen Prinzip. Der Philosoph nennt die Atome Sand, und es sind Buchstaben der Dinge.

    Nun freilich können die Atome weder die Schönheit, noch die Einheit, noch die Kraft, noch den Geist der Welt durch sich selbst allein machen; sie können sich vielmehr all dem bloß unterbauen; sie sind nichts als das unterwürfigste Substrat; aber es zeigt sich doch, sie sind das passendste Substrat. Der Dynamiker aber will den Stoff gleich durch sich selber binden, und wirft nun dem Atomistiker, der das Band erst höher hinauf sucht, vor, dass er die Welt zersplittert.

    In der Tat, hört man den Dynamiker, so kann man freilich leicht glauben, der Streit zwischen dynamischer und atomistischer Ansicht sei wesentlich ein Streit um Zusammenhang und Zusammenhangslosigkeit der Welt; ja der Dynamiker legt gern einen Hauptgesichtspunkt des Streits hierein. Nun mag gegen manche ältere und namentlich die älteste Auffassung der Atomistik der Vorwurf wirklich gerecht sein, dass die Welt dadurch zu einem zusammenhangslosen Aggregat werde; allein wer hiergegen noch kämpfen wollte, würde nur gegen verfallene Windmühlen kämpfen. Die heutige Atomistik der Physiker trift dieser Vorwurf nicht; das alte Korn, aus dem sie aufgewachsen, ist längst zergangen. Sie findet freilich keinen Zusammenhang in der Materie, noch sucht sie ihn darin, aber, wie schon angedeutet, über der Materie, in einem, alle Materie und ihre Bewegung beherrschenden, ihren Kraftzusammenhang knüpfenden Gesetze; ist dies nicht Zusammenhang genug auf ihrem Gebiete? und sie hindert dabei nicht, wie wir nur eben geltend gemacht, noch den anders oder höher liegenden Gesichtspunkt der Verknüpfung der Existenz in geistiger Einheit anzuerkennen; nur dass sie als eine Lehre vom Körperlichen sich hiermit nicht zu beschäftigen hat. Die Atome bleiben als solche immer nur Elemente der Körperwelt, die Physik hat sie also auch nur zu Konstruktionen des Körperlichen zu verwenden; doch leugnet sie darum noch nicht Geist und Gott, und verlangt nur dagegen, dass man um Gottes und Geistes willen nicht die Atome leugne, die keinen Widerspruch dagegen enthalten, vielmehr den Boden pflastern, auf dem das Höchste steht und geht.

    Es muß doch jedenfalls Wege geben, mit einer streng atomistischen Ansicht die Ansicht vom durchgreifendsten teleologischen, Kraft- und geistigen Zusammenhange zu vereinbaren, da ich selbst diese Möglichkeit mit meinen Ansichten verwirkliche. Nun mag man diesen Ansichten widersprechen, so widersprechen sie dafür anderen Ansichten.

    Nachdem man schon ein Band der Welt erst in der Zeit, dann im Raume, dann in der Bewegung, dann in Kraft und Gesetz, dann in Geist und Gott hat, sollte man meinen, es wäre endlich daran genug, und endlich nach allen Banden auch etwas erwünscht, ja notwendig anzunehmen, was gebunden wird; und mag sich Vieles in der Welt wechselseitig binden, so ist doch Gott der absolut Alles in sein Band Fassende, welchem gegenüber man nun auch etwas erwarten und fordern kann, was ohne Band an sich nur da ist, ins Band gefaßt zu werden, hiermit zugleich den Bändern der Welt feste und letzte Ansatzpunkte zu gewähren. Das sind die Atome. Was hat der Dynamiker dafür? So ist der Gegensatz der atomistischen und der dynamischen Welt in der Tat nicht der, dass jene ein zerfallenes, diese ein gebundenes Wesen, sondern dass jene ein ins Letzte gegliedertes, diese ein verschwommenes Wesen, jene ein Wesen mit festem Knochenbau, diese ein Mollusk ist.

    Wodurch unterscheidet sich doch ein lebendiger Mensch von einer marmornen oder töpfernen Statue? Zuvörderst unstreitig dadurch, dass ersterer Geist, Seele und willkürliche Bewegung hat, letztere nicht. Aber noch durch etwas: auch dadurch, dass jener bis ins Innerste und Feinste organisiert, gegliedert ist, letztere nur eine oberflächlich sichtbare Gliederung und Gelenkung zeigt. Und wer kann zweifeln, dass der Geist des Menschen selbst wesentlich mit solcher Organisation zusammenhängt. Im Verhältnis der atomistischen und dynamischen Welt findet man aber nur tiefer gefaßt ganz das Verhältnis zwischen der Gliederung des Organismus und der Töpferstatue wieder. Dort reicht sie bis ins Unbestimmte, hier bleibt sie bei einer im Groben mit sinnlichen Augen sichtbaren Grenze stehen. Was hilft es nun, wenn man die Statue mit schönen Worten bearbeitet, sie bleibt ein totes, unaufgeschlossenes Werk, weil ihr die innere Ausarbeitung, Gliederung, individuelle Regsamkeit fehlt.

    Die dynamische Ansicht erkennt die Zelle an; jeder Organismus ist eine Verknüpfung von unsäglich vielen Zellen. Also widerstrebt es der Idee des Organismus nicht, aus Einzelnheiten verknüpft zu sein. Von jeher galt den Philosophen die Welt als ein nur allgemeinerer Organismus wie der unsere. Nach Maßgabe nun, als man vom menschlichen Organismus zu einer allgemeinern Verknüpfung mittelst der Philosophie aufsteigt, steigt man zugleich mittelst der atomistischen Ansicht zu einer feineren Gliederung ab. Die dynamische Ansicht steigt wohl zu derselben Höhe auf, aber indem sie in dieselbe Tiefe herabsteigen will, versinkt sie in den Sumpf der kontinuierlichen Materie.

    Der Philosoph sagt etwa hiergegen: mögen eure Atome noch so sehr durch Gesetz und Geist verknüpft erscheinen, aber die Begriffe Atom, Gesetz, Geist selbst sind nicht verknüpft; und können durch den Atomistiker überhaupt nur in äußeren Zusammenhang gebracht und ein solcher nur empirisch und äußerlich von ihm aufgezeigt oder begründet werden. Aber wenn sich doch der atomistische Zusammenhang empirisch aufzeigen oder begründen läßt, wie wir im Bisherigen getan zu haben meinen, und weiter reicht die Aufgabe der Physik als solcher nicht, so muß er sich auch begrifflich aufzeigen und begründen lassen; und wenn es die Philosophie nicht tut, so tut sie eben nicht ihre Schuldigkeit, und wenn sie es nicht vermag, so zeigt sie damit eben ihr Unvermögen, beweist sie damit eben, dass sie im Leeren steht, und aus dem Leeren ins Leere baut. Gesetzt aber, der dialektische Zusammenhang im neueren Sinne, den manche unserer Gegner unstreitig als den allein bedeutsamen und wesenhaften im Auge haben, sei wirklich als solcher anzuerkennen, wo läge denn das Hindernis, die Atomistik auch in diesen Zusammenhang zu bringen, in den Formeln dieser Methode auszudrücken? Der Begriff der Diskontinuität der Materie ist gegen den dialektischen Prozeß nicht im mindesten spröder als der der Kontinuität; ein einziger Schlag der dialektischen Wippe reicht ja hin, das Eine in das Andere zu verkehren; ein Jeder hat die Schläge, die Zahl, die Folge derselben ganz in seiner Hand; der Dialektiker ist überhaupt nach den bisherigen Erfahrungen darin Gott gleich, dass seine Macht so weit reicht als sein Wille. Ja, fragen wir die Dialektiker selbst auf das Gewissen, ob sie nicht schon vor Anwendung des dialektischen Prozesses über sein Resultat hinsichtlich der Atomenfrage mit sich im Reinen waren. So führt sie nicht der dialektische Prozeß dazu, dessen Wirbeln sie, wie die Tischrückenden den Kreisbewegungen des Tisches, zu folgen scheinen und zu folgen meinen, indes er doch nur ihrem geheimen Impulse folgt. Ob aber rechts oder links, ist eines so leicht als das andere. In der Tat, nachdem das Schema und die Freiheit des dialektischen Prozesses kein Geheimnis sind, sehe ich nicht die geringste Schwierigkeit, das bindende Gesetz, den bindenden Geist als höhere Negationen oder Aufhebungen einer an sich diskontinuierlichen Hyle, und diese selbst als Negation des leeren Raumkontinuums in irgend welcher Stufenfolge so gut dialektisch abzuleiten, als nun eben die dialektischen Ableitungen sind. Ja statt der dialektischen Ableitung zu widersprechen, könnte die Atomistik fast zu einer solchen verführen; so leicht kann man durch Negationen, die aus der Tiefe metaphysischer Begriffe selbst herausgeholt scheinen, zu ihr gelangen, wenn man nur will. Gewiß zwar würde kein anderer Dialektiker, der seine Richtung schon anders genommen, etwas auf unsere Ableitung geben; aber eben damit würde sie ganz denselben Erfolg erreichen, den alle dialektischen Ableitungen einander gegenüber bisher erreicht haben, die des Meisters der Dialektik nicht ausgenommen, und hiermit um so mehr beweisen, dass sie im Geiste der wahren Dialektik ist.

    Also man lege nicht als eine Unfähigkeit der Atomistik aus, was in der Tat nur eine Unwilligkeit von uns ist, die darin liegt, dass wir nicht eine Methode brauchen mögen, mit der man nicht nur die Atomistik, sondern überhaupt Alles erreichen kann, was man will. Denn die Negation des Begriffes ist eine Nacht, in der nicht nur alle Kühe schwarz sind, sondern in die man auch alle Kühe einschwärzen und also freilich nach der Wiederaufhebung zum Tage den Begriff um sie bereichert wiederfinden kann; nur hat nicht die Aufhebung und Wiederaufhebung von Tag zu Nacht und Nacht zu Tag die Bereicherung gebracht, sondern die Kühe mußten sich vielmehr dazu auf ihre eigene Weise fortpflanzen, und gehen dann freilich leicht, wohin man sie treibt.

    Jedenfalls kann es so wenig gegen die Atomistik beweisen, dass sie bisher noch nicht dialektisch, überhaupt nicht metaphysisch, begründet worden ist, als es gegen die Undulationstheorie beweist, dass ihr dies noch nicht widerfahren ist. Die Undulationstheorie wird trotzdem ihren Platz behalten und Beides sind Lehren gleicher und in sich zusammenhängender Ordnung.

    Aber warum haben doch alle Dialektiker es einstimmig verschmäht, sich auf die Atomistik einzulassen? Unstreitig darum, weil die Forderung fester Begriffe, welche die Atomistik stellt, die festen Anknüpfungspunkte der Betrachtung, die sie gewährt, der Flüssigkeit der Methode nicht zusagen; weil die Atome ihr wie Steine im Wege liegen. Man mag noch andere Gründe finden, sie bedeuten aber alle eben so wenig eine Unfähigkeit der Atomistik, dialektisch bewiesen zu werden, als vielmehr nur die Unmöglichkeit, den Geist der Atomistik mit dem Geist der dialektischen Methode zu vereinbaren. Und hierin liegt kein Beweis gegen die Atomistik, sondern eben nur der Streit mit der Atomistik.

    Dass die atomistische Ansicht nicht materialistischer als die dynamische ist, möchte wohl in sofern selbstverständlich sein, als nach der atomistischen die Materie nur fein verteilt im Raume schwebt, des Leeren mehr ist als des Vollen (da die Dimensionen der Atome sehr klein, ja selbst verschwindend gegen ihre Abstände angenommen werden), indes nach der dynamischen der Raum mit Materie ganz ausgegossen ist. In der dynamischen Welt hat der Raum selber keinen Platz vor der Materie, und der Geist, anstatt den Raum frei durchfliegen zu können, wie in der Atomistik, mit immer neuen Ruhepunkten, kann ihn nur durchwaten. Zwar zwischen den Weltkörpern werden doch die meisten Dynamiker auch eine Leerheit von wägbarer Materie und, sofern sie dem Unwägbaren kein Stoffliches unterlegen, von Materie überhaupt zugestehen und nur jenes Hinüberreichen der Kräfte von einem Weltkörper zum anderen annehmen, was der Atomistiker eben so und in demselben Sinne zwischen seinen Atomen nicht nur zugesteht, sondern fordert. Aber um so schlimmer für das Aussehen, was die dynamische Ansicht gewinnt, wenn der harte Gegensatz zwischen ganz kompakten Klumpen und ganz leerem Raume nun im Großen zugestanden und im Kleinen geleugnet wird; das heißt doch, die Ansicht von der Welt recht im Groben halten, das heißt, die Welt aus Klötzen bauen; wogegen in der atomistischen Ansicht die Weltkörper gleich keine kompakten Klumpen sind, nur engere Systeme im weiteren Systeme. Der Dynamiker sollte in der Tat bedenken, dass er durch Verwerfung des feineren Atomismus dem allergröbsten anheimfällt. Oder wäre es eine feinere idealere Ansicht, vielmehr kompakte, den Raum erfüllende Atome so groß wie die Weltkörper, als solche von unbestimmbarer Kleinheit anzunehmen? Und darauf läuft zuletzt der ganze sachliche Unterschied des dynamischen vom atomistischen System heraus.

    Hierauf sagt nun wohl der Dynamiker: für uns besteht zwischen den Weltkörpern und dem krafterfüllten Raum dazwischen von vorn herein kein harter Gegensatz, weil es dieselben Kräfte sind, welche die Materie im Raume bilden, die dann auch durch den Raum durchwirken. Aber es fragt sich entgegen, was ihn dann hindert, dieselbe Betrachtung auch auf die Atomenwelt zu übertragen, was ihn veranlaßt, im Reiche des Kleinsten eine kontinuierliche kompakte Raumerfüllung der Art zu fordern, dass jeder Punkt als Kraftzentrum dienen könne, da er sich doch im Großen mit einer Raumerfüllung in weiten Distanzen durch nicht handgreifliche Kräfte in der Art begnügt, dass die Punkte im Zwischenraum nicht als Kraftzentra dienen können. Das ist der Punkt, um den sich’s streitet. Verlangte der Dynamiker auch in der Atomenwelt zur Raumerfüllung nur ein Hinüberreichen der Kräfte von einem Zentrum zum anderen, wie zwischen den Weltkörpern, so wäre er ja ganz mit uns einig, denn diese Art Raumerfüllung geben wir auch in der Atomenwelt zu; nur wird jeder mit uns zugeben, dass beide Arten Raumerfüllung aus faktischen Gesichtspunkten sich unterscheiden lassen und also auch zu unterscheiden sind.

    Nun freilich meint der Dynamiker darin selbst etwas vor dem Atomistiker voraus zu haben, dass er die Materie in letzter Instanz in Kräfte geistiger oder begrifflicher Natur auflöse. Aber das berührt die Atomenfrage gar nicht, und würde, wenn es sonst statthaft wäre, durch die Atomistik nicht mehr gehindert als durch die Astronomie. In der Tat, da die großen Weltatome sich dieser Auflösung für den Dynamiker fügen, so könnten die kleinen Körperatome dieser Auflösung auch kein Hindernis entgegensetzen. Ein Sandkorn ist so leicht, ja leichter durch dieselben Mittel chemisch aufgelöst als ein großer Kiesel oder Fels. Der Physiker aber befaßt sich als solcher überhaupt nicht mit einer philosophischen Auflösung der Materie, so wenig als einem Baumeister einfallen kann, seinen Sand und seine Ziegel chemisch aufzulösen; das ist Sache des Chemikers, wie Jenes Sache des Philosophen sein mag.

    Liegt nicht aber darin selbst ein starker Materialismus, dass der Dynamiker seine Kräfte so faßt, dass sie in Materie überschlagen? Indem er durch Konstruktion der Materie aus ideellen Kräften oder Aufhebung ideeller Kräfte zur Materie die Materie zu vergeistigen sucht, vermaterialisiert er das Geistige, Ideelle. Die Kräfte des Physikers dagegen sind ganz inkommensurabel mit der Materie und können solche nie aus ihrem Schoße gebären, noch in sie umschlagen; denn alle Kräfte führen sich für ihn zuletzt nur auf Hilfsbegriffe zur Darstellung der Gesetze des Gleichgewichts und der Bewegung zurück, zufolge deren aus bisherigen Stellungen und Bewegungen neue fließen oder die bisherigen beibehalten werden; sind nur Relationsbegriffe, die ihrer Natur nach etwas voraussetzen, wozwischen die Relation besteht. (Hierüber ein Weiteres im 16. Kapitel.)

    Ich glaube endlich diesen Abschnitt nicht besser schließen zu können, als mit folgender Stelle aus dem Schreiben Prof. W. Weber’s an mich, in der er seinerseits den Vorwurf eines groben Materialismus von der Atomistik ablehnt, und auf die wir uns noch künftig zurückzubeziehen Anlaß finden werden.

    "Es kommt", sagt er, "darauf an, in den Ursachen der Bewegungen einen solchen konstanten Teil auszusondern, dass der Rest zwar veränderlich ist, seine Veränderungen aber bloß von meßbaren Raum und Zeitverhältnissen abhängig gedacht werden können. Auf diesem Wege gelangt man zu einem Begriff von Masse, an welcher die Vorstellung von räumlicher Ausdehnung gar nicht notwendig haftet. Konsequenterweise wird dann auch die Größe der Atome in der atomistischen Vorstellungsweise keineswegs nach räumlicher Ausdehnung, sondern nach ihrer Masse bemessen, d. i. nach dem bei jedem Atome konstanten Verhältnisse, in welchem bei diesem Atome die Kraft zur Beschleunigung immer steht. Der Begriff von Masse (so wie auch von Atomen) ist hiernach eben so wenig roh und materialistisch wie der Begriff von Kraft, sondern ist demselben an Feinheit und geistiger Klarheit vollkommen gleich zu setzen."