X. Einwurf, dass die Atomistik die Schwierigkeit nur zurückverlege.

    Weiter macht man der atomistischen Ansicht den Vorwurf, dass sie eine Schwierigkeit der Betrachtung nur zurückverlege, die doch im Grunde der Sache übrig bleibe. Denn, nachdem man zu Atomen gekommen, frage sich ja nun wieder, woraus die Atome bestehen; etwa aus kleineren Atomen mit neuen Zwischenräumen? und woraus diese kleineren Atome? Endlich müsse man doch einmal zu kontinuierlichen Massen oder zu Nichts kommen; warum nicht gleich bei den kontinuierlichen Massen stehen bleiben, die wir sehen?

    Es wird sich zeigen, dass die Alternative gar nicht so besteht, wie sie hier gestellt wird, vielmehr gerade der Abschluß des physikalischen Atomismus in einem philosophischen durch einen Grundbegriff, den noch kein Philosoph ungültig erklärt hat, hierbei vernachlässigt ist (vergl. die folgende Abteilung dieser Schrift); doch handelt es sich jetzt erst um den, eines solchen Abschlusses in der Tat noch ermangelnden, physikalischen Atomismus, wie er in der heutigen exakten Wissenschaft besteht, den man weder mit einem philosophischen verwechseln noch ihm widersprechend halten sollte: genug, wenn er nur auf dem Wege dazu liegt.

    Und so antwortet der Physiker: wir bleiben deshalb nicht gleich bei den kontinuierlichen Massen, die wir sehen, stehen, weil es gar nicht von unserer Willkür abhängt, wo wir stehen zu bleiben haben, und man den nächst notwendigen Schritt darum nicht lassen darf, weil es vielleicht noch nicht der letzte. Der Vorwurf wäre nur dann gerecht, wenn die Physik mit ihren Atomen als diskreten kleinen Massen, in die sich die gröberen gliedern, das absolut Letzte wirklich aufgestellt, den Begriff der Materie philosophisch aufgeschlossen oder abgeschlossen zu haben meinte, indes sie bloß das physikalisch Nächste hinter dem erscheinenden Kontinuum der gröberen Massen damit aufgestellt haben will, es dahinstellend, was in letzter philosophischer Instanz mit ihren Atomen zu machen. Denn darüber zu entscheiden hat sie keine Mittel; indes sie allerdings die Mittel hat, zu entscheiden, dass die groberen Massen zunächst in kleinere diskrete geteilt zu denken sind, die jeder weiteren Auflösung durch irdische Kräfte, wenn auch vielleicht nicht durch Urweltkräfte noch durch den philosophischen Begriff widerstreben. Nichts weiter will und sagt die physikalische Atomistik. Was aber tut der Physiker damit anders, als dass er mit dem Schlusse die Leistungen des Mikroskops, das ihn die Gliederung der Materie schon weiter als das bloße Auge, verfolgen läßt, nur weiter bis zu einer Grenze fortsetzt, wo der Schluß die Basis zu verlieren anfängt, wogegen der Philosoph die Gliederung genau bei der Tragweite des Mikroskops begrenzt haben will. Mit welchem Rechte? Es läßt sich a priori behaupten, dass die Grenze überhaupt nicht aprioristisch bei einem empirischen Punkte bestimmt werden kann; und da wir sie nach oben nicht mit dem Fernrohr erreichen können, vielmehr unaufgelöste, ja endlich wohl noch ungesehene Sternennebel für dasselbe übrig bleiben, warum sollten wir sie nach unten mit dem Mikroskop erreichen oder ihr auch nur relativ naher kommen können? Vom mikroskopischen bis zum mathematischen Punkte ist es genau noch so weit, als in umgekehrter Richtung von der teleskopischen bis zur Weltsphäre, d. h. das Verhältnis der Radien; ist beidesfalls unendlich; was können also noch für Welten von diskreten Punkten in der mikroskopischen Punktsphäre liegen! Soll dieser ungeheure Raum mit Materie vielmehr gestopft als belebt sein? In der Tat liegt hierin kurz der Unterschied der dynamischen von der atomistischen Ansicht.

    Gibt es Wesen, die so hoch über den Weltkörpern stehen, wie wir über den Atomen, so könnten die Philosophen unter ihnen auch sagen: warum doch erst die Welt in Weltkörper zerfällen, da ja doch die Frage erst wieder beginnt, ob die Weltkörper weiter zerfällbar sind? Bleiben wir also lieber gleich bei einer kontinuierlichen Welt stehen. Es leuchtet aber ein, dass ihre Erklärung der Erscheinungen, welche von der faktischen Zerfällbarkeit des Weltgebäudes in Weltkörper abhängen, nicht so triftig sein könnte, als eine solche, welche auf diese Zerfällbarkeit Bezug nimmt. Die Erkenntnis, dass die Körper zunächst in Atome zerfallen, gleichviel woraus wieder die Atome bestehen, ist also nicht eine bloße Zurückverlegnng der Schwierigkeit, sondern ein Fortschritt und ein Überwinden der Schwierigkeit bis zu dem Punkte, wo die Schwierigkeit wenigstens für den Physiker nicht mehr zu heben ist; aber auch kein Interesse mehr für ihn besteht, sie zu heben, in sofern kein Einfluß auf die Erscheinungen mehr davon spürbar ist.

    Wirft man der Philosophie vor, dass sie, nachdem sie so viel über Licht, Magnetismus, Elektrizität spekuliert, doch weder die Undulationen des Lichtes erkannt, noch die faktischen Beziehungen der Elektrizität zum Magnetismus, welche die neuere Physik zu Tage gebracht, auch nur von ferne richtig geahnt, wiewohl es ihr freilich an Wortbeziehungen, die in keine Fakta übersetzbar waren, nie gefehlt, so ist die Antwort bereit, oder welche andere entschuldigende Antwort wäre möglich, dass es eben die Sache der Philosophie nicht sei, die Formen des Empirischen in spezielle Bestimmungen zu verfolgen; nur das Allgemeine und Letzte behält sie sich vor. Warum nicht in Betreff der Gliederung der Körper über das sichtbare Kontinuum hinaus, was in dieser Beziehung mit den Undulationen des Lichts, den feineren Wärmephänomenen auf ganz gleicher Stufe und im innigsten Verbande damit steht, dasselbe zugeben? Auch dies gehört zu den spezielleren Bestimmungen der Formen des Empirischen, ist es auch nicht selbst mehr unmittelbar empirisch. Der Physiker gesteht willig zu, dass er das Letzte hinter dem Empirischen nicht erkennen kann; möchten sie zugestehen, dass sie das Nächste dahinter nicht erkennen können!

    An den Namen Atome, der ohnehin nicht von Allen gebraucht wird, hat man sich nicht zu stoßen. Was der Physiker als Atomistiker verlangt, sind überhaupt nur diskrete, für uns endlich nicht weiter teilbare Massen, in welche die Körper oder zunächst das Molekül des Körpers zu zerfällen; ob sie an sich noch teilbar sind, ist, wie gesagt, nicht seine Sache zu beurteilen. Es kann sich möglicherweise damit eben so verhalten wie mit den Weltkörpern, die in Bezug zu einander wahre Atome sind, weil es keine Kräfte gibt, etwas von dem einen auf den anderen überzuführen; doch sind sie teilbar an sich. Überhaupt drängt sich die Analogie der Atome mit den Weltkörpern dem Atomistiker vielfach und aus verschiedenen Gesichtspunkten auf und oft haben wir schon Anlaß gefunden, darauf Bezug zu nehmen, obschon es doch weder diese Analogie ist, welche ihn auf die Atome geführt hat, noch zur Zeit gehörig von ihm beurteilt werden kann, wie weit sie reicht.

    So kann der Physiker auch gar nicht zu behaupten wagen, dass der Raum zwischen seinen Atomen absolut leer, dass nicht vielmehr ein feines kontinuierliches Wesen sich noch zwischen ihnen erstreckt, was nur auf die Erscheinungen, die er beurteilen kann, keinen Einfluß mehr hat; wie zwischen den Weltkörpern sich der Äther erstreckt, der auf ihre Bewegungen keinen oder nur einen zweifelhaften merkbaren Einfluß hat, und; wenn er nicht durch das Licht erkannt würde, geleugnet werden könnte. Auch zwischen den diskreten Ätheratomen, die der Physiker zur Repräsentierung der Lichterscheinungen noch nötig hat, könnte also nach all seinen Versuchen und Rechnungen noch ein feinerer kontinuierlicher Äther sein. Der Physiker spricht nur nicht von solchen Möglichkeiten, die ihm gleichgültig sind, weil sie ihm nichts leisten. Können sie aber dem Philosophen etwas leisten, so ist es seine Sache, sich damit zu befassen. Und es wäre Leistung genug für ihn, wenn sie ihn in den Stand setzten, sich dadurch mit den exakten Wissenschaften zu vertragen. Der Physiker braucht nur zunächst Atome, nicht zuletzt Atome. Gesteht der Philosoph dem Physiker seine Atome zunächst zu, so kann ihm dieser gern seine Raumerfüllung zuletzt zugestehen; Beides widerspricht sich nicht. Was aber hat unter solchem Zugeständnis des Physikers, das ihn nichts kostet, da er dabei nichts aufgibt, der Philosoph dessen Atomen noch entgegenzusetzen, da er sie doch in letzter Instanz nur leugnet, weil sie seinen Begriffen von Räumerfüllung widerstreben? Ich finde nichts, was ihn nicht dann auch nötigte, dem Dasein der in gleichem Sinne diskreten, doch eben so noch ein feines Fluidum zwischen sich habenden Weltkörper zu widersprechen. Der Physiker aber wird seinerseits um so weniger Grund haben, einer philosophischen Raumerfüllung in letzter Instanz zu widersprechen, da sogar der Begriff der philosophischen Raumerfüllung überhaupt ganz hinter seinen Begriffen liegt. Es kann sich das nicht stoßen, was gar nicht auf einander trifft.

    Nun meine ich zwar nicht wirklich, dass ein solcher zweimal abgezogener kontinuierlicher Äther zwischen den letzten Atomen die Grenzvorstellung ist, auf die man endlich kommen soll, weil sie in der Tat keine wahre Grenzvorstellung im Sinne des atomistischen Systems ist, und der Atomismus sich unstreitig nicht durch eine Transaktion mit der dynamischen Ansicht, sondern nur durch eine reine Zuspitzung in sich zum philosophischen gipfeln kann. Aber im Grunde kann die heutige Philosophie sich eben auch nur gegen einen solchen philosophischen Atomismus der Zukunft, wovon ich im folgenden Teile spreche, nicht gegen den heutigen physikalischen Atomismus wenden, der von unserer voraussetzlichen Grenze noch gar nichts weiß, bis zu etwas absolut Letztem gar nicht geht, und hiermit der heutigen Philosophie noch jeden Raum für eine Hypostasierung ihrer raumerfüllenden Kräfte gibt. Sie fülle nur nicht mit ungreiflichen, zerfließlichen Begriffen den Raum, so weit die Wissenschaft des Greiflichen darin noch etwas greifen und fassen kann.

    Nach Allem ist nicht geleugnet, vielmehr von Anfang an und öfters willig zugestanden, dass die ganze physikalische Atomistik sich noch auf einem Zustande großer Unvollkommenheit befindet und noch eine Menge Probleme, in ihr ungelöst liegen, die sich, in der philosophischen Betrachtung der Dinge gar nicht einmal stellen, weil sie dieselben nur allgemein und obenhin ins Auge faßt. Sofern man auf dem einzig sicheren mathematischen Wege die näheren Verhältnisse der Atome aus den Erscheinungen rückwärts erschließen oder hypothetische Verhältnisse derselben durch Berechnung ihrer Folgerungen an den Erfahrungen prüfen will, findet man die Methoden der mathematischen und mechanischen Wissenschaften selbst bei weitem noch nicht hinreichend dazu fortgeschritten; daher über die näheren Verhältnisse der Atome noch sehr schwankende Vorstellungen unter den Physikern selbst herrschen; aber auch recht wohl herrschen können, ohne dass durch diese Unsicherheit des Besonderen die Sicherheit des allgemeinen Gesichtspunktes selbst gefährdet wird. Vielmehr wird sich Jeder, der nicht sein Meinen von der Sache für die Sache erklärt, bescheiden, dass über Gestalt, Größe, Dichtigkeit, letzte Konstitution, das genaue Gesetz der Kräfte der Atome sich bis jetzt nichts im Einzelnen Bestimmtes sagen läßt, obwohl so viel allgemein Bestimmtes, um die Folgerungen und Vorteile daraus ziehen zu können, und sich aus den Gesichtspunkten daran gebunden halten zu müssen, die wir früher namhaft gemacht. Leistet die Atomistik noch nicht Alles, was man einst von ihr zu erwarten hat, so ist daran zu denken, dass es kein Vorwurf ist, noch ein Kind zu sein; vielmehr dass sie als Kind schon so viel leistet, läßt von ihrer Zukunft Alles noch erwarten.