IX. Einwand, dass ein leerer Raum zwischen den Atomen nicht denkbar sei,
weil der Raum nur in Ausdehnung der Materie bestehe.

    Zu den mannigfachen Einwänden, welche gegen die Atomistik, das abschließende Resultat unzähliger mühsamer Arbeiten am Experimentiertisch, leichten Wurfs vom Studiertisch her erhoben worden sind, gehört insbesondere auch der, dass der Raum als bloßer Formalbegriff gar nicht ohne Materie als haltgebenden Realbegriff gedacht werden könne, nur eben als Ausdehnung der Materie fassbar sei. Ja ich habe aus diesem Gesichtspunkte den Vorwurf hören müssen1) ich habe "gar keine Ahnung von dem Unterschiede des Real- und Formalbegriffes", wogegen ich nur erwidern kann, dass diesem Einwande gar keine Ahnung von dem unterliegt, worauf es hierbei ankommt.

            1) Katholische Literaturzeitung 1855. Nr. 50.

    Sei der Raum ein bloßer Formalbegriff und die Materie der zugehörige Realbegriff, denn ich hindere nicht, dass eine solche Unterscheidung gemacht werde, nur dass sie im Sinne der faktischen Verhältnisse von Raum und Materie gemacht werde, so fragt sich noch ganz, ob dieser Formalbegriff des Raumes in solcher Beziehung zum Realbegriffe der Materie zu denken ist, dass der Raum nur eben als Ausdehnung der Materie zu fassen. Dies aber folgt nicht logisch aus dem Begriffsverhältnis des Formalen und Realen und es ist ein reiner Zirkel, das zu Beweisende hierbei als bewiesen vorauszusetzen. Nicht nur ist der Raum zwischen den Atomen trotz dem, dass er als bloßer Formalbegriff die Erfüllung durch Materie schon im Denken fordern soll, doch denkbar ohne ihn erfüllt zu denken, sonst hätte es zur Atomistik, die im Gedanken so Vieler besteht, gar nicht kommen können, sondern Andere fassen den Raume geradezu nur als Ordnungsbegriff, Beziehungsbegriff zwischen der Materie, was auch rein formale Begriffe bezüglich des Realbegriffs der Materie sind, die aber keine Erfüllung des Raumes durch die Materie voraussetzen. Auch der rein formale Charakter, den das mathematische Größenverhältnis zwischen zwei Körpern trägt, fordert nicht ihr Aneinanderhängen; und so sieht man nicht ein, wie aus dem bloß formalen Charakter des Raumes in Beziehung zur real gedachten Materie überhaupt ein solcher Schluß zu ziehen. Eben so gut kann man den entgegengesetzten Schluß daraus ziehen; ja man hat ihn gezogen, indem Lotze auf den nur anders gefaßten formalen Charakter des Raumes sogar die einfache Atomistik begründet; und es beweist sich hiermit, was ich immer von Neuem urgiere, dass man mit anderer metaphysischer Fassung und Wendung der Begriffe so ziemlich Alles beweisen kann, was man will.

    "Das Ausgedehntsein wird nie denkbar werden, ohne dass wir einzelne Punkte voraussetzen, die außer einander, die durch Entfernungen von einander getrennt sind, die endlich durch die Wirkung ihrer Kräfte oder durch ihre gegenseitigen Einflüsse überhaupt einander die Orte bestimmen, welche sie einnehmen. Diese Unterscheidbarkeit vieler Punkte ist nicht eine beiläufige Folge der Ausdehnung, sondern sie ist das, worin ihr Begriff selbst besteht; wer den Namen der Ausdehnung ausspricht, bezeichnet damit eine Eigenschaft, die nur gegenseitige Beziehungen von Mannigfachem, nur Nichteinheit, nur Wechselwirkung einer Vielheit ausdrückt."

(Lotze, Mikrokosmus I. 389 )