VIII. Rückblick.

    Man sieht nach Allem, was ich vorweg sagte, die Atomistik erfreut sich einer doppelten Bewährung, einmal darin, dass man in das Tiefste, in das Feinste der Erscheinungen eingeht, dann, dass man zum allgemeinsten, umfassendsten Zusammenhange der Erscheinungen geht. Beides aber hängt zusammen. Denn sofern auf der feinen Gliederung der Materie auch eine Menge, ja ganze Gebiete feiner Erscheinungen beruhen, fallen diese notwendig außer den Zusammenhang der Wissenschaft, wenn diese die feine Gliederung der Materie nicht in ihren Zusammenhang aufnimmt, bleiben nur abgesonderte Tatsachen, statt Folgerungen für sie zu werden. Das Grobe der Erscheinungen bedarf der Atomistik so wenig als die Besonderheit der Erscheinungen. Die feinste Zergliederung und allgemeinste Verknüpfung aber bieten sich die Hand, die Atomistik zu fordern. Hierin liegt zugleich die Antwort auf die Frage, die man erheben kann, warum doch das Bedürfnis der Atomistik sich erst im Fortschritt der Naturwissenschaften geltend gemacht hat, nun aber fortgehends damit gewachsen ist. Überall fängt man mit dem Groben und Einzelnen an, und schließt mit der feinsten Ausarbeitung und vollständigsten Verknüpfung. Wem dann freilich das Feine zu fein, der Zusammenhang zu hoch, dem bleibt auch die Atomistik zu fein und zu hoch.

    Damit leugne ich nicht, habe vielmehr ausdrücklich zugestanden, dass die Philosophie auch im dynamischen Sinne für sämtliche, in den verschiedenen Argumenten zur Sprache gebrachten Verhältnisse, die Licht- und Wärme-, die magnetischen Verhältnisse, die Isomerie, die Eigenschaftsunterschiede der Körper nach verschiedenen Richtungen u. s. w., irgendwelche Formeln finden kann, die sich in den bereits angeführten oder ähnlichen Ausdrücken drehen; sie wird sogar damit viel schneller zur Hand und fertig sein, als die Atomistik mit ihrer Auffassung und Darstellung derselben Verhältnisse, weil es natürlich viel leichter ist, gegebene Erscheinungsweisen allgemeinen Ausdrücken unterordnen, als durch in sich zusammenhängende bis ins Spezielle reichende und zutreffende Vorstellungen decken. Wer nun den Unterschied im Charakter und Erfolg beider Behandlungsweisen nicht zu würdigen weiß, wohl gar meint, an der Unklarheit, Unbestimmtheit, Vieldeutigkeit, Verflüchtigung in leere Abstraktionen, dem in sich Widerspruchsvollen jener Formeln hänge die Tiefe der Fassung, wird freilich auch in der strikten Weise, wie die Atomistik alle jene Verhältnisse durch eine einzige klare Grundvorstellung verknüpft und deckt, kein Argument für die Atomistik der Philosophie gegenüber finden können, weil es doch der letzten auch niemals an Worten fehlt, jene Verhältnisse zu fassen.

    Für die Zwecke des Physikers aber ist die gänzliche Unfruchtbarkeit aller bisherigen philosophischen Auffassungen der physischen Dinge im dynamischen Sinne von Kant bis Hegel, Herbart und den Neuesten so wahr und evident, dass selbst diejenigen Physiker und Chemiker, welche die höheren Vorzüge und Vorteile der Atomistik nicht anzuerkennen wissen, ihr abgeneigt sind oder ihre Wahrheit dahinstellen, so viel es solcher etwa noch geben mag, sich wohl hüten, zu Auffassungen und Darstellungen jener Art ihre Zuflucht zu nehmen, indem sie doch im Allgemeinen gestehen, dass die Atomistik mindestens die bequemste Weise sei, die Dinge darzustellen, und man sich ihrer Ausdrücke wohl bedienen könne, die Verhältnisse vorstellig zu machen, wollen sie auch keine Konsequenz daraus gezogen, der Vorstellungsweise keine Realität beigelegt wissen. So überwältigt sie der Geist der Atomistik. Sie erscheinen mir damit wie Personen, die sich zwar ihrer natürlichen Beine bedienen, weil sie die bequemsten Mittel sind, vorwärts zu kommen, doch ohne damit im Mindesten zu behaupten, dass das auch ihre wahren Beine sind, die vielmehr noch ganz im Verborgenen ruhen und hoffentlich einmal an das Licht kommen werden. Die Tatsache des Fortkommens genügt.

    Was überhaupt manche Physiker veranlassen konnte, sich abweisend gegen die Atomistik zu verhalten ist früher schon besprochen. Um so weniger aber hätten die Philosophen Ursache, eine Waffe daraus gegen die Atomistik zu machen, als sich bei näherer Betrachtung zeigt, dass es bei der Mehrzahl vielmehr die Feindschaft als Freundschaft mit der Philosophie ist, was sie abwendig von der Atomistik macht. Sie ist ihnen in der Tat noch zu philosophisch. Sie begnügen sich überhaupt, jene Fakta, welche durch die atomistische Ansicht in Eins verknüpft werden, als unverknüpfte Fakta hinzunehmen, oder Gesetze zu suchen, die für besondere Gebiete gelten, ohne sich um eine allgemeinere Verknüpfung dieser Gesetze selbst zu kümmern, indem sie im Sinne jener früher besprochenen Neigung, das Erfahrungsmäßige nicht zu verlassen, lieber die innere und nach unserer Ansicht wahrhaft philosophische Verknüpfung der empirischen Tatsachen und Gesetze durch die Atomistik missen, als zu einer, wie ihnen dünkt, unerweislichen Hypothese ihre Zuflucht nehmen wollen. Aber Hypothesen können in der Physik überhaupt bloß durch Verknüpfung von Tatsachen oder von Gesetzen, die einem Kreise von Tatsachen genügen, bewiesen werden, und es wäre eine eigene Sache, wenn die Philosophen ihre Partei wirklich durch Naturforscher verstärkt glaubten, welche eine Verknüpfung zwischen empirischen Tatsachen und Gesetzen deshalb verwerfen, weil sie nicht selbst in gleicher Reihe mit denselben als empirische Tatsache aufzeigbar ist. Doch sonderbarerweise, indem sie sie verwerfen, berufen sie sich zugleich auf sie, denn in der Tat ist das eine der gewöhnlichen Weisen der Philosophen, der Atomistik zu begegnen, dass sie sagen, obwohl sie jetzt kaum noch Recht haben, so zu sagen: die Physiker selber halten nichts davon; es ist ihnen damit nicht Ernst; sie brauchen nur ihre Worte, doch liegt ihnen nichts an der Sache.

    In der Tat gab es wenigstens sonst, und mag es selbst jetzt noch manche Chemiker geben, die ganz vergnügt sind, ihre chemischen Proportionen nach der Regeldetri berechnen zu können, und in der Isomerie eine kuriose Tatsache zu erblicken; zu Beidem braucht es keiner Atomistik; die Regeldetri, die Tatsache reicht eben hin; – Kristallographen, die, weil sie alle Kristallformen ganz ohne Atomistik in das vollendetste System bringen können, die Atomistik für das überflüssigste Hirngespinnst erklären; sie lehrt ja weder einen Winkel genau messen, noch eine Beziehung zwischen Achsen und Winkeln berechnen; – Physiker, welche, weil es Regeln gibt, wonach die Körper sich mit der Wärme ausdehnen und zusammenziehen, durch Zug und Druck sich dehnen und verdichten, die Atomistik, die zu diesen Regeln gar nichts beiträgt, für eine müßige Hypothese halten, durch die man nicht ein Haar mehr lernt, als man schon weiß. Ja seltsam, je mehr man die Gebiete vereinzelt, so überflüssiger scheint die Atomistik, die Lehre von dem Einzelnsten. Aber der Chemiker, Kristallograph, Physiker versuche doch einmal, die chemischen Proportionen, die Isomerie, die Kristallformen, die Blätterdurchgänge, die Ausdehnungs- die Elastizitätsverhältnisse u. s. w. in einen vorstellbaren vernünftigen Zusammenhang zu bringen. Wie dann? Aber er versucht es nicht, der reine Empiriker, er ist eben nur empirischer, nicht philosophischer Physiker. Ja, man möchte sagen: indem er die Atomistik verwirft, beweist er sich selbst als der ärgste Atomistiker, der Atomistiker aber, indem er die Atomistik verteidigt, als das reine Gegenteil, wenn man nämlich Atomistik im Sinne der Gegner versteht, wo es mit zerstückelnder Ansicht gleichbedeutend ist.

    So sehr ich nun die Physiker im Allgemeinen gegen die Philosophen in Schutz nehme, ist es doch nicht ein solcher Geist derselben, der darin besteht, der Physik den Geist zu nehmen.

    Nach all’ dem wollen wir doch selber die Atomistik nicht für etwas absolut Gewisses ausgeben, weder in dem Sinne, wie manche Philosophen von absoluter Gewißheit ihrer Systeme sprechen, noch in dem Sinne, wie etwas unmittelbar Erfahrenes als solches auch unmittelbar gewiß ist, es bleibt auch uns ein Platz noch für den Glauben, der in allen höchsten und letzten Dingen das Wissen ergänzen muß, in den materiellen nicht minder als in den geistigen; man soll sich nur im Versuch, die materiellen zu verknüpfen, an die Atomistik als an das Wahrscheinlichste, Zulänglichste halten, bis es etwas Wahrscheinlicheres, Zulänglicheres gibt, nur das hinzufügend, dass sie, schon so viele zusammenstimmende und gegen gegenteilige Verknüpfungsweisen überwiegende Wahrscheinlichkeitsgründe für sich hat, dass es ganz unwahrscheinlich ist, es werde etwas von Grund aus Wahrscheinlicheres und Zulänglicheres gefunden werden; indes allerdings zu verlangen und zu hoffen ist, sie werde sich selbst immer noch zu größerer Wahrscheinlichkeit und Zulänglichkeit in sich erheben und begründen. Dabei werden wir dann ganz zufrieden sein, wenn dies so weit gelingt, sollte man es noch nicht für gelungen halten, dass ihre Wahrscheinlichkeit gleich der der Hypothese der Drehung der Erde um die Sonne werde, mag sie auch immer ewig gleich dieser eine Hypothese heißen. Auf diesen Namen kommt es gar nicht an, sondern auf die Wirkung die man ihr beimißt, den Gang der Forschung, die Form und Methode der Darstellung, die Anknüpfungsweise an andere Gebiete, die Begründung allgemeiner Ansichten bestimmen zu dürfen. Das Alles, sagen wir, soll die Atomistik als Baumeisterin des physischen Gebiets so lange dürfen, bis eine andere mehr als sie zu leisten vermag. Dann trete sie zurück; nur wolle keine sie verdrängen, die in den physischen Dingen auch nicht einmal das Kleinste bisher geleistet hat, ja selbst von den Physikern, welche die Atomistik verwerfen, eben so wenig gebraucht wird, als von denen, welche sie behaupten.

    Nun kann der Philosoph noch sagen, und mancher scheut sich dessen nicht: jene philosophischen Betrachtungsweisen der physischen Dinge, die der Physiker nicht brauchen kann, sind auch nicht für seinen Gebrauch bestimmt. Wohlan, so lasse man ihn aber Das brauchen, was für ihn brauchbar ist, und überlege, was es sagen will, wenn eine Philosophie sich nicht anders zu rechtfertigen weiß, als durch das eigene Geständnis, dass das, was sie über die physischen Dinge sagt, für die Wissenschaft des Physischen nicht brauchbar sei. Ich denke, eine entschiedenere Selbstverurteilung gibt es nicht.