VII. Speziellere Gründe für die Atomistik aus dem Gebiete
der Molekularerscheinungen. 1)

    Hier vorzugsweise Gründe, die schon ohne Rücksicht auf den allgemeinen Zusammenhang, der durch die Atomistik in die Molekularerscheinungen gebracht wird, eine gewisse Beweiskraft für die Atomistik besitzen, eine Beweiskraft, die sich natürlich noch steigert, wenn man dieselben mit Rücksicht auf jenen Zusammenhang betrachtet, von dem im vorigen Kapitel die Rede war.

1) In der vorigen Auflage sind die zwei ersten Gründe dieses Kapitels mit zu den sog. Gründen zweiter Ordnung geschlagen, Nr. 3 bis 5 unter dem Titel: Einige besondere Gründe für die Atomistik aufgeführt; Nr. 6 ist hier neu hinzugekommen.
 
 
    l. Fassen wir in dieser Hinsicht zuvörderst die Isomerie ins Auge, indem wir unter Isomerie in weitester Bedeutung, also mit Einschluß der Polymerie und Metamerie, alle Fälle begreifen, wo Körper, bei gleicher chemischer Zusammensetzung den letzten Bestandteilen nach, doch wesentlich verschiedene Eigenschaften besitzen. In engerem Sinne versteht man bekanntlich nur den Fall darunter, wo sie dabei gleiches Atomgewicht besitzen.

    Wenn vom Maler dasselbe Blau und Gelb in denselben Verhältnissen einmal und ein anderes Mal gleichförmig gemischt werden, entsteht immer dasselbe Grün. Warum auch nicht, wenn sich beide wechselseits durchdringen? Wie Blau und Gelb in der Farbe des Malers (mindestens scheinbar) sich vollständig durchdringen, so im Sinne des Dynamikers die Stoffe bei der chemischen Verbindung. Warum sollte nicht auch hier jedesmal identisch dasselbe Produkt entstehen, wenn dieselben Stoffe sich in denselben Verhältnissen durchdringen? Doch ist es nicht der Fall. Denn die isomeren Körper beweisen, dass Körper vielmehr aus denselben Bestandteilen in denselben Verhältnissen bestehen und doch sehr verschiedene chemische und physikalische Eigenschaften haben können. Im Sinne des Atomistikers ist das leicht erklärt. Dieselben diskreten Atome können bei Zusammenbringung in gleichen Verhältnissen sich doch einmal noch anders als das andere Mal anordnen, und der Dynamiker selbst kann nicht leugnen, dass die resultierenden Eigenschaften gegebener Systeme eben sowohl von der Anordnung als Menge und Beschaffenheit der eingehenden Elemente abhängen. Dem Dynamiker aber fehlt dies Element der Erklärung und muß nun eben durch irgend einen abstrakten Allgemeinbegriff vertreten werden, der über der Sache schwebt, nicht in sie greift.

    Der Vorteil der atomistischen Betrachtungsweise wird noch mehr erhellen, wenn wir auf die besonderen Fälle der Isomerie eingehen. Die dynamische Ansicht kann an besondere Fälle der Isomerie gar nicht einmal denken lassen, da sie an die ganze Isomerie nicht denken lassen kann; in der atomistischen Ansicht dagegen liegt mit der Möglichkeit der Isomerie im Allgemeinen auch die Möglichkeit vieler besonderen Fälle von selbst inbegriffen, wozu nun die Wirklichkeit auch die Belege gibt.

In der Tat, beruht die Isomerie auf verschiedner Anordnung respektive gleichbeschaffener und in gleichen Mengenverhältnissen vorhandener Atome in verschiedenen Körpern, so hindert zuvörderst nichts, zu denken, dass nicht bloß zwei, sondern dass noch mehr solche Anordnungsweisen für gegebene Stoffe bei gegebenem Mengenverhältnis möglich sind, und in der Tat gibt es von manchen Verbindungen, so namentlich von gewissen Kohlenwasserstoffen eine große Menge isomerer Modifikationen. – Es läßt sich ferner denken, dass in Körpern von höherer Zusammensetzungsstufe, wie in Salzen, die letzten Atome sich einmal so, ein anderes Mal so zwischen den heterogenen Molekülen (zusammengesetzten Atomen), aus denen der Körper zunächst besteht, verteilen und die Körper hierdurch eine ganz andere chemische Konstitution innerlich erlangen, und hierzu bieten die Fälle der sog. Metamerie den Beleg. – Weiter lassen sich Körper denken, deren Moleküle sich bloß in der absoluten Zahl, nicht in der Beschaffenheit und im Verhältnis der Atome, die in sie eingehen, unterscheiden, so dass das Atomgewicht oder die Äquivalentenzahl der Körper zugleich mit den Eigenschaften geändert wird, was sich durch die Fälle der Polymerie bestätigt findet. – Endlich hindert nichts zu denken, dass auch in einfachen Körpern, wie Kohlenstoff, Phosphor, Schwefel, die letzten Atome sich einmal so, ein anderes Mal anders gruppieren und jene Stoffe danach verschiedene Eigenschaften annehmen können, und wirklich findet sich das in den sog. allotropen Modifikationen der genannten Stoffe bestätigt. – Und man bemerke, dass diese Namen nicht etwa der Atomistik zu Liebe gemacht sind, um besondere Einbildungen derselben zu bezeichnen, sondern dass ihnen tatsächliche Verhältnisse unterliegen, welche die Unterscheidung durch verschiedene Namen fordern, und dass die Atomistik nur eben die Frage nach einem gemeinsamen Gesichtspunkte derselben klar beantwortet, den man in der dynamischen Ansicht umsonst sucht.

    Schönbein in einer besonders abgedruckten Rede "Über die nächste Phase der Entwickelung der Chemie als Wissenschaft" S. 5 erklärt sich dagegen, dass die Chemiker die verschiedenen allotropen Zustände eines Körpers "durch die Annahme eigentümlicher Anordnungsweisen seiner kleinsten Teile erklären wollen, ohne dass sie doch im Stande seien, irgendwelche näheren Angaben darüber zu machen, wodurch sich das eine ""Arrangement particulier des Molecules"" von anderen unterscheide." ""Wo die Begriffe fehlen, sagt er, da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein."" Es sei ganz besonders in der Chemie mit Molekülen und ihrer Gruppierung seit Cartesius ein arger Mißbrauch getrieben worden. Nun meine ich aber, dass umgekehrt allotrope Zustände ein Wort und Anordnung der Teile ein Begriff ist, und dass man überall berechtigt ist, die allgemeine Erklärung einer Erscheinung zu geben, ehe man fähig ist, sie in spezielle Bestimmungen zu verfolgen.

    Ein besonderes Interesse dürften noch folgende Fälle der Isomerie in Beziehung zu unserem Gegenstande darbieten.

    Indes die isomeren Modifikationen derselben Substanz sich im Allgemeinen nach der Mehrzahl physischer und chemischer Charaktere unterscheiden, gibt es einige Fälle der Isomerie, wo die isomeren Modifikationen derselben Substanz sich sonst absolut in Nichts physisch und chemisch unterscheiden, als: erstens in der Unmöglichkeit ihre, übrigens gleichen, (hemiedrischen) Krystallformen zu superponieren, in welcher Hinsicht sie sich ähnlich verhalten, wie ein rechter und linker Handschuh, die man auch bei sonstiger Gleichheit nicht superponieren kann, und zweitens darin, dass sie der Polarisationsebene des Lichts eine entgegengesetzte Drehung, respektive nach rechts und links, aber ganz um dieselbe Größe erteilen 2), so die rechts und links drehende Weinsäure, so wie ihre Verbindungen. Löslichkeit, spezifisches Gewicht, Doppelbrechung, Flächenwinkel, Salzbildung, Alles ist ganz gleich bei beiden, so dass, wenn z. B. ein gewisses Salz bei der rechts drehenden Säure sich in voluminösen oder nadelförmigen, durchsichtigen oder trüben Kristallen, mit gestreiften oder ebenen Flächen absetzt, dasselbe auch von dem entsprechenden Salze der links drehenden Säure auf das genaueste gilt.

2) Wie oben Kap. 4 bemerkt, ist ein polarisierter Strahl ein solcher, in dem alle Ätherteilchen einander parallele Schwingungen (immer aber senkrecht auf die Richtung des Strahls) vollführen. Läßt man nun einen solchen Strahl bei senkrechtem Einfall durch Glas, Wasser oder andere dergleichen indifferente Körper gehen, so bleibt die Richtung der Schwingungen ungeändert; läßt man ihn dagegen durch Körper gehen, welche wie die Weinsäure ein Drehungsvermögen auf das Licht äußern, so ändert sich die Richtung der Schwingungen fortschreitend, so dass der Winkel, um den sie von der ursprünglichen abweicht, um so größer ist, je größer die vom Strahl durchlaufene Dicke, und je größer das Drehungsvermögen der Substanz ist. Das Statthaben und die Größe einer solchen Drehung läßt sich durch bestimmte Versuche konstatieren.
 
 
    Wie stellt der Dynamiker sich den Grund hiervon vor? Er stellt sich ihn wie gewöhnlich gar nicht vor; er hat wieder nur sein Wort dafür, und ich zweifle nicht, dass das Wort Polarität hier herhalten wird. Dies sagt uns nun, dass zwei Dinge in einem gewissen Gegensätze stehen, und rubriziert damit unseren Fall mit unzähligen anderen Fällen, die sich im Übrigen ganz anders verhalten; weiter leistet es nichts. Sehen wir zu, ob die atomistische Auffassung etwas mehr leistet.

    Im Sinne der atomistischen Vorstellung leuchtet ein, dass unter den verschiedenen Möglichkeiten, wie Körper aus Molekülen 3) von gegebener Gestalt bestehen können, auch die ist, dass diese Moleküle sich bei sonst ganz gleicher Beschaffenheit in zwei Körpern zu einander so wie rechte und linke Handschuhe oder Hände verhalten, dass ein Körper so zu sagen aus lauter rechten, der andere aus lauter linken Händen besteht, die, indem sie ihre homologen Seiten nach denselben Richtungen kehren, auch im Ganzen entgegengesetzt angeordnete Systeme bilden. Unter dieser Voraussetzung ergibt sich Alles fast von selbst; wie es der Erfolg an der rechts und links drehenden Weinsäure zeigt. Die rechten Hände werden das rechts, was die linken links drehen; und die, durch die Anordnung der Teile bestimmte, Gestalt des ganzen Kristalls wird bei beiden Modifikationen zwar übrigens ganz gleich, aber nicht kongruent werden. Im Übrigen ist kein Grund, dass sich beide in den Eigenschaften unterscheiden sollten. Der auch bei anderen Körpern nachgewiesene Umstand, dass die rechts- und linksdrehende Eigenschaft in Lösungen und Verbindungen mit übergeht, kommt der vorigen Auffassung noch zu Statten. Denn er beweist, dass die betreffende Eigenschaft wirklich an den Molekülen hängt und nicht erst durch eine bestimmte Verbindungsweise der Moleküle hervorgeht. Man kann die Hände aus ihrer Verbindungsweise lösen, da und dorthin stecken, es bleiben immer rechte und linke Hände.

3) Unter Molekülen sind im Allgemeinen nicht einfache Atome zu verstehen, sondern Atomkombinationen, wie sie als nähere Elemente in die Zusammensetzung der Körper eingehen. So ist das Molekül der Weinsäure eine Verbindung von Sauerstoff-, Wasserstoff- und Kohlenstoffatomen.
 
 
    An die vorigen beiden Möglichkeiten knüpft sich von selbst noch eine dritte. Die rechte und linke Weinsäure verhalten sich jede im Besondern wie ein System rechter und ein System linker Hände; nun aber könnten auch, wie das im Menschen wirklich der Fall, je eine rechte und linke Hand zusammen ein Paar bilden, und ein System aus solchen Paaren entstehen, so dass in das System gleich viel rechte und linke Hände in geordneter Weise eingehen. Indem in einem solchen System die rechten Hände eben so stark rechts, als die linken links drehen, würde die drehende Totalwirkung null werden; im Übrigen könnten auch die Kristallisations- und sonstigen Eigenschaften des Systems weder mit denen der rechts noch links drehenden Säure übereinstimmen, weil die Kombination beider neue Verhältnisse einführt. Auch ein solches System findet sich nun durch die Traubensäure verwirklicht, die sich in jeder Hinsicht wie eine Kombination aus gleichen Teilen rechts- und linksdrehender Weinsäure verhält, keine drehende Wirkung auf das Licht äußert, und in Kristallgestalt und sonstigen Eigenschaften von ihnen wesentlich abweicht, sich (unter Wärmeentwicklung) aus ihnen kombinieren und auch wieder in sie zerlegen läßt.

    Ganz analog als die Weinsäure verhält sich in allen diesen Beziehungen nach Versuchen von Chautard die Kamphersäure (Compt rend. T. XXXVII. p. 166., oder Erdm. Journ. LX. p. 139.), und unstreitig werden sich bei genauem Nachforschungen noch mehr dergleichen Beispiele finden.

    Es hindert nichts, dass eine Substanz neben solchen isomeren Modifikationen, deren Moleküle sich nur durch eine umgekehrte Anordnung der letzten Atome in Bezug auf Rechts und Links unterscheiden, auch noch solche darbiete, wo sich die letzten Atome der Moleküle wesentlich anders gruppieren; wie denn wirklich außer der rechten und linken Weinsäure und deren Verbindung, der Traubensäure, eine isomere Modifikation der Weinsäure besteht (welche durch längere Erhitzung der Traubensäure mit Cinchonin auf 170° C. erhalten wird), die wie die Traubensäure, aus der sie erhalten wird, keine Wirkung auf das Licht zeigt, übrigens sich ganz wesentlich von den genannten drei Modifikationen unterscheidet (Erdm. Journ. LX. p. 136).

    Man kann noch eine Bemerkung hinzufügen. Wenn sich die rechte und linke Weinsäure mit einer Substanz, wie Kali, Natron verbinden, die keine drehende Wirkung auf das Licht äußert, so sind die Salze von beiden Säuren angegebenermaßen bis auf den Charakter der hemiedrischen Ausbildung und die Richtung der auf das Licht ausgeübten Drehung ganz gleich. Aber diese Gleichheit beider Salze hört durchaus auf, wenn die Basis, mit der sie sich verbinden, selbst eine rechts- oder linksdrehende ist, also ihre Moleküle auch sich wie rechte und linke Hände verhalten (z. B. Cinchonin). Dies läßt sich atomistisch wieder voraussehen. Wenn eine rechte und linke Hand dieselbe Kugel oder denselben Würfel fassen, so werden sie damit, abgesehen von der unmöglichen Kongruenz, ein gleichbeschaffenes System bilden; wenn aber eine rechte Hand und eine linke Hand beide eine andere Hand fassen, die selbst entweder rechts oder links ist, so werden sie damit ein wesentlich verschiedenes System geben. So sieht man, wie alle Erscheinungen nach der atomistischen Deutung durch klare und leicht verfolgbare Vorstellungen wohl zusammenhängen.

    Ein anderer Fall: Substanzen gibt es, die ihren letzten Bestandteilen nach gleich zusammengesetzt sind, aber, mit denselben zersetzenden Substanzen zusammengebracht, sich in verschiedener Weise zersetzen. Atomistisch leicht dadurch erklärlich, dass vermöge der verschiedenen Gruppierung derselben Bestandteile gewisse Bestandteile in der einen, andere in der anderen Substanz fester zusammenhalten oder leichter abgegeben werden, dynamisch unerklärlich.

    Zu solchen Körpern gehört die Verbindung C6 H7 NClBr, von welcher die eine Modifikation bei Einwirkung von Äzkali Chlorkalium, die andere Bromkalium liefert, wonach die erste als chlorwasserstoffsaures Bromanilin durch C6 H6 BrN + HCI, die andere als bromwasserstoffsaures Chloranilin mit C6 H6 CIN + HBr bezeichnet wird. Ähnlich die, in 3 Modifikationen vorkommende, je nach den verschiedenen Produkten, die sie zu liefern vermag, als Propionsäure, Essigsäuremethyläther, Ameisensäuremethyläther bezeichnete Verbindung C3 H6 02.

    Kekulé (Lehrb. d. org. Ch. I. 180) gründet auf das Vorkommen solcher isomeren Verbindungen einen Vorzug der sog. rationellen chemischen Formeln, deren Schreibweise gleich anzeigt, welche Atome mit besonderer Leichtigkeit gegen andere ausgetauscht werden können, und welche Atomgruppen bei gewissen Reaktionen unangegriffen bleiben, vor den sog. empirischen Formeln, wo alle Bestandteile einfach nach ihrer Zahl eingehen. Die dynamische Ansicht hat überhaupt nur für letztere einen Gesichtspunkt.

    Ich meine, wenn Atomistik und dynamische Ansicht einander im Übrigen mit gleich wiegenden Gründen gegenüber träten, müßte schon der eine Fall der Isomerie mit seinen Unterfällen, diese Messerspitze voll Bruchstücken desselben Korns (im Sinne jenes Beispiels Kap. 2.), hinreichen, für die Atomistik zu entscheiden. Bleibt man beim Groben der chemischen Erscheinungen stehen, so haben wieder beide gleiches Recht; es läßt sich bei den chemischen Erscheinungen im Allgemeinen eben so wohl denken, dass die Körper sich gleichförmig durchdringen, als sich mit ihren Teilen zwischen einander schieben. Aber es kommt ein Punkt in einer feineren Bestimmung der chemischen Erscheinungen, wo diese gleichgültige Substitution der einen für die andere aufhört, wo es Entscheidung gibt. Ein solcher Fall liegt in der Isomerie. Die dynamische Ansicht reicht eben so nur bis an die Isomerie, wie sie nur bis an die Farben des Prisma reicht; darin aber, dass die Atomistik die Farben und die Isomerie noch inbegreift, muß für Jeden, der sich nach Tatsachen entscheiden will, die Entscheidung für die letzte liegen.

    Man bemerke nun, wie Farben in dem Prisma und Isomerie sich für den ersten Anblick so gar nichts angehen, wie es ganz andere Forscher, ganz andere Lehren sind, die sich mit jenen und mit dieser beschäftigt haben; und dennoch bietet sich beiden mit gleicher Notwendigkeit die atomistische Erklärung dar.

    Ich darf alle Gegner der Atomistik herausfordern, eine gleich klare in sich zusammenhängende annehmliche Erklärung der eben besprochenen Erscheinungen zu geben, als die Atomistik gibt. Statt den Versuch zu wagen, wird man von vorn herein darauf verzichten. Heißt das aber nicht, der Atomistik faktisch das Feld räumen?

    2. Die Erscheinungen der Kristallisation nötigen im atomistischen Sinne jedenfalls, den Molekülen fester Körper bestimmte Gestalten beizulegen, und denken wir uns z.B., um der Deutlichkeit halber ein Extrem zu setzen, linear gestaltete Moleküle 4) homolog geordnet, so können natürlich nach der Längenrichtung der Moleküle nicht dieselben Eigenschaften erwartet werden, als nach der queren Richtung, und es wird ein verschiedener Abstand der Moleküle und ein verschiedenes Verhalten des Äthers im Körper nach beiden Richtungen von selbst damit zusammenhängen müssen, sollen Gleichgewichtsverhältnisse bestehen.

4) Die Moleküle fester Körper sind, wie schon bemerkt, selbst nur Atomgruppen, welche der Gruppierungsweise wesentlich ihre Form verdanken, was man im Auge behalten kann; was jedoch für die oben betrachteten Erscheinungen nicht in Betracht kommt, daher die Moleküle oben nur nach ihrer Form im Ganzen in Betracht gezogen werden.
 
 
    Wirklich zeigen alle Kristalle, mit Ausnahme derer, welche zum regulären System gehören (wo auch eine reguläre Gestalt der Moleküle vorauszusetzen) Verschiedenheiten der Eigenschaften nach verschiedenen Richtungen, und zwar Maxima und Minima nach Richtung der Achsen. Sie zeigen eine verschiedene Härte, Spaltbarkeit, Elastizität, verschiedene optische Eigenschaften, verschiedene Ausdehnung durch die Wärme, Verschiedenheiten des Magnetismus und Diamagnetismus.

    Die dynamische Ansicht kann nun freilich auch wieder leicht einen Ausdruck für solche Eigenschaftsunterschiede desselben Körpers nach verschiedenen Richtungen finden und diese mit anderen Ausdrücken durch neue Ausdrücke verknüpfen; das hat gar keine Schwierigkeit und kann sogar auf unendlich verschiedene Weise geschehen, die alle gleich viel leisten, d. h. für den Physiker nichts, weil sie mit dem Prinzip der Erklärung und Verknüpfung, was den ganzen Bau seiner Wissenschaft zusammenhält und weiter führt, nichts zu schaffen haben; dies ist das einfache Prinzip, dass nach Maßgabe als die Bedingungen in der Natur sich gleichen oder nicht gleichen, auch die Erfolge sich gleichen oder nicht gleichen. Nun aber kann der Dynamiker mit all seinen Ausdrücken nicht begreiflich machen, wie z. B. die Verschiedenheit der Ausdehnungserscheinungen je nach Verschiedenheit der Körper sich mit der Verschiedenheit der Ausdehnungserscheinungen je nach verschiedenen Richtungen des Körpers durch jenes Prinzip in Beziehung setzt, und so sind alle jene Ausdrücke für die Physik vergeblich. Statt es weiter im Allgemeinen zu besprechen, wollen wir den Fall gleich im Besonderen ins Auge fassen und hiermit des Näheren deutlich machen, was wir meinen.

    Die Kristalle werden durch die Wärme ungleich nach verschiedenen Richtungen ausgedehnt. Für die atomistische Ansicht stellt sich die Betrachtung hiervon so: Das Verhältnis, in welchem sich die Teilchen durch einen gegebenen Wärmeeinfluß entfernen, ist eine Funktion ihrer schon vorhandenen Entfernung, ihrer Stellung und chemischen Qualität (deren möglicherweise noch weitere Rückführbarkeit hier nicht in Betracht gezogen wird). Sofern verschiedene Körper sich in diesen Umständen von einander unterscheiden, werden sie auch durch denselben Wärmeeinfluß verschieden ausgedehnt. Diese Verschiedenheiten, die zwischen den verschiedenen Körpern im Ganzen bestehen, lassen sich nun auch nach der atomistischen Ansicht zwischen verschiedenen Richtungen desselben Körpers wiederfinden. Die Teilchen des Kristalls sind nach verschiedenen Richtungen schon verschieden von einander entfernt, verschieden zu einander gestellt, das chemisch Differente darin verschieden in Bezug zu den verschiedenen Richtungen geordnet. Sonach erfolgt auch die Ausdehnung nach verschiedenen Richtungen verschieden. Beide Kreise von Erscheinungen, diejenigen, welche verschiedene Körper im Ganzen, und welche die verschiedenen Richtungen desselben Körpers insbesondere betreffen, sind also durch die atomistische Auffassung nach dem allgemeinen Prinzip der Verknüpfung der Wissenschaft des Physischen verknüpft, in Realzusammenhang gebracht. Aber für die dynamische Ansicht hört diese Art Zusammenhang, um die es dem Physiker zu tun ist, auf. Jene Unterschiede, die für verschiedene Körper bestehen, fallen für verschiedene Richtungen desselben Körpers weg. Denn Dichtigkeit, Qualität, Austeilung der Materie sind danach in jedem Kristall nach allen Richtungen dieselben, von Gestalt und Lage der Materie innerhalb des Kristalls läßt sich gar nicht reden. So schweben jene Eigenschaftsunterschiede hier auf einmal abgerissen von dem, woran sie sich sonst halten, in der Luft an irgend einem Worte, und große Kreise von Erscheinungen fallen für die Physik auseinander, die durch die atomistische Ansicht sich in ihrem Sinn und Geist verknüpfen.

    Vielleicht zwar sagt der Dynamik er: warum kann ich nicht von verschiedener Dichtigkeit und sonst verschiedenen Grundeigenschaften eines Kristalls nach verschiedenen Richtungen so gut sprechen, als der Atomistiker, und Alles, was der Atomistiker damit in Beziehung setzt, davon abhängig macht, eben so gut damit in Beziehung setzen, davon abhängig machen? Es wird nur eine Übersetzung der atomistischen in die dynamische Fassungsweise gelten.

    Wenn ein Kristall sich nach verschiedenen Richtungen verschieden, durch die Wärme ausdehnt, so setzt der Atomistiker voraus, dass der schon vorher nach verschiedenen Richtungen ungleiche Abstand der Moleküle sich nun auch durch die Erwärmung in ungleichem Verhältnisse ändere, diese Änderung eine Funktion des schon vorhandenen ungleichen Abstandes sei; aber warum ist es nötig, hierbei auf einen ungleichen Abstand der Teile und Änderung dieses Abstandes zurückzugehen, von dem ich nichts sehe; kann ich nicht eben so gut sagen, dass eine von vorn herein verschiedene Dichtigkeit nach verschiedenen Richtungen nun auch in ungleichem Verhältnisse nach diesen Richtungen zu- und abnimmt?

    Sagen kann man es wohl; nur vorstellen, nur denken kann man sich nichts dabei, weil eine verschiedene Dichtigkeit nach verschiedenen Richtungen in einem und demselben Körper selbst gar nicht vorstellbar, denkbar ist, ohne dabei auf eine verschiedene Austeilung der Massen nach verschiedenen Richtungen zu recurrieren. Man versuche es doch, einen Streifen so zu schwärzen, dass er nach der Breite schwarz und nach der Länge nur grau erscheint. Das wäre die verschiedene Dichtigkeit nach verschiedenen Richtungen im Sinne des Dynamikers.

    Warum aber hat doch der Physiker darauf zu dringen und zu halten, bei alle dem in der Vorstellung einen Anhalt zu behalten? Weil er nur vom Vorstellbaren wieder den Weg zum Vorstellbaren zu finden weiß und am Zusammenhang der Vorstellung für ihn der Zusammenhang der prinzipiellen Behandlung und des Schlusses hängt.

    3. In dem Schreiben, welches Professor Weber auf Grund der Vorlage der Hauptgesichtspunkte dieser Abhandlung an mich gerichtet hat, findet sich nach Erinnerung an einige Punkte, welche wohl noch zu Gunsten der Atomistik hätten angeführt oder weiter ausgeführt werden können, als von mir geschehen ist, deren Darstellung aber zum Teil Schwierigkeiten herbeigeführt haben würde, noch folgender hinzugefügt: "Es ließe sich endlich für die atomistische Ansicht auch noch die freie Oberfläche der Atmosphäre geltend machen. Die Begrenzung der Atmosphäre, sei es in zehn oder vierzehn Meilen Höhe über der Erdoberfläche, läßt sich als astronomisch bewiesen betrachten, und läßt sich natürlich leicht erklären, wenn man dem Mariotte’schen Gesetze eine beschränkte Gültigkeit zuschreibt. Zu einer solchen Beschränkung der Gültigkeit des Mariotte’schen Gesetzes bei abnehmendem Druck scheint aber gar kein Grund vorhanden zu sein, zumal wenn man sich die Luft auch bei der größten Verdünnung als stetig verbreitet im Raume vorstellt. Denn alsdann handelt es sich gar nicht um Änderung der Entfernung, sondern bloß um Verkleinerung der Massen bei gleichen Entfernungen, wo es aller Analogie widersprechen würde, eine Abweichung der Kräfte von der Proportionalität mit den Massen einzuräumen. Was ganz Anderes ist es, wenn die Luft aus kleinen, in einzelnen Punkten konzentrierten Massen besteht, die bei der Ausdehnung der Luft sich von einander entfernen. Mit der Entfernung dieser Punkte muß ihre wechselseitige Abstoßung abnehmen, während die Anziehung der Erde (das Gewicht jedes Punkts) nahe unverändert bleibt; folglich muß es einen Grad der Ausdehnung geben, wo das Gewicht der äußersten Luftatome der Abstoßung der nächsten in einiger Entfernung darunter liegenden Luftatome das Gleichgewicht hält. Und man kann dabei behaupten, dass das Mariotte’sche Gesetz seine Gültigkeit nicht verliere, vielmehr leuchtet ein, dass nur der Begriff des Volumens einer Luftmasse einer schärfern Bestimmung bedarf. Es ist darunter nicht das Volumen der Atome selbst, was ganz außer der Betrachtung bleibt, zu verstehen, sondern Räume, in denen sich die Atome befinden, zu deren Begrenzung es aber einer gewissen Regel bedarf. Diese Regel kann so beschaffen sein, dass zu den äußersten Atomen ein unendlicher Raum gehört, und dass dieser näheren Bestimmung von dem Begriff des Volumens gemäß das Mariotte’sche Gesetz selbst in dem äußersten Falle noch strenge Gültigkeit behält."

    4. Irre ich nicht, so ist folgendes Argument von einer ähnlichen Natur als das vorige, einer populären Erörterung aber vielleicht etwas zugänglicher. Wenn man einen Faden Gummi elasticum oder einen Draht dehnt, wird er länger und immer länger, doch bleibt ein kontinuierliches Ganze. Es sieht das ganz aus, wie im Sinne der dynamischen Ansicht: man kann sagen, beinahe wie sie selbst. Aber, wenn man ihn zu weit dehnt, reißt er. Ich meine, im Sinne einer konsequenten dynamischen Ansicht sollte er sich nur immer länger dehnen, und indem er reißt, reißt sie mit. Denn nach ihr bleibt die Materie des Fadens oder Drahtes bis zum Reißen fortgehends kontinuierlich, und nur die Dichtigkeit nimmt immer mehr ab; wie kann nun aus der Abnahme der Dichtigkeit auf einmal ein Reißen, eine Aufhebung der Kontinuität werden; die Kontinuität der dynamischen Ansicht wird hiermit selbst aufgehoben. Sogar von einem unendlichen Wachstum der dehnenden Kraft sollte man nach ihr nur eine unendliche Abnahme der Dichtigkeit des Fadens, aber kein Reißen erwarten. Sei auch der Draht von vornherein an einer Stelle minder dicht, minder widerstandsfähig als an anderen, so möchte er sich an solcher Stelle mehr verdünnen, als an anderen, doch woher das Reißen? Für die atomistische Ansicht stellt sich das anders. Danach muß die von vorn herein stattfindende Entfernung zwischen den Teilchen durch ihr Wachstum endlich so groß werden, dass sie sichtbar wird, und zuerst sichtbar werden, wo sie zuerst groß genug dazu wird. Damit zusammen stimmt die Vorstellung, dass die von der Distanz abhängige, nur auf unmerklich kleine Entfernungen merkliche, Anziehungskraft mit dem Wachstum der Entfernung endlich unmerklich wird. Nach der dynamischen Ansicht wird hingegen die in der Berührung der Teilchen begründete Cohäsionskraft plötzlich unmerklich, ohne dass die Berührung vorher irgendwie aufgehört hätte.

    Überhaupt gilt es nach der atomistischen Ansicht beim Zerreißen wie Zerbrechen eines Körpers nur, einen Riß, der schon da ist, bis zum Sichtbaren und Dauernden zu erweitern; nach der dynamischen gilt es, plötzlich ihn als etwas ganz Neues zu machen. Nun kann ein Riß, der weder sichtbar noch unsichtbar vorhanden ist, auch durch Vergrößerung nicht sichtbarwerden, ein Riß, der schon unsichtbar vorhanden ist, kann es. Jeder Bruch eines Körpers ist in der Tat ein Salto mortale für die dynamische Ansicht, indes er für die atomistische nur der Saltus ist, den das Sprichwort: ,,Hic Rhodus, hic salta" von ihr fordert. Zeige mir, heißt es, dass die Atome diskret sein können. Da faßt der Atomistiker einen Körper und zerbricht ihn. Mancher zerspringt gar von selbst. Und zwar an jeder Stelle läßt er sich zerbrechen, weil der Sprung schon allseitig durch den Körper geht.

    Derselbe Fall läßt sich auch so erläutern: Könnte man einen Körper von gleichmäßiger Beschaffenheit ganz gleichmäßig dehnen, so würde nach der atomistischen Ansicht endlich ein Punkt kommen, wo er in seine Atome oder Moleküle zerfiele.5) Nur dass schon vorher an irgend einer Stelle die Atome weiter von einander entfernt sind, als an den anderen, macht, dass der Riß an einer Stelle zuerst erfolgt. Aber nach der dynamischen Ansicht könnte jenes Zerfallen in Atome nie eintreten, der gleichförmige Körper müßte sich ewig fort gleichmäßig dehnen, weil ja kein Zerfallen in Atome möglich ist, weil es ja keine Atome gibt; weil der Körper, falls er überhaupt reißen sollte, an allen Stellen zugleich reißen müßte, was ein Unsinn ist. Nun sieht man nicht ein, da der Riß durch keine Kraft erfolgen kann, wenn alle Teile bis über eine gewisse Grenze gedehnt werden, wie er auf einmal erfolgen kann, wenn eine einzelne Stelle bis über eine gewisse Grenze gedehnt wird.

5) Eine Annäherung an solch Zerfallen gewährt die Erscheinung der geschwänzten Glasthranen, die beim Abbrechen des Schwanzes in Pulver zerfallen.
 
 
    Hiergegen sagt der Dynamiker vielleicht: aber wie kann man etwas auf Voraussetzungen bauen, die nicht stattfinden. Es gibt keinen ganz gleichförmigen Körper. Von Dem, was bei ihm geschehen würde, wenn er existierte, kann man also auch nicht auf Das schließen, was geschieht in Dem, was wirklich existiert.

    Darauf ist einfach zu sagen, dass keine Ansicht, und am wenigsten eine philosophische, etwas taugt, die nicht noch zulangt und in sich übereinstimmend bleibt, wenn man danach Das in der Idee bis zur Grenze führt, was uns die Wirklichkeit nur in Annäherungen zeigt. Die Mathematik und Philosophie sollen eben in der Idee vollenden, wozu die Wirklichkeit nur Näherungen bietet. Die Philosophie wird dies auch sonst nicht anders fassen; vielleicht aber scheinen ihr der Atomistik gegenüber doch auch Waffen, wie sie in jener Ausflucht liegen, gut genug.

    Nicht mindere Schwierigkeit als das Zerreißen und Zerbrechen hat es, das Zerdrücken dynamisch zu erklären, welches sich atomistisch leicht dadurch erklärt, dass die gewaltsame Näherung der Teilchen nach Richtung des Druckes mit einer Entfernung derselben nach der darauf senkrechten Richtung verbunden ist, die bis zum Reißen gehen kann.

    Hierauf beruht es, dass Blei zwar durch Auswalzen im Ganzen dichter, aber durch Hämmern öfters in seiner Dichtigkeit vermindert wird, weil es wegen seiner Weichheit leicht Risse an den durch den Hammerschlag vorzugsweise betroffenen Stellen bekommt. (Fortschr. d. Phys. 1860. S. 8).

    5. Man kann an die Betrachtungen über den mechanischen Riß leicht ähnliche über den chemischen knüpfen. Nach der dynamischen Ansicht ist der kohlensaure Kalk, z. B. Marmor, ein kontinuierlicher Körper, wo an jedem Punkte Kohlensäure und Kalk sich zu etwas Mittlerem identifiziert haben. Tritt nun das expandierende Prinzip der Wärme ein (das hier nur nach der faktischen Seite seiner Wirkung betrachtet werden mag, obwohl die Atomistik tiefer zu gehen vermag als zum bloßen Worte eines expansiven Prinzips), so versteht sich wohl, wie dieser gleichförmige Stoff sich fort und fort mehr dehnen kann; aber wie von einem gewissen Punkte an die Kohlensäure auf einmal entweichen kann, versteht sich nicht. Nur eben bildeten ja Kalk und Kohlensäure noch ein in sich identisches Wesen, das sich als solches bis dahin in Eins dehnte. Wie wird das bis dahin expandierende Prinzip auf einmal ein zerlegendes? Nach der atomistischen Ansicht sind Kohlensäure und Kalk schon getrennt im Marmor; indem der Marmor sich ausdehnt, geraten die Teilchen beider in immer weitere Entfernung und von Anfang an verhalten sich die Teilchen der Kohlensäure hierbei anders als die des Kalkes; sie können es, weil sie eben kein identisch Wesen damit bilden. Nun versteht sich leicht, wie endlich ein Punkt kommen kann, wo das durch die Erwärmung gesteigerte Ausdehnungsbestreben der Kohlensäure das Übergewicht gegen die Anziehung zum Kalk gewinnt, und macht, dass sie zwischen den Teilen des Kalkes heraus entweicht. Darum bleibt dieser auch als eine leicht zerreibliche Masse zurück; ja manche Körper zerfallen bei ähnlichem Entweichen eines flüchtigen Bestandteils geradezu in Pulver, indem die schon vorhandenen Lücken spürbar werden. Woher doch bei der dynamischen Ansicht jene Lockerung, dieses Pulver, wenn aus Kontinuierlichem nur Kontinuierliches entweicht?

    Mit voriger Deutung hängt die Deutung anderer Erscheinungen unmittelbar zusammen. Eine der gewöhnlichsten Weisen, eine isomere oder allotrope Modifikation in eine andere zu verwandeln, ist die Erwärmung; auch können Kristalle, die bei verschiedenen Temperaturen verschieden kristallisieren, selbst schon in festem Zustande, durch Abänderung der Temperatur aus einer Kristallform in die andere übergehen, indem der ganze Kristall in ein Aggregat von Kristallen der anderen Form übergeht. Diese Erscheinungen erklären sich leicht im Zusammenhang mit dem Vorbetrachteten daraus, dass die Wärme die Körper nicht bloß im Ganzen ausdehnt, sondern auf die Teilchen derselben je nach ihrer individuellen Art und Stellung besonders geartete Wirkungen äußert. Für die dynamische Ansicht fehlt jeder vorstellbare Zusammenhang zwischen diesen Tatsachen, und gibt es Sprünge im Felde jeder dieser Tatsachen selbst.

    Man sagt vielleicht: aber die atomistische Ansicht muß doch bei dem chemischen Risse im Momente, wo die Verwandtschaft z. B. der Kohlensäure zum Kalk durch das Ausdehnungsbestreben der Kohlensäure überwogen wird, auch einen Sprung in dem Vorgange anerkennen. Allerdings, aber nur einen solchen, wie wenn ein Wagebalken, der nach einer Seite hängt, durch fortgesetztes Zulegen von Gewichten auf die andere Seite plötzlich umschlägt nachdem er sich zuvor zur waagerechten Lage erhoben; dergleichen Sprünge (falls sie diesen Namen verdienen) muß man allerdings anerkennen; aber nicht solche, wo zehn Pfund Zulage den Balken ganz auf derselben Stelle lassen, weder neigen noch biegen, und ein Gran mehr ihn plötzlich umschlagen läßt. Damit vergleicht sich in der Tat, dass die Wärme lange zuwachsen soll, ohne dass Kohlensäure und Kalk im Mindesten aufhören, im selben Raume sich genau zu durchdringen, vielmehr sich nur ganz in Eins in einen größeren Umfang dehnen; ein wenig Wärme mehr, und plötzlich ist der Riß vorhanden. Das ist wie des Himmels Einfall. Wie wird das Instrument, was bis dahin bloß den Körper in Eins zu dehnen vermochte, auf einmal ein Messer, was auch Das durchschneidet, was es dehnt? Man sieht’s nicht ein. Hat man sich freilich gewöhnt, die Dinge mit dunkeln Begriffen zu beleuchten, so ist leicht zu helfen. Man kann da sagen: von Anfang an äußert die Erwärmung mit der wirklichen Ausdehnung des ganzen Körpers die Tendenz, auch die Bestandteile desselben zu trennen, nur dass diese Tendenz anfangs gegen die überwiegende chemische Verwandtschaft nichts vermag; bis sie endlich groß genug geworden, um ihrerseits diese zu überwiegen. So haben wir auf dynamischem Wege Dasselbe geleistet, was du auf atomistischem.

    Unstreitig, wenn nur eben nicht eine Tendenz, die bis zu einem gewissen Punkte wächst, ohne dass sie dabei eine angebbare Wirkung äußert, eine Tendenz, die sich nur auf Das beruft, was sie einst leisten wird, ein völlig dunkles Ding, oder sagen wir vielmehr ein Unding, wäre.

    Wie, sagt man, und du denkst nicht daran, wie der Dampf im geschlossenen Kessel sich immer mehr spannt; erst, wenn seine Spannung zu einer gewissen Grenze gelangt ist, reißt der Kessel, tritt eine Wirkung ein; und wirst du leugnen, dass die wachsende Spannung, das wachsende Expansionsbestreben, bis dahin etwas mehr als ein Unding gewesen?

    Wie, frage ich entgegen, so meinst du auch wohl, wenn das angebundene Pferd an der Leine zieht, stärker, immer stärker, bis sie reißt, die wachsende Spannung, das wachsende Expansionsbestreben der Leine habe vor dem Reißen sich in nichts geäußert, sie sei ein bloßes Gedankending gewesen, wie deine mit der Wärme wachsende Spannung zwischen den chemischen Stoffen. Dann würde sicher auch die Leine nur in Gedanken reißen. Ich meine doch, die wachsende Spannung, die Tendenz zur Trennung hat sich in einem wachsenden Auseinanderziehen der Teile geäußert, das endlich bis zum Reißen gediehen ist, d. h. die Teilchen begannen sich schon mit der wachsenden Spannung immer mehr zu entfernen (man kann es mit dem Zirkel, dessen Spitzen man auf je zwei Punkte aufsetzt, beweisen), bis die Entfernung auch zwischen den zwei nächsten Teilchen ganz sichtbar und bleibend wird. Aber deine chemischen Stoffe sollen ja mit der wachsenden Tendenz zur Trennung noch ganz ungetrennt und unveränderlich denselben Raum erfüllen, bis auf einmal der Riß erfolgt. Zeige mir, wo es überhaupt irgend eine wachsende Spannung, einen wachsenden Druck, mit einem Wort eine wachsende Tendenz gibt, die endlich in einen sichtbaren Erfolg ausschlägt und die nicht zuvor schon einen angebbaren Erfolg in dieser Richtung geäußert, der mehr als ein Gedankenwesen. Auch der Kessel wird durch den wachsenden Druck nach seiner Fläche gedehnt, ehe er reißt, d. h. seine Teile werden immer mehr von einander entfernt, bis die Entfernung irgendwo in einen sichtbaren Riß zwischen zwei nächsten Teilen ausschlägt. Sogar die geistigen Tendenzen des Menschen, ehe sie in äußere Handlungen ausschlagen, wirken mit spürbarer Macht auf den Körper des Menschen: das Herz kann davon springen. Was also bedeutet jene mit der Wärme wachsende Tendenz, den Körper zu zersetzen, die doch nichts in ihrer Richtung wirkt? Ich meine eben nichts.

    Sehen wir näher zu, so finden wir, die meisten, Hebel, mit denen die dynamische Ansicht im Bereiche des Kleinsten operiert, sind solche Gedankendinge, die wirkliche Leistungen vollführen sollen, ohne dass sie selbst etwas Wirkliches sind. Und wären es nur Gedankendinge; aber geht man ihnen auf den Grund, so liegen ihnen nicht einmal wirkliche, jedenfalls nicht klare, Vorstellungen unter.

    6. Um auf den gedehnten Faden oder Draht noch mit einigen Betrachtungen zurückzukommen, so zeigt er, noch bevor er reißt, eine Erscheinung, deren Erklärung in dynamischem Sinne wieder jene Vorstellung einer nach verschiedenen Richtungen verschiedenen Dichtigkeit herauf beschwört, die wir durch einen, nach einer Richtung schwarzen, nach der anderen grauen, Streifen erläuterten, oder die dynamische Erklärung anderer damit zusammenhängender Phänomene unmöglich macht.

    Caguiard-Latour und Wertheim haben gefunden, dass ein Stab (Draht, Faden) von Metall wie von Gummi elasticum durch Dehnung nicht in demselben Verhältnisse dünner wird, als er länger wird, 6) sondern dass sein Totalvolumen dabei zunimmt, was atomistisch leicht dadurch zu repräsentieren ist, dass sich die Teilchen durch den Zug mehr nach der Längsrichtung von einander entfernen als nach der Querrichtung einander nähern, der Stab also, bei Ausgang von einer anfangs gleichförmigen Dichtigkeit, minder dicht nach der Längsrichtung als nach der queren Richtung wird. Da aber der Dynamiker auf diese atomistische Repräsentation nicht eingehn und eine nach verschiedener Richtung verschiedene Dichtigkeit nicht faßlich machen kann, so mag er etwa sagen: man begeht hierbei das proton Pseudos, dass man die Dichtigkeit überhaupt auf besondere Dimensionen beziehen. Und ihre Änderungen den Änderungen dieser Dimensionen besonders, reziprok setzen will; indes sie nur auf die Totalität aller Dimensionen zu beziehen und dem Totalvolumen reziprok zu setzen ist, wonach kein Hindernis ist, sich den Stab (Draht oder Faden) durch den Zug im Ganzem ausgedehnt und hiernach seine Dichtigkeit im Ganzen vermindert zu denken. Von einer verschiedenen Dichtigkeit nach verschiedenen Dimensionen zu Sprechen, ist an sich absurd. Und in der Tat ist das der Fall in dynamischem Sinne, nicht mehr aber in atomistischem, wo die Dichtigkeit dem Abstande der Teilchen reziprok gesetzt werden kann. Wenn aber der Dynamiker, wie ich nicht zweifle, das Absurde dieser Vorstellung hier empfindet und geltend macht, so sollte er aber auch empfinden, dass dieselbe Absurdität der dynamischen Auffassung alle, doch wirklich vorhandenen, Eigenschaftsverschiedenheiten der Körper nach verschiedenen Richtungen, wovon wir oben gesprochen, in gleichem Grade und nach gleichem Prinzip trifft, und sich zum Bewußtsein bringen, dass, wenn Zusammendrückung oder Dehnung in gegebener Richtung die raumerfüllende Kraft nach allen Seiten gleich affiziert, gar kein Grund mehr vorliegt, dadurch Eigenschaftsverschiedenheiten nach verschiedener Richtung entwickelt zu sehen, während man doch weiß, dass optische Eigenschaften, Cohäsion, Elastizität und unstreitig noch andere Eigenschaften, die mit der Dichtigkeit zusammenhängen, durch Zug oder Druck in gegebener Richtung anderen Wert in Richtung des Zuges oder Druckes als in der darauf senkrechten Richtung annehmen.

6) Wenn die Länge des Stabes durch Dehnung um einen gewissen Bruchteil der ursprünglichen Länge gewachsen ist, hat sich der Durchmesser des Stabes bloß um 1/4 (Caguiard-Latour) oder 1/3 (Wertheim) dieses Bruchteils bezüglich des ursprünglichen Durchmessers verkleinert.
 
 
    So kann die dynamische Ansicht den Felsen der Scylla nur vermeiden, um in den Strudel der Charybdis zu versinken.