IV. Gründe für die Atomistik, entnommen aus dem Gebiete der
Erscheinungen von Licht und Wärme1)

    Nun endlich zur Sache:

    l) Die Brechung des Lichts in den Körpern läßt sich dem Hauptphänomen nach durch die dynamische und atomistische Ansicht gleich gut erklären. Nicht nur dass Brechung erfolgt, sondern auch, dass bei einfacher Brechung ein konstantes Verhältnis zwischen Einfalls- und Brechungssinus statt hat, ja selbst die allgemeinen Phänomene der Doppelbrechung treten gleichmäßig unter beide Ansichten. Es führt aber die Haupterscheinung der Brechung als feinere Bestimmung den Umstand mit sich, dass der gebrochene weiße Strahl sich in einen schmalen Farbenfächer ausbreitet, indem die Brechbarkeit der verschiedenen Farbenstrahlen etwas von einander abweicht. Von jeher haben die gründlichsten Mathematiker und Physiker anerkannt, dass diese Farbenzerstreuung gänzlich unvereinbar sei mit der Undulationstheorie des Lichts, so dass hierin lange der einzige Grund gelegen hat, weshalb man die, in jeder Beziehung so viel unwahrscheinlichere und neuerdings aus durchschlagenden Gründen gänzlich aufgegebene, Emissionstheorie der Undulationstheorie vorzog. Nun aber haben die neueren. Untersuchungen von Cauchy gezeigt, dass diese Unvereinbarkeit doch bloß in sofern bestehe, als man annimmt, dass die Lichtwelle sich durch den Äther wie durch ein Continuum fortpflanzt, dass dagegen die Gesetze der Farbenzerstreuung mit denen der Brechung in einer Konsequenz aus der Grundansicht der Undulationstheorie hervorgehen, wenn man die Teilchen des Äthers diskret setzt, ja dass die Farbenzerstreuung bei der Brechung dann eben so notwendig als die Brechung selbst gefordert ist. Also die Frage, ob Atomismus oder nicht, ist eine Lebensfrage für die Undulationstheorie, wie die Frage, ob Undulationstheorie oder nicht, eine Lebensfrage für die Physik ist.

            1) In der ersten Auflage als Gründe erster Ordnung aufgeführt.

    Das Hauptresultat der Rechnung ist dies: dass die Farbenzerstreuung nicht nur erklärlich, sondern auch gefordert wird, wenn der Abstand der Ätherteilchen groß genug ist, um gegen die Breite einer Lichtwelle (167 bis 266 Zehnmillionenteil eines englischen Zolles in Luft resp. für Violett bis Rot betragend) nicht vernachlässigt werden zu können, woraus zugleich erhellt, dass der Abstand der Ätherteilchen keineswegs ganz ins unvorstellbare hinüberreicht. Man wird z. B. hiernach sagen können, dass er größer sein müsse als 1/1000 der Breite einer Lichtwelle (von obigen Dimensionen), weil, wenn er nicht so viel oder nicht mehr betrüge, die Rechnung keinen merklichen Einfluß auf die Brechungsphänomene mehr herausstellen würde. – Eine etwas nähere Erläuterung liegt noch in Folgendem: Die Theorie zeigt, dass eine verschiedene Brechung der verschiedenen Farbenstrahlen, (d. h. Strahlen, in denen die Teilchen in gleicher Zeit eine verschiedene Anzahl Oszillationen vollziehen), nur von einer verschiedenen Geschwindigkeit, mit der sich ihre Wellen im brechenden Mittel fortpflanzen, abhängen kann. Sofern man nun den Äther entweder als kontinuierlich ansieht, oder den Abstand seiner Teilchen gegen die Breite einer Lichtwelle vernachlässigt, wie früher immer geschehen, wird diese Geschwindigkeit notwendig für alle Farbenwellen eine gleiche, nicht mehr aber, wenn man diesen Abstand und die dadurch in die Rechnung eingeführten Glieder berücksichtigt.

    In Betreff des Historischen noch folgende Bemerkung aus einem früheren Schreiben von W. Weber an mich: "So viel ich mich erinnere, war es eine Abhandlung von Rob. Willis (die älter ist als die von Cauchy), wo in der Entwickelung der Gleichungen der Wellenbewegung den ersten Gliedern, auf deren Betrachtung man sich bisher immer beschränkt hatte, die folgenden Glieder hinzugefügt wurden und gezeigt wurde, dass, weil diese folgenden Glieder von dem Abstande der Teile des Mediums abhängig seien, durch diese weitere Entwickelung der Wellentheorie die Lehre von der Dispersion von selbst ihre Begründung finde und die Größe der Dispersion dadurch in Abhängigkeit von der Größe der Abstände jener Teilchen gebracht werde."

    2. Eine andere feine Lichterscheinung, bei der nicht mehr bloß die totale Massenwirkung, sondern die spezielle Bewegungsweise der Teilchen Einfluß gewinnt, ist die Polarisation des Lichtes. Der Zusammenhang der Erscheinungen des polarisierten Lichts mit denen des gewöhnlichen Lichts ist nun in der Undulationstheorie nur unter der Voraussetzung darstellbar, dass die Ätherteilchen, die auf dem Wege eines Lichtstrahls liegen, nicht longitadinale, sondern transversale Schwingungen machen, d. h. Schwingungen, deren Richtung quer gegen die Richtung des Lichtstrahls ist. In einem gewöhnlichen Lichtstrahl haben diese Schwingungen alle möglichen Richtungen, nur immer quer gegen den Strahl, in einem polarisierten lauter parallele gegen den Strahl quere Richtungen. Unter dieser Voraussetzung erklären sich die feinsten und sonderbarsten, mannigfachsten und verwickeltsten Erscheinungen des polarisierten Lichts auf ganz naturgemäße, in sich zusammenhängende Weise. Aus diesem Gesichtspunkte hat zuerst Fresnel die Polarisationserscheinungen im Sinne der Undulationstheorie richtig aufgefaßt und ins Detail verfolgt. Poisson, einer der berühmtesten und gründlichsten französischen Mathematiker, dem die neuere mathematische Physik einen wesentlichen Teil ihrer Fortschritte verdankt, geriet jedoch hierüber mit Fresnel in eine Diskussion, indem er, von der Ansicht der Kontinuität der Materie ausgehend, die er allen seinen bisherigen Untersuchungen zu Grunde gelegt hatte, zeigte,2) dass in einiger Entfernung vom Ausgangspunkte des Lichts gar keine transversalen Schwingungen mehr vorkommen könnten, indem sie notwendig, welche Richtung sie auch anfangs gehabt, doch im Laufe der Fortpflanzung immer mehr in die Fortpflanzungsrichtung des Strahls selbst sich kehren müßten. Hiergegen machte ihn jedoch Fresnel darauf aufmerksam3) dass, sofern man nur die Ätherteilchen diskret setze, der Einwand Poisson’s nicht mehr bestehe; und Poisson selbst hat die Bündigkeit von Fresnel’s Argumentation so sehr anerkannt, dass er seine eigene Grundansicht seitdem geändert, dass alle seine nachher geführten Untersuchungen (über elastische Körper, Kapillarität, Wärme) im Sinne des atomistischen Prinzips geführt sind (an der Behandlung der Lichtlehre in diesem Sinne wurde er nur durch den Tod gehindert), und dass er selbst die zweite Ausgabe seiner Mechanik in diesem Sinne umgestaltet hat. Man erkennt hieraus, wie viel Bindendes, ja welcher Zwang hier für jemand liegen muß, der den Zusammenhang der physischen Ursachen und Wirkungen auf exakte Weise zu verfolgen weiß.

                2) Ann. dc. Chim. et de Phys. 1823. T. XXII. p. 264.
                3) Ann. dc. Chim. et de Phys. T. XXIII. p. 120.

    Dass es sich in dar Tat hier um eine Art Zwang handelte, wird um so einleuchtender, wenn man in Betracht zieht, dass Poisson jene Umgestaltung nur auf Kosten der Einfachheit der Gesichtspunkte, auf die sich die Rechnungen stützen müssen, bewirken konnte, sofern die Anwendung der Integrationsmethode bei der Summierung der Wirkungen der kleinsten Teile nun erst noch einer besonderen Rechtfertigung bedurfte,4) die man bei Annahme der Kontinuität der Materie entbehren kann, und dazu noch das Geständnis tritt, dass man nun bloß noch Annäherungen damit erlangt, während man im Sinne der dynamischen Ansicht genaue Resultate damit erhielte.

    Nun kann der Gegner leicht sagen: aber hiermit gesteht man doch selbst den Nachteil der atomistischen und Vorzug der dynamischen Auffassung zu? Die dynamische gestattet eine einfachere Betrachtung und gewährt ein genaueres Resultat, was verlangt man mehr ? – Zur Entgegnung, erinnern wir an einen analogen Fall.

    Die Bewegung eines Planeten um die Sonne gestattet auch eine einfachere Betrachtung und ihre Berechnung gewährt ein genaueres Resultat, wenn man sich um Störungen dabei nicht kümmert. Ohne sie ist die Bahn rein zu finden, mit ihnen erhalten wir nur Approximationen und die ganze Berechnung wird mühselig. Warum zieht man doch die ungenaue und mühselige Rechnung mit Bezug auf die Störungen der genauen und einfachen ohne Störungen vor? Weil die Störung nun einmal in der Natur vorhanden ist, und also auch durch die Rech-nung gedeckt werden muß, gleichviel, ob unsere Bequemlichkeit dadurch gestört wird, ein glattes Resultat dadurch seine Glätte verliert, kurz, weil die einfache Rechnung der Komplikation der Verhältnisse nicht gewachsen ist, die genaueren Resultate derselben auf dem Papier die Verhältnisse der Wirklichkeit doch nur ungenau wiedergeben.

    Ganz derselbe Fall aber ist es mit der Komplikation, die durch die Atomistik in die Rechnungen eingeführt wird. Die Rechnung auf Grund der dynamischen Ansicht gibt genauere Resultate auf dem Papier, die Rechnung auf Grund der atomistischen genauere in der Wirklichkeit. Und wenn es nicht der Fall wäre, würde Poisson gewiß nicht die eine für die andere aufgegeben haben.

                4) Vgl. Poisson, Traite de Méc. sec. édit. T. l. p. 174 suiv.

     Bei vielen Fragen freilich stellt sich der Unterschied der größeren Genauigkeit nicht heraus; diese sind dann aber auch nicht zur Entscheidung zwischen beiden Ansichten zu benutzen; aber es gibt Fragen, wo der Unterschied so spürbar wird, dass ganze Erscheinungsgebiete danach in oder außer die Rechnung fallen, und solche müssen vor Allem den Ausschlag geben.

    Fügen wir noch die Stelle selbst hinzu, in welcher Fresnel (unter Verweisung auf seine anderwärts geführten ausführlichen Untersuchungen) den Einwand Poisson’s zurückweist. Sie sagt dasselbe, was wir gesagt haben und noch öfter sagen werden, nur mit anderen Worten: die dynamische Ansicht vermag die Phänomene bis zu gwissen Grenzen, aber nicht über diese hinaus zu erklären.

    ,,Je vous répéterai seulement ici ce que j'ai déjà en l'honnenr de vous dire plusieurs fois: c'est que les équations du mouvement des fluides élastiques, dans lesquelles vous croyez devoir trouver tons les genres de vibration dont ils sont susceptibles, ne sont an fond qu'une abstraction mathématique très-éloignée de la réalité; elles supposent ces fluides composés de petits élémens contigus et compressibles proportionnellement à la pression. Cette hypothèse représente bien leurs propriétés statiques, mais non leurs propriétés dynamiques; car, par exemple, on n'en déduirait pas le frottement; ce qui tient à ce qu'on suppose entre les molécules une contiguité, qui n'existe pas." (Ann. de Ch. et de Ph. T. XXIII. p. 120.)

    3. Die Erscheinungen der Wärmefortpflanzung durch die Körper und der Wärmestrahlung sind sehr disparater Art. Dort schleicht die Wärme langsam durch die Körper fort nach scheinbar eigentümlichen Gesetzen, hier pflanzt sie sich mit einer, der des Lichts vergleichbaren Schnelligkeit nach ähnlichen Gesetzen als dieses fort. Doch müssen beiderlei Fortpflanzungsweisen notwendig in allgemeinen Gesetzen der Wärmelehre zusammenhängen. Fourier hat gezeigt, dass ein solcher Zusammenhang sich ergibt, dass die Gesetze der Wärmeleitung sich unter die der Strahlung von selbst unterordnen, sofern man nur die wägbaren Körper aus diskreten Teilchen bestehend denkt, welche die Wärme einander zustrahlen, und zwar nicht bloß auf dem Papier unterordnen, sondern so, dass die Theorie nur das Erfahrungsmäßige dabei wiedergibt. Nimmt man die wägbaren Körper als Continua an, so scheint jeder Versuch, das Erfahrungsmäßige beider Phänomene in wissenschaftlichen Zusammenhang zu bringen, verschlossen.

    Wie ich aus Liebig und Kopp’s Jahresber. 1851. p. 47 ersehe, führt auch Wilhelmy in seiner Schrift: "Versuch zu einer mathematisch-physikalischen Wärmetheorie, Heidelberg 1851" (worin die Temperatur der Körper der lebendigen Kraft der in Schwingungsbewegung befindlichen Moleküle proportional gesetzt wird), die Fortpflanzung der Wärme durch Leitung im Sinne der atomistischen Ansicht auf diejenige durch Strahlung zurück und er findet dabei eine Abhängigkeit des Leitungsvermögens eines Körpers von der Schwingungsdauer der geleiteten Wärme, also von der Temperatur, wie solche von Langberg (Pogg. Ann. LXVI. 10) und neuerdings von Wiedemann auch experimentell nachgewiesen worden ist.

    4. Die Wärme strahlt am stärksten in der Richtung senkrecht auf die Oberfläche der Körper aus, dagegen in den schiefen Richtungen die Strahlung nach dem Gesetze des Sinns schwächer wird. Dies ist eine natürliche Folgerung der Schichtung der Körper aus Atomen, dagegen im Sinne der Kontinuität der Materie kein haltbarer Weg physikalischer Ableitung zu Gebote steht.

    Ich verdanke die Aufstellung dieser vier Punkte weniger einem eingehenden eigenen Studium der hierbei unterliegenden Verhältnisse, wie sie sich für den Physiker von Fach, als welchen ich mich selbst nicht mehr rechnen kann, geziemt, als schon früheren Gesprächen mit meinem verehrten Freunde Prof. Wilh. Weber, dem ich sie nach Abfassung derselben nochmals zur Begutachtung vorgelegt habe; so dass ich sie nach seiner Zustimmung "als einige der wichtigsten Stützpunkte, welche die Atomistik der exakten physikalischen Forschung schon geboten hat", aufstellen kann. In demselben Verhältnisse aber, als sich die exakte physikalische Forschung auf die Atomistik zu stützen vermag, vermag sich umgekehrt die Atomistik auf jene zu stützen.

    Nun glaube ich noch hinzufügen zu müssen, dass Prof. Weber in seinem bei dieser Gelegenheit an mich gerichteten Schreiben der auch unsererseits anzuerkennenden und anerkannten Unzulänglichkeit volle Rechnung trägt, welche die Atomistik in ihrem jetzt noch rohen Zustande unter dem Einflusse der wichtigsten Schwierigkeiten mathematischer Entwickelung darbietet, falls man an sie den Anspruch macht, schon eine vollendete, alle Aufgaben, deren Lösung sie dereinst verspricht, auch schon jetzt lösende Wissenschaft zu sein. Nur das bleibt gewiß, dass sie wirklich dem Physiker zugleich mehr schon leistet und mehr verspricht, als die gegenteilige Ansicht; woran man sich in einer Wissenschaft, die nicht mit der Vollendung anfängt, sondern ihr zustrebt, genügen lassen und woran man sich bei einem Urteil über beide Ansichten als maßgebend halten muß, bis die gegenteilige Ansicht dieses Verhältnis der Leistungen und Hoffnungen umzukehren vermag.

    Nach Allem kann man sagen: Trotz dem, dass der Augenschein gegen die Annahme der Atome zu sprechen scheint, sei ihre Existenz mindestens eben so gut begründet, als die Undulationstheorie des Lichts und der Zusammenhang der Wärmephänomene selbst es sind. Wir sehen die Zwischenräume zwischen den Atomen nicht, aber wir sehen sie nicht einmal in der Eischale, nur der mechanische Durchgang der Luft beweist solche hier; so sicher uns nun dieser Durchgang auf die Poren in der Eischale schließen läßt, so sicher können wir von den Farben im Prisma und im Polarisationsspiegel auf noch kleinere Zwischenräume zwischen den Teilchen schließen. Dies Sichtbare hängt durch einen unzerreißbaren mathematischen Faden mit dem Nichtsichtbaren zusammen. Behauptet man nun, dass es nur einer geeigneten Substitution für die atomistischen Voraussetzungen bedürfen würde, um die Farbenerscheinungen, Polarisationserscheinungen u. s. w. zu erklären, so ist diese Behauptung sehr leicht; aber man kann ihr kein Gewicht beilegen, so lange sie sich der Schwere der Bewährung entzogen hat. Es kommt hier nicht mehr darauf an, Worte zu substituieren, die wieder zu Worten führen, sondern Annahmen, die zu den erfahrungsmäßig bewährbaren Faktis führen; da reichen dann alle jene unbestimmten Ausdrücke, womit man wohl die Verhältnisse der Imponderabilien und Aggregatzustände der Körper erklärt, nicht mehr aus; es gilt hier, von klaren, physikalisch bestimmten Grundvorstellungen auszugehen, um wieder zu etwas physikalisch Bestimmtem zu kommen. Nun möge man versuchen, solche Grundvorstellungen aufzustellen, welche die Diskretion der Teilchen vertreten. Gelingt es, so wird der exakte Physiker als solcher kein Interesse mehr haben, am Atomismus zu halten.

    Es ist wahr, man kann in der Physik vielfach eine Vorstellung für die andere substituieren, und man erhält noch dasselbe Resultat; aber es kommen eben immer Punkte, wo die Möglichkeit solcher Substitution aufhört, und das sind die entscheidenden. Man muß nach der jetzigen Sachlage glauben, dass wir in Punkten wie den obigen solche entscheidende Punkte in Bezug auf die Atomistik gewonnen haben. Nun ist es müßig, sich auf die unbestimmte Möglichkeit fernerer Substitutionen zu berufen, und den Physikern zuzumuten, sie zu finden, weil es nicht Sache der Philosophen sei. Die Physiker haben das Ihrige eben damit getan, dass sie die Sache auf den Punkt gebracht haben, wo die Willkür der Substitutionen ein Ende hat und eine Entscheidung Platz greift. Und da man es nur ihres Faches und Wissens hält, zu beurteilen, wie die fernere Substitution zu machen sei, das ganze Onus davon auf sie wälzt, so sollte man es auch nur ihres Faches und Wissens halten, zu beurteilen, ob sie überhaupt möglich sei.

    Aber, sagt man, die Atomistik beruft sich darauf, dass sie von der Undulationstheorie des Lichts gefordert werde; ist denn die Undulationstheorie selbst gefordert? Für den Physiker ja, so lange bis der Philosoph eine lichtvollere Lichtlehre an die Stelle setzt. Ich weiß wohl, dass auch die Undulationslehre vielen Philosophen ein Dorn im Auge ist, den sie nur etwa darin lassen, weil er nicht mehr herauszuziehen; sie wurde weder von ihnen gefunden, noch konnte sie auf ihrem Wege gefunden werden und stellt im Grunde eben so schlimme Zumutungen an sie, als die eng damit verschwisterte, ja solidarisch damit verknüpfte Atomistik. Der nach Schelling und Hegel so schöne reine durchsichtige flüssige Begriff des Lichts erfährt durch die Undulationen die unangenehmste Trübung, und an dieser Trübung soll die Lichterscheinung selber hängen. Welcher Philosoph konnte auf diese Absurdität kommen; doch muß er sie wohl heutzutage zulassen, um nicht selbst absurd zu erscheinen. Inzwischen, kann er die Undulationstheorie nicht mehr besiegen noch beseitigen, so doch vorbeigehen und sich nach Umständen mit einem höflichen Wort oder einem schiefen Seitenblick bei ihr abfinden, dann weiter vom Lichte reden, als wäre sie nicht vorhanden. In der Tat nicht anders ist die Undulationstheorie bis jetzt von den Philosophen berücksichtigt worden. Ich spreche aber auch jetzt nur von der Nötigung zu ihr, die für den Physiker besteht und die der Philosoph immerhin gelten lassen muß, so lange er eine Physik selbst gelten lassen muß, das ist aber so lange er ihre Resultate gelten lassen muß.

    Man kann hier leicht den Einwand machen: aber statt der Undulationstheorie selbst hat doch lange genug die Emissionstheorie unter den Philosophen gegolten. Jetzt gilt die Undulationstheorie. Wo ist also die Untrüglichkeit der Physiker? Sie ist nicht vorhanden. Der Physiker behauptet kein absolutes Wissen zu haben. Doch glaubt er des Sicheren immer mehr zu lernen und je weniger er sich sicher wähnt, so sicherer wird er. Nun fehlte es früher noch an den entscheidenden Punkten zwischen Undulations- und Emissionstheorie, beide ließen sich nach den meisten Beziehungen für einander substituieren. Jetzt sind die entscheidenden Punkte gefunden; mit den scheinbaren Widersprüchen gegen die erste das scheinbare Übergewicht der anderen gehoben, dagegen unlösbare Widersprüche in den Tatsachen gegen diese erhoben. Die Undulationstheorie genügt jetzt allen bekannten Erscheinungen, indes die Emissionstheorie beim Experimentum crucis versagt, Vieles nur mit Zwang, Vieles gar nicht erklärt. Die Undulationstheorie hat nicht nur alle Tatsachen, sondern auch alle Analogien in der Natur für sich; warum sollte der Physiker sie für eine solche aufgeben, die ihm nichts in dieser Hinsicht bietet, ihm nicht einmal die Emissionstheorie ersetzt, oder vielmehr noch gar nicht da ist. Denn was könnten die Anhänger der dynamischen Ansicht an der Stelle sei es der Undulations- oder auch nur Emissionstheorie bieten, wonach man Brechung, Zurückwerfung, Farbenzerstreuung, Polarisation, Interferenz nach Zahl und Maß verknüpfen, die Erscheinungen derselben bei empirisch gegebenen Bedingungen vorausbestimmen, ein Fernglas und ein Mikroskop zu schleifen vermöchte. Etwa die Göthe’sche Lehre? In der Tat nicht Mittel, die Dinge, die mit bloßem Auge nicht sichtbar sind, zu sehen, nur über sie hinwegzusehen, haben wir bis jetzt von der Naturphilosophie erhalten.

    Wenn man dem Schmied den Hammer nehmen will, so soll man ihm einen besseren und nicht den Blasebalg dafür bieten. Der Blasebalg ist auch gut, sein Feuer zu schüren; aber über das Eisen vermag er nichts. Nun aber sieht man, Undulationstheorie und Atomistik hängen selbst wie Kopf und Stiel eines Hammers zusammen, womit man die Wirklichkeit trifft und gestaltend bearbeitet; und man kann mit dem Kopf des Hammers nicht treffen, ohne ihn am Stiel zu halten.

    Man hat es als eine der schönsten Bewährungen der Newton’schen Attraktionlehre angesehen, dass nach Rechnungen, die im Sinne derselben geführt wurden, der Neptun entdeckt worden, den zuvor noch kein menschliches Auge gesehen. Als man ihn suchte, fand man ihn an der Stelle, wohin ihn die Rechnung setzte. Solcher auffallenden Bewährungen könnte die Undulationstheorie gar manche für sich anführen. Ich erinnere nur ganz beiläufig an eine derselben: Bekannt ist die Eigenschaft doppelt brechender Körper, einen Lichtstrahl in zwei zu spalten; nie hatte man etwas Anderes als diese Spaltung in zwei Strahlen beobachtet, die sich nur unter gewissen Verhältnissen in einen einzigen vereinigen. Da fand Hamilton durch Berechnung aus den Prinzipien der Wellentheorie, dass ein in einer ganz bestimmten Richtung in einen doppelt brechenden Kristall von außen eintretender Strahl, so wie ein in einer eben so bestimmten Richtung von innen austretender Strahl sich weder in zwei spalten, noch einfach bleiben kann, sondern – nun, worauf rät man wohl? – dass er sich in einen hohlen Kegel verwandeln muß, sogenannte konische Refraktion. Lloyd und nach ihm Andere haben das Hamilton’sche Resultat geprüft und vollkommen bestätigt gefunden. Der Lichtkegel bildet, auf Papier aufgefangen (durch dasselbe geschnitten), einen lichten Ring darauf. (Vgl. Pouillet-Müller, Lehrb., 1843. Bd. II. p. 306.)

    Ich gedenke noch eines Punktes, wo jedem Unbefangenen sofort der Vorzug und Vorteil der Undulationstheorie einleuchtet. Welcher Philosoph hätte je nach seiner Ansicht vom Lichte darauf verfallen können, dass, wenn eine Fläche oder ein Raum durch Licht erleuchtet ist, es hinreicht noch einmal so viel Licht auf die Fläche fallen oder in den Raum zutreten zu lassen, um es ganz finster zu machen (Interferenz). Es scheint geradezu absurd, und ist doch nur eine Folge der Undulationstheorie. Freilich glückt der Versuch nur unter besondern Verhältnissen (unter den gewöhnlichen wird die Helligkeit sich vielmehr steigern); aber welche philosophische Ansicht vom Lichte vermöchte sie vorauszusehen; aus der Undulationstheorie fließen sie von selbst der Erfahrung gemäß; und man kann den Gesichtspunkt des Versuchs leicht deutlich machen. Wenn zwei Wasserwellen an demselben Punkte zusammentreffen, kann es einmal so sein, dass der Wellenberg der einen das Wellental der anderen gerade ausfüllt; dann ist die Wellenbewegung verschwunden, ein anderes Mal so, dass der Berg beider wie das Tal beider zusammentreffen; dann ist die Wellenbewegung gesteigert. Analog beim Lichte. Erstenfalls Dunkel, letztenfalls vermehrte Helligkeit. Nun kommt es auf den Wegesunterschied der Wellen von ihrem Zentrum gerechnet an, ob Berg mit Tal oder Berg mit Berg zusammentrifft, und so ist es wirklich beim Lichte. Mit wachsendem Wegesunterschiede muß abwechselnd das Eine und Andere eintreten; und so verhält es sich wirklich. Die kleinsten Partikularitäten der Interferenz zeigen sich überhaupt mit dieser Vorstellung in Übereinstimmung.

    Fassen wir es zusammen: Eine Physik, die das Wirkliche zu treffen und zu gestalten weiß, ist ein notwendiges Moment einer Wissenschaft der Dinge. Die Undulationstheorie ist ein notwendiges Moment einer solchen Physik, die Atomistik ist ein notwendiges Moment der Undulationstheorie; also ist die Atomistik ein notwendiges Moment einer Wissenschaft der Dinge. Dieser Schluß ist darum nicht weniger bindend, weil er so einfach ist, nicht weniger streng, weil er ein so weites Gebiet strengster Untersuchungen in Eins zusammenfaßt.

    Der Philosoph pflegt nun wohl zu sagen: als mathematische Fiction mag das Alles ganz gut sein, um das Empirische daraus abzuleiten; aber höhere Gesichtspunkte verbieten dennoch, es als das Wirkliche anzunehmen. Aber wie wäre es doch denkbar, dass sich aus nicht wirklichen Grundverhältnissen das Wirkliche besser ableiten, d. h. voraussagen und danach gestalten ließe, als das dem eigentlich Wirklichen? Lassen sich die empirischen Verhältnisse besser aus diskreter als nicht diskreter Materie ableiten, so dass sie danach produziert und reproduziert werden können, so kann dies nur ein Beweis sein, dass erstere selbst empirischer ist als letztere. Denn überall, wo sich wegen der Unzulänglichkeit unserer Sinne etwas nicht direkt erfahren läßt, muß der Zusammenhang mit dem wirklich Erfahrbaren und die Möglichkeit, wieder dadurch auf Erfahrbares zu kommen, für seine Wirklichkeit entscheiden; es gibt kein anderes haltbares Kriterium dafür.

    Natürlich, dass man zum Bau eines Luftschlosses nur eine Luftaxt braucht; aber sonderbar, wenn man von einer Axt, mit der ein wirkliches Haus gezimmert dasteht, behauptet, sie sei vielmehr die Luftaxt, als jene.

    Die Untriftigkeit jener Ausflucht der Philosophie wird um so besser einleuchten, wenn man sich erinnert, dass die Mathematik überhaupt nur eine Logik der Quantitätsbegriffe und räumlichen Verhältnisbegriffe ist, eine rein formale Wissenschaft, die durch keinen Kunstgriff mehr aus den Dingen herausholen kann, als in ihnen liegt. Und wenn schon die Mathematik gar manches Richtige auf falscher Grundlage berechnet hat, so ist es doch bloß in sofern, als diese falschen Grundlagen noch eine Seite des Richtigen hatten, die bei der Folgerung nun eben in Betracht kam. Daher kann man freilich nicht durch jede einzelne mathematische Folgerung, die richtig ist, eine allgemeine Voraussetzung nach allen ihren Seiten sofort erwiesen halten. Aber man kann es um so mehr, je mehr die Totalität der mathematischen und hiermit strengen Folgerungen sich in der Wirklichkeit bewährt. Die Philosophen aber, statt auf eine solche Erfüllung des Beweises zu dringen, entleeren ihn vollends, indem er auch bei vollem Genügen nur die Brauchbarkeit einer Fiktion, nicht die Wahrheit der Sache beweisen soll.

    Als Kopernikus seine neue Lehre vom Weltsystem herausgab, erlangte er den Schutz des Papstes nur dadurch, dass er die neue Ansicht für eine physikalische Hypothese ausgab, welche den Zweck habe, die Rechnungen zu erleichtern. Solche Päpste sind auch viele unserer Philosophen. Dass die Grundlagen, von denen aus die Mathematik etwas Wirkliches errechnet hat, selbst den Charakter der Wirklichkeit tragen, werden sie nach Allem nie zugeben, sofern sie ihr System dadurch gefährdet halten; aber sie gestatten allenfalls die Hypothese und die Rechnung, sofern sie doch praktisch nützlich sei; nur soll sie nicht wahr sein. Von ihren eigenen Voraussetzungen fordern sie gar nicht, dass sie durch das Wirkliche zu bewähren seien; sie sind so gehalten, dass selbst der Angriff zu dieser Bewährung fehlt. Sie lassen sich nur mit Worten beweisen und widerlegen, weil sie sich nur in Worten drehen. Aber die Physik kann hiermit nicht zufrieden sein, und nirgends sollte man damit zufrieden sein.

    Was sind denn Worte? es sind Schälle und bleiben es, so lange man sie nur wieder aus Worten ableitet, oder nur wieder Worte daraus ableitet, bis man einmal auf ein Wort kommt, das etwas Aufzeigbares bedeutet. Da endlich liegt der Prüfstein der langen Reihe Worte. Es ist sogar in der Lehre von den höchsten und letzten Dingen so: am Aufzeigbaren muß sich das nicht Aufzeigbare endlich bewähren und beweisen und auch im Gebiete des Geistigen gibt es ein Aufzeigbares und danach Vorstellbares. Nun vollends aber in der Lehre von den materiellen Dingen, um die sich’s hier handelt. Ich komme noch einmal hierauf zurück.

    Die Philosophen fußen freilich darauf, dass die Atome doch nicht selbst aufzeigbar. Darauf aber kommt’s nicht an; wie vieles Wirkliche ist nicht direkt aufzeigbar, weil es zu fern, zu verdeckt zu groß oder wie in unserem Fall zu klein. Nun genügt es, in Form des Aufzeigbaren vorgestellt, zugleich sich als notwendiges Ausgangsmittel oder Folgeglied (wo möglich als alles Dreies) im Zusammenhange von aufzeigbaren Dingen zu bewähren und zu beweisen, um diesem Zusammenhange als gleicher Realität teilhaftig in Wissenschaft und Leben eingeordnet zu werden. Nur darum heißt der Schnee am Nordpol wirklich, den noch kein Mensch gesehen und gefühlt.

    Sind die Atome und die Undulationen des Lichts nicht wirklich, weil sie sich nicht direkt greifen noch sehen lassen, vielmehr Körper und Licht nur einen kontinuierlichen Schein darbieten, so sind auch die Tropfen im kontinuierlichen Regenbogen, die Luftschwingungen im gleichförmig klingenden Schall nicht wirklich, die sich eben so wenig bei den betreffenden Erscheinungen ertappen, einzeln unterscheiden lassen, vielmehr nur wie die Atome aus Dem, was daraus folgt, woraus sie folgen, was darum und daran, was ähnlich in anderen Fällen, kurz aus dem Totalzusammenhange der Erscheinungen, denen sie zugehören, als existierend dartun lassen. Doch hat noch kein Philosoph die Auflösbarkeit des Regenbogens in einzelne scheinende Tropfen, des physischen Schallvorgangs in einzelne Schwingungen bestritten. Warum, weil dies der groben Sinnesauffassung einen Schritt näher steht, als die Atome, weil schon der gewöhnliche Schluß seinen Weg beinahe bis dahin findet und der Philosoph zwar hoch in Worten, doch gar nicht in der Sache bei seiner Naturbetrachtung über die gemeine Sinnesauffassung und Meinung hinaus kommt; wogegen es nur dasselbe weiter und tiefer verfolgte, wissenschaftlich durchgebildete Prinzip, das den Physiker im Regenbogen die einzelnen scheinenden Tropfen, im Schall die einzelnen Schwingungen erkennen läßt, ist, was ihn dann auch noch im Tropfen einzelne Atome, im objektiven Lichtvorgange einzelne Schwingungen erkennen läßt, von denen die gemeine Auffassung nichts weiß.