II. Beweisgang.

    Vielleicht findet man, dass diese Schrift von vorn herein zu sehr darauf ausgeht, die Ansicht, die sie vertritt, durch Einzelnheiten zu stützen und die gegenteilige durch solche zu widerlegen, obwohl man doch zugleich finden wird, dass diese Einzelnheiten nur Brüche einer Einheit sind, die unzerbrochen bleibt, wenn sie sich auch gebrochen darlegt, und dass nach den Einzelnheiten auch dem Allgemeinen sein Recht geschieht. Nicht ohne Grund aber stelle ich spezielle Betrachtungen gleich in den Vordergrund. Heeren sagt einmal irgendwo: eine Messerspitze voll Pfeffer, gefunden in dem abgelegensten Dorfe, genüge zum Beweise eines Verkehrs mit Indien, weil Pfeffer nur von dort kommen könne. In der Tat, man könnte sich noch so lange mit allgemeinen Gründen streiten, ob ein Verkehr mit Indien stattgehabt habe, so würde die Messerspitze Pfeffer doch mehr beweisen, als alle allgemeinen Gründe. Unsere Gegner werden freilich sagen, die Frage muß vielmehr aus dem Begriffe von Indien, vom Handel, vom Pfeffer entschieden werden. Ich meine aber doch, die Messerspitze Pfeffer beweist mehr. Und so galt es uns nun auch, solche Messerspitzen Pfeffer in Bezug zu unserer Frage zu finden; wir werden aber nach Allem viel mehr als Messerspitzen, und zu den Körnern auch den Zusammenhang der Körner im ganzen Strauche finden.

    So sehr übrigens die Gründe, die folgends zum Vorschein kommen werden, als Einzelnheiten erscheinen mögen, es in gewissem Sinne auch sind, so wenig sind es doch bloß Einzelnheiten. Teils sind es Gründe jener Art, deren ich im vorigen Kapitel gedachte, durch die sich die physikalische Erklärung eines größeren Erscheinungsgebiets bis in die feinsten Bestimmungen abschließt, teils Knotenpunkte, in welchen sich die Fäden physikalischer Erklärung einer Mehrheit von Erscheinungsgebieten verknüpfen; Schlußpunkte und Knotenpunkte, die sich nur durch die Atomistik herstellen lassen und eben dadurch beweisend für die Atomistik werden.

    Nicht selten freilich findet man als Beweise für die Atomistik geltend gemacht, was im Grunde nur Deutungen im Sinne der Atomistik sind, Deutungen, die sich auch durch Deutungen im dynamischen Sinne vertreten lassen; zum Beispiel: Die Körper können durch Druck verdichtet werden. Das ist sehr anschaulich als Näherung der Atome vorzustellen; aber die raumerfüllende Kraft des Dynamikers braucht nur eine größere Intensität anzunehmen, so leistet sie dasselbe. – Die einfachen Proportionen, in denen sich Stoffe chemisch verbinden, lassen sich vortrefflich durch die Annahme repräsentieren, dass sich je ein Atom eines Stoffes mit je einem oder mehreren Atomen des anderen Stoffes verbinde; aber ist die Notwendigkeit solcher Verbindungsweise in atomistischem Sinne mehr bewiesen, als im dynamischen die der ganzen Massen? – Wie kann die Bewegung eines Körpers durch den Raum gedacht werden, wenn er den Raum vor sich schon mit Materie erfüllt findet? Die Materie braucht nur auszuweichen, indem sie sich dabei so viel zusammendrückt, als zum Ausweichen nötig.

    Mit Einzelnheiten dieser Art ist freilich nichts getan; aber die Dynamiker irren sehr, wenn sie meinen, dass sie es bloß mit solchen zu tun haben und sich des leichten Abweises derselben freuen; es gilt solche und gibt solche, die sich nur atomistisch fassen lassen, und die wichtigsten davon sind Schlußpunkte und Verknüpfungspunkte der genannten Art, die sich endlich noch gemeinsam durch die atomistische Grundvorstellung zusammen- und abschließen (Kap. 4 und 5). Doch kann auch die Betrachtung des Bandes, welches die Atomistik direkt zwischen einer großen Menge von Einzelnheiten jener Art herstellt, etwas leisten (Kap. 6), und gibt es manche Einzelnheiten, die, an sich von geringer Tragweite für die Physik, doch erheblich ins Gewicht im Streite gegen die dynamische Ansicht fallen (Kap. 7). Gegen Gründe dieser Art gälte es die dynamische Ansicht aufrecht zu halten, falls sie bestehen soll. Nur dass es die Philosophen meist einfacher zu finden pflegen, sich nicht darauf einzulassen, dafür Einwände gegen die Atomistik aus allgemeinen Gesichtspunkten und von Standpunkten aus zu erheben, die fallen müssen, wenn die Atomistik auf jenen Gründen steht.

    Diese so mannigfaltigen Einwände der Philosophen gegen die Atomistik sind folgends (Kap. 3, 4, 6, 9, 10, 11, 12, 21) berücksichtigt, so weit sie direkt dagegen laufen; doch ohne den Versuch einer eingehenden Widerlegung der Grundansichten, von denen aus sich dieselben erhoben haben. Eine solche wird überhaupt überflüssig sein, wenn es gelingt, im obigen Wege die Berechtigung der Atomistik positiv darzutun, die dagegen gerichteten Einwände fallen dann von selbst; sie würde aber auch hier untunlich sein, weil sie auf eine Widerlegung ganzer philosophischer Systeme hinauslaufen müßte, was eine andere und weitere Aufgabe ist, als wir uns hier stellen können, und die uns überdies durch die wechselseitigen Widerlegungen der Philosophen völlig erspart wird.

    Offen gesagt, gegen welche philosophische Auffassung sollte sich auch eine Verteidigung der Atomistik wenden? Denn welche Gestaltung der Naturphilosophie oder Metaphysik hat heutzutage unter den Philosophen selbst eine Geltung, dass sich ein kompakter Angriff gegen sie richten könnte, da nirgends ein kompakter Widerstand besteht? Sollte ich mich gegen Kant, gegen Schelling, gegen Hegel, gegen Herbart1) oder gegen welchen ihrer Anhänger oder Abzweigungen wenden? Aber wer fußt heutzutage noch anders auf Kant, als um diese Grundlage im Hinausgehen darüber zur Seite zu schieben, zurückzustoßen oder zu zertreten; Schelling ist über seine eigne Naturphilosophie selbst hinausgegangen; Hegel’s Naturphilosophie ist von den eigenen Anhängern desselben für sein schwächstes Werk erklärt worden; von den Abzweigungen Hegel’s läßt keine die andere gelten, und die ganze Hegel’sche und Herbart’sche Schule lassen einander wechselseits nicht gelten; wo ist da nur ein fester Gegner für den Physiker zu finden? Und nun sollte gar für ihn hier ein Halt zu finden sein? Im wankenden Gebäude ruft jede Säule: Halte dich an mich! er läßt sie aber lieber sich wechselseits zerschlagen und geht hinaus unter ein größeres Dach.

1) Auch Herbart nämlich widerspricht bei strengster metaphysischer Scheidung der einfachen Wesen, aus deren Zusammen er die Körperwelt erklärt, ausdrücklich einer physikalisch-atomistischen Auffassung dieser Scheidung. Vgl. das historische Kapitel (Kap. 26).
 
 
    Unstreitig ist der Philosoph in dieser Beziehung besser daran, als der Physiker. Er hat in der atomistischen Naturwissenschaft, wie sie sich konsolidiert hat, einen bestimmten festen Gegner, und Aller Angriffe können sich auf diesen einen konzentrieren; der Physiker kann einen Gegner schlagen; was hilft es ihm? er hat so viel wie Nichts getan. In dieser Hinsicht ist vielmehr die Naturwissenschaft der kompakte Bär, die Bienen die in der Luft flatternden dynamischen Lehren, alle aus einander fahrend und jede eine andere Zelle bauend, doch alle auf den Einen Gegner stürzend. Umsonst ist sein Kampf gegen die Einzelnen; aber ihren ganzen Honig wird er, denk ich, doch behalten.

    Man erlaube mir hierzu noch ein etwas sonderbares aber treffendes Bild. Wenn man alle Naturforscher und alle Philosophen zusammen in einen großen Trichter täte, so würden sie sich bald durch eine entgegengesetzte Bewegung sondern. Die Naturforscher würden sich allmälig am Eingange der engen Röhre sammeln, und durch seinen einfachen Gang in geschlossener Reihe der atomistischen Naturauffassung zustreben, die Philosophen aber durch die Erweiterung des Trichters sich in alle Welt zerstreuen. Ich sage mit Unrecht, es würde so sein, es ist so geschehen. Man wird aus mehrern Beispielen sehen, wie fest bestimmt der Gang ist, der die Naturforscher den Weg der Atomistik führt; wie sehr sich anderseits die Philosophen zerstreut haben, hat man seit lange zur Genüge gesehen.

    Was sich aus sehr allgemeinem Gesichtspunkte gegen die Auffassungsweise der Kräfte im Verhältnis zur Materie sagen läßt, welche den antiatomistischen Ansichten der neueren Philosophie bis zu gewissen Grenzen gemeinschaftlich unterliegt, ist allerdings weiterhin (im 16. Kapitel) gesagt; aber bei den verschiedenen Wendungen, welche diese Auffassungsweise bei verschiedenen Philosophen nimmt, von denen immer einer den anderen bestreitet2), bei der verschiedenen und nie zu eigentlicher Klarheit zu bringenden Weise, wie Jedes Auffassung in allgemeineren Ansichten wurzelt, bei der Unmöglichkeit, ohne Rückgang auf diese allgemeinern Ansichten Jedes Auffassungsweise im Besondern abzuwägen, und endlich alle in Betracht kommenden Philosophen wirklich dabei in Betracht zu ziehen, bleibt die oben geltend gemachte Schwierigkeit einer einläßlichen Opposition gegen die antiatomistische Philosophie so sehr bestehen, und die negierende Opposition würde schließlich so wenig positive Frucht gewährt haben, dass in der Tat davon abstrahiert werden mußte, unsere Sache auf diesem Wege zu führen.

2) So erklären sich Schelling (Ideen z. Philos. der Natur. S. 275, 341) und Hegel (Werke III. S. 202 VII. S. 68) hinsichtlich der Auffassung dieses fundamentalen Verhältnisses gegen Kant; Schelling schilt den Begriff der Attraktions- und Repulsionskraft, wie er von Kant bestimmt wird, "einen bloß formellen durch die Reflexion erzeugten Begriff", und Hegel spricht von "einer in der Kant’schen Exposition herrschenden Verwirrung". Weiter sagt Hegel, "dass spätere Naturphilosophien (der Schelling’schen Schule) auch das flachste Raisonnement und schlechteste Gebräu einer willkürlichen Einbildungskraft und gedankenlosen Reflexion – das besonders die Faktoren der sog. Attraktionskraft und Repulsionskraft brauchte und allenthalben vorbrachte – eine Konstruktion genannt haben". Wie Herbart sowohl von der Schelling’schen als Hegel’schen Konstruktion denkt, bedarf keines Beleges.
 
 
    Es kommt dazu: wir könnten uns auf die Widerlegung der Gründe der Gegner gar nicht einlassen ohne die allgemeine Grundlage selbst auf der sie dabei fußen schon halb anzuerkennen und damit unsere Sache von vorn herein halb verloren zu geben. Statt dessen stellt sich die Frage und Sache vielmehr so: läßt sich statt durch Rücksichtsnahme auf selbst noch unter einander streitige Ansichten und Voraussetzungen, wie das die philosophischen faktisch sind, durch Rücksicht auf einen Zusammenhang unbestritten feststehender Tatsachen zeigen, dass der Atomismus selbst feststeht, so ist eben damit bewiesen, dass die philosophischen Grundlagen, mit denen er nicht bestehen kann, selbst nicht bestehen können, und alle jene philosophischen Betrachtungsweisen, die ihn einstimmig verurteilen, sich hiermit selbst verurteilen. Das ist ein allgemeineres Interesse, was sich an diese Betrachtungen knüpfen kann: sie wollen an einem Beispiel zeigen, denn es ist in der Tat nur eins, dass die Philosophie mit ihrer Weise, die Dinge vom Begrifflichen aus zu konstruieren und zu meistern, ehe sie ihre Begriffe dadurch hat schulen lassen, den Dingen nicht genügt; und vielleicht ist nichts besser, als eben die Verhandlung über die Atomenfrage dazu geeignet,

    Manche eingehendere Erörterungen über die beim Beweisgange für die Atomistik in Betracht kommenden Prinzipien den herrschenden philosophischen gegenüber s. in meiner Abhandlung "In Sachen der Atomistik" in Fichte’s Philos. Zeitschr. B. 57. S. 66 ff., 88 ff.