Der Tastsinn in’s Besondere.

Ortsempfindungen, Druckempfindungen und Temperaturempfindungen.

    Der Tastsinn verschafft uns zwei Arten von Empfindungen, die ihm eigentümlich sind, Druckempfindungen und Temperaturempfindungen, und zugleich sind das Tastorgan und seine Nerven so eingerichtet, daß dieselben Empfindungen sich von einander unterscheiden lassen, wenn sie an zwei verschiedenen Orten der Haut entstehen. Wir können daher den Ortssinn, den Drucksinn und den Temperatursinn als drei Vermögen des Tastsinns unterscheiden. Sowohl die Zusammendrückung als die Ausdehnung der empfindlichen Organe oder die Spannung, z. B. wenn ein Gewicht auf unsere Haut drückt, und wenn durch Ziehen an den Haaren die Haarbälge gedehnt werden, erregen Empfindungen, die wir kurz unter dem Namen Druckempfindungen zusammenfassen können. Die Temperaturempfindungen sind entweder positive, d. h. Wärmeempfindungen, wenn die Temperatur in unseren empfindenden Teilen steigt, indem ihnen Wärme zugeführt wird, oder negative Wärmeempfindungen, d. h. Kälteempfindungen, wenn ihre Temperatur sinkt, indem ihnen Wärme entzogen wird. Nur die mit Tastorganen versehenen Teile verschaffen uns Druckempfindungen und Temperaturempfindungen. Die inneren Teile, welche keine Tastorgane besitzen, können gedrückt, erwärmt und erkältet werden, aber niemals entsteht dadurch die Empfindung des Drucks, der Wärme und der Kälte. Alle anderen Empfindungen, außer den genannten, welche uns die Tastorgane verschaffen, gehören dem Gemeingefühle an. Man darf daher Schmerzen, die durch Druck, Wärme und Kälte entstehen, nicht mit der Sinnesempfindung des Drucks, der Wärme und der Kälte verwechseln. Übrigens muß man die genannten reinen Empfindungen von den Vorstellungen unterscheiden, zu welchen sie die Veranlassung geben, zumal nachdem durch sie die Vorstellung von der Bewegung überhaupt, und in Sonderheit das Bewußtsein der eigenen Bewegung erweckt worden ist. Hierher gehört vor allen die Vorstellung vom Widerstande, den uns die Körper bei der Bewegung unseres Körpers leisten, wovon weiter unten gehandelt werden wird. Die Empfindungen des Drucks und der Wärme und Kälte sind so verschieden, daß es zweifelhaft erscheinen kann, ob beide als verschiedene Modifikationen einer und derselben Empfindung angesehen werden dürfen. Da die Zunge zugleich der Sitz zweier Sinne, des Geschmackssinns und Tastsinnes ist, so muß man die Frage aufwerfen, ob etwa auch die Haut der Sitz zweier Sinne, des Drucksinns und Temperatursinns sei. Dienten dieselben an den Enden der Tastnerven angebrachten mikroskopisch kleinen Sinnorgane für beide Zwecke, und also sowohl zur Wahrnehmung des Drucks und seiner gradweisen Verschiedenheiten, als auch zur Wahrnehmung der Wärme und Kälte und ihrer gradweisen Unterschiede, hätte die Empfindung von Wärme und Kälte ihren Grund in der Wahrnehmung desjenigen Drucks, der dadurch entstünde, daß die Wärme die Körper ausdehnt, die Kälte aber ihr Volumen vermindert; so würde nur ein einziger Sinn, der Tastsinn, in der Haut anzunehmen sein. Man dürfte dann vielleicht vermuten, daß ein in einer bestimmten Richtung auf die Teile der Haut wirkender Druck und Zug die Empfindung von Druck und Zug, daß das gegen eine in gewissen Teilen der Haut nach vielen Richtungen stattfindende Zusammendrückung und Ausdehnung die Empfindung von Kälte und Wärme verursachten. Existierten dagegen in der Haut zweierlei Arten von Organen, von welchen die einen durch Druck in Bewegung gesetzt würden, und dadurch eine Veränderung in den mit ihnen verbundenen Nerven hervorbrächten, die anderen aber durch Temperaturveränderungen in Bewegung gerieten, und dadurch in den mit ihnen verbundenen Nerven Eindrücke hervorbrächten, so würde man in der Haut einen Drucksinn und einen Temperatursinn anzunehmen haben. Die erstere Annahme scheint mehr für sich zu haben als die letztere. Ich stütze mich, indem ich dieses ausspreche, auf die von mir gemachten Beobachtungen, welche die Aufmerksamkeit der Physiologen zu verdienen scheinen: kalte auf der Haut ruhende Körper scheinen uns schwerer, warme leichter zu sein als sie sollten. Die Empfindung der Kälte scheint sich demnach mit der Empfindung des Drucks zu summieren, die der Wärme scheint sich nicht zu summieren, vielleicht sogar wie ein negativer Druck zu wirken, und also die gleichzeitige Empfindung des Drucks zu vermindern. Man nehme gleiche Gewichte von ganz gleicher Gestalt, die man bequem übereinander legen kann. Hierzu eignen sich sehr gut neue Taler. Man erkälte die einen bis unter den Frostpunkt, z. B. bis auf -7°C oder -4°C und erwärme die anderen bis auf +37° oder 38°C, und lege einem Beobachter, der so da liegt, daß der Kopf völlig unterstützt, und daß die Fläche der Stirn horizontal ist, und der zugleich die Augen schließt, einen kalten Taler auf die Stirn, entferne ihn gleich darauf und lege zwei warme übereinander liegende Taler genau an dieselbe Stelle, nehme sie dann weg und bringe sehr schnell wieder einen kalten dahin, und nachdem man ihn wieder weggenommen lege man wieder zwei warme Taler dahin, bis der Beobachter im Stande ist ein Urteil darüber abzugeben, ob das zuerst auf die Stirn gelegte oder das nachher dahingebrachte Gewicht das schwerere sei. Der Beobachter wird behaupten, daß beide Gewichte gleich schwer wären oder sogar daß das, welches aus zwei erwärmten Talern bestand, das leichtere sei. Dieser Versuch, den ich bei Mehreren mit demselben Erfolge angestellt habe, beweist, daß die Empfindung der Kälte die Empfindung des Drucks sehr beträchtlich verstärke, da nicht nur das kalte Gewicht, wenn es gleich groß ist, sondern sogar, wenn es nur halb so groß ist, für schwerer gehalten wird. Es versteht sich von selbst, daß der Beobachter, um diesen Versuch mit Erfolg anzustellen, vollkommen unterstützt sein müsse, und sich nicht erheben dürfe, weil er dann über die Schwere der Gewichte nicht bloß durch den Druck, den sie ausüben, sondern auch durch die Anstrengung der Muskeln eine Vorstellung erhalten würde, welche, um sie zu erheben, erforderlich ist.

Nur der Tastsinn verschafft uns Druckempfindungen und Temperaturempfindungen.

    Die Physiologen scheinen bis jetzt kaum daran gezweifelt zu haben, daß die inneren Teile, welche nicht mit Tastorganen versehen sind, gleichfalls fähig seien, uns die Empfindungen des Drucks, der Wärme und der Kälte zu verschaffen. Mir schien es zweifelhaft, daß diese besonderen Sinnesempfindungen auch da möglich sein sollten, wo die zu ihrer Wahrnehmung dienenden Sinnorgane fehlten. Um hierüber Gewißheit zu erlangen forderte ich meinen Freund Dr. Günther, Professor der Chirurgie in Leipzig, auf, bei einigen Kranken, bei welchen nach einer ausgedehnten und heftigen Verbrennung, und auf andere Weise ein großes Stück der Haut durch Eiterung zerstört worden war, mit mir gemeinschaftlich darüber Experimente zu machen, ob dieselben unterscheiden könnten, wenn die Wundfläche mit einem kalten oder warmen metallischen Körper berührt würde. Zu diesem Zwecke wurde ein Spatel in Wasser von +7° bis +10°R (8°,7–12°,5C), ein anderer in Wasser von +36° bis +40°R (45°–50°C) eingetaucht, so daß sie diese Temperaturen annahmen. Wenn man nun den wärmeren und den kälteren Spatel bald nach einander mit der Wundfläche in Berührung brachte, so gaben die Personen auf die Frage, ob der berührende Körper warm oder kalt sei, eben so oft eine falsche als eine richtige Antwort, so daß sie bisweilen dreimal hinter einander zu empfinden behaupteten, daß sie mit einem kalten Körper berührt würden, während derselbe warm war. Wurden aber dieselben Versuche in der Nachbarschaft der Wunde an unverletzten Teilen der Haut gemacht, so unterschieden sie die Temperatur leicht und sicher. Als man die Spatel in dem einen Falle noch wärmer machte, erregte er an dem Orte wo die Haut zerstört war, Schmerz, bei den vorher erwähnten Versuchen war das nicht der Fall. Solche zerstörte oder wunde Teile der Haut sind, wie man sich ausdrückt, sehr empfindlich, d. h. schon schwache Einwirkungen verursachen Schmerzen. Sogar der Wechsel der Witterung kann in solchen Teilen auf eine sonst unbegreifliche Weise Empfindungen hervorrufen, und dessen ungeachtet ist das Vermögen, Wärme und Kälte zu unterscheiden, nicht nur nicht gesteigert, sondern sogar ganz aufgehoben. Ich erhielt auch durch Dr. Günther die Gelegenheit, die Unempfindlichkeit der Gedärme gegen die Kälte in einem Falle zu beobachten, wo mehrere Windungen derselben durch eine Bauchwunde hervorgedrungen, und nur durch die hervorgedrängte Bauchhaut bedeckt waren. Sie wurden mit einem Tuche bedeckt, das so eben in kaltes Wasser eingetaucht worden war, welches (im September) die Zimmertemperatur hatte; der Patient hatte dabei nicht die geringste Empfindung von Kälte oder Schmerz und fühlte auch keinen Druck.

    Zu demselben Resultate führten Versuche, welche Steinhäuser1) bei einer Frau anstellte, bei welcher sich in Folge einer Abdominalschwangerschaft ein Abszeß am Unterleibe gebildet hatte, und ein anus artficialis am Dickdarme entstanden war, der später heilte. Bei dieser Frau, die sonst vollkommen gesund war, und namentlich auch gut verdaute, trat durch eine, 11/2 Zoll im Durchmesser große Öffnung der Darm, indem er sich umstülpte, hervor. Nachdem Steinhäuser der Frau die Augen mit einem Leinentuche verdeckt hatte, berührte er die Schleimhaut längere Zeit mit Eis, und hierauf mit einem Eisen, das so warm war, daß man es kaum in der Hand halten konnte. Aber die Patientin fühlte nichts davon. Wurde die Schleimhaut mit einer Nadel gestochen, so merkte sie nicht, daß sie berührt wurde. Diese Versuche wurden oft und immer mit demselben Erfolge wiederholt. Sogar von der Berührung mit Höllenstein, und als ein Stückchen Schleimhaut mit der Schere ausgeschnitten wurde, fühlte die Patientin nichts.

1) Steinhäuser, Experimenta nonnula de sensibilitate et functione intestini crassi. Lipsiae 1831, pag. 19.
 
 
    Wenn man sehr warme oder sehr kalte Getränke verschluckt, so bemerkt man, daß die Zunge, der Gaumen und der Schlund Tastsinn haben. Von hieran verschwindet er aber oder wird wenigstens so unvollkommen, daß man daran zweifeln kann, ob er noch überhaupt vorhanden sei. Füllt sich der Magen mit warmen oder kalten Getränken, oder wird der Dickdarm durch Klystiere mit warmen und kalten Flüssigkeiten erfüllt, so müssen in wenig Sekunden die anliegenden Häute und Muskeln die Einwirkung der Wärme und Kälte erleiden. Es müßte daher alsbald eine gar nicht zu verkennende Empfindung von Wärme und Kälte entstehen. Es entsteht aber bei solchen Graden, die in der Haut keinen Schmerz verursachen, gar keine Empfindung. Freilich, wenn die Kälte und Wärme einen solchen Grad erreicht, daß sie in der Haut Schmerz erregen würden, so können die Flüssigkeiten allerdings auch in diesen inneren Teilen eine dem Gemeingefühle angehörende, jedoch schwächere Empfindung hervorrufen, aber es ist nicht die Empfindung von Wärme und Kälte, die man hat, und noch viel weniger ist man im Stande, gradweise Unterschiede derselben zu empfinden. Um selbst einige Versuche dieser Art zu machen, tat ich in ein Trinkglas voll Wasser, das vor dem Fenster in der Frostkälte stand, so viel Schnee, daß es sich bis auf 0° R abkühlen mußte, und trank es schnell aus. Ich empfand die große Kälte desselben deutlich in der ganzen Mundhöhle und am Gaumen und Rachen. Aber ich fühlte nicht das allmälige Hinabdringen des kalten Wassers durch die Speiseröhre. In der Magengegend hatte ich zwar eine Empfindung, die ich für die Empfindung einer schwachen Kälte hielt; da sie aber nur in der Gegend der vorderen Magenwand, nicht in der Gegend der hinteren nach dem Rücken zu gespürt wurde, so vermute ich, daß diese Empfindung von einer Mitteilung von Kälte an die Haut des Bauchs in der Magengegend hergerührt habe. Ich machte den entgegengesetzten Versuch und trank so schnell als möglich drei Tassen voll Milch, deren Temperatur in der ersten Tasse +56°R (+70° C), in der dritten +50°R (62°,5 C) betrug, in der zweiten aber eine Temperatur hatte, die zwischen diesen Temperaturen in der Mitte stand. Ich fühlte die Wärme im Munde, im Gaumen und im Schlunde, nicht aber in der Speiseröhre. Im Momente, wo die verschluckten Portionen im Magen ankamen, hatte ich eine längere Zeit fortdauerndes Gefühl, aber es war nicht deutlich das Gefühl von Wärme, ich hätte es bisweilen sogar mit einem Kältegefühl verwechseln können. Versuche, welche von mir bei mehrern Personen mit kalten Klystieren gemacht wurden, sind schon oben angeführt worden. Auch sie bestätigten es, daß innere Teile, die nicht mit Tastorganen versehen sind, uns nicht die Empfindung der Wärme und Kälte verschaffen können; und daß Teile, die nicht mit Tastorganen versehen sind, uns auch nicht die Empfindung des Drucks verschaffen können, dafür ist schon oben die Erfahrung angeführt worden, die ein Jeder mit dem Zwerchfelle zu machen Gelegenheit hat, so wie auch die, daß ein Druck, der auf den Stamm eines Tastnerven ausgeübt wird, nicht die Empfindung von Druck, sondern von Schmerz verursacht. Eben so entsteht, wenn Wärme, Kälte oder Druck den entblößten Zahnkeim affiziert, ein Nervenschmerz, der in allen drei Fällen derselbe ist, und nicht die mindeste Ähnlichkeit mit den Empfindungen der Wärme, Kälte und des Druckes hat.

    Die Schleimhaut der Nase ist nur am vorderen Eingange in die Nase, ferner am Boden und in der Nähe des Bodens der Nasenhöhle mit Tastsinn begabt, in den höheren Regionen, zu welchen sich der Geruchnerv verbreitet, und wo die Schleimhaut mit dem Flimmerepithelium bedeckt ist, scheint der Tastsinn zu fehlen, obgleich die Haut ein sehr lebbaftes Gemeingefühl hat. Zieht man daher bei großer Winterkälte mit Kraft sehr kalte Luft durch die Nase ein, so empfindet man die Kälte am Eingange der Nase, auf dem Boden derselben und auf der oberen Oberfläche des Gaumenvorhangs, nicht aber in den höheren Regionen. Eben so empfindet man die Kälte und den Druck eines kalten, runden glatten Eisenstäbchens, das man in die Nase einbringt, am Eingange, wenn es aber in die höheren Regionen kommt, so bringt es nur einen Kitzel oder Schmerz hervor keineswegs die Empfindung der Kälte und des Drucks.2)

2) Als ich den schon oben angeführten Versuch bei mir selbst anstellte, und, während ich auf dem Rücken lag, in das eine Nasenloch eiskaltes Wasser durch eine zugespitzte Glasröhre füllen ließ, erfüllte sich zuerst diese Nasenhöhle, dann der oberste Teil des Pharynx und von da aus die andere Nasenhöhle, so daß das Wasser in beiden Nasenlöchern bis an den Rand reichte. Ich konnte atmen und sogar sprechen, ohne daß das Wasser weiter in den Rachen hinabfloß. Die Nasenhöhlen nebst ihren Nebenhöhlen faßten bei mir in dem einen Falle 16,6 Kubikzentimeter, in dem anderen 17,2 Kubikzentimeter Wasser. Bei einem Jünglinge von 16 Jahren, bei welchem ich denselben Versuch anstellte, faßten die Nasenhöhlen in dem einen Falle 8,3, in einem zweiten 11,7 Kubikzentimeter Wasser. Die kalte Temperatur desselben empfand ich nur am Eingange, ferner ganz schwach auf dem Boden der Nase, endlich etwas deutlicher auf der oberen Oberfläche des Gaumenvorhangs. Von der Anfüllung der anderen Nasenhöhle mit Wasser nahm ich nichts wahr und würde davon gar nichts gemerkt haben, wenn nicht mein Assistent mich darauf aufmerksam gemacht hätte, daß das Wasser an dem anderen Nasenloche emporsteige. War das eingefüllte Wasser 0°C., so entstand in der Stirnhöhle ein eigentümlicher Schmerz, der aber keine Ähnlichkeit mit der Empfindung der Kälte hatte. Der junge Mensch bemerkte diesen Schmerz vorzüglich in der Gegend des Canalis lacrymalis. Wasser, das beim Einfüllen 0°C. hatte, und nachdem die Nasenhöhle erfüllt war sogleich wieder ausfloß, war in der kurzen Zeit in der Nasenhöhle so warm geworden, daß es, als es in einem Gefäßchen aufgefangen wurde, das bis zu +20 C. erwärmt war, eine Temperatur von + 25°C. zeigte.
 
 
Die Elementarfäden der Tastnerven und ihre peripherischen und zentralen Enden.

    Die Haut ist zugleich Sinnorgan und Absonderungsorgan. Für beide Zwecke nimmt man in ihr kleinere Organe wahr. Die Hautwärzchen und Haarbälge, vielleicht auch die Pacinischen Körperchen, sind Werkzeuge für das Sinnorgan, die Hautdrüsen gehören dem Sekretionsorgane an.

    Über den feineren, durch das Mikroskop zu entdeckenden, Bau der Haut, für den Zweck des Tastsinns, weiß man äußerst wenig.

    Die Elementarfäden der Tastnerven unterscheiden sich in ihrem äußeren Ansehen nicht von den Elementarfäden der Nerven der animalischen Muskeln, sie haben daher ungefähr einen viermal größeren Durchmesser als die Fäden des Geruchnerven und Sehnerven, und ungefähr einen noch einmal so großen Durchmesser als die Fäden des Gehörnerven. Aber die Geschmacknerven scheinen dasselbe Ansehen und dieselbe Größe als die Tastnerven zu haben. Dieser Unterschied in der Größe rührt zum Teil von den dickeren Hüllen her, durch die die Elementarfäden der Tastnerven, Geschmacknerven und Muskelnerven vor dem Drucke der sie umgebenden Teile, namentlich auch der Muskeln, geschützt werden. Da die Geruchnerven, Sehnerven und Gehörnerven auf ihrem kurzen Wege sehr geschützt sind, so bedurfte es bei diesen letzteren wohl keiner so dicken Hüllen für die Elementarfäden, und daher sind sie von einfachen Kontouren begrenzt, während die Kontoure der Elementarfäden der Tastnerven doppelt, und diese Nerven im Ganzen viel härter sind als die genannten drei Nerven. Bell verdanken wir die Entdeckung, daß es besondere Gefühlsnerven und Bewegungsnerven gibt, und daß die Gefühlsnerven der Haut und anderer Teile des Rumpfs und der Extremitäten, wenn sie in die Nähe des Rückenmarks kommen, sich von den Muskelnerven trennen, mit welchen sie auf dem größten Teile ihres Wegs gemengt lagen und daselbst die hintere, mit einem Spinalganglion versehene, Wurzel der Rückenmarknerven bilden. Magendie hat diese Entdeckung durch sehr schätzbare Experimente in ein helleres Licht, und Joh. Müller hat sie durch seine Versuche außer allen Zweifel gesetzt. Die Empfindungsnerven zeichnen sich, wie R. Wagner bemerkt, dadurch vor den Bewegungsnerven (und den drei oben genannten Sinnesnerven) aus, daß die Elementarfäden, da wo sie durch das Spinalganglion gehen, durch eine Ganglienkugel unterbrochen werden. Man muß von der Zukunft Aufschluß darüber erwarten, was diese Einschaltung einer Ganglienkugel in den Elementarfäden der Empfindungsnerven für einen Zweck habe. Ich habe schon auf die große Wichtigkeit der Entdeckung Fontana’s aufmerksam gemacht,3) welche Prevost und Dumas und ferner Edwards bestätigt hatten, daß die Elementarfäden der Nerven auf ihrem Wege zum Gehirn keine Äste aufnehmen oder abgeben, sondern als einfache, ungeteilte, ziemlich gleich dicke Fäden dahin gehen und gezeigt, daß dieses Resultat der mikroskopischen Anatomie durch physiologische Experimente über die Funktion der Nerven bestätigt werde. Ich sagte: die Fortpflanzung des Eindrucks scheine nur durch diejenigen kleinsten Nervenfäden, die unmittelbar gereizt werden, zu geschehen, und der Reiz scheine sich nicht von einem Nervenfaden auf andere Nervenfäden fortzupflanzen, weil sie mit denselben nicht durch ihr Nervenmark zusammenhängen. Durch diese Einrichtung werde bewirkt, daß eine bestimmte Stelle des Tastorgans mit einer bestimmten Stelle des Gehirns durch einen einzigen ungeteilten Faden in Zusammenhang gebracht werde. Es scheint nichts darauf anzukommen, welche Umwege der Nervenfaden unterwegs macht, und in welcher Nervenscheide er mit anderen Nervenfäden beisammen liegt, aber wir dürfen vermuten, daß viel darauf ankomme, daß der Ordnung, in welcher die Nervenfäden von der Haut ausgehen, eine zweite Ordnung entspreche, in welcher sie im Gehirne endigen. Joh. Müller4) hat hierauf sowohl durch seine trefflichen Untersuchungen das Faktum, daß die Elementarfäden keine Äste abgehen und aufnehmen, bestätigt, als auch sehr interessante Folgerungen daraus gezogen. Über die Frage, wo und wie sich die Tastnerven im Gehirne endigen, können wir noch keine bestimmte Auskunft geben, aber die Erfahrungen, die wir bei Menschen über die halbseitige Lähmung, Hemiplegia, machen, erlauben es uns, die Gegend des Gehirns, wo das Zentralorgan für den Tastsinn zu suchen ist, anzuzeigen, nämlich jenseits des Sehhügels und des gestreiften Körpers nach den Windungen des großen Gehirns zu.

3) Hildebrandts Handbuch der Anatomie des Menschen, umgearbeitet von E. H. Weber. Leipzig 1830. Bd. l. S. 275, 276, 281, 285 und 286.

4) Joh. Müller, in Froriep's Notizen, März 1831. Bd. 30. S. 113 und Handbuch der Physiologie des Menschen. Koblenz 1834. Bd. I. S. 665 ff.
 
 

    Bei der Hemiplegie experimentiert die Natur für uns. Sehr oft ist es ein Bluterguß im Sehhügel oder gestreiften Körper der einen Seite, und zugleich im anstoßenden Teile der Hemisphäre, oder in einem von diesen beiden Hügeln allein, selten an einem Orte, der den Windungen des großen Gehirns noch näher liegt, noch seltener an einem Orte, der sich hinter diesen Hügeln nach der medulla oblongata zu befindet,5) welcher einen Druck auf einen so kleinen Teil des Gehirns oder auch eine so eng begrenzte Zerstörung desselben hervorbringt, daß dieselben Teile auf der anderen Seite des Gehirns nicht mit leiden. Der Blutandrang, der die Zerreißung eines Blutgefäßes zu Wege bringt, trifft anfänglich einen viel größeren Teil des Gehirns, und bringt meistens völlige Bewußtlosigkeit und andere Erscheinungen eines umfänglichen Leidens des Zentrums des Nervensystems hervor. Auch erregt der Bluterguß Nachwirkungen von größerem Umfange, als die Verletzung an sich hervorbringen würde, z. B. durch Hirnentzündung. Wenn sich nun aber diese Erscheinungen gegeben haben, so bleiben diejenigen übrig, welche die Folge der durch den Bluterguß angerichteten Hemmung oder Zerstörung sind. Es zeigt sich dann der merkwürdige Erfolg, daß das Empfindungsvermögen auf der Seite, auf welcher das Gehirn nicht verletzt ist, an der unteren und oberen Extremität, seltener nur an einer von beiden, und außerdem am Rumpfe von der Mittellinie am Rücken bis zur Mittellinie am Bauche geschwächt, oder mehr oder weniger vollkommen gelähmt ist, daß aber zugleich nur diejenigen Muskeln, welche die gelähmte Extremität oder die gelähmten Extremitäten zu bewegen bestimmt sind, nicht aber die Muskel, welche die Teile des Rumpfs gegen einander bewegen, mehr oder weniger vollständig gelähmt sind. 5) Andral, Précis d'anatomie pathol. T. II. p. 281, übers. von Becker, II. 437, hat 386 Fälle von Hirnblutung gesammelt, jedoch ohne die Krankheitserscheinungen zu bemerken, unter diesen waren
202 Fälle, wo die Blutung in dem Teile der Hemisphären entstanden war, welcher in der Höhe der gestreiften Körper und der Sehhügel liegt und zugleich in diesen Organen,
61 Fälle, wo sie nur im gesteiften Körper,
35 Fälle, wo sie nur im Sehhügel,
27 Fälle, wo sie in der über dem Zentrum semiovale gelegenen Portion der Hemisphäre gefunden wurde,
10 Fälle, wo sie im vorderen Hirnlappen vor dem gestreiften Körper, endIich
  7 Fälle, wo sie hinter dem Thalamus n. opt. im hinteren Hirnlappen, und nur 44 Fälle, wo sie im kleinen Gehirne, Pons, Medulla oblongata, spinalis und Glandula pinealis erfolgt war.
 
 
    Hiermit ist sehr häufig die Lähmung der einen Hälfte der Zunge, mehrerer Gesichtsmuskeln und des Tastsinns auf derselben Seite des Kopfs, wo die Extremitäten gelähmt sind, verbunden.

    Ich habe an einigen Patienten eine Reihe von Experimenten ausgeführt, um im Einzelnen zu prüfen, welche Muskeln gelähmt, und ob dieselben vollkommen gelähmt wären, ferner in welcher Ausdehnung und in welchem Grade der Tastsinn und das Gemeingefühl gelähmt sei, und bin dabei zu folgenden Resultaten gelangt. Bei der einfachsten, nicht komplizierten, Hemiplegie werden nur die Tastorgane der einen Seitenhälfte und die sie bewegenden Muskeln (wiewohl in der Regel nicht vollständig) gelähmt, dagegen bleiben diejenigen Muskeln, die mit der Bewegung der Tastorgane nichts zu tun haben, frei von der Lähmung. Es werden daher gelähmt: die Haut und die Muskeln des einen Arms (wohin unter anderen auch der Cucullaris, Latissimus dorsi, und Serratus anticus major gehören), ferner die Muskeln des einen Beins, der einen Hälfte der Zunge und der einen Hälfte der Lippen, und der übrige Teil der Haut auf derselben Seite des Kopfs und Rumpfs. Es werden dagegen nicht gelähmt diejenigen Muskeln, die nichts zur Bewegung jener mit Tastsinn versehener Glieder beitragen, sondern nur einen Teil des Rumpfs gegen den anderen bewegen, also die Muskeln, die den Rumpf strecken, beugen und drehen, ferner die Intercostalmuskeln und die Bauchmuskeln. Es versteht sich von selbst, daß sich die Lähmung oft nicht über die ganze Seite des Körpers erstrecke, sondern nur auf den Arm oder nur auf das Bein, und nur auf einen Teil der Haut des Rumpfs. Aber sie erstreckt sich in nicht komplizierten Fällen nicht auf die Muskeln der anderen Seite, und die vordere und hintere Mittellinie bildet eine Grenze, über welche hinaus die Lähmung der Haut nicht reicht. Die Arme, Beine, die Zunge, die Lippen, die Kiefer sind Teile, welche bei der Entstehung des Menschen nicht sogleich vom Anfange gebildet werden, wenn der Kopf und Rumpf entstehen, sondern nachträglich als Anhänge hervorwachsen. Die Nerven dieser Tastorgane und ihrer Muskeln scheinen sich hoch hinauf in das große Gehirn zu begeben, während die Nerven der Muskeln, die den Rumpf bewegen, tiefer unten in der medulla oblongata ihren Mittelpunkt zu haben scheinen, und daher die Tastnerven nicht in’s Gehirn begleiten. Da gewisse Regionen der Haut und der genannten Muskeln gleichzeitig gelähmt, und wenn die Krankheit sich bessert, auch oft beide wieder von der Lähmung befreiet werden, und da es zu den sehr seltenen Ausnahmen gehört, daß die Muskeln gelähmt werden, ohne daß zugleich Spuren von Lähmung in der Haut vorhanden sind, und daß die Haut gelähmt wird, ohne daß zugleich Spuren von Lähmung in den Muskeln vorhanden sind, und diese angeblichen Ausnahmen noch sehr einer genauen Revision bedürfen, so darf man mit Recht vermuten, daß an dem angegebenen Orte des Blutergusses im Gehirne die Nerven der ganzen Hälfte der Haut nahe beisammen liegen, denn, wäre das nicht der Fall, so würden sich zu Folge einer so lokalen Verletzung niemals, viel weniger aber so oft, in der Haut der ganzen einen Körperhälfte Spuren von Lähmung finden,6) und ferner, daß die Nerven einzelner Abteilungen der Haut an dem verletzten Teile des Gehirns nahe neben den Nerven gewisser Muskeln liegen, so daß der Druck, den das ergossene Blut ausübt, oder die Störung, die vermöge der Durchdringung mit Blut entsteht, fast immer zugleich gewisse Nerven der Haut und der Muskeln trifft. Ich bin der Meinung, daß an dem Orte des Blutergusses, welcher die Hemiplegie erzeugt, nicht das Nervenzentrum für den Tastsinn zu suchen sei, sondern daß sich hier die Nerven noch auf dem Wege zu diesem Zentrum befinden. Wenn das Nervenzentrum selbst affiziert wird, so scheinen Krämpfe zu entstehen, die mit Gefühllosigkeit der affizierten Teile verbunden sind. In den Fällen, wo ich mit der Hemiplegie Behaftete untersuchte, waren die Haut und Muskeln nicht immer in allen ihren Teilen gelähmt. Das ist auch gar nicht zu erwarten. Denn die Störung, die der Druck des ergossenen Bluts, oder die Durchdringung des Gehirns mit Blut hervorbringt, trifft unstreitig nicht jeden einzelnen Nervenfaden, und nicht einmal alle Bündel der in der Nähe liegenden Nervenfäden. Bei einem Drucke, den wir auf den nervus ulnaris ausüben, werden auch nicht alle Nervenfäden affiziert oder in gleichem Grade getroffen. In allen diesen Fällen sagt man, das Gefühl sei pelzig. Dadurch, daß viele Nervenfäden, die in ihrem Leitungsvermögen behindert oder beschränkt sind, mit anderen vermengt sind, bei welchen das nicht der Fall ist, scheint der Tastsinn außerordentlich gestört zu werden. Dasselbe scheint auch hinsichtlich des Bewegungsvermögens bei den mit Hemiplegie Behafteten stattzufinden, die Funktion der Muskeln aber wird dadurch noch mehr gestört, als die der Haut. In der Haut wechseln Teile, wo Nadelstiche oder die Berührung mit einem in heißes Wasser getauchten Löffel gar nicht gefühlt werden, mit anderen ab, wo dergleichen stärkere Einwirkungen als eine Berührung empfunden werden, ohne daß sie Schmerz erregen. Allein man würde sich sehr irren, wenn man glaubte, daß an diesen Teilen die Fähigkeit, Schmerz zu empfinden, aufgehoben sei, während der Tastsinn fortbestehe. Stiche und die Berührung heißer Körper schmerzen nur deswegen nicht, weil sie nur als ein schwacher Kitzel empfunden werden, den man nicht Schmerz nennen kann, sie bringen daher nicht eine Tastempfindung hervor, sondern eine Gemeingefühlempfindung, die aber, weil nur wenige Nervenfäden den Eindruck fortpflanzen, oder weil die Nervenfäden den Eindruck nur unvollkommen und daher schwach fortpflanzen, von zu geringer Stärke ist, als daß er schmerzen könnte. Nur an manchen Teilen der Haut ist der Tastsinn ungeschmälert vorhanden, und an diesen empfindet der Patient auch Schmerz, wenn er gestochen oder mit heißen Körpern berührt wird. Die Störung, die der Tastsinn erleidet, weil gelähmte und nicht gelähmte Nervenfäden unter einander gemengt sind, zeigt sich unter anderen auch dadurch, daß der Patient die Berührung mit einem Finger nicht von einem Nadelstiche unterscheiden kann, und daß er über den Ort, wo er berührt wird, eine sehr unvollkommene Vorstellung erhält, so daß er z. B. glaubt, er werde an der Wade berührt, wenn man den Fußrücken berührt, oder er werde an dem Kreuz berührt, wenn man die Mitte des Rückens berührt. Ob Tastsinn vorhanden sei oder nicht, zeigt sich sehr leicht daran, ob der Patient mäßig warme Körper von kalten Körpern unterscheiden kann.7)

6) Wenn es sich bestätigen sollte, daß wirklich die Muskeln der einen Körperhälfte gelähmt werden könnten, ohne daß sich zugleich Spuren einer Lähmung oder Schwächung des Empfindungsvermögens fänden, und daß umgekehrt die Lähmung der Haut der einen Körperhälfte beobachtet würde, ohne daß sich Spuren einer Lähmung oder Schwächung der Muskeln zeigten, so würde man vermuten dürfen, daß die Empfindungs- und Bewegungsnerven jenseits des Sehhügels und gestreiften Körpers, und also noch näher an den Windungen des Gehirns sich mehr von einander entfernten, als es in den Sehhügeln und den gestreiften Körpern der Fall ist.

7) Um eine anschauliche Vorstellung davon zu geben, wie bei der Hemiplegie nahe neben einander liegende Teile der Haut ihren Tastsinn, und bald mehr oder weniger auch das Gemeingefühl verlieren können, setze ich eine kurze Relation von einem speziellen Falle hierher: G., 68 Jahre alt. Spielkartenfabrikant, leidet seit ungefähr 8 Wochen an Hemiplegie, die dadurch entstanden sein soll, daß er sich dem Zuge bei offnen Fenstern ausgesetzt, während er vorher bei angestrengter Arbeit geschwitzt hatte. Die Krankheit begann damit, daß er plötzlich nicht mehr stehen konnte, weil der linke Fuß zusammenknickte. Das Bewegungsvermögen ist im linken Arme und Fuße gelähmt, ungelähmt dagegen sind die Drehmuskeln des Kopfs und Rumpfs, die Ausstreckemuskeln des Rückens und die Beugemuskeln des Kopfs und Rückens, die Kaumuskeln, die Atmungsmuskeln und die Bauchmuskeln. Der Patient kann sich im Bette nicht aufrichten, denn dazu wird die Tätigkeit gewisser, von den Beinen zum Rumpfe gebender, Muskeln erfordert, wohl aber kann er sich, wenn er aufgerichtet wird, drehen, beugen und strecken. Der Pectoralis major und Latissimus dorsi sind also gelähmt, das Zwerchfell dagegen, die Intercostalmuskeln und die Sternocieido-mastoidei sind es nicht. Das Empfindungsvermögen, Tastsinn und Gemeingefühl, sind am ganzen linken Beine und Arme gelähmt oder geschwächt. Es gibt indessen einzelne Stellen am Rücken des Fußes, am Unterschenkel zwischen tibia und fibula, wo Stiche, die man mit einem spitzen Messerchen macht, empfunden werden, aber nicht als Schmerz, wie am rechten Fuße, sondern als Berührung oder Kitzel, wodurch ein Zusammenfahren des Patienten und bisweilen ein Zucken eines einzelnen Muskels des Beins in der Gegend des Vastus ext. oder des Tibialis ant.. und also Reflexbewegung entsteht, woraus man sieht, daß auch diese Muskeln nicht ganz gelähmt sind. Es gibt Teile der Haut, wo der Patient gar nichts fühlt und andere, wo die Berührung mit einem 51° R. bis 56° R. heißen Löffel keinen Schmerz, aber eine Empfindung der Berührung hervorbringt. Am Rücken des Fußes und am vorderen Teile des Unterschenkels fühlt er nicht, wenn er mit dem Finger berührt wird, und kann Kälte und Wärme nicht unterscheiden, er fühlt aber die Berührung jenes heißen Löffels als einen Stich; über den Ort des Stichs ist er jedoch so im Unklaren, daß er z. B. glaubt, er werde in die Wade gestochen, wenn er am Rücken des Fußes berührt wird. Auf der linken Seite des Bauchs, an dem den Rectus abdominis be-deckenden oder neben ihm liegenden Teile der Haut fühlt er Stiche nicht als Schmerz, wohl aber als Berührung, kann aber nicht unterscheiden, ob er mit einem Finger berührt oder mit einer Nadel gestochen wird. Hohe Wärmegrade scheint er von Kälte zu unterscheiden. Jenseits der Mittellinie ist er empfindlich. Am linken Teile des Rückens empfindet er, wenn er mit einem kalten und einem heißen Löffel abwechselnd berührt wird, die Berührung, unterscheidet aber die Wärme und Kälte nicht, und den Ort der Berührung so unvollkommen, daß er am Kreuz berührt zu werden glaubt, wenn es mitten auf dem Rücken geschieht. Seitwärts in der Weiche und auf dem Glutaeus fühlt er auch nicht einmal Berührung eines heißen Löffels. An der Brust unterscheidet er rechts von der Mittellinie deutlich Wärme und Kälte, links von ihr empfindet er sie nicht, wohl aber unterscheidet er in der Linie, in welcher die Gelenke der Rippenknorpel liegen, Nadelstiche als Berührung. Dicht daneben nach außen fühlt er sie nicht. Am Halse hat er kein Gefühl von Wärme und Kälte, wohl aber im Gesichte, in der Nähe des Mundes, auf beiden Kiefern und am Jochbeine. Am Backen wechseln fühlende und fühllose Teile mit einander ab. Ohne Gefühl ist das Ohr; auch das Brennen des heißen Löffels wird hier nicht empfunden, nicht einmal als Berührung. Das Gefühl am linken Arme habe ich nicht genauer untersucht.
 
 

    Auch die Art der Endigung der Tastnerven in der Haut ist uns noch nicht gehörig bekannt. Es wird durch meine Versuche über den Ortsinn der Haut sehr wahrscheinlich, daß ein jeder elementare Nervenfaden eine größere Abteilung der Haut empfindlich mache, aber es ist noch nicht durch die mikroskopischen Untersuchungen hinreichend gewiß, auf welche Weise dieses geschehe, ob dadurch, daß ein solcher elementarer Nervenfaden sich vielfach hin- und herbeugt und an verschiedenen Orten seines Verlaufs Eindrücke aufnehmen kann, oder ob er sich in der Nähe seiner Endigung in Äste teilt. Wir haben z. B. von ferneren Untersuchungen die Entscheidung darüber zu erwarten, ob die Schleifen der sich umbeugenden Elementarfäden der Zahnnerven, die G. Valentin8) in dem Backenzahne des Schafs beschrieben und abgebildet hat, wirklich die Enden dieser Nerven sind, und ob die Hautnerven sich auf eine ähnliche Weise in den Hautwärzchen, Haarzwiebeln und an anderen Orten des Tastorgans so endigen. Was E. Burdach9) und Valentin10) an der Haut des Frosches über die Tastnerven beobachtet haben, reicht nicht aus, um sich eine Vorstellung davon zu machen, wie die Einwirkung der Wärme und Kälte und des Drucks auf die Tastnerven geschieht. Eine Teilung der Nervenenden in Äste hat man bisweilen in den Vaterschen oder Pacinischen Körperchen gefunden, von denen freilich noch zweifelhaft ist, ob sie Empfindungsorgane sind. Namentlich ist in den Pacinischen Körperchen, in zwei Fällen von Henle und Kölliker11) und in so zahlreichen Fällen von Herbst12) eine solche Teilung eines Elementarfadens in Äste beobachtet worden, daß Herbst die Teilung für die Regel zu halten geneigt ist. Die neuerlich nach Pacini benannten, 1741 von Vater13) an der Hand und am Fuße des Menschen entdeckten, und papillae nerveae genannten, Körperchen sind sehr rätselhafte Teile, und ihr regelmäßiges von Henle und Kölliker entdecktes Vorkommen am Mescolon und am Pancreas der Katze will sich mit keiner der Ideen vertragen, nach welchen man sie als Hilfsorgane für den Tastsinn betrachten möchte. Herbst14) hat bei der Katze am mesocolon 20 bis 160, an dem mesenterium derselben 2 bis 79, an der Oberfläche der Mesenterialdrüsen 40 bis 50 und an dem Pankreas 40 bis 60 Pacinische Körperchen gefunden. Bei dem Leopard fand er am Mesenterium keine. Herbst rechnet, daß in der Hand des Menschen etwa 600 Pacinische Körperchen liegen, in der Hohlhand zählte er 223, am Daumen 65, am Zeigefinger 95. Sie liegen im Panniculus adiposus. Man hat sie bis jetzt bei Hasen und Kaninchen an der Fußsohle vergeblich gesucht, und Herbst vermißt sie auch an der Fußsohle des Iltis und Wiesel, und bemerkt, daß auch bei allen jenen Tieren das fibröse Fettpolster fehle, in welchem sie bei Menschen und Tieren gefunden würden. Höher oben hat er sie bei Katzen, Hunden, Meerschweinchen und auch bei Nagetieren konstant an der Beinhaut der inneren Fläche des Radius, am Nervus interosseus gefunden. Das Endstück des Markfadens, an welchem sich zuletzt eine knopfartige Anschwellung befindet, liegt in einer ovalen, durchsichtigen, aus vielen konzentrischen Lagen bestehenden Kapsel, die nach Herbst eine Fortsetzung der Lagen zu sein scheint, aus welchen die dicke Hülle der Elementarfäden der Tastnerven besteht. Diese Lagen scheinen sich an der ovalen Kapsel dadurch aufzulockern, daß sie mit Flüssigkeit erfüllte Zwischenräume zwischen sich haben. Bei einem jungen Igel zählte Herbst 14, bei dem Meerschweinchen 20 konzentrische Lagen an der ovalen Kapsel. Wo sich der Nervenfaden teilt, findet man eben so viel Kapseln, deren Lagen unter einander kontinuierlich zusammenhängen und sich in einander fortsetzen. 8) Valentin, Über den Verlauf und die letzten Enden der Nerven. Acta Acad. Caesar. Leopold. Carol. Nat. cur. Vol. XVIII. P. I. Tab, VI. Fig. 31 et 32.

9) E. Burdach, Beitrag zur mikroskopischen Anatomie der Nerven. Königsberg 1837. Tab II, Fig. 3.

10) Valentin a. a. 0. Tab. III. Fig. 3.

11) Henle und Kölliker, über die Pacinischen Körperchen an den Nerven des Menschen und der Säugetiere. Zürich 1844. 4.

12) G. Herbst, die Pacinischen Körperchen und ihre Bedeutung, mit 16 lithogr. Taf. Göttingen 1848. 8., wo auch die Literatur dieses Gegenstandes zu finden ist.

13) A. Vater, siehe Lehmann de consensu partium c. h. praeside A. Vater. Vitembergae 1741, 4., recus. in Halleri Disp, anat. select. Vol II, p. 970, 971.

14) Herbst, in d. Gött. gel. Anzeigen. Okt. 1848. St. 162. S. 1670 ff.
 
 

    Die empfindliche Oberfläche der Lederhaut und ihre unzähligen Wärzchen oder Pupillen, sowie auch die in der Haut oder unter der Haut befindlichen Organe des Tastsinns, z. B. die Haarbälge und Zahnkeime, sind sehr gefäßreich und nervenreich, und werden durch eine gefäßlose und nervenlose Bedeckung vor zu starken und zerstörenden, Schmerz erregenden, Einflüssen geschützt. Die Bedeckung ist bald dünn, wie die Oberhaut der Conjunctiva des Auges und die Oberhaut der Zunge, bald sehr dick, wie die Oberhaut der Hohlhand und des Hohlfußes, bald endlich so dick und hervorragend, daß sie wie eine Sonde die Eindrücke durch eine größere Strecke einer gefühllosen Materie zu den mit Nerven versehenen Teilen leitet, wie das bei den Zähnen, Haaren und Nägeln der Fall ist. Wo diese schützende unempfindliche Decke entfernt wird, erregt die leiseste Berührung und jede beträchtliche Mitteilung von Wärme und Kälte Schmerz, z. B. an dem entblößten Zahnkeime und an der ihrer Oberhaut beraubten Haut. Die Hornbedeckungen leiten die Wärme sehr langsam. Teile, die mit einer dünnen Oberhaut versehen sind, verschaffen uns daher die Empfindung der Wärme und Kälte schneller und stärker, als andere Teile mit dicker Oberhaut.

    Die Hautwärzchen, Papillae sind kleine, gefäßreiche Erhabenheiten der Lederhaut, welche nicht mit unbewaffnetem Auge sichtbar sind, da ihre Höhe nur etwa 1/25 Paris. Linie beträgt. Jedes Hautwärzchen teilt sich, nach meinen Untersuchungen in 2, 3 oder mehrere kleinere Wärzchen, von welchem manche divergiren, so daß die Spitzen derselben ziemlich gleich weit von einander entfernt und von den Spitzen der nächsten Wärzchen abstehen. So verhält sich’s sowohl auf der Hohlhand als auch auf dem Rücken der Hand, mit dem Unterschiede, daß die großen Hautwärzchen in der Hohlhand in Reihen stehen, welche die bekannten gekrümmten erhabenen Linien bilden, die man sehr gut mit unbewaffnetem Auge verfolgen kann, während die großen Hautwärzchen auf dem Rücken der Hand nicht in Reihen liegen. Eine erhabene Linie in der Hohlhand fand ich an ihrer Basis im Mittel 0,23 Paris. Linie breit. Eine solche Linie grenzt dicht an die nächste und jede enthält nebeneinander zwei Reihen von Hautwärzchen, von welchen sich jedes in 2, 3, 4 und mehrere kleinere Wärzchen teilt, so daß hier auf jeder Ouadratlinie wenigstens 81 große Hautwärzchen, oder 150 oder 200 kleinere Hautwärzchen gerechnet werden können. Diese Hautwärzchen ragen in die innerste, undurchsichtigere, weiche, in der Bildung begriffene Lage der Oberhaut hinein, die bei dem weißen Menschen weißer, bei dem Schwarzen schwärzer ist als die übrige Oberhaut, und den Namen Rete Malpighi führt. Diese innerste Lage der Oberhaut bildet nicht einen gleich dicken, die einzelnen Hautwärzchen einhüllenden Überzug, sondern nur einen ziemlich dicken allgemeinen Überzug über jede erhabene Linie der Hohlhand, der an seiner inneren Oberfläche ebenso viel Grübchen hat als Hautwärzchen existieren. Betrachtet man die innere Oberfläche des Rete Malpighi, wenn sich die Oberhaut samt dem Rete Malpighi vollständig von der Lederhaut getrennt hat, so bilden die Teile des Rete Malpighi, die sich am tiefsten zwischen die Hautwärzchen hineingesenkt hatten und nun die Gruben umgeben, in welchen die großen Wärzchen gesteckt hatten, ein Netz, das bei Schwarzen schwarz, bei Weißen weiß aussieht. Diese netzförmige Gestalt der inneren Oberfläche dieser Lage scheint die Ursache zu sein, warum Malpighi die ganze Lage ein Netz genannt hat, was sie nicht ist. Das Rete Malpighi unterscheidet sich noch dadurch von den ausgebildeten Lagen der Oberhaut, daß diese letztere aus unzähligen parallel gekrümmten äußerst dünnen Lamellen besteht, von welchen jede aus abgeplatteten Elementarzellen gebildet ist, die an ihren Rändern untereinander verwachsen sind. Bei dem Rete Malpighi sind die Elementarzellen noch nicht in dem Grade abgeplattet, die innersten sind sogar rundlich, auch sind die Elementarzellen noch nicht so untereinander an ihren Rändern verwachsen, daß sie bestimmte, aus einer einzigen Lage von Elementarzellen bestehende, Lamellen bilden. Die Dicke des Rete Malpighi und der ausgebildeten Oberhaut zusammen genommen fand ich in der Hohlhand ungefähr 1/4 Paris. Linie, davon betrug die Dicke des Rete Malpighi, da wo es am dicksten war, 1/22 Paris. Linie und über den Spitzen der Hautwärzchen, wo es am dünnsten war, 1/44 Paris. Linie.

    Die oberflächliche Lage der Lederhaut ist viel reicher an Haargefäßen als die übrige Lederhaut, die Hautdrüsen und Haarbälge ausgenommen. Sie ist von einem dichten blutführenden Haargefäßnetze durchzogen, dessen Röhrchen ich teils in der Haut des Arms eines Mannes gemessen habe, wo es sehr vollkommen mit Blut erfüllt war, teils am Rücken des Fußes eines Kindes, dessen Haargefäße vollständig injiziert waren. Die mit Blut erfüllten Haargefäße hatten folgende Durchmesser: die dünneren 0,0056 Par. Lin., d. h. ungefähr 1/178 Par. Linien. Die dickeren 0,039 oder 1/77 Paris. Linien. Die von den Haargefäßen umschlossenen Zwischenräume des Netzes waren größer, ihr Durchmesser war hin und wieder noch einmal so groß als der Durchmesser der Haargefäße, bisweilen aber auch nur um 1/3 größer.

    Von diesem dichten Haargefäßnetz erstreckte sich in jedes kleinere Hautwärzchen ein Haargefäß, das sich in der Nähe der Spitze desselben umbog und nun wieder in das Haargefäßnetz zurückkehrte und also eine in dem Hautwärzchen liegende einfache Haargefäßschleife bildete. Außer dieser Schleife hatte das Hautwärzchen weiter keine Blutgefäße. Bisweilen war diese Haargefäßschleife glatt, bisweilen wurde sie von einem geschlängelten Gefäße gebildet.

    Es wäre nun noch übrig, ebenso genau die Nerven in den Hautwärzchen zu beschreiben. Ich hoffe, daß es mir in Zukunft gelingen wird, dieselben sichtbar zu machen, ich bin aber bis jetzt noch nicht dahin gelangt.

I. Ortsinn in der Haut.

    Der Ortsinn beruhet darauf, daß zwei Empfindungen, auch wenn sie sonst ganz gleich sind, schon dadurch unterschieden werden können, daß sie an einem anderen Orte unseres Körpers oder Sinnorgans erregt werden. Mag ein Druck oder mag die Einwirkung von Wärme und Kälte eine Empfindung hervorrufen, so können wir ungefähr den Ort angeben, wo die die Empfindung erregende Einwirkung auf unsere Haut geschieht, und wenn wir an zwei Teilen der Haut, die einander nicht allzu nahe sind, gleichzeitig oder ungleichzeitig einen Eindruck durch Wärme, Kälte oder Druck empfangen, so unterscheiden wir die beiden Orte, wo auf unsere Haut eingewirkt wird, den größeren oder geringeren Abstand dieser Orte von einander, und können die Richtung der Linie ungefähr angeben, durch welche wir uns die beiden Orte verbunden denken können. Ich habe vor 20 Jahren15) durch eine Reihe von Versuchen erörtert, in welchem Grade man jenes Vermögen besitze und gefunden, daß es in verschiedenen Teilen der Haut in sehr verschiedenem Grade vorhanden sei, so daß es z. B. an der Zungenspitze über 50 Mal vollkommener sei, als auf der Haut, die die Mitte des Oberarms oder des Oberschenkels bedeckt. Die von mir angewendete Methode der Untersuchung war folgende: Ich berührte bei verschiedenen Menschen, die ihre Augen verschlossen oder abwendeten, mit zwei kleinen gleichgestalteten Körpern gleichzeitig zwei Teile der Haut, und fragte sie, ob sie fühlten, daß ein oder mehrere Körper sie berührten, und in welcher Richtung die Linie liefe, durch die sie sich die berührten Teile der Haut verbunden denken könnten, ob der Länge ihres Körpers nach oder in querer Richtung. Ich schliff zu diesem Zwecke die Spitzen eines Zirkels mit zylindrischen Schenkeln so ab, daß die Endflächen 1/3 Pariser Linie im Durchmesser hatten, damit sie, wenn man damit die Haut berührte, nicht stächen, sondern einen deutlichen Tasteindruck hervorbrächten. Denn sobald die Berührung Schmerz hervorruft, wird die Beobachtung dadurch sehr viel unvollkommener, weil der Schmerz niemals so lokal ist, als eine hinreichend starke Berührung mit einer nicht allzu kleinen Fläche, welche keinen Schmerz verursacht. Indem ich nun den Zirkel anfangs mehr, dann aber immer weniger öffnete, gelangte ich zu derjenigen Entfernung der Enden der Schenkel desselben, wo die zwei Eindrücke anfingen, als ein einziger Eindruck empfunden zu werden. Auch dann konnte der Beobachter oft noch bestimmen, ob die Linie, die die Enden des Zirkels verbindet, in der Längsrichtung seines Körpers und seiner Glieder, oder in querer Richtung läge. Denn er empfand zwar nur einen Eindruck, aber der berührte Teil der Haut schien eine längliche Gestalt zu haben und er konnte sagen, wohin der größere und der kleinere Durchmesser dieses länglichen berührten Teils der Haut gerichtet wäre. Wurde nun aufgeschrieben, bei welcher Entfernung der Enden des Zirkels noch zwei Berührungen unterschieden wurden, oder wenigstens die Richtung der Schenkel des Zirkels noch bestimmt werden konnte, und das Ergebnis zu anderer Zeit durch wiederholte Versuche bestätigt, und die Arbeit allmählig über die verschiedenen Teile der Haut fortgesetzt, so erhielt ich eine Übersicht über die Feinheit des Tastsinns, insofern er sich als Ortssinn äußert. Vor allen Dingen war hierbei nötig, die Ermüdung des Beobachters zu vermeiden und daher mit dergleichen Versuchen nicht lange fortzufahren. Es ergab sich hierbei unter anderen Folgendes: Wenn man mit dem 3/4 Zoll weit geöffneten Zirkel die Haut am hinteren Teile des Jochbeins in querer Richtung berührte, so empfand man nur eine Berührung oder glaubte wenigstens wahrzunehmen, daß die Enden des Zirkels einander sehr nahe wären. Je mehr man sich aber der Mitte der Oberlippe bei diesen Berührungsversuchen näherte, desto weiter schienen die Zirkelspitzen von einander abzustehen, und desto deutlicher empfand man die doppelte Berührung. Am weitesten schienen daher die Zirkelspitzen von einander abzustehen, wenn die Mitte der Oberlippe zwischen ihnen lag. Eine ähnliche Erfahrung machte man, wenn die Enden des Zirkels sich in senkrechter Lage befanden und zuletzt zugleich die Mitte der Oberlippe und Unterlippe berührten. Änderte man nun den Versuch so ab, daß man mit den Enden des Zirkels, während sie sich in einer fast senkrechten Lage befanden, den Backen vor dem Ohrläppchen berührte und dann den Zirkel in steter Berührung so quer über das Gesicht weiter führte, daß die beiden Enden zugleich über die Mitte der Ober- und Unterlippe hinweggingen und hierauf denselben Weg auf der anderen Hälfte des Gesichts nach dem Ohrläppchen hin weiter fortsetzten; so hatte der Beobachter das Gefühl, als ob die beiden Enden des Zirkels nicht zwei parallele Linien beschrieben, sondern bei ihrer Bewegung, je mehr sie sich der Mitte der Lippe näherten, desto mehr aus einander wichen, und je mehr sie sich auf der anderen Seite des Gesichts von der Mitte der Lippen entfernten, desto mehr sich einander wieder annäherten, bis sie endlich wieder in einem Punkte zusammenzukommen schienen. Das obere Ende des Zirkels schien daher einen Bogen zu beschreiben, dessen Konvexität aufwärts, das untere Ende dagegen schien einen Bogen zu beschreiben, dessen Konvexität abwärts gerichtet war. Denselben Versuch kann man sehr bequem auch an der Hand ausführen. Wenn man den Zirkel 4 Paris. Linien oder 6 Linien weit öffnet und mit den in querer Richtung gehaltenen Enden die Mitte des Unterarms berührt und ihn dann in steter und gleichmäßiger Berührung mit der Haut nach der Hohlhand und nach der Spitze des Zeigefingers weiter führt, so scheint der Zirkel auch anfangs eine einzige Linie zu beschreiben; auf der Hand teilt sich dieselbe in zwei Linien und jemehr man sich der Spitze des Zeigefingers nähert, desto mehr scheint sich der Zirkel aufzutun und desto mehr scheinen die Linien, die er beschreibt, sich von einander zu entfernen. Auch an der Zunge erfährt man dasselbe, wenn man den Zirkel zwei Linien weit öffnet und damit in querer Stellung die Mitte des Zungenrückens berührt und dann denselben in steter Berührung mit der Zunge zur Zungenspitze führt.

15) E. H. Weberi Panegyrin med. indicentis d. 13. mens. Nov. 1829. Annotationes anatomicae et physiologicae Prolusio VI. pag, 6. recus. sub Titulo: De pulsu, resorptione, auditu et tactu annatationes anatomicae et physiologicae auctore Ernesto Henrico Weber. Lipsiae 1834. p. 149. Als ich im Jahre 1829 gefunden hatte, daß nun die Feinheit des Tastsinns an den verschiedenen Teilen der Haut sehr genau messen und vergleichen könne, forderte ich meinen Bruder, Eduard Weber, der damals in Göttingen lebte, auf, sich mit mir zu einer gemeinschaftlichen Untersuchung über den Tastsinn zu verbinden, und zu diesem Zwecke auf längere Zeit nach Leipzig zu kommen. Hierdurch würde diese Arbeit einen viel höheren Grad von Vollkommenheit erlangt haben. Mein Bruder war anfangs geneigt auf meinen Vorschlag einzugehen, wurde aber leider durch andere wissenschaftliche Arbeiten verhindert, Göttingen zu verlassen und ich war daher genötigt, auf seine Beihilfe Verzicht zu leisten und die Arbeit allein zu unternehmen.
 
 
    Meine Erklärung dieses merkwürdigen Phänomens, die ich schon in meinen Programmen16) niedergelegt habe, ist folgende: Fontana hat beobachtet, daß die Elementarfäden der Nerven einfache Fäden sind, die weder Äste aufnehmen noch abgeben. Hierauf und auf meine Versuche gestützt, die ich über die verschiedenen Grade der Feinheit des Ortsinn auf verschiedenen Teilen der Haut angestellt habe, nehme ich an, daß, wenn zwei sonst gleiche Eindrücke gleichzeitig denselben elementaren Nervenfaden an verschiedenen Orten treffen, nicht zwei Empfindungen entstehen, sondern nur eine. Nun kann es aber gar nicht anders sein, als daß jeder elementare Nervenfaden einen viel größeren Teil der Oberfläche der Haut empfindlich machen müsse, als die Fläche seines Ouerschnitts beträgt, denn denkt man sich alle Empfindungsnerven quer durchgeschnitten, und wie Klafterholz über einander geschichtet, so ergibt sich, daß der gesamte Ouerschnitt aller Nerven sehr viel kleiner sei, als die Oberfläche der ganzen Haut. Man hatte sich schon viel Mühe gegeben zu erklären, wie die Haut in allen ihren Punkten so empfindlich sein könne, daß überall ein Stich mit der feinsten englischen Nähnadel gefühlt werde. Prochasca hat vermutet, die Nerven breiteten sich an ihren Enden in der Weise aus, daß das Nervenmark die Substanz der Haut durchdringe, und Reil nahm an, die Enden der Nerven wären auf eine ähnliche Weise von einer Nervenatmosphäre umgeben, wie die isolierten mit Elektrizität gefüllten Conductoren mit einer elektrischen Atmosphäre. Nach dem jetzigen Stande unserer Kenntnisse über das freilich noch sehr unvollkommen untersuchte Verhalten der Nerven an ihren Enden, darf man, wie schon oben erwähnt worden ist, vermuten, daß die Enden der elementaren Nervenfäden entweder dadurch eine größere Strecke der Haut empfindlich machen, daß sie sich in Schleifen hin- und herschlängeln und beugen, und daß also ein und derselbe Faden an vielen Teilen seines geschlängelten Wegs Tasteindrücke aufnehmen könne, oder, daß die Fontana’sche Beobachtung für die peripherischen Enden der Nerven nicht gültig sei, sondern daß die elementaren Nervenfäden sich in der Nähe ihrer Endigung in Äste teilten, und durch diese mit vielen Punkten der Oberfläche der Lederhaut in Berührung kämen, oder endlich, daß beide Einrichtungen zugleich dazu beitrügen, zu bewirken, daß ein einziger elementarer Nervenfaden eine ganze Abteilung der Haut empfindlich machen könne. Für die schleifenartige Ausbreitung der elementaren Nervenfäden sprechen die oben angeführten Untersuchungen Valentin’s, für eine Teilung derselben in Äste spricht der Umstand, daß Henle, Kölliker und neuerlich in vielen Fällen Herbst gesehen haben, daß sich die elementaren Nervenfäden in den Pacinischen Körperchen wirklich nicht selten in Äste teilen, und die Beobachtung von R. Wagner und Anderen, daß eine solche Teilung an den Enden der Nerven des elektrischen Organs der Fische beobachtet werde, so wie auch die Beobachtung von R. Wagner, daß eine Teilung der Elementarfäden der Muskelnerven in der Nähe ihrer Endigung stattfinde. 16) K. H, Weber, Panegyrin med. indicit d. 31. mens.. Maj. 1833 respecta Rud. Sachse diss. inaug. de scarlatina Prolusio XIX. Lipsiae 1833 p. 7. recus. in libro: De pulsu, resorptione, auditu et tactu annotationes anatomicae et physiologicae, Lipsiae 1834. 4. pag. 149. "In partibus subtiliori sensu praeditis plures fibrae nerveae quam in partibus obtuso sensu instructis finiuntur. Duabus impressionibus in unam eandemque fibram nerveam simul factis, unus tantum et communis sensus, impressionibus autem in duas libras factis, duplex et diversus sensus oritur. Una eademque fibra nervea haud dubie pluribus cutis iocis virtutem sentiendi adfert, hincqae lit, ut tam pauci nervi tantam superficiem cutis sensu perfundant, namque ne acutissima quidem acu cutem pungendo loca sensu plane carentia deprehendes. Loca vero, in quibus impressiones non confunduntur cum impressionibus in viciniam factis, in cute ita disposita sunt, ut in partibus cutis subtiliter sentientibus plura, in partibus obtuse sentientibus pauciora ejusmodi loca, distinctu facilia adsint. Diuturno manuum aliarumque partium usu variaque contrectatione locorum illorum conscii facti sumus. Quo plura autem ejusmodi loca inter utrumque apicem circini cutem tangentem interposita sunt, eo magis apices a se distare videntur."
 
 
    Mag nun die Ausbreitung der Enden der elementaren Nervenfäden der Haut auf die eine oder auf die andere Weise geschehen; so kann man die Vermutung aufstellen, daß die Haut in kleine Empfindungskreise geteilt sei, d. h. in kleine Abteilungen, von welchen jede ihre Empfindlichkeit einem elementaren Nervenfaden verdankt. Nach meinen Untersuchungen zeigt sich nun, daß man zwei Eindrücke derselben Art, welche auf verschiedene Teile eines Empfindungskreises der Haut gemacht werden, nur so empfindet, als würden sie nur auf einen und denselben Teil der Haut gemacht, ferner, daß die Empfindungskreise der Haut in den mit einem feineren Tastsinne versehenen Teilen kleiner, in den mit einem unvollkommneren Tastsinne versehenen Teilen größer sind. Damit zwei gleichzeitige auf die Haut gemachte Eindrücke örtlich als zwei in einem gewissen Abstand von einander liegende Eindrücke unterschieden werden können, scheint erforderlich zu sein, daß die Eindrücke nicht nur auf zwei verschiedene Empfindungskreise gemacht werden, sondern auch, daß zwischen diesen noch ein Empfindungskreis oder mehrere Empfindungskreise liegen, auf welche kein Eindruck gemacht wird.

    Die Gestalt, welche jene Empfindungskreise haben, läßt sich bis jetzt noch nicht näher bestimmen. Nur so viel läßt sich mit großer Wahrscheinlichkeit vermuten, daß die Empfindungskreise an den Armen und Beinen eine längliche Gestalt haben und so liegen, daß der Längendurchmesser nach der Längenrichtung dieser Glieder liegt, denn an jenen Gliedern ist es nicht einerlei, ob die Zirkelspitzen, womit man das Glied berührt, der Längenachse desselben parallel liegen, oder ob die Linie, durch die man sich beide Zirkelspitzen verbunden denken kann, einen rechten Winkel mit der Längenachse der Glieder macht. Man muß den Zirkel in dem ersteren Falle viel weiter öffnen, wenn die Berührungen der Schenkel desselben als zwei Berührungen empfunden werden sollen, als in dem letzteren. An der Mitte des Oberarms, sowohl vorn als hinten, mußte z. B. der senkrecht gehaltene Zirkel beinahe noch einmal so weit geöffnet werden, damit man deutlich zwei Berührungen fühlte, als wenn derselbe horizontal gehalten wurde. Aber auch am Oberschenkel, am Unterarme und Unterschenkel war der Ortsinn in der letzteren Richtung viel feiner als in der ersteren. An vielen anderen Teilen des Körpers zeigt sich kein solcher Unterschied, woraus ich die Vermutung schöpfe, daß daselbst die Empfindungskreise eine der runden Form sich annähernde Gestalt haben.

    Ist meine Erklärung richtig, so müssen gleich große Abteilungen der Haut an den Teilen, die mit einem sehr feinen Ortsinne begabt sind, mehr elementare Nervenfäden besitzen, als an den Teilen, die einen sehr stumpfen Ortsinn haben. Dieses bestätigt sich auch: denn wenn man die zwei dicken Nerven betrachtet, die auf der Hohlhandseite, und die zwei dünneren, die auf dem Rücken jedes Fingers hingehen, und nun wieder die Nerven der Finger mit der geringen Zahl von Nerven vergleicht, die eine gleich große Abteilung der Haut des Rückens erhält, so findet man, daß die Zahl der elementaren Fäden der Empfindungsnerven auf der Hohlhandseite viel größer ist als auf der Rückenseite des Fingers, und am allergeringsten auf dem Rücken des Körpers.

    Durch den langen Gebrauch und die oft wiederholte Bewegung unserer mit Tastsinn begabten Glieder, haben wir ein dunkles Bewußtsein von der Zahl und Lage unserer Empfindungskreise bekommen. Je mehr Empfindungskreise zwischen den uns berührenden Zirkelspitzen liegen, desto weiter scheinen uns diese Spitzen von einander entfernt zu sein, und umgekehrt. Sind daher die Empfindungskreise wie an den Fingerspitzen, und überhaupt in der Hohlhand klein und zahlreich, oder was dasselbe ist, endigen sich daselbst auf einem Ouadratzolle der Oberfläche viel mehr elementare Nervenfäden, so scheinen uns die diesen Teil berührenden Zirkelspitzen weiter von einander entfernt zu sein, als wenn sie einen Teil der Haut des Rückens berühren, wo auf einem Ouadratzolle der Oberfläche derselben viel weniger elementare Nervenfäden endigen. Die Zahl der elementaren Nervenfäden, welche auf einem Ouadratzolle unseres mit Ortsinn begabten Tastorgans endigen, hat einen Einfluß auf den Maßstab, womit wir den erfüllten Raum messen. Wären wir, wie manche Infusionstiere, im Durchmesser hunderttausendmal kleiner, aber im kleineren Maßstabe ebenso organisiert wie jetzt, und hätten dann also unsere Haut und unsere Nervenhaut, ungeachtet ihrer so äußerst kleinen Oberfläche, ebenso viel Abteilungen, auf welchen zwei Eindrücke als zwei räumlich verschiedene Eindrücke unterschieden werden könnten, wären zugleich unsere Bewegungen, der Kleinheit der Bewegungsorgane entsprechend, proportional kleiner und langsamer, so würde, wenn auch die uns umgebende Körperwelt in derselben Proportion kleiner und dichter gruppiert wäre, und sich zugleich proportional langsamer bewegte, kein Unterschied zwischen dem Leben, welches wir jetzt führen und dem, das wir dann führen würden, statt finden. Aber in die Körper Verhältnisse, wie sie jetzt sind, würden wir nicht passen. Ein Wassertropfen von 1 Zoll Länge würde ungefähr 1700 mal länger sein als wir selbst, und uns wie ein ansehnlicher Teich erscheinen. Unsere sinnliche Anschauung der Welt hängt von dem uns gegebenen kleinsten Maßstabe ab, mit welchem wir die Zeit und den Raum messen können. Der für unsere Anschauung von der Zeit gegebene kleinste Maßstab ist der kleinste Zeitteil, in welchem wir uns einer Veränderung bewußt werden können, und er wird demnach gefunden, wenn wir wissen, wie viel mal wir in 1 Sekunde wollen, oder wie viel unterscheidbare Empfindungen wir in 1 Sekunde haben können. Der für unsere Anschauung des Raums gegebene kleinste Maßstab beruht darauf, wie viel unterscheidbare Empfindungen wir auf der Flächeneinheit, auf der Quadratlinie haben können, wenn sie z. B. für das Gesicht mit möglichst kleinen schwarzen und weißen Vierecken, oder für das Gefühl mit möglichst kleinen viereckigen Erhabenheiten und Vertiefungen besetzt ist. Diese letztere Fähigkeit, auf einer Ouadratlinie viele Teile unterscheiden zu können, beruht nun, wie ich behaupte, teils auf der Zahl der Elementarfaden der Nerven, die sich auf einer Ouadratlinie unserer Haut, hauptsächlich aber auf der Zahl der Nervenfäden, die sich auf unserer Nervenhaut im Auge endigen, denn da auf dem mittelsten Teile der Nervenhaut des Auges die Enden der Elementarnerven viel dichter liegen als in der Haut, und wir daher, mittelst des Auges, auf einer Ouadratlinie viel mehr unterscheidbare Teile wahrnehmen können, als mittelst der Haut, so benutzen wir den Maßstab, der uns im Tastsinne gegeben ist, nicht, sondern den, der uns im Auge gegeben ist, und suchen auch das, was wir mit dem Tastsinne wahrnehmen, auf den Maßstab zu reduzieren, den wir im Gesichtsinne haben. Der Blindgeborne indessen ist nur auf den Tastsinn angewiesen. Ungeachtet er sich durch die geistigen Operationen seiner Seele alle geometrischen Verhältnisse konstruieren kann, so muß ihm doch der Raum eines Zolles mit einer viel geringern Zahl unterscheidbarer Teile ausgefüllt, und also kleiner zu sein scheinen, als einem Sehenden, da er kein Mittel hat, auf dem Raum eines Zolls mehr wahrzunehmen, als was er durchs Gefühl erkennt.

    Volkmann17) hat sich im Wesentlichen mit mir übereinstimmend erklärt. Er sagt: "Wenn man die Zirkelenden auf eine Entfernung von etwa 1 Zoll stellt, und zuvörderst an einer Fingerspitze, dann aber allmälig immer weiter nach oben, dem Zentrum des Körpers zuwärts, aufsetzt, so scheint dem Gefühle die Distanz der Zirkelspitzen immer kleiner zu werden, es kommt eine Hautstelle, wo diese Distanz nicht größer empfunden wird, als die Distanz einer Linie an der Kuppe des Fingers, und diese Stelle liegt da, wo die Distanz eines Zolls die kleinste ist, welche der Sinn wahrnimmt. Die Haut schätzt also die Größe der Objekte so, daß sie die Größe der letzten ihr wahrnehmbaren Distanz als Maßeinheit annimmt. Nennen wir diese Maßeinheit x, so ist die Größe eines Zolls für die Fingerspitze = 12x, für eine Stelle in der mittleren Gegend des Arms = 1x, denn jede Stelle der Haut gibt einem betasteten Objekte so viel mal die Größe x, als sie Stellen enthält, die das x als gesondertes zu unterscheiden im Stande sind".

17) Volkmann, Neue Beiträge zur Physiologie des Gesichtssinnes. Leipzig 1836, S. 50.     J. Müller18) ist auch geneigt sich für meine Ansicht zu erklären, macht aber doch den Einwurf, daß nach derselben die beiden Empfindungen, welche entstehen, wenn man mit der Fingerspitze den Arm berührt, nicht gleich sein dürften, die Fingerspitze müßte den berührten Teil des Arms groß, und der berührte Teil des Arms müßte die Fingerspitze klein empfinden. Diese zwei Empfindungen sind auch gewiß nicht gleich, aber da die eine deutlich und die andere dunkel ist, so hält man sich an die deutliche Empfindung, und man kann die Aufmerksamkeit nicht so abziehen und auf die dunkle allein hinlenken, daß man sein Urteil über die Größe der berührten Fläche ganz allein auf die dunkle Empfindung gründen könnte. Müller ist der Meinung, daß sich die von mir gemachten Beobachtungen vielleicht auch so erklären ließen, daß die Gefühlsempfindungen am Arme so verwischt wären, daß sie Zerstreuungskreise bildeten, während sie an der Fingerspitze sehr bestimmt wären. Auf diese Weise lassen sich meine Experimente nicht erklären. Wenn man die beiden Zirkelspitzen über beide Lippen hinführt, so daß der rote Teil der Lippen und die Mundspalte zwischen ihnen liegt, so ist die Wahrnehmung der Entfernung schon in der Gegend des Mundwinkels ganz bestimmt, und dennoch scheint sich der Abstand der Zirkelspitzen noch sehr zu vergrößern, während sie bis zur Mitte des Mundes fortbewegt werden. Durch die Zerstreuungskreise, die im Auge entstehen, erscheint uns der Gegenstand größer, hier aber scheint uns am Arm der ganze gedrückte Teil der Haut kleiner zu sein als an der Hand. Durch die Zerstreuungskreise kann sich der scheinbare Abstand der Zirkelspitzen nicht verkleinern, sondern nur undeutlicher werden. 18) J. Müller, im Archiv für Anatomie und Physiologie 1837. Jahresbericht CXXIX.     Von dem, was ich über den Tastsinn bekannt gemacht habe, läßt sich eine Anwendung auf das Auge machen. So wie der Ortsinn auf der Zungenspitze am feinsten ist, und von da auf der Zunge ringsum mehr und mehr abnimmt, eben so ist er im Auge dort am feinsten, wo die Nervenhaut von der Augenachse geschnitten wird, und nimmt von da ringsum nach vorn mehr und mehr ab.

    Wenn man an diejenigen Teile der Haut eines Menschen, welche mit einem unvollkommneren Ortssinne begabt sind, z. B. in der Mitte des Unterarms oder Oberarms, das Ende einer quer abgeschnittenen zylindrischen, oder vierseitig prismatischen oder dreiseitig prismatischen Blechröhre andrückt, welche 1 Zoll oder 2 Zoll, oder sogar 3 Zoll im Durchmesser haben, so nimmt derselbe, wie weiter unten gezeigt werden wird, die Figur des ihn drückenden Randes nicht wahr, sondern glaubt von einem soliden Körper von unbestimmter Gestalt gedrückt zu werden; dagegen unterscheidet er sie mit der Hand oder Zunge äußerst deutlich. Mit der Zungenspitze nimmt er sogar die Figur des Querschnitts deutlich wahr, wenn die Blechröhre einen viel kleinern Durchmesser, z. B. von 11/2 Linie hat. Es ist lange bekannt, daß die Gegenstände, welche sich seitwärts von der Augenachse auf der Retina abbilden, so unvollkommen empfunden werden, daß man sehr seitwärts nicht einmal die ausgespreizten Finger der Hand mehr unterscheiden und zählen kann. Hueck,19) der die Abnahme der Empfindlichkeit der Nervenhaut von ihrem Mittelpunkte aus nach verschiedenen Seiten zu durch Messungen zu bestimmen gesucht hat, was freilich nur sehr unvollkommen geschehen kann, hat gefunden, daß der Durchmesser des kleinsten Bildes auf der Netzhaut, das man noch sehen kann:

                                                            im Zentrum         beträgt          0,0008 Linien
                                                             5° vom Zentrum     "               0,0024     "
                                                           14°   "     "                "               0,0060     "
                                                           25°   "     "                "               0,0130     "
                                                           50°   "     "                "               0,0340     "
so daß es schon 5° vom Zentrum einen dreimal so großen Durchmesser haben muß als im Centro. Volkmann hat dargetan, daß die Ursache hiervon nicht darin gesucht werden dürfe, daß das Bild seitwärts vom Centro sehr unvollkommen sei, und ich muß dieses bestätigen. Auf dem entblößten Augapfel eines so eben getöteten weißen Kaninchens sieht man, daß das durchschimmernde Bild, welches sich seitwärts darstellt, sehr scharf und keineswegs verzerrt oder verwischt ist. Die Ursache der Stumpfheit der Empfindung liegt, wie ich vermute, darin, daß die Enden der Elementarfäden des Sehnerven nur da, wo sich das sogenannte Zentralloch befindet, äußerst dicht neben einander liegen, und daß sie desto weitläuftiger liegen, je weiter entfernt ein Teil der Retina von der Mitte ist. Durch eine solche Annahme scheint es erklärlich, wie die in den Sehnerven enthaltenen elementaren Nervenfäden ausreichen können, die ganze Retina empfindlich zu machen, und sogar dem mittelsten Teile derselben einen äußerst feinen Ortsinn zu verschaffen. Nach Volkmann ’s Schätzung ist der Querschnitt des Sehnerven ungefähr 50 mal kleiner als die Oberfläche der Nervenhaut, und jeder Nervenfaden muß also im Mittel ein Stück dieser Oberfläche decken, welches 50 mal größer ist als sein eigner Querschnitt. Dieses kann auf dieselbe Weise geschehen wie in der Haut, indem jeder elementare Nervenfaden, der zu einem von der Mitte entfernten Teile der Retina gelangt, sei es durch Teilung oder auf andere Weise, sich ausbreitet und dadurch einen Empfindungskreis bildet. Diese Empfindungskreise werden in den Teilen der Nervenhaut am größten sein, welche von der Mitte am entferntesten liegen. Ich finde, daß die Vorstellung, die ich mir aus physiologischen Gründen von dem Baue des sogenannten Zentrallochs und der übrigen Retina gemacht habe, sehr übereinstimmt mit den mikroskopischen Beobachtungen Grube’s. Grube20) untersuchte das Auge eines Menschen, der erst vor wenig Stunden an einer Ruptur der Milz gestorben war. Die Retina adhärierte zu dieser Zeit noch ganz fest am Glaskörper, während sie sich später leicht zu lösen pflegt. Der gelbe Fleck der Retina wurde samt einer Lage des Glaskörpers unter das Mikroskop gebracht, und nicht stark komprimiert, sondern nur mit einem überaus dünnen Glasplättchen bedeckt, das 1/4   ¢¢ groß war. Der gelbe Fleck sah nun bei einer 300 maligen Vergrößerung wie Chagrin aus, dessen man sich zum Überzuge von Futteralen bedient. Länglich-rundliche Körperchen, welche nach der Mitte hin immer kleiner wurden, und mit großer Regelmäßigkeit angeordnet waren, setzten hier die Retina zusammen. In der Mitte hatten sie nur etwa 1/4 oder 1/5 von der Größe, die die Markkörperchen außerhalb des gelben Flecks besaßen. An der Übergangsstelle des gelben Flecks in die Retina strahlten die Markkügelchen desselben wie die Strahlen eines Sterns aus, und lagen in Entfernungen von einander, die nicht regelmäßig wiederkehrten. Sie wurden hier nicht nur größer, sondern auch in ihren Umrissen undeutlicher. Leider hat Grube keine mikrometrische Messung gemacht. Bei der Berechnung, in wie fern die Zahl der elementaren Nervenfäden, welche im Sehnerven enthalten sind, ausreichen, um den empfindlichsten Teil der Nervenhaut mit dichtgedrängten Nervenenden zu besetzen, muß man erwägen, daß jener empfindliche Teil nur etwa zwischen 1/2 und 1/3 Linie im Durchmesser hat. Mein Bruder, Wilhelm Weber, und ich haben die Größe der empfindlichen Stelle der Retina auf der man einen so feinen Ortsinn hat, auf folgende Weise bestimmt. Ich finde, wenn ich mit unverwandtem Auge die gedruckte Schrift dieser Abhandlung beschaue, daß ich, wenn ich mein Auge auf einen Buchstaben einer Zeile gerichtet halte, und denselben fixiere, nicht im Stande bin, die Gestalt der Buchstaben zu gleicher Zeit zu erkennen, die über und unter diesen Buchstaben in der nächst höheren und nächst tieferen Zeile stehen, daß ich aber, wenn ich mein Auge unverwandt auf die Mitte zwischen zwei Zeilen richte, ich die zwei nächsten Buchstaben erkennen kann, die in den beiden Zeilen stehen, zwischen welchen sich der Zwischenraum befindet, auf den ich das Auge richte. In einer und derselben Zeile glaube ich etwa drei neben einander stehende Buchstaben auf einmal mit unverwandtem Auge erkennen zu können, höchstens vier. Diese Versuche haben einige Schwierigkeit, weil man fast willkürlich das Auge ein wenig bewegt, um mehr sehen zu können als bei unverwandtem Auge möglich ist. Um die hieraus entstehende Unsicherheit zu vermeiden, haben wir größere Schrift bei der Beleuchtung des elektrischen Funkens gelesen, und um das Erraten unmöglich zu machen, eine Sprache gewählt, deren Wörter uns unbekannt waren. Da nun die durch die Entladung der Leidner Flasche entstehende Beleuchtung momentan ist, und man also keine Zeit hat sein Auge zu bewegen, sondern nur das auffassen kann, was sich auf dem empfindlichsten Teile der Nervenhaut abbildet, so kam es nur noch darauf an, ob es nicht hierbei an Zeit fehle, die nur momentan erleuchtete Schrift aufzufassen. Das ist aber nicht der Fall, denn der einmal hervorgebrachte Lichteindruck dauert nach Plateau 0,32 bis 0,35 Sekunden, nach Hueck 1/6 Sekunde, fort. Aus der Größe der Fläche, auf der die Buchstaben noch erkannt wurden, aus dem Abstande derselben vom Auge und aus dem Abstande des Kreuzungspunktes der Lichtstrahlen von der Retina, der nahe vor dem Mittelpunkte des Auges angenommen wurde, ließ sich der Durchmesser des empfindlichsten Teils der Retina bestimmen, und so ergab sich, daß er bei mir und bei meinem Bruder zwischen 1/2 und 1/3 Linie beträgt. Wird angenommen, daß nur ein Teil der Nervenhaut, der nur 1/3 bis 1/2 P. Linie im Durchmesser hat, mit dünnen Nervenenden dicht besetzt ist, und daß die Nervenenden wieder in diesem Teile nur in der Mitte, da wo das Zentralloch sich befindet, äußerst dicht liegen, so bleiben genug Nervenfäden übrig, um die übrige Nervenhaut mit ihren nach vorn immer größer werdenden Gesichtskreisen zu decken. 19) Hueck, von den Grenzen des Sehvermögens in Müllers Archiv 1840. S. 94 ff.
20) Grube, über den Bau der macula lutea des menschlichen Auges in Müllers Archiv 1840. S. 39 und 40.
 
 
    Auch Joh. Müller21) nimmt an, daß eine einzelne elementare Nervenfaser zum Unterscheiden zweier Eindrücke untauglich sei. Der Einwurf, den er sich selbst hiergegen macht, daß ein Druck, den man auf den Stamm des Nervus ulnaris hervorbringt, nicht nur da gefühlt werde, wo die gedrückten Nerven endigen, sondern auch da, wo der Stamm gedrückt wird, scheint mir nichts gegen jene Annahme zu beweisen. Man fühlt durch die in der Gegend des Ellenbogens endigenden Tastnerven (Ästen des Cutaneus internus) den auf jene Region ausgeübten Druck sehr deutlich, und da man bei Nervenschmerzen niemals so genau den Ort, von wo aus sie veranlaßt werden und ihre Begrenzung angeben kann, so glaubt man sie in dem angegebenen Falle auch da zu fühlen, wo man durch den Tastsinn wahrnimmt, daß die schmerzerregende Ursache auf uns wirkt. Auch in vielen anderen Fallen läßt sich beweisen, daß wir unbestimmtere Empfindungen dahin versetzen, wo wir zugleich eine Empfindung durch die Tastnerven empfangen. So glauben wir den Ton einer Stimmgabel an dem Zahne zu hören, mit welchem wir den Griff der tönenden Stimmgabel in Berührung bringen. Aber die Bestimmung des Orts, des Schalles durch das Gehörorgan ist so unvollkommen, daß man eine so feine Bestimmung damit gar nicht machen kann. Hält man, wie ich vor 20 Jahren zuerst gezeigt habe, das eine Ohr mit einem Finger zu, so scheint der Ton, der vorher im Zahne empfunden wurde, nun in dem verschlossenen Ohre zu sein, wahrscheinlich, weil unter diesen Umständen das Trommelfell des verschlossenen Ohrs heftig erschüttert wird, welches eine sehr empfindliche Haut ist.22) Volkmann23) dagegen hat sich gegen jene Annahme erklärt. Er glaubt beweisen zu können, daß man auch dann, wenn eine und dieselbe Nervenfaser der Nervenhaut des Auges an zwei Orten Lichteindrücke empfängt, die beiden Empfindungen ihrem Orte nach von einander unterscheiden könne. Es würden, behauptet er, noch zwei Eindrücke unterschieden, die so nahe neben einander auf die Nervenhaut des Auges hervorgebracht würden, daß sie nur um 1/10000 Zoll von einander entfernt wären. Nun hätten aber die Netzhautelemente einen größeren Durchmesser, und es müsse also eine Faser geeignet sein, mindestens zwei unterscheidbare Eindrücke hervorzubringen. Der kleinste Gesichtswinkel, unter welchem viele Menschen zwei Punkte noch unterscheiden können, beträgt nach Smith 40 Sekunden, und daraus berechnet er, daß ein kleinster empfindlicher Punkt der Nervenhaut einen Durchmesser von 1/8000 Zoll oder 1/666 Linie haben möchte. Nach Hueck’s Messungen24) verschwindet ein weißer nicht glänzender Punkt auf schwarzem Felde, wenn der Gesichtswinkel, unter dem er gesehen wird, nur 10 Sekunden beträgt. Aber Hueck verwirft selbst, und mit Recht, diese Methode, denn man sieht ja sogar die Fixsterne, die gar keinen scheinbaren Durchmesser haben, und unter ihnen auch solche, welche ein so schwaches Licht haben, daß sie nicht blenden. Wenn Hueck einen schwarzen Punkt auf weißem Grunde beobachtete, so verschwand er dem Auge schon, wenn der Gesichtswinkel, unter welchem er gesehen wurde, 2 Sekunden betrug. Aber auch durch einen solchen Versuch wird das nicht ermittelt, was man ermitteln will. Auf solche Versuche kann man keinen Schluß über den Durchmesser der kleinsten Nervenfasern der Nervenhaut gründen. Denn warum sollte ein schwarzer Punkt, der so klein ist, daß dessen Bild das Ende eines Nervenfadens nicht ganz deckt, nicht empfunden werden, wenn nur der Eindruck stark genug ist. Wird der nämliche Nervenfaden zugleich noch von weißem Lichte getroffen, so wird der Punkt etwas blasser erscheinen, aber es ist sehr wohl möglich, daß er im Vergleich zu der helleren Erleuchtung der benachbarten Nervenfäden doch wahrnehmbar ist. Auf der Haut wird überall eine leise Berührung mit einer Nadelspitze gefühlt, aber zwei gleichzeitige Berührungen, die die Haut des Rückens in einer Entfernung von 1 oder 2 Zollen von einander treffen, wird nur als eine einzige Berührung wahrgenommen. Es fragt sich, ob etwas Ähnliches auch auf der Nervenhaut beobachtet werde. Man muß also bei der von Smith angewendeten Methode stehen bleiben. Als Hueck diese anwendete, und zwei schwarze Punkte auf weißem Grunde beobachtete, fand er, daß sie zu einem Punkte verschmolzen, wenn der Sehwinkel (des Zwischenraums, oder beider Punkte und des Zwischenraums zusammengenommen?) 64 Sekunden betrug. Hiernach würde also der kleinste Gesichtswinkel, unter welchem zwei Punkte noch unterschieden wurden, um mehr als 1/3 größer sein als nach Smith, wo dieser Winkel 40 Sekunden betrug. Volkmann hat nicht zwei Punkte, sondern zwei parallele Linien genommen, und sie noch als zwei unterschieden, wenn ihre Bilder auf der Retina nur um 0,00014'' (d. h. um 1/7142 Zoll oder um 1/559 Linie) von einander abstanden. Valentin25) vermochte sogar zwei Linien noch zu unterscheiden, wenn deren Bilder auf der Retina nur um 0,00009'' (d. h. 1/11000 Zoll oder nahe 1/1000 Linie) von einander abstanden. Aber ich halte es nicht für gleichgültig, ob man sein Auge auf Punkte oder auf Linien richtet, und kann auch mit dem Schlusse Volkmann’s nicht übereinstimmen, daß die Enden der Faden des Sehnerven zu grob wären, um eine solche Unterscheidung möglich zu machen. Volkmann sagt: wenn man zwei Spinnwebfäden über einen kleinen Rahmen neben einander aufzieht, und in die Entfernung vom Auge bringt, in welcher die Duplizität der Fäden eben noch erkennbar ist, so erkennt man sie als zwei Fäden, man mag den Rahmen drehen oder verschieben wie man will. Gesetzt also, die beiden Parallellnien hätten bei einer bestimmten Stellung zum Auge wirklich ihr Bild auf lauter differenten Fasern darstellen können, so würde das doch nicht bei jeder Lage der Linien möglich sein, denn es ließe sich keine Anordnung der Nervenenden denken, bei welcher gerade Parallellinien, deren Distanz geringer ist als der Durchmesser dieser Enden, in jeder beliebigen Lage auf differente Enden fiele. Vielmehr müßten die Bilder solcher Linien beim Hin- und Herschieben unfehlbar wieder über eine und dieselbe Nervenfaser weggehen, womit in der Empfindung an jedem solchen Punkte statt zweier Linien eine gegeben wäre. Wir würden also eine Figur erhalten, in welcher zwei Linien abwechselnd in eine zusammen flössen und dann wiederum sich trennten. Da dies nicht der Fall sei, so müsse dieselbe Nervenfaser zur Apperzeption zweier diskreter Empfindungen geeignet sein. Es leide nach dem Gesagten schwerlich einen Zweifel, daß derselbe Elementarfaden nicht bloß zwei, sondern sogar zehn und mehr differente Punkte zur Wahrnehmung zu bringen im Stande sei. Ich kann wie gesagt diese Bedenken nicht teilen. Ich fand, daß im Stamme des Sehnerven des Menschen, 18 Stunden nach dem Tode, viele nicht variköse Elementarfäden, die ich maß, 0,0007 Par. Linie bis 0,001 Par. Linie = 1/1428 bis 1/1000 Linie im Durchmesser hatten, d. h. in Zollen ausgedrückt, 1/17000 bis 1/12000 Par. Zoll. Die Enden dieser Fäden habe ich freilich nicht beobachtet, und man weiß überhaupt noch nichts Gewisses von ihnen, und dürfte natürlich nicht die Enden im Seitenteile der Nervenhaut aufsuchen, sondern müßte sie im sogenannten Zentralloche messen. So viel ist gewiß, daß der von mir über den Ortsinn auf der Nervenhaut gegebenen Darstellung keine Tatsache im Wege steht.26) Ich muß daher an der von mir gegebenen Erklärung über den Nutzen, welchen das von Fontana entdeckte Verhalten der elementaren Nervenfäden hat, auch noch jetzt festhalten. 21) J. Müller, Handbuch der Physiologie. 4. Auflage. Bd. I. III. Buch. Abschn. 3. S. 594.

22) E.H. Weber, De pulsu, resorptione, anditu et tactu. pag. 41, abgedruckt aus dem Programme: Annotationes anatomicae et physiologicae. Prol. VI. d. XIII. mens. Nov. 1820, p. 2

23) Volkmann in Wagners Handwörterbuch der Physiologie. Art. Nervenphysiologie. Heft 10. S. 568.

24) Hueck in Müllers Archiv 1840. S.86, 87. Die berechneten Größen der Netzhautbildchen stimmen bei Hueck so wenig untereinander zusammen, daß mehrere Druckfehler oder Schreibfehler angenommen werden müssen. Aus diesem Grunde habe ich sie nicht zitiert, sondern mich nur auf den Gesichtswinkel beschränkt.

25) Valentin, Lehrbuch der Physiologie. Bd. II. S. 428.

26) Daß der Teil der Nervenhaut, der mit einem scharfen Ortssinne versehen ist, nur 1/3 bis 1/2 Linie im Durchmesser hat, und auch von diesem wieder nur der mittelste Teil die größte Schärfe hat, ist sehr wichtig. Diese Einrichtung erleichtert es uns die Augen so zu stellen, daß sich die verlängerten Augenachsen in dem sichtbaren Körper schneiden, weil wir die Augen unwillkürlich so stellen, daß sich der Körper, den wir sehen wollen, auf dem empfindlichen Teile der Nervenhaut abbilde. Ist daher in dem einen Auge die Empfindlichkeit des mittelsten Teils abgestumpft, und ein benachbarter Teil der Nervenhaut empfindlicher als er, so kann hierdurch das Schielen veranlaßt werden. Professor Ritterich in Leipzig hat solche Fälle beobachtet. Jene Einrichtung befördert aber auch die mittelbare Beherrschung der Aufmerksamkeit. Welche Anstrengung würde die unmittelbare Beherrschung derselben erfordern, wenn wir alle im Auge sich abbildenden Gegenstände in gleichem Grade scharf sähen. Ferner wird durch jene Einrichtung die Messung erleichtert, die wir durch die Bewegung der Augen ausführen. Auf der anderen Seite werden wir aber durch diese Einrichtung verhindert, viele Gegenstände mit einem Blicke, mit unbewegtem Auge, anfzufassen. Sollte vielleicht das merkwürdige Vermögen des Rechner Dase, die Zahl vieler neben einander befindlicher Dinge schnell zu bestimmen, darauf beruhen, daß der empfindliche Teil der Nervenhaut bei ihm größer ist als bei Andern? Eine solche Anlage konnte ihn wohl zu frühzeitigen Übungen in seiner Kunst und im Rechnen veranlaßt haben.
 
 

    Bekanntlich verbreiten sich die Tastnerven in unserm Körper so, daß sie die mittlere Ebene, wodurch er in eine rechte und linke Hälfte geteilt wird, nicht überschreiten. Dieser interessante Satz wird nicht nur durch anatomische Untersuchungen, sondern auch durch physiologische Beobachtungen, namentlich bei der halbseitigen Lähmung, bestätigt, denn die Lähmung überschreitet bei nicht komplizierten Fällen die Grenze zwischen der rechten und linken Körperhälfte nicht; da nun also die Nerven von zwei nahe neben einander an der Mittellinie liegenden Teilchen der Haut einen ganz verschiedenen Weg nehmen und sich weit von einander entfernen, so sollte man meinen, die Berührung von zwei solchen Teilchen würde immer zwei sehr unterscheidbare Empfindungen hervorrufen. Das ist aber nicht der Fall. Dieses Resultat scheint zu beweisen, daß es bei der örtlichen Unterscheidung der Empfindungen nur auf den Abstand der Enden der Nerven auf der Haut und im Gehirn, nicht aber auf den Abstand ankomme, in welchem sich die Stämme der Nervenfäden beider Seiten von einander befinden, welche die peripherischen und zentralen Enden mit einander verbinden.

    Man könnte glauben, die Feinheit und Schärfe des Ortssinns, wodurch sich manche Teile der Haut vor anderen auszeichnen, hinge zum Teil mit davon ab, ob wir uns durch unser Auge eine genaue Kenntnis über den Abstand der verschiedenen Teile der Haut von einander verschafft hätten oder nicht. Die Erfahrung lehrt aber, daß das nicht der Fall ist. Wäre es der Fall, so würden die Teile der Haut, die wir niemals zu sehen bekommen, mit einem weniger feinen Ortssinne begabt sein, als die, welche wir mit unseren Augen beobachten können. Das ist aber keineswegs so.

Feinheit des Ortssinns am Kopfe.

    Am Kopfe ist der Teil, der mit dem feinsten Tastsinne ausgerüstet ist, die Zungenspitze. Auf sie folgt der Teil der Lippen, der die Grenze zwischen der roten und nicht roten Oberfläche derselben bildet, hier ist der Tastsinn beinahe noch feiner als an den Fingerspitzen. Hierauf kommt die Nasenspitze, dann folgen die Augenlider, hernach der Oberaugenhöhlenrand in der Nähe der Glabella und die Glabella selbst. Am unempfindlichsten im Gesichte ist der Teil der Haut, der dicht vor dem Ohre und auf dem Aste der Kinnlade liegt. Viele Teile der Haut am Kopfe besitzen daher einen sehr feinen Tastsinn, und kein Teil ist daselbst mit einem so stumpfen Tastsinne versehen, als irgend ein Teil der Haut am Rumpfe, und viele Teile der Haut an den Armen und Beinen. Man muß daher den Kopf für den Teil unseres Körpers erklären, an welchem der Tastsinn vorzüglich fein ist.

    Am Kopfe hat der mit den Haupthaaren bewachsene Teil der Haut keineswegs einen feineren, sondern eher einen stumpferen Tastsinn als der nicht behaarte Teil, z. B. die Stirn. Die Haarbälge der Kopfhaare, welche in so großer Zahl daselbst vorhanden und so nervenreich sind, sind also nicht für Tastorgane zu halten, welche durch den Druck affiziert werden, wohl aber sind sie, wie später gezeigt werden soll, sehr feine Tastorgane für die Empfindung des Zugs. Mit den Tasthaaren der Tiere, die viel steifer, willkürlich beweglich, und in besondere Kapseln eingepflanzt sind, mag es sich in dieser Hinsicht anders verhalten.

    Gehen wir nach dieser Übersicht noch etwas mehr in’s Einzelne:27) Es ist sehr vorteilhaft, daß wir in der Mundhöhle mittelst der Zunge so fein tasten, und daß auch die zur Zermalmung dienenden Zähne mit dem Tastsinn versehen sind. Der Zermalmung nicht fähige Teilchen werden wohl unterschieden, und die noch nicht gekauten Speisen können daher zwischen die Kauflächen der Zähne gebracht werden. Der Schärfste Ortssinn, wodurch sich die Zungenspitze vor allen Teilen des Körpers auszeichnet, ist auf einen sehr kleinen Raum beschränkt, der nur einen Durchmesser von 2 bis 3 Linien hat. Die untere Oberfläche der Zunge hat einen weniger feinen Tastsinn als der Rücken. Auf dem Rücken der Zunge nimmt die Feinheit des Tastsinns desto mehr ab, je entfernter die Teile der Zunge von der Spitze sind. Der vordere Teil des Zahnfleisches hat ein sehr stumpfes Gefühl, feiner ist es am hinteren Teile des Zahnfleisches der oberen Kinnlade und am harten Gaumen. Am weichen Gaumen wird der Tastsinn sogar wieder feiner als am harten Gaumen. Die Zähne wirken wie Sonden und haben einen ziemlich feinen Tastsinn, nur ist hier ein starker Druck nötig, der auf die empfindliche Haut zu wirken scheint, welche die Zahnzelle austapeziert. Ihr Tastsinn übertrifft den des Zahnfleisches sehr, die Schleimhaut der Backen hat einen viel stumpferen Tastsinn als die äußere Haut derselben. Die Lippen haben gleichfalls an ihrer inneren Oberfläche einen außerordentlich viel stumpferen Tastsinn als an der äußeren Oberfläche. Am feinsten ist er an der Grenze, wo der rote Teil derselben in den nicht roten Teil übergeht. Nach dieser Grenze hin nimmt die Feinheit des Tastsinns zu, die in der Nähe des Zahnfleisches am stumpfesten ist. Der Tastsinn der äußeren Oberfläche der Oberlippe und Unterlippe ist feiner nach der Mittellinie zu. Den Lippen zunächst kommt die Nasenspitze, die einen feineren Ortssinn hat, als der Rücken der Nase und die Nasenflügel, und nach der Nasenspitze zunächst sind die Augenlider zu nennen, die in der Nähe des äußeren Augenwinkels etwas feiner fühlen als am inneren. Am äußern Augenwinkel erstreckt sich das feine Gefühl sogar auf den Teil der Haut, der die Verbindung des Jochbeins und Stirnbeins überzieht. Auch die Gegend der Haut am Oberaugenhöhlenrande, welche den Corrugator supercilii deckt, hat noch ein ziemlich feines Gefühl. Auf diese Teile folgt die sogenannte Glabella, d. h. die Übergangsstelle vom Nasenrücken zur Stirn und die Stirn selbst, denn auf der Stirn nimmt die Feinheit des Ortsinns nach oben und nach den Schläfen zu ab. Ein Teil der Backen, der den Lippen nicht nahe ist, steht ungefähr auf gleicher Stufe der Empfindlichkeit. Die Gegend des Gesichts vor dem Ohre und die Haut, die den Ast des Unterkiefers überzieht, hat eine geringere Empfindlichkeit, dagegen hat die Mitte des Kinns und die nächste Region der Haut unter dem Kinne eine größere Empfindlichkeit als die Haut der Stirn, diese Empfindlichkeit nimmt aber nach dem Halse zu sehr ab und ist am Halse viel geringer. Das äußere Ohr gehört, was den Ortsinn betrifft, zu den unempfindlicheren Teilen am Kopfe. Die Haut im Inneren der Nase ist aber als Tastorgan noch unempfindlicher.

27) Die Vergleichung der verschiedenen Teile der Haut, hinsichtlich der Feinheit ihres Ortsinns, ist deswegen von Interesse, weil es sich der Mühe verlohnt die Frage zu beantworten, ob das Vermögen, Druck- und Temperatur-Grade fein zu unterscheiden, eben so verteilt ist als der Ortsinn. Ich bemerke hier in voraus, daß das erstere Vermögen viel gleichmäßiger in der ganzen Haut existiert, als der Ortsinn. Hieraus darf man vermuten, daß zwar die Zahl der empfindlichen Teile in gleich großen Oberflächen der Haut, in den verschiedenen Gegenden nicht sehr verschieden sei, daß aber die Zahl der elementaren Nervenfäden, die diesen Teilen die Empfindlichkeit verschaffen, in verschiedenen Teilen der Haut sehr verschieden sei.
 
 
Ortsinn an den Armen und Beinen.

    Hier ist der schärfste Ortsinn auf der Volarseite der Hände, die die Rückenseite derselben dadurch beträchtlich, und auch die Plantarseite der Füße in nicht unbeträchtlichem Grade übertrifft. In der Hohlhand sind es wieder die Fingerspitzen oder überhaupt die letzten Glieder der Finger, welche den allerfeinsten Ortsinn besitzen, der fast dem der Lippen gleich kommt. Schon an dem zweiten Gliede der Finger nimmt diese Feinheit ab, und noch mehr an dem ersten Gliede, wo sie aber an dem nach dem Metacarpus hingerichteten Ende größer ist, als an dem nach dem zweiten Gliede hingekehrten Ende. An dem Metacarpusknochen des Daumens ist die Schärfe des Gefühls ein wenig größer als am Metacarpusknochen des kleinen Fingers. Die Empfindlichkeit an der Volarseite des zweiten Gliedes eines Fingers verhält sich zu der Empfindlichkeit desselben auf der Rückenseite, wie 5 zu 2, und an den Metacarpusknochen verhalten sich beide Seiten wie 14 zu 5. Am unempfindlichsten ist die Haut ungefähr in der Mitte des Oberarms. Öffnet man den Zirkel 16 bis 18 Linien weit, und berührt mit den Enden die Haut an der Schulter, am Acromion oder über dem Ellenbogen, d. h. über dem Olecranon, so unterscheidet man, ob die Enden des Zirkels der Länge nach oder quer liegen, und man fühlt zugleich zwei Berührungen. Aber an dem größten Teile des Oberarms, und an einem kleinen Teile des Unterarms nimmt man nur eine einzige Berührung wahr, und kann nicht über die Lage der Enden des Zirkels urteilen; um dahin zu gelangen, muß man den Zirkel 21/2 bis 3 Zoll weit öffnen. Die Haut am Oberarme ist also im Allgemeinen etwas unempfindlicher als die Haut am Unterarme, und diese ist wieder unempfindlicher als die der Hand. Aber die Empfindlichkeit vermindert sich von der Hand bis zur Schulter nicht gleichmäßig, sondern am Handgelenke und Ellenbogengelenke ist sie etwas größer als an den dazwischen gelegenen Teilen.

    Ebenso verhält es sich am Beine, nur sind die Füße und die Zehen auf der Fußsohle unempfindlicher als die Hand, und die Finger auf ihrer Volarfläche. Übrigens ist schon oben erwähnt worden, daß an den meisten Teilen der Arme und Beine die Enden des Zirkels deutlicher, und schon bei geringerer Entfernung empfunden werden, wenn sie eine quere Lage gegen das Glied haben, als wenn sie dasselbe der Länge nach berühren.

Ortsinn in der Haut des Rumpfes.

    Am Rumpfe ist der Ortsinn am wenigsten ausgebildet. Es gibt daselbst, wie schon oben erwähnt worden ist, keinen Teil, der einen so feinen Ortsinn hätte als irgend ein Teil der Haut am Kopfe, oder als irgend ein Teil der Haut der Hand oder des Fußes. Sogar an der Brustwarze, welche in anderer Hinsicht sehr empfindlich ist und durch mehrmalige Berührung in Erektion gerät, ist der Tastsinn sehr stumpf, so daß man hier recht deutlich sieht, wie sehr die Fähigkeit, ein lebhaftes Gemeingefühl zu äußern, von der Feinheit des Tastsinns zu unterscheiden sei.

    Der Ortsinn in der Haut des Rumpfes ist an den beiden Enden des Rumpfes am feinsten, am obersten Teile des Halses und am After, und es nimmt die Feinheit desselben gegen die Mitte des Rückens hin ab. Vorn scheint sie am unteren Ende des Halses etwas geringer zu sein, als am oberen Teile der Brust, auch am Nabel und am Schambeine scheint sie etwas größer zu sein, als an den dazwischen liegenden Regionen.

    An der Seite des Rumpfes wechseln Gegenden mit einander ab, wo die berührenden Zirkelspitzen deutlicher empfunden werden, bald wenn sie in der Längenrichtung, bald wenn sie in querer Richtung liegen. Es scheint aber noch nicht ausgemacht, daß bei verschiedenen Menschen die Versuche, die an entsprechenden Teilen der Haut gemacht werden, dasselbe Resultat geben.28)

28) Meine Beobachtungen über die Feinheit des Tastsinns, an verschiedenen Teilen der Haut, sind zuerst von Allen Thomson (in Edinburgh Med. and Surg. Journal No. 116.) bestätigt worden. Er sagt: "Ich bemerke, daß ich eine ansehnliche Zahl von Experimenten zur Vergleichung der Sensibilität in verschiedenen Teilen der Haut, an meiner eignen Person und an Anderen angestellt, und sehr nahe dieselben Resultate erhalten habe. Die Feinheit des Tastsinns im Ganzen scheint bei verschiedenen Individuen mehr oder weniger verschieden zu sein, aber hinsichtlich der relativen Feinheit derselben an verschiedenen Gegenden des Körpers, habe ich keine besonderen Abweichungen von den vom Professor Weber bekannt gemachten Resultaten gefunden." Valentin (Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Braunschweig 1844, Bd. II. S. 565), der gemeinschaftlich mit Teile, Gerber, Neuhaus und Bühlmann meine Experimente wiederholt hat, sagt: "Vergleicht man dieselben Hautstellen bei verschiedenen Personen unter einander, so wird man finden, daß die geringsten notwendigen Abstände oft um das vierfache und selbst noch mehr, an einzelnen, besonders nicht sehr fein fühlenden, Partien variieren. Dagegen bleiben die relativen Verhältnisse der einzelnen Hauptpartien zu einander beständiger, oder unterscheiden sich nur durch untergeordnete Abweichungen, so daß z. B. die Zungenspitze in allen bisher geprüften Fällen ungefähr 50 bis 60 Mal so fein als die Mitte der Haut des Rückens tastet."
 
 
    In folgender Zusammenstellung habe ich die Entfernung der Zirkelspitzen in Pariser Linien angegeben oder auch durch Striche bildlich dargestellt, welche erforderlich ist, damit ich von den mich berührenden Zirkelspitzen zwei Berührungen fühle, oder wenigstens anzugeben im Stande bin, ob die Zirkelspitzen in der Längenrichtung meines Körpers oder in querer Richtung liegen.

                                                                                                                Par. Linie

An der Zungenspitze ......................................................1/2 -
An der Volarseite des letzten Fingerglieds .....................    1 –
Am roten Teile der Lippen .............................................. 2 ––
An der Vorlarseite des zweiten Fingerglieds...................    2 —
An der Dorsalseite des dritten Gliedes d. Finger............     3 –—
An der Nasenspitze .......................................................  3 –—
An der Volarseite der Capitula ossium metacarpi ..........     3 –—
Auf der Mittellinie des Zungenrückens 1 Zoll weit
von der Spitze.......................................................            4 ——
Am Rande der Zunge l Zoll weit von der Spitze ............     4 ——
Am nicht roten Teile der Lippen ....................................   4 ——
Am Metacarpus des Daumens .....................................    4 ——
An der Plantarseite des letzten Gliedes der großen Zehe.    5 –——
Auf der Rückenseite des zweiten Gliedes d. Finger........     5 –——
An den Backen ............................................................... 5 –——
An der äußeren Oberfläche des Augenlids ......................   5 –——
An der Mitte des harten Gaumens ..................................   6 ———
An d. Haut auf dem vorderen Teile des Jochbeins...........    7 –———
An der Plantarseite des Mittelfußknochens der
großen Zehe .........................................................           7 ————
An der Rückenseite des ersten Glieder der Finger..........     7 ————
Auf d. Rückenseite d. Capitula ossium metacarpi .........      8 –————
An der inneren Oberfläche der Lippen nahe am
Zahnfleische .......................................................             9 –—————
An d. Haut auf dem hinteren Teile des Jochbeins .......      10 ——————
Am unteren Teile der Stirn ..........................................    10 ——————
Am hinteren Teile der Ferse ........................................    10 ——————
Am behaarten unteren Teile des Hinterhauptes............      12 ———————
Auf dem Rücken der Hand .........................................     14 ————————
Am Halse unter der Kinnlade........................................    15 ————————–
Auf dem Scheitel .........................................................    15 ————————–
An der Kniescheibe und in ihrer Umgegend ................      16 ————————––
Auf dem Kreuzbeine .....................................................  18 ————————–—
Auf dem Glutaeus ........................................................   18 ————————–—
Am oberen und unteren Teile des Unterarms ...............     18 ————————–—
Am oberen und unteren Teile d. Unterschenkels ..........     18 ————————–—
Auf dem Rücken d. Fußes in der Nähe der Zehen ........    18 ————————–—
Auf dem Brustbeine ...................................................... 20 ————————–——
Am Rückgrate, am Nacken unter dem Hinterhaupte.....    24 ————————–————
Am Rückgrate in der Gegend d. 5 oberen Brustwirbel..     24 ————————–————
Am Rückgrate in d. Lenden- u. untern
Brustgegend ........................................................          24 ————————–————
Am Rückgrate an der Mitte des Halses. ..................        30 ————————–———————
Am Rückgrate an der Mitte des Rückens .................       30 ————————–———————
Auf der Mitte des Oberarms und Oberschenkels .....         30 ————————–———————

Wahrnehmung der Figur eines uns berührenden Körpers ohne Bewegung der Glieder.

    Wir können uns aber auf eine doppelte Weise über die Gestalt eines Körpers oder über den Abstand zweier Körper unterrichten, erstens ohne daß wir unsere Glieder bewegen und zweitens indem wir sie bewegen. Wenn man das Ende und also den Querschnitt einer zylindrischen, oder dreiseitig prismatischen oder vierseitig prismatischen Blechröhre an unsere Haut andrückt, ohne daß wir es sehen können, so entsteht auf der Haut ein Druckbild derselben und wir nehmen, wenn der Durchmesser groß genug ist, die Gestalt derselben wahr. Wendet man zylindrische Röhren von verschiedenen Durchmessern an, so findet man, daß das Ende der Röhren als ein solider Körper von unbestimmter Gestalt gefühlt wird, wenn es nicht einen Durchmesser hat, der etwas größer ist als der Abstand der Enden des Zirkels, den ich in der mitgeteilten Tabelle bei den verschiedenen Teilen des Körpers als denjenigen angezeigt habe, wo man zwei Eindrücke unterscheidet. Die Figur eines Kreises und eines davon eingeschlossenen Raumes empfand ich, wenn die Röhre 11/2 P. Linie im Durchmesser hatte, nur mit der Zungenspitze, nicht mit der Lippe und Fingerspitze; wenn die Röhre 2 Linien im Durchmesser hatte, nur mit dem mittleren Teile der Oberlippe und dunkler mit den Fingerspitzen, aber nicht an dem Gelenkteile des letzten Gliedes oder am zweiten Gliede. Um die Figur da zu empfinden, war ein Durchmesser von 4 Linien nötig, und dieser wurde selbst nicht auf dem ersten Gliede empfunden denn hier war ein Durchmesser von 5 Linien erforderlich, am Metakarpus des Daumens bedurfte es eines Durchmessers von 6 bis 61/2 Linien, am Bauche dagegen war eine Röhre, die 33/4 Zoll im Durchmesser hatte, nötig, um die Figur wahrzunehmen und auf dem Rücken war ein noch größerer Durchmesser nötig. Wir sind nur dadurch fähig eine runde, oder dreieckige oder viereckige Figur zu unterscheiden, ohne daß wir die Tastorgane bewegen, daß wir schon eine Kenntnis der Lage der berührten Hautteilchen besitzen. Unstreitig haben wir diese Kenntnis ursprünglich nicht besessen, sondern sie dadurch erlangt, daß Körper sich längs unserer Haut bewegt, und dabei in bestimmten Reihen von fühlenden Punkten sukzessiv Empfindungen erregt haben. Sehr wichtig, um einerseits die Lage der fühlenden Punkte unserer Haut kennen zu lernen, andererseits durch Empfindung auf die Vorstellung von der Bewegung geleitet zu werden, ist es, daß unser Tastorgan eine so große empfindende Oberfläche hat und so beweglich ist, daß ein Teil den anderen berühren kann, wobei wir jeden von den einander berührenden Teilen mittelst des anderen empfinden. Wenn wir die Fingerspitze der einen Hand auf der Volarfläche der anderen Hand bewegen, so bekommt die Fingerspitze an den nämlichen empfindenden Teilen viele aufeinanderfolgene Stöße von den Unebenheiten der anderen Hand, während zu gleicher Zeit andere und andere nebeneinander liegende Teile der anderen Hand sukzessiv einen Eindruck von der Fingerspitze bekommen. Wir beschreiben mit der Fingerspitze eine Bahn auf der fühlenden Oberfläche der anderen Hand, die wir daher mittelst der anderen Hand unterscheiden und wahrnehmen lernen, und dadurch wieder umgekehrt lernen, welche Anstrengung wir machen müssen, um die Fingerspitze in bestimmten Richtungen und Krümmungen zu bewegen.

Wahrnehmung der Gestalt und des Abstandes der Körper durch die absichtliche Bewegung der Glieder.

    Haben wir gelernt, unsere Glieder unserer Absicht gemäß in bestimmten Richtungen und Krümmungen zu bewegen, so haben wir ein neues Mittel gewonnen, um uns über die Gestalt und den Abstand der Körper zu unterrichten. Wir kommen nach und nach dahin, durch das Gefühl von der Anstrengung derjenigen Muskeln, welche nötig sind, um ein Glied in eine gewisse Lage zu bringen, oder dasselbe darin zu erhalten, uns der Lage unserer Glieder immerfort bewußt zu sein. Hält man z. B. die Hände auf den Rücken, wo man sie nicht sieht und läßt sie von einem Andern in Lagen bringen, wobei sie sich einander nicht berühren, so kann man doch in jedem Momente die Lage derselben angeben. Ist man aber fähig, die Glieder nach Absicht und mit Bewußtsein zu bewegen, so kann man sich durch die Bewegung, die man machen muß, um mit den Händen die Widerstand leistenden Körper zu umgehen, eine Vorstellung von der Gestalt und Größe der Körper verschaffen. Wenn man mit einem Finger der einen Hand die obere, mit dem der anderen die untere Oberfläche einer Tischplatte berührt, so ist man im Stande, bei verschlossenen Augen anzugeben, wie dick die Platte sei. Es ist überhaupt kaum zu glauben, wie viel bei der Wahrnehmung der Form der Körper und der Form ihrer Oberfläche im Kleinen (der Rauhigkeiten oder Glätte), ferner bei der Wahrnehmung der Härte und Weichheit und des Abstandes der Körper von einander von der absichtlichen Bewegung unserer Glieder abhängt. Man verschließe die Augen, lasse die Hand wohlunterstützt ruhen. Wenn nun ein Anderer Glas, Metall, Papier, Leder und andere Körper mit den Fingerspitzen in Berührung bringt und an denselben vorbeibewegt, so verwechselt man Körper mit einander, die man sogleich unterscheidet, wenn man die Hand bewegt. Eine ebene Glasplatte, welche erst schwach, dann stärker und hierauf wieder schwächer an die Fingerspitzen angedrückt wird, scheint uns eine konvexe Oberfläche zu haben, wird sie aber erst stark, dann schwächer und hierauf wieder stärker an unsere Fingerspitze angedrückt, so scheint sie uns eine konkave Oberfläche zu haben. Es ist interessant, daß wir, wenn von Jemandem an einem Bündelchen unserer Haare leise gezogen wird, sehr genau die Richtung angeben können, in welcher gezogen wird, daß wir aber nicht bei verschlossenen Augen sagen können, welche Richtung eine Stricknadel hat, die gegen die Haut eines festliegenden Teils unseres Körpers gedrückt wird, ob sie einen rechten Winkel, oder welchen anderen Winkel sie mit der Oberfläche unseres Körpers bildet. Eine genauere Erörterung, die ich hierüber angestellt habe, lehrt, daß wir die Richtung, in welcher an unseren Haaren gezogen wird, nicht unmittelbar empfinden, sondern daß wir der Bewegung, in welche unser Kopf und die Haut unseres Kopfes durch das Ziehen an den Haaren versetzt zu werden anfängt, durch unsere Muskeln Widerstand leisten, und aus Erfahrung wissen, in welcher Richtung wir unseren Kopf oder die Haut an demselben bewegen, um jener Bewegung Widerstand zu leisten. Von der Richtigkeit dieser Erklärung überzeugt man sich durch folgende Experimente. Jenes Vermögen, die Richtung zu bestimmen, in welcher an den Haaren gezogen wird, wird nämlich sehr beschränkt, wenn zugleich unser Kopf von einem Anderen festgehalten wird, und hört ganz auf, wenn außerdem die Verschiebung der Haut gehindert wird, während man an den Haaren zieht, z. B. indem man die Haut vor den Haaren, an welchen gezogen wird, und hinter ihnen an den Kopf mit einem Finger andrückt, denn unter diesen Umständen wird weder unserem Kopfe noch der Haut eine Bewegung durch das Ziehen an den Haaren mitgeteilt, und wir haben daher auch keine Gelegenheit, einer uns mitgeteilten Bewegung Widerstand zu leisten. Wenn man zwei von den vier kleineren Fingern einer Hand in eine solche Lage bringt, daß sie sich kreuzen und daß ein Gegenstand, den wir mit diesen Fingern gleichzeitig berühren, mit denjenigen Rändern derselben in Berührung kommt, welche bei der gewöhnlichen Lage dieser Finger von einander abgekehrt sind, so glaubt man den Gegenstand doppelt zu fühlen und also z. B. 2 Kugeln zu unterscheiden, die man mittelst jener Finger hin- und herrollt, und 2 Nasenspitzen und 2 Tischkanten zu empfinden. Bei der Erklärung dieses merkwürdigen Phänomens ist Folgendes in Betracht zu ziehen. Wir empfinden mit zwei Teilen unseres Tastorgans stets doppelt und niemals verschmelzen die beiden Empfindungen, die wir durch sie erhalten, zu einer, wohl aber können wir zu dem Schlusse veranlaßt werden, daß die beiden Empfindungen, die wir erhalten, durch zwei Oberflächen eines und desselben Körpers verursacht werden, z. B. wenn wir einen Würfel zwischen zwei Fingern halten. Ist die eine Oberfläche glatt, die andere rau, oder ist die eine Oberfläche warm, die andere kalt, so verschmelzen diese Empfindungen nicht, auch glauben wir keineswegs dieselbe Oberfläche des Würfels zu berühren. Wir nehmen an, daß die 4 Empfindungen, die wir haben, wenn wir mit 4 Fingern die Kante eines Tisches berühren, von demselben Flachenwinkel herrühren, da wir aus der Stellung unserer Fingerspitzen wissen, daß die Orte dieser vierfachen Berührung in einer Linie liegen; wir nehmen ferner an, daß wir denselben Bleistift zwischen unseren Fingern haben, wenn wir wissen, daß der Bleistift den Zwischenraum zwischen unseren 2 Fingern ausfüllt, und daß wir ihn mit dem einen Finger gegen den anderen drücken und also, wenn wir die Ursache der beiden Empfindungen in einem und demselben Raume annehmen. Dieses ist uns unmöglich, wenn diejenigen beiden Ränder zweier Finger denselben Gegenstand berühren, welche nur mit einiger Gewalt in eine solche Lage gebracht werden können, daß sie denselben Gegenstand berühren, und in der natürlichen Lage von einander abgekehrt sind, und dann also denselben Gegenstand nicht berühren können. Die Richtigkeit der angeführten Bedingung sieht man daraus, daß man mit dem Daumen und kleinen Finger die berührten Dinge nicht doppelt zu fühlen glaubt. Der Daumen und der kleine Finger können nämlich, weil sie sehr beweglich sind, leicht und ohne Gewalt durch ihre Muskeln in eine solche Lage gebracht werden, daß die sonst von einander abgewendeten Ränder derselben denselben Gegenstand berühren; indem man daher bei dem Urteile, das man sich bildet, die Bewegung dieser 2 Finger in Rechnung bringt, nimmt man wahr, daß es derselbe Körper ist, auf den sie gerichtet werden.

II. Drucksinn.

    Nehmen wir mittels des durch die eigne absichtliche Bewegung unterstützten Ortsinnes der Haut die räumlichen Verhältnisse der Körper, ihre Gestalt, Größe, ihren Abstand, ihre Rauhigkeit und Glätte, endlich ihre Härte und Weichheit wahr, so erkennen wir durch den Drucksinn der Haut, zumal wenn er durch die eigene absichtliche Bewegung unterstützt wird, unsere eigene bewegende Kraft und die uns Widerstand leistenden Kräfte der Körper. Viele räumliche Verhältnisse erkennen wir auch vorzugsweise, und zwar noch viel vollkommner, mit dem Auge; die Empfindung der Wirkung unserer eigenen Kraft und der Kraft anderer Körper aber verdanken wir nur dem Tastsinne, der daher eigentlich als der Kraftsinn betrachtet werden kann. Um wie viel weniger anschaulich würden unsere Vorstellungen von der Kraft sein, wenn wir den Druck nicht empfänden, diesen Kampf der Kräfte, in welchem sie sich einander das Gleichgewicht halten und daher keine Bewegung hervorbringen, aber doch empfunden werden. Die Kräfte äußern nämlich ihre Wirkung auf eine doppelte Weise durch Hervorbringung von Bewegung und durch Aufhebung von Bewegung, welche letztere Druck oder Spannung erzeugt. Die entstehenden Bewegungen können wir auch durch den Gesichtssinn erkennen, und daher auch durch ihn auf die Vorstellung von der Kraft geführt werden, aber wir empfinden die Bewegung nicht unmittelbar, sondern stellen sie uns nur vor. Dagegen empfinden wir den Druck und seine verschiedenen Grade unmittelbar. Was uns nun aber für die Bildung des Begriffs von Kraft vorzüglich zustatten kommt, ist dieses, daß wir durch die größere oder geringere Anstrengung unsers Willens selbst Druck in einem verschiedenen Grade hervorbringen, und einen Teil der Tastorgane an den anderen andrücken können. Während wir auf der einen Seite uns unseres Wollens und des Grades der Anstrengung dabei bewußt sind, empfinden wir auf der anderen Seite die Wirkung unseres Wollens, den Druck und Gegendruck in den gegeneinander gedrückten Organen unsers Tastsinns. Wo haben wir in einem anderen unserer Sinnorgane ein ähnliches Vermögen, den Eindruck mit dem Sinnorgane selbst hervorzubringen, mit dem wir ihn empfinden, wo haben wir eine so vortreffliche Gelegenheit, uns des ursächlichen Zusammenhangs bewußt zu werden, als hier, wo wir uns bewußt werden der Anstrengung des Willens, wodurch unsere eine Hand von uns selbst gegen die andere Hand gedrückt wird, und wo wir den Druck in der gedrückten und den Gegendruck in der Hand, mit der wir selbst drücken, empfinden? Wie sehr ist in dieser Hinsicht das Vermögen des Tastsinnes, wodurch wir Druck empfinden, verschieden von dem Vermögen desselben Sinnes, wodurch wir Wärme und Kälte empfinden. Um wie viel weniger anschaulich ist die Vorstellung von der Kraft, die wir durch die Empfindungen von Wärme und Kälte erhalten. Auch diese Empfindungen, die uns der Tastsinn verschafft, würden uns eine anschauliche Vorstellung von der Kraft geben, wenn wir durch eine Anstrengung unseres Willens Wärme und Kälte auf einem Teile unserer Haut entwickeln, und sie dann einem anderen Teile des Tastorgans mitteilen könnten. Kraft ist die unbekannte Ursache derjenigen Wechselwirkung der Körper, die sich durch Bewegung oder durch Druck äußert, die aber für uns kein Phänomen ist, und von der wir daher nicht wissen, ob sie selbst beweglich sei. Der einzige Fall, wo wir von dieser unbekannten Ursache etwas mehr wissen, ist eben der, wo unser Wille die Ursache oder ein Teil der Ursache des Druckes ist, den wir fühlen. Denn wenn auch dieser Druck zum Teil von einem Mechanismus unseres Körpers erzeugt wird, so muß doch unser Wille diesem Mechanismus selbst den Anstoß dazu geben, ihn gleichsam auslösen.

    Die Physiker und Chemiker prüfen die Instrumente, mit denen sie arbeiten und bestimmen, wie weit sie sich auf dieselben verlassen können, sie prüfen z. B. die Waage, mit der sie wägen, die Physiologen und Anatomen prüfen ihr Mikroskop und wissen, wie viel mal es vergrößert. Ebenso wichtig ist es für den Menschen, die ihm angeborenen Instrumente des Empfindens zu prüfen. Bei dem Tastsinne habe ich zuerst eine solche Prüfung unternommen. Um zu erörtern, wie genau wir verschiedene Grade des Drucks zu unterscheiden vermögen, kann man einem Beobachter, während er seine Augen wegwendet, 2 verschiedene Gewichte von gleicher Gestalt und gleich großer Oberfläche wiederholt auf den nämlichen Teil seiner Hand legen, erst das eine und dann, nachdem es wieder weggenommen worden, schnell darauf das andere, hierauf wieder das erstere und sofort, bis der Beobachter sich ein Urteil gebildet hat, welches von beiden Gewichten das schwerere sei. Meine Versuche haben gelehrt, daß diese Methode vorteilhafter ist, als wenn man zwei verschiedene Gewichte gleichzeitig auf beide Hände legt. Denn zwei gleichzeitige Tastempfindungen lassen sich nicht so gut untereinander vergleichen als zwei aufeinanderfolgende. Eine Reihe von Versuchen hat bewiesen, daß man zwei Gewichte am allergenauesten vergleichen kann, wenn man sie sukzessiv auf dieselben Teile von derselben Hand legt. Etwas weniger vorteilhaft ist es, wenn man das Gewicht zuerst auf die eine Hand legt, es wieder hinwegnimmt und hierauf das andere zu vergleichende Gewicht auf die andere Hand legt. Am wenigsten vorteilhaft ist es, wenn man beide Gewichte gleichzeitig auf beide Hände legt. Denn die eine Empfindung stört die andere, indem sich beide Empfindungen vermischen, auf ähnliche Weise wie zwei gleichzeitige Töne, deren Abstand in der Tonleiter auch nicht so gut aufgefaßt werden kann als der von zwei ungleichzeitigen, von denen der eine bald auf den anderen folgt. Noch weit mehr als beim Tast- und Gehörsinne findet diese Vermischung von zwei gleichzeitigen Empfindungen hinsichtlich der Geruchsempfindungen statt, denn man ist außerordentlich gehindert, zwei Gerüche zu vergleichen, wenn man zwei Riechfläschchen zugleich an beide Nasenlöcher hält.

    Diese Vermischung gleichzeitiger Empfindungen ist ein interessantes Faktum, aber eine noch interessantere Tatsache ist es, daß man eine Empfindung, die schon vergangen ist, und deren man sich nur erinnert, und die man sich also nur mit der Phantasie vergegenwärtigt, mit einer gegenwärtigen Empfindung so genau vergleichen kann. Dieses ist bei der oben angegebenen Methode, 2 Gewichte zu vergleichen, die sich unter allen als die vorteilhafteste bewährt hat, der Fall. Man sollte glauben, die Empfindung, die wir eben haben, der Druck, den wir empfinden, sei immer um so viel stärker als die Phantasievorstellung, die wir uns von dem Drucke machen, den wir vorher empfunden haben, daß sich beide Vorstellungen gar nicht vergleichen ließen; dies ist aber wie gesagt ganz und gar nicht der Fall. Ich habe bei verschiedenen Menschen Reihen von Experimenten darüber gemacht, in welchem Grade die Vergleichung zweier Empfindungen unvollkommener werde, wenn 2, 5, 10, 15, 20, 25, 30, 35, 40 und mehr Sekunden vergehen, ehe die zweite Empfindung auf die erste folgt, mit der sie verglichen werden soll. Bei manchen Menschen wurde die Vergleichung schon nach 10 Sekunden sehr unvollkommen. Bei größeren Gewichtsunterschieden kann mehr Zeit vergehen, ehe man verhindert wird, das schwerere Gewicht von dem leichteren zu unterscheiden, als bei sehr kleinen Gewichtsunterschieden. Mir gelang es, ein Gewicht von 14 Unzen oder sogar bisweilen ein Gewicht von 141/2 Unzen noch von einem Gewichte von 15 Unzen zu unterscheiden, wenn zwischen der ersteren und der letzteren Empfindung 15 bis 30 Sekunden vergangen waren. Sogar nach 35 Sekunden gelang es mir, bisweilen noch das schwerere Gewicht vom leichteren zu unterscheiden, niemals aber, wenn 40 Sekunden vergangen waren. Wenn der Gewichtsunterschied größer war, so konnten 60 bis 90 Sekunden vergehen, ehe die zweite Empfindung der ersteren folgte, und dennoch konnte ich das schwerere Gewicht vom leichteren unterscheiden, z. B. wenn sich die Gewichte wie 4 zu 5 verhielten. Bei noch größeren Gewichtsunterschieden konnten sogar über 100 Sekunden vergehen. Bei Gesichtsempfindungen machte ich ähnliche Erfahrungen. Ich hielt Menschen eine auf Papier mit Tinte gezeichnete schwarze Linie vor, und ließ, nachdem ich sie wieder weggenommen hatte, 30 Sekunden oder sogar 70 Sekunden vergehen, ehe ich eine zweite Linie vorzeigte, die sonst gleich, aber um 1/11 länger war, und doch wurde die längere von der kürzeren noch unterschieden. Die Unterscheidung fiel aber, wenn 70 Sekunden vergangen waren so schwer, daß man wohl sah, daß die Unterscheidung nach 80 Sekunden unmöglich gewesen sein würde. Wenn die Längen der Linien sich wie 20 : 21 verhielten und also um 1/21 differierten, konnte die längere Linie von der kürzeren wohl noch nach 30 Sekunden, nicht aber nach 40 Sekunden unterschieden werden. Wenn sich die Längen der Linien wie 50 : 511/4 verhielten, wurde die längere Linie von der kürzeren nach 3 Sekunden, nicht aber nach 5 oder 10 Sekunden unterschieden. Man kann auf diese Weise messen und in Zahlen angeben, wie die Deutlichkeit der Erinnerung von Empfindungen von Sekunde zu Sekunde abnimmt. Da man so selten Gelegenheit hat, über solche geistige Vorgänge Messungen zu machen, so empfehle ich diese Versuche der Aufmerksamkeit der Psychologen.

    Es ist sehr interessant für die Lehre vom Tastsinne und Gemeingefühle, daß wir außer den Tastorganen noch eine zweite Klasse von Organen besitzen, welche uns von der Größe des auf unseren Körper wirkenden Drucks oder Zugs eine Vorstellung verschaffen: die unserem Willen gehorchenden Muskeln nebst den Nerven und deren Zentralorganen. Aus dem Gefühle der Anstrengung derselben, wenn wir ein Gewicht heben, und aus dem Gefühle der Anspannung derselben, wenn ein Gewicht an unseren erschlafften Gliedern zieht und dadurch die Muskeln dehnt, schließen wir auf die Größe eines auf uns wirkenden Gewichtes oder auf die Größe des Widerstandes, den wir bei der Bewegung unserer Glieder überwinden müssen. Es ist wichtig, zu untersuchen, was in dieser Hinsicht der Tastsinn der Haut allein leistet, wenn er nicht von den Muskeln unterstützt wird, und was die Muskeln allein leisten, wenn sie nicht durch den Tastsinn der Haut unterstützt werden, und endlich, wie diese Wahrnehmung der Gewichte vervollkommnet wird, wenn beide Hilfsmittel zugleich zu der Beobachtung benutzt werden.

    In meinen früheren Untersuchungen über den Tastsinn wollte es mir nicht gelingen, eine Methode ausfindig zu machen, um zu bestimmen, was hierbei die Muskeln allein leisten. Jetzt habe ich eine ganz einfache Methode gefunden, sowohl die Haut als auch die Muskeln einzeln zu prüfen.

    Lassen wir dem Beobachter seine Hand so auf den Tisch legen, daß sie vollkommen unterstützt ist, und legen wir ihm nun, während er die Augen wegwendet, 2 verschiedene Gewichte abwechselnd auf die 2 letzten Glieder von 2 oder 3 bestimmten Fingern, sei es auf die Rückenfläche oder auf die Volarfläche derselben, und wechseln wir mit dem Wegnehmen und Auflegen eines jeden von diesen beiden Gewichten ab, bis er eine Vergleichung derselben angestellt hat, so beruht sein Urteil, welches Gewicht schwerer sei, auf den Empfindungen, die ihm der Tastsinn der Haut verschafft. Denn da an den beiden letzten Gliedern der Finger gar keine Muskeln liegen und die Muskeln, die durch Sehnen aus der Entfernung auf diese Glieder wirken können, ruhen, so sind die Muskeln bei der entstehenden Empfindung gar nicht beteiligt, auch dadurch nicht, daß die Gewichte auf sie einen Druck ausübten.

    Lassen wir dagegen den Beobachter mit der Hand die vereinigten Zipfel eines zusammengeschlagenen Tuches umfassen, in welchem ein Gewicht hängt, und dasselbe mit gestrecktem oder auch gekrümmtem Arme halten und geben wir ihm, nachdem wir ihm das Tuch aus der Hand genommen haben, ein zweites Tuch mit einem anderen Gewichte in die Hand und wiederholen diese Operation, ohne daß er die Tücher sehen kann, so oft, bis er sich ein Urteil darüber, welches Gewicht das schwerere sei, gebildet hat, so beruht dasselbe nur auf dem Gemeingefühle der Muskeln und nicht auf dem Tastsinne der Haut. Das von der Hand umfaßte Tuch reibt sich zwar an der Hand, übt aber auf sie keinen Druck aus. Faßt nun der Beobachter das Tuch etwas fester als nötig ist, damit es nicht aus der Hand gleite, so kann er nicht einmal aus dem Drucke, den die Hand ausüben muß, damit das Tuch nicht aus derselben gleite, einen Schluß auf die Größe des Gewichts machen. Von 10 Personen, die zur Hälfte männlichen Geschlechts waren, welche 78 und 80 Unzen auf die beschriebene Weise in Tüchern durch Hebung der Gewichte verglichen, waren nur zwei, welche das schwerere Gewicht von dem leichteren nicht unterscheiden konnten, 7 von ihnen bestimmten bei 3 mit Jedem angestellten Versuchen jedesmal richtig, welches Gewicht schwerer sei. Bei einigen von ihnen wurden 4 bis 7 Versuche angestellt, und in allen diesen Fällen bestimmten sie das Gewicht richtig. Einer von den 10 Beobachtern bestimmte bei 8 mit ihm angestellten Versuchen sieben Mal richtig und ein Mal falsch. Man darf daher annehmen, daß wohl die Mehrzahl der Menschen auch ohne vorausgehende längere Übung durch das Gemeingefühl der Muskeln 2 Gewichte unterscheiden könne, die sich wie die Zahlen 39 : 40 verhalten.

    Die Feinheit in der Schätzung der Gewichte, wenn dieselbe allein mittelst des Tastsinns der Haut ausgeführt wird, geht nicht ganz so weit. Nach meinen älteren Untersuchungen, die ich durch neuere Versuchsreihen bestätigt finde, unterscheidet man Gewichte, die sich wie die Zahlen 141/2 : 15 und also wie 29 : 30 verhalten, nur mit der größten Mühe, wenn die Gewichte sukzessiv auf die nämlichen Glieder der auf dem Tische ruhenden Finger gelegt werden.

    Verbindet man beide Methoden mit einander, so geht die Unterscheidung mindestens nicht weiter, als bei hinreichend großen Gewichten durch das sukzessive Aufheben, und man kann daher nicht behaupten, daß beide Methoden vereinigt ein noch viel vorteilhafteres Resultat gäben, als die Prüfung hinreichend großer Gewichte durch Aufheben allein. Bei kleineren Gewichten aber scheint diese Verbindung beider Untersuchungsmethoden allerdings nützlich zu sein.

    Will man Gewichte, die sich wie die Zahlen 29 : 30 verhalten und sukzessiv auf die Finger gelegt werden, ihrer verschiedenen Schwere nach sicher unterscheiden, so muß man mehrere Vorsichtsmaßregeln anwenden. Sie müssen in gleichem Grade warm oder von schlechten Wärmeleitern umgeben sein, denn kältere Metalle scheinen uns schwerer zu sein als wärmere,29) sie müssen immer auf den nämlichen Teil der Haut gelegt werden und müssen eine gleichgroße Grundfläche haben, mit der sie die Haut berühren, auch muß, wenn das eine Gewicht weggenommen wird, das andere schnell an dessen Stelle gelegt werden, und zwar ohne es plötzlich loszulassen.

29) Siehe E. H. Weber; De pulsu, resorptione, auditu et tactu annotationes anat. et physiol. Lipsiae 1834 p. 135 et 137. 29) Siehe oben pag. 512.
 
 
    Wir haben oben gesehen, daß der Ortsinn in der Zungenspitze mehr als 50 Mal feiner ist als auf der Mitte unseres Rückens, daß er an der Hohlhandseite der Fingerspitze 7 bis 8 Mal so fein ist als auf dem Rücken der Hand, 10 Mal so fein als auf der Stirn, 18 Mal so fein, als auf der Mitte des Unterarms, 20 bis 30 Mal so fein als an der Mitte des Oberarms, wenn er in querer Richtung berührt wird, und endlich etwa 50 Mal so fein als an der Mitte des Oberarms und des Oberschenkels, wenn sie der Länge nach berührt werden. Es fragt sich, verhält sich die Feinheit des Tastsinns, insofern sie uns fähig macht, kleine Unterschiede des auf unsere Haut ausgeübten Drucks wahrzunehmen und kleine Gewichtsunterschiede zu empfinden, in den verschiedenen Teilen der Haut auch so? Diese Frage ist bestimmt zu verneinen und dasselbe muß man, wie wir weiterhin sehen werden, auch von dem Vermögen, kleine Temperaturunterschiede zu empfinden, sagen.

    Die feineren Grade des Druckes lassen sich zwar mit den Fingern etwas besser unterscheiden als mit der Haut des Unterarms, und auf dem Rücken des Menschen oder am Bauche ist dieses Vermögen wieder etwas unvollkommener als am Unterarme, aber diese Verschiedenheiten sind weit unbeträchtlicher als die Verschiedenheiten hinsichtlich der Feinheit des Ortssinns, denn die ganze Verschiedenheit ist etwa eine solche, daß die Feinheit des Tastsinns ungefähr nur = 6 ist auf der Mitte des Unterarms, wenn sie an den Fingern = 7 ist. Man kann bei dieser Vergleichung der Feinheit des Tastsinns auf eine doppelte Weise verfahren: erstens, indem man gleichzeitig auf die Finger und auf die Stirn Gewichte legen läßt, wobei man dann bemerkt, daß das auf dem Unterarme liegende Gewicht leichter zu sein scheint, als das auf dem Finger liegende. Ich habe in meinen über den Tastsinn geschriebenen Programmen zahlreiche Reihen von Versuchen hierüber mitgeteilt, und wie gesagt, gefunden, daß das Vermögen, den Druck eines Gewichts zu empfinden, und die Gewichtsunterschiede sehr genau wahrzunehmen, an den beiden letzten Gliedern der Finger sich nur wenig unterschied von diesem Vermögen der Haut in der Mitte des Unterarms. Wurden z. B. auf die Volarseite der 3 mittelsten Finger 5 Unzen, und auf die Mitte des Unterarms 4 Unzen gelegt, während diese Teile auf dem Tische ruheten, so empfand man auf dem Finger einen stärkeren Druck. Wurden aber auf die Finger 4 Unzen, und auf den Vorderarm 5 Unzen gelegt, so schien der Druck gleich zu sein und so blieb er auch gleich, bis endlich die Gewichte auf dem Unterarme so vermehrt waren, daß daselbst 7 Unzen lagen, während auf dem Finger immer nur noch 4 Unzen, denn nun erst war die Empfindung des Drucks am Unterarme entschieden größer. Es verhielt sich daher die Stärke des Gefühls an den Fingern und auf der Mitte des Unterarmes nahe wie 7 : 6, oder genauer ausgedrückt, wie 1,183 : 1, während die Vollkommenheit des Ortsinns an diesen Teilen sich ungefähr wie 9 : 1 verhielt, d. h. auf der Mitte der Finger 9 Mal größer war, als auf der Mitte des Unterarms. In meiner Schrift sind 15 Versuchsreihen enthalten, die an verschiedenen Teilen ausgeführt worden sind, und alle haben ein ähnliches Resultat gegeben.

    Man kann nun aber auch zweitens die Vollkommenheit unseres Sinnes, den Druck zu empfinden, dadurch prüfen, daß man sukzessiv auf die nämlichen Finger 2 Gewichte legt, die nur wenig verschieden sind, und beobachtet, einen wie kleinen Gewichtsunterschied man noch zu erkennen im Stande sei, und daß man dann dieselben Versuche auf der Mitte des Unterarms anstellt und untersucht, ob hier der Gewichtsunterschied größer sein muß, als auf dem Finger, damit er noch wahrgenommen werden könne. Aus diesen Versuchen, welche feiner und zuverlässiger sind als die vorher angegebenen, ergibt sich, daß der nämliche Beobachter auf den Fingern noch das schwerere Gewicht von dem leichteren unterschied, wenn sich die Gewichte wie 20 : 19,2 verhielten, daß dagegen auf der Mitte des Unterarms ein so kleiner Gewichtsunterschied nicht erkannt wurde, sondern daß sich die Gewichte wenigstens wie 20 : 18,2 verhalten mußten, damit man das schwerere Gewicht vom leichteren unterscheide.

    Ebenso wurden in dieser Hinsicht die Finger und die Stirn mit einander verglichen und gefunden, daß die auf die Stirn gelegten Gewichte sich wenigstens wie 20 : 18,7 verhalten mußten, damit das schwerere vom leichteren unterschieden werden könne, während auf den ruhenden Fingern Gewichte unterschieden wurden, die sich wie 20 : 19 oder sogar wie 30 : 29 verhielten.

    Es ist schon oben gezeigt worden, daß darin kein Widerspruch liege, daß in den nämlichen Teilen, in welchen der Ortsinn in sehr verschiedenem Grade ausgebildet ist, das Vermögen, Gewichtsunterschiede wahrzunehmen, nicht sehr verschieden sei. Denn die Ausbildung des Ortssinns scheint auf besonderen Einrichtungen zu beruhen, die bei der Ausbildung des Vermögens, Gewichtsunterschiede zu empfinden, nicht erforderlich sind. Damit der Ortsinn sehr fein sei, ist erforderlich, daß auf einem Teile der Haut von bestimmter Größe sich viele elementare Nervenfäden in einer gewissen Ordnung endigen, dagegen ist, damit das Vermögen, Gewichtsunterschiede oder Temperaturunterschiede wahrzunehmen, gehörig entwickelt sei, nur nötig, daß auf einer gleichgroßen Oberfläche der Haut viele empfindliche Punkte seien. Ob diese Punkte ihre Empfindlichkeit einem und demselben elementaren Nervenfaden, oder mehreren verschiedenen Nervenfäden verdanken, scheint keinen, oder wenigstens nur einen geringen Einfluß zu haben. Wenn auf denselben Nervenfaden an mehreren Orten Eindrücke gemacht werden, so scheint auch dadurch der Gesamteindruck auf den ganzen Faden größer zu werden.

III. Temperatursinn.

    Die Empfindungen der Wärme und Kälte verhalten sich nicht wie die Empfindungen von Helligkeit und Dunkelheit, denn sie sind positive und negative Größen, zwischen welchen der Nullpunkt, der durch die Wärmequelle bestimmt wird, die wir in uns haben, liegt. Wenn die unsere Haut umgebenden und berührenden Körper eine solche Temperatur haben, daß die Temperatur unserer Haut, ungeachtet wir selbst eine Wärmequelle in uns haben, weder steigt noch sinkt, so scheinen uns dieselben weder warm noch kalt, bringen sie die Temperatur der Haut zum steigen, so scheinen sie uns warm zu sein, für kalt dagegen erklären wir sie, wenn durch ihren Einfluß die Temperatur unserer Haut sinkt. Dagegen ist die absolute Finsternis der Nullpunkt der Erleuchtung, und die verschiedenen Grade der Erleuchtung, von der Dunkelheit bis zur größten Helligkeit, sind also positive Größen.

    Ein Thermometer zeigt die Temperatur des Quecksilbers in jedem Augenblicke an, es mag nun im Steigen oder Fallen sein oder nicht. Anders verhält sich’s mit dem Tastsinne. Es scheint, als ob wir hier vielmehr den Akt des Steigens oder Sinkens der Temperatur unserer Haut als den Grad wahrnehmen könnten, bis zu welchem die Temperatur gestiegen oder gesunken ist. Wir empfinden z. B. nicht, ob unsere Stirne oder unsere Hand wärmer ist, bis wir die Hand an die Stirn legen, wo wir dann oft zwischen beiden einen großen Unterschied wahrnehmen und zu manchen Zeiten die Hand, zu anderen die Stirn wärmer finden. Legen wir die Hand an die Stirn, so bringt der kältere von diesen Teilen die Temperatur des wärmeren zum Sinken und umgekehrt, und dieses Sinken und Steigen der Temperatur in dem einen und in dem anderen Teile empfinden wir. Unmittelbar ohne diese wechselseitige Einwirkung können wir die Temperaturen in den verschiedenen Teilen unserer Haut nicht vergleichen. Daher verwechseln wir auch ein schnelles Sinken und ein tiefes Sinken der Temperatur unserer Haut. Tauchen wir die eine Hand in mäßig kaltes Wasser unter, während wir die andere Hand wiederholt, aber nur auf einen Augenblick eintauchen, so glauben wir in der letzteren Hand die Empfindung eines höheren Kältegrades zu haben als in der ersteren, und doch sinkt die Temperatur in der Haut der ersteren Hand tiefer, als in der letzteren, da ihr in der Zeit, wo sie nicht eingetaucht ist, keine Wärme entzogen, vielmehr ein Teil der verlorenen Wärme durch die innere Wärmequelle ersetzt wird. Auf den ersten Anblick scheint folgender Versuch der vorgetragenen Ansicht zu widersprechen. Wenn man einen Teil der Haut des Gesichts, z B. die Stirn, mit einem +2º R. kalten Metallstabe einige Zeit, z. B. 30 Sekunden, in Berührung bringt und denselben dann entfernt, so fühlt man ungefähr 21 Sekunden lang die Kälte in jenem Teile der Haut. Nach dem, was soeben mitgeteilt worden, hätte man glauben sollen, wir würden das Gefühl der Wärme haben, während ein erkälteter Teil der Haut wieder erwärmt würde. Ich vermute daher, daß in diesem letzteren Falle das Gefühl der Kälte nicht dadurch entsteht, daß die Nerven des erkälteten Hautstücks, sondern daß die Nerven der angrenzenden Haut, der nun von der erkälteten Haut Kälte mitgeteilt wird, die Empfindung der Kälte hervorbringen.

    Die Einrichtungen, welche an den Enden der Tastnerven getroffen sein mögen, um die Einwirkungen der Wärme und Kälte auf dieselben zu vermitteln, kennen wir eben so wenig, wie die an irgend einem anderen Sinnorgane. Hoffentlich werden wir sie aber in Zukunft durch fortgesetzte mikroskopische Studien kennen lernen. Es ist daher noch ungewiß, ob die nämlichen Einrichtungen, welche die Empfindungen des Drucks möglich machen, auch die Empfindungen von Wärme und Kälte vermitteln, oder ob für diese letzteren besondere Einrichtungen existieren. Unstreitig beruhen die letzteren darauf, daß das Volumen der Körper sich vergrößert, wenn ihre Temperatur steigt, und sich verkleinert, wenn sie sinkt. Diese Veränderung trifft, nach bekannten physikalischen Gesetzen, die tropfbaren Flüssigkeiten in einem viel höheren Grade, als die festen Substanzen. Die reichlich mit Flüssigkeit erfüllten, weichen und ausdehnbaren Zellen des Zellgewebes, welches die Gefühlswärzchen bildet, müssen wegen der größeren Menge tropfbarer Flüssigkeit, die sie enthalten, weit mehr durch Wärme sich auszudehnen, durch Kälte sich zusammen zu ziehen streben, als die trockene Oberhaut, welche die Hautwärzchen wie mit einer Scheide umgibt. Man übersieht hiernach, daß durch Temperaturwechsel wohl zwischen den Hautwärzchen und ihren Scheiden Druck und Zug müsse entstehen können. Auf die Eigenschaft der tropfbarflüssigen Körper, vermöge der sie durch Temperaturänderungen eine größere Änderung des Volumens erleiden als die festen Körper, lassen sich noch manche Hypothesen gründen, wie durch Druck oder Spannung Eindrücke auf die Nerven hervorgebracht werden können.

    Als Fingerzeig für die weiteren Forschungen über diese Einrichtungen muß es betrachtet werden, daß, wie oben durch Versuche gezeigt worden ist, kalte Körper von gleichem Gewichte uns schwerer zu sein scheinen als warme, und daß also die Kälte ähnlich wie der Druck zu wirken scheint, und bei der gleichzeitigen Empfindung beider damit verwechselt wird. Diese Erfahrung ist daher der Annahme günstig, daß auch die Empfindungen von Wärme und Kälte auf einem auf die Nerven ausgeübten Drucke und Zuge beruhen.

    Aus dem Gesagten geht schon hervor, daß wir durch den Tastsinn die Temperatur der Körper oft nicht richtig wahrnehmen. Kalte Körper, welche zugleich gute Wärmeleiter sind, scheinen uns viel kälter zu sein als andere, die dieselbe Temperatur haben, aber schlechte Wärmeleiter sind. Ein kalter Holzstab scheint uns viel weniger kalt zu sein als ein gleichkalter Metallstab. Wasser scheint uns kälter zu sein als Öl, wenn auch beide genau gleich kalt sind, und ebenso verhält es sich mit den guten und schlechten Wärmeleitern, wenn sie wärmer sind als unser Blut. Die guten Wärmeleiter entziehen unserer Haut im ersteren Falle die Wärme schneller, und treten ihr im letzteren Falle schneller Wärme ab. Ebenso scheinen uns warme Flüssigkeiten wärmer, kalte Flüssigkeiten kälter, wenn wir unsere eingetauchte Hand darinnen bewegen. Ist unsere Hand unbewegt, so nehmen die sie berührenden Teile der Flüssigkeit eine andere Temperatur an, die der Temperatur der Haut näher ist, bewegen wir aber die Hand, so reißen sich diese Flüssigkeitsteile von unserer Hand los, und so kommen immer neue Flüssigkeitsteile mit ihr in Berührung, die ihre Temperatur noch nicht geändert haben. Hieraus beruht auch die so oft nachteilige Erkältung hervorbringende Wirkung des Luftzugs.

    Ein zweiter Umstand, warum wir die Temperatur der Körper oft nicht richtig wahrnehmen, ist der, daß die Haut selbst nicht immer dieselbe Temperatur besitzt, z. B. wenn zu einem Teile der Haut weniger Blut fließt, oder bei einer längeren Einwirkung einer mäßigen Kälte die Haut selbst kälter wird. Es bildet sich dann allmälig ein neuer Gleichgewichtszustand, bei welchem die erkältete Lage der Haut endlich nur so viel Wärme herausläßt, als von innen her zugeführt wird. Körper, welche nun wärmer sind als die Haut, und ihr also Wärme abtreten, scheinen uns darum warm zu sein, sogar wenn sie eine niedrigere Temperatur haben als die ist, welche die Haut in der Regel zu haben pflegt, so daß sie uns im regelmäßigen Falle kalt erscheinen würden. Der Arzt muß daher, um die Temperatur seines Patienten richtig zu beurteilen, dafür sorgen, daß seine Hände eine konstante Temperatur besitzen.

    Tauche ich meine Hand 1 Minute lang in Wasser von der Temperatur von +121/2º C. und dann in Wasser von 18º C., so habe ich in dem letzteren einige Sekunden lang das Gefühl der Wärme, hierauf aber stellt sich allmälig das Gefühl der Kälte ein, das so lange fortdauert, als die Hand eingetaucht wird. Das Steigen der Temperatur unserer abgekühlten Haut bringt also das Gefühl von Wärme auch dann hervor, wenn die Temperatur, die dadurch entsteht, eine solche ist, daß sie noch immer als Kälte empfunden werden sollte. Aber dieses Gefühl der Wärme dauert nur so lange fort, als das Steigen der Temperatur, nachher empfindet man Kälte, weil der Haut vom Wasser mehr Wärme entzogen, als von innen her zugeführt wird.

    Wasser, dessen Temperatur 35º C. (28º R.) beträgt, und das folglich um 21/2º C. (2º R.) kälter ist als das Blut, das ich hier zu 37º,5 C. oder 30º R. annehmen will, erzeugt die Empfindung der Wärme, wenn unsere Hand, wie gewöhnlich in der Stubentemperatur, minder warm ist und nicht lange eingetaucht wird. Bleibt aber die Hand einige Zeit eingetaucht, so entsteht das Gefühl einer schwachen Kälte. Vom Anfange wird ihr vom Wasser Wärme mitgeteilt, ist nun aber die Temperatur der Haut an der Hand durch die Erwärmung von innen und von außen her gestiegen, so bringt die Bewegung der Hand in diesem Wasser eine Abkühlung der Haut hervor, die die Empfindung einer schwachen Kälte hervorruft.

    Wasser, welches eine Temperatur von 36º,2 C. (29º R.) hat, verursacht in der eingetauchten Hand stets das Gefühl der Wärme. Zwar ist diese Temperatur etwas niedriger als die des Bluts, dennoch aber scheint sie eine Zunahme der Temperatur der Haut zu bewirken, vermutlich weil die Haut, wenn sie mit einer so warmen Flüssigkeit in Berührung ist, nicht so viel Wärme nach außen hin absetzt, als durch die innere Wärmequelle erzeugt wird.

    Das Vermögen, Wärme und Kälte zu empfinden, ist nicht in allen Teilen der Haut in gleicher Vollkommenheit vorhanden, aber die Verschiedenheit, welche in dieser Hinsicht statt findet, ist, wie schon oben bemerkt worden, viel geringer als die der Feinheit des Ortsinns. Man darf die Eigentümlichkeit, daß wir in manchen Teilen die Einwirkung der Temperatur der uns berührenden Körper viel schneller empfinden als in anderen, nicht mit der Feinheit verwechseln, mit welcher wir vorzugsweise durch manche Teile der Haut schon sehr kleine Temperaturunterschiede wahrnehmen. Die erstere Eigenschaft beruht darauf, daß die Oberhaut dünner ist. Denn die Oberhaut ist selbst unempfindlich und ein sehr schlechter Wärmeleiter. Je dicker sie daher ist, desto länger dauert es, bis die Kälte oder Wärme zu den empfindlichen Teilen des Tastorgans eindringt, und desto mehr sind die Tastorgane fähig, mit heißen Körpern in Berührung zu kommen, ohne daß ein brennender Schmerz entsteht. Man hat eine sehr gute Gelegenheit die Verschiedenheiten, die in der Wärme- und Kälteempfindung aus diesen beiden Ursachen entstehen, zu unterscheiden, wenn man zugleich beide Hände in ein tiefes Gefäß mit kaltem oder warmen Wasser so eintaucht, daß die Hohlhandflächen einander zugekehrt sind, ohne einander zu berühren. Ist z. B. die Temperatur des Wassers +1º,2 C. (+1º R.) oder +2º,5 C. (+2º R.) so empfindet man anfangs die Kälte stärker am Rücken beider Hände, als an der Hohlhand, weil die Oberhaut am Rücken der Hände viel dünner ist. Nach 8 Sekunden ungefähr fängt aber die Empfindung der Kälte an, in der Hohlhand überwiegend zu werden und dieselbe wächst in dem Maße, daß es bald ganz unzweifelhaft ist, daß dasselbe Wasser in der Hohlhand eine beträchtlich stärkere Kälteempfindung hervorruft, als auf dem Rücken derselben. Dasselbe zeigt sich, wenn man warmes Wasser anwendet, hinsichtlich der Empfindung der Wärme. Vielleicht ist die von mir gemachte Beobachtung, daß Wärme und Kälte auf die linke Hand einen etwas stärkeren Eindruck als auf die rechte Hand mache, eben dadurch zu erklären, daß die Oberhaut an der linken Hand etwas dünner ist als an der rechten. Es ist daher wohl gewiß, daß, so wie der Ortsinn in der Hohlhand mehr entwickelt ist als auf dem Rücken der Hand, auch der Wärmesinn daselbst vollkommner sei. Aber eben so gewiß ist es auch, daß diese letztere Verschiedenheit nur gering sei im Verhältnisse zu der großen, die hinsichtlich der Vollkommenheit des Ortsinnes zwischen der Hohlbandseite und Rückenseite der Hand gefunden wird. Die Ursache hiervon scheint auch hier darin zu liegen, daß die Feinheit des Temperatursinns zahlreiche für die Wärme empfindliche Punkte erfordert, daß es aber nicht nötig ist, daß in jedem empfindlichen Punkte ein besonderer elementarer Nervenfaden endige, sondern daß es hinreicht, wenn derselbe elementare Nervenfaden dadurch, daß er sich in Äste teilt oder vielfach hin- und herbeugt, viele Punkte der Haut empfindlich macht, während dagegen die Feinheit des Ortsinns darauf beruht, daß viele elementare Nervenfäden in einer bestimmten Ordnung nebeneinander in der Haut endigen.30)

30) Die Entdeckung der Teilung der elementaren Nervenfäden in mehrere Äste in der Nähe ihrer peripherischen Endigung, widerspricht der von mir vorgetragenen Lehre nicht, daß durch einen elementaren Nervenfaden ein bestimmter Teil des Tastorgans mit einem bestimmten Teile des Gehirns mittelst eines einzigen Nervenfadens in Verbindung gebracht werde, wenn sich, wie es scheint, jene Äste neben einander in der Haut endigen.
 
 
    Es ist sehr interessant, daß auch die Größe des Stücks der Haut, welches gleichzeitig von einem warmen oder kalten Körper affiziert wird, einen Einfluß auf die Empfindung der Wärme hat. Wenn man in dieselbe warme oder kalte Flüssigkeit den Zeigefinger der einen Hand und die ganze andere Hand gleichzeitig eintaucht, so ist die Empfindung in beiden Gliedern nicht dieselbe, sondern in der ganzen Hand heftiger. Diese größere Stärke des Eindrucks, die daher rührt, daß gleichzeitig derselbe Eindruck auf viel mehr empfindliche Punkte gemacht wird, verwechselt man mit derjenigen Stärke des Eindrucks, die unter anderen Umständen dadurch entsteht, daß die Flüssigkeit eine höhere oder eine niedere Temperatur hat. Es fühlt sich daher kaltes Wasser mit der ganzen Hand kälter, warmes Wasser mit derselben wärmer an, als mit einem einzelnen Finger, ungeachtet man doch weiß, daß man beide Glieder in dasselbe Wasser eintaucht. Weiß man das nicht, indem man die beiden Glieder in Gefäße mit Wasser eintaucht, deren Temperatur man nicht kennt, so wird man verleitet Wasser, welches +291/2º R. warm ist, und in das man die ganze Hand eintaucht, für wärmer zu halten als Wasser, das +32º R. warm ist, und in das man nur einen Finger eintaucht, und in dieselbe Täuschung wird man versetzt, wenn man Wasser von +17º und +19º R. auf dieselbe Weise untersucht, wo uns dann das Wasser, welches eine Temperatur von 17º R. hat, und in das wir die ganze Hand eintauchen, kälter zu sein scheint als das andere, ungeachtet letzteres um 2º R. wärmer ist. Es scheinen sich demnach die durch viele empfindliche Punkte aufgenommenen Wärmeeindrücke im Gehirn, wohin sie fortgepflanzt werden, zu summieren und einen Gesamteindruck hervorzubringen. Dieses ist auch, wie wir später zeigen werden, der Fall, wenn durch Wärme- oder Kälteeindrücke Schmerz erzeugt wird, und zwar nicht dadurch, daß die Wärme oder Kälte einen zu hohen Grad erreichen, sondern dadurch, daß die Wärme- und Kälteeindrücke auf eine sehr große Strecke der Haut gemacht werden. Diese Summierung der Eindrücke, wodurch ein größerer und sogar schmerzhafter Gesamteindruck entstehen kann, gehört mit zu den Erscheinungen, welche es wahrscheinlich machen, daß das Gehirn der Ort ist, wo die in den Nerven angeregten Bewegungen zu unserem Bewußtsein kommen. Je näher die Hautstellen einander liegen, auf welche die Eindrücke gleichzeitig gemacht werden, und vermutlich also auch, je näher einander die Teile des Gehirns liegen, zu welchen die Eindrücke fortgepflanzt werden, desto leichter fließen die Empfindungen in eine zusammen, je entfernter sie aber von einander sind, desto weniger ist es der Fall.

    Wenn wir in zwei nebeneinander stehende Gefäße mit Wasser von verschiedener Temperatur gleichzeitig zwei Finger derselben Hand, z. B. den Daumen und den Zeigefinger, eintauchen, so vereinigen sich zwar die beiden Eindrücke nicht zu einem einzigen, aber wir werden durch die nahe Nachbarschaft sehr in der Vergleichung der beiden Temperaturen gestört. Schon weniger gestört werden wir, wenn wir in beide Gefäße gleichzeitig die Daumen beider Hände eintauchen. Indessen findet auch dann noch einige Störung statt, und viel vollkommner führen wir daher die Vergleichung zweier Temperaturen aus, wenn wir die beiden Daumen abwechselnd in die beiden Gefäße eintauchen, und am allervollkommensten gelingt uns die Vergleichung, wenn wir denselben Finger oder dieselbe Hand bald in das eine bald in das andere Gefäß eintauchen. Unter diesen Umständen kann man bei großer Aufmerksamkeit mit der ganzen Hand noch die Verschiedenheit zweier Temperaturen entdecken, die nur 1/5 oder sogar 1/6 eines Grads der Reaumur'schen Skala beträgt.

    Den Unterschied von 2/5 eines Grads nehmen die meisten Menschen mit Sicherheit wahr. Man könnte glauben, daß die Wahrnehmung einer so geringen Differenz nur bei Temperaturen gelingen würde, welche der Blutwärme sehr nahe sind. Ich muß aber bemerken, daß ich nicht gefunden habe, daß größere Differenzen erforderlich seien, um 2 Temperaturen, wenn sie +14º R. nahe liegen, von einander zu unterscheiden, als wenn sie der Blutwärme nahe sind.

    Es ist, wie schon oben bemerkt worden ist, sehr schwer zu unterscheiden, ob man die Differenz der Temperaturen zweier Körper an einem Teile der Haut deswegen deutlicher unterscheidet als an einem anderen, weil die Hautempfindlichkeit größer oder die Oberhaut dünner ist. Indessen verdient es immer die Aufmerksamkeit der Physiologen, daß die von beiden Umständen abhängende Empfindlichkeit für Temperaturveränderungen sogar an sehr nahe nebeneinander gelegenen Teilen der Haut sehr verschieden ist, und daß also Teile der Haut, welche für Temperatureindrücke empfindlicher sind, mit solchen abwechseln, die dagegen unempfindlicher sind. Wenn man Körper, die eine ziemlich konstante Temperatur haben, mit verschiedenen Teilen der Haut abwechselnd in Berührung bringt, so bemerkt man, daß die Empfindung, die dadurch erregt wird, in gewissen Teilen der Haut viel lebhafter ist als in andern. Um zu solchen Versuchen dem Körper, welcher die Haut berührt, eine bestimmte und gleiche Temperatur zu geben, füllte ich zwei sehr längliche Glasphiolen mit Öl, und brachte in dieselben Thermometer ein, welche durch durchbohrte Stöpsel gingen. Wenn ich nun diese Phiolen im Wasser erwärmte oder erkältete, und hierauf abwischte, so zeigten dann die Thermometer ihre Temperatur an. Noch vorteilhafter würde es vielleicht gewesen sein, statt des Öls Quecksilber zu nehmen. Die Haut im Gesicht scheint die Haut an allen anderen Teilen an Feinheit des Temperatursinns zu übertreffen. Vorzüglich zeichnen sich die Augenlider und die Backen durch ihre Empfindlichkeit für Wärme und Kälte aus. Die Lippen, welche einen viel feineren Ortsinn haben als diese Teile, stehen ihnen in dieser feinen Empfindlichkeit für Wärme und Kälte nach. Der Ortssinn ist, wie wir oben gesagt haben, in dem mittelsten Teile der Oberlippe am feinsten, und nimmt nach außen und noch mehr nach den Backen hin mehr und mehr ab, die Empfindlichkeit für Wärme und Kälte dagegen ist in den Seitenteilen der Oberlippe größer, auf den Backen am größten, und auf der Mitte der Oberlippe geringer. Um diese Versuche mit einem Körper zu wiederholen, der eine kleine Oberfläche hat, nahm ich einen sehr großen und schweren Torschlüssel, der einen soliden Zylinder und einen sehr großen schweren Bart hatte, und tauchte ihn in eine große Menge Quecksilber von bestimmter Temperatur, oder ich legte ihn hinreichend lange auf eine sehr kalte Steinplatte vor das Fenster, wo ein Thermometer die Temperatur anzeigte. Nachdem der Schlüssel die Temperatur der Steinplatte angenommen hatte, berührte ich mit dem abgerundeten Ende seines ZyIinders abwechselnd und wiederholt 2 Teile der Haut, die ich hinsichtlich ihrer Empfindlichkeit für Wärme und Kälte unter einander vergleichen wollte. Ich kam auf diese Weise nicht nur zu demselben Resultate, wie mit den Phiolen, sondern konnte auch noch kleinere Teile der Haut untereinander vergleichen. Durch diese Versuche findet man, daß die Augenlider am äußeren und inneren Augenwinkel empfindlicher sind als in der Mitte, und daß die Zungenspitze zu den empfindlichsten Teilen gehört. Das Empfindungsvermögen für Temperaturänderungen ist nach den Versuchen, die ich an mir selbst angestellt habe, im Gesichte viel größer als am Halse. Die Haut in der mittleren, beide Seitenhälften scheidenden, Ebene des Gesichts, der Brust, des Bauchs und des Rückens, ist mit einer geringeren Empfindlichkeit für Temperaturveränderungen ausgestattet, als die Teile, welche mehr seitwärts liegen. So ist die Empfindung für Temperaturveränderung an der Nasenspitze viel stumpfer als an der Seite der Nasenspitze, sie nimmt am Nasenflügel sehr zu, und ist am unteren Rande des äußeren Teiles des Nasenflügels am größten. Sie ist an den Backen und dicht vor dem Tragus des Ohrs viel lebhafter als an den Lippen, über dem unteren Rande der Kinnlade viel lebhafter als am Kinne, in der Schläfengegend über dem Jochbogen lebhafter als an der Mitte der Stirn, über der Glabella. Sehr merkwürdig ist die Stumpfheit der inneren Haut der Nase für die Empfindungen von Wärme und Kälte, verglichen mit der großen Erregbarkeit, welche die Haut des Gehörgangs für solche Eindrücke zeigt.

Auch am Rumpfe und an den Extremitäten zeigt sich ein verschiedener Grad von Feinheit der Empfindung von Wärme und Kälte, der teils von der größeren Dünnheit der Oberhaut, teils von der Organisation des empfindlichen Teils der Haut abhängen mag. So zeigt z. B. bei mir der Anfang des ersten Gliedes des Zeigefingers in der Hohlhand, bis zu welchem die Spalte zwischen den Fingern nicht reicht, eine größere Empfindlichkeit für Wärme und Kälte, als der nämliche Teil am dritten, vierten und fünften Finger. Der Ballen des Daumens zeigt eine größere Empfindlichkeit, als der Ballen des kleinen Fingers, die Gegend des Ellenbogens am Olecranon zeigt eine größere Empfindlichkeit, als die Haut auf der Mitte des Biceps oder des Triceps, die Gegend des Trochanter major zeigt eine größere Empfindlichkeit als die Mitte der Gegend der Christa ilei. Wenn auch diese Bemerkungen vor der Hand noch keine nützliche Anwendung gestatten, so können sie doch vielleicht später dazu dienen, die mikroskopischen Tastorgane für Temperaturempfindungen aufsuchen, und dieselben von den Tastorganen für den Ortsinn und vielleicht auch für den Drucksinn unterscheiden zu lernen. An den Teilen der Haut, welche eine große Empfindlichkeit für Wärme und Kälte zeigen, entsteht auch durch die Berührung sehr warmer und sehr kalter Körper schneller Schmerz, als in den unempfindlicheren Teilen derselben, wenn es die Dicke der Oberhaut nicht hindert. Davon wird in der Lehre vom Gemeingefühle die Rede sein.

Entstehen zwei Empfindungen, wenn sich zwei Tastorgane berühren?

    Wir können zwei Teile unserer Haut mit einander in Berührung bringen und dadurch bewirken, daß der eine auf den anderen durch Druck, Wärme oder Kälte einen Eindruck macht. Dieses ist bei anderen Sinnorganen nicht möglich, denn wir können z. B. nicht mit dem einen Auge uns in das andere Auge sehen. Es fragt sich nun, ob hierbei beide Eindrücke, die wir in den sich berührenden Tastorganen gleichzeitig empfangen, untereinander zu einer einzigen Empfindung verschmelzen, oder ob sie getrennt bleiben, und ob wir es in dem letzteren Falle durch die Beherrschung und absichtliche Richtung unserer Aufmerksamkeit selbst bestimmen können, welcher von beiden Eindrücken zum Bewußtsein kommen solle, oder welche andere Umstände bewirken, daß der eine oder der andere Eindruck zum Bewußtsein komme.

    Die von mir gemachten Versuche beweisen, daß die Eindrücke nicht zu einer Empfindung verschmelzen. Bringen wir z. B. ein kälteres Glied mit einem wärmeren in Berührung, so empfinden wir nicht die mittlere Temperatur, sondern unter manchen Umständen Kälte, unter anderen Wärme, und bisweilen abwechselnd Kälte und Wärme. Wenn die Empfindung der Wärme und Kälte schnell abwechselt, so gelangen wir zu der Vorstellung, daß etwas Warmes und Kaltes nebeneinander oder hintereinander liege, aber wir sind nicht im Stande, die Empfindungen der Wärme und Kälte in eine verschmolzen uns vorzustellen, etwa wie wir uns einen höheren und einen tieferen Ton vorstellen, indem wir sie im Verhältnisse einer Tertie auffassen.

    Welcher von den beiden Eindrücken aber zum Bewußtsein gelange, hängt nur in einem sehr geringen Grade von der Richtung unserer Aufmerksamkeit ab. In der Regel sind es andere Umstände, die es bestimmen. Berührt man mit der ausgebreiteten Hand, die vorher längere Zeit geschlossen war und dadurch eine höhere, der Blutwärme näherstehende, Temperatur angenommen hatte, kurze Zeit die Stirn, so empfindet man mit der Stirn die Wärme der Hand, nicht mit der Hand die Kälte der Stirn. Achtet man aber bei dieser Berührung darauf, welches Objekt man fühlt, so findet man, daß man mit der Hand die Stirn als Objekt fühlt, keineswegs mit der Stirn die Hand. Dieser unerwartete Erfolg, welcher einen Widerspruch zu enthalten scheint, ist auf folgende Weise zu erklären. Die Stirn hat eine dünnere Oberhaut als die Hohlhand, und die Wärme der Hohlhand dringt daher schneller zu der mit dem Tastsinne begabten Lage der Haut an der Stirn ein als in der Hohlhand, und auf diese schneller entstehende und stärkere Temperaturempfindung richtet sich die Aufmerksamkeit, dagegen ist die Hohlhand mit einem mehr ausgebildeten Ortsinne begabt als die Stirn und die Aufmerksamkeit richtet sich daher, wenn wir auf den Druck aufmerken, den wir empfinden, auf die Hand, in welcher die Druckempfindungen stärker und bestimmter entstehen. Hierzu kommt, daß wir unter übrigens gleichen Umständen unsere Aufmerksamkeit auf das Glied richten, welches wir bewegen und daß wir daher, wenn alle anderen Verhältnisse gleich sind, mit dem durch unseren Willen bewegten Gliede immer das unbewegte als ein Objekt empfinden. Beide Umstände kommen bei jener Beobachtung an der Stirn zusammen, und bewirken, daß man mit der Hohlhand die Stirn als Objekt fühlt. Man kann zwar durch die Richtung der Aufmerksamkeit allmälig bewirken, daß man die ausgespreizten Finger an der Stirn fühlt, allein es gelingt das kaum in einem höheren Grade, als wenn man seine ausgespreizte Hand auf einen kühlen Tisch legt, wo man auch die Gestalt und Lage der einzelnen Finger am Tische deutlicher fühlt, als wenn dieselben nur mit der Luft in Berührung sind. Es beruht diese genauere Unterscheidung der Finger auf dem Gedanken, daß den empfundenen Teilen des Tisches empfindende Teile der Hand gegenüber liegen müssen.

    Bei den geringen Temperaturverschiedenheiten, von welchen bis jetzt die Rede gewesen ist, empfindet man nicht mit dem wärmeren Teile besser als mit dem kälteren oder umgekehrt. Ist die eine Hand nur ein wenig wärmer, die andere nur ein wenig kälter als die Stirn, so empfinden wir, wenn wir die wärmere Hand an die Stirn legen, Wärme, und wenn wir die kältere Hand an die Stirn legen, Kälte, d. h. also, wir empfinden jedes Mal mit der Stirn die Temperatur der Hand.

    Anders verhält sich’s, wenn wir der Stirn künstlich eine beträchtlich kältere oder wärmere Temperatur mitteilen, z. B. wenn wir die Stirn mit einem Handtuche oder einem anderen Körper in Berührung bringen, welche die Zimmertemperatur, z. B. 18º C. haben und dadurch abkühlen, daß wir sie mit anderen und andern kühlen Teilen der Körper in Berührung bringen. Breiten wir nun die warme, geschlossen gewesene Hand aus und legen sie an die Stirn, so empfinden wir zuerst Kälte und dann Wärme, und endlich scheinen uns manche Teile der sich berührenden Glieder kalt und manche warm zu sein. Unter diesen Umständen empfinden wir also zuerst mit der warmen Hand die kühle Temperatur der Stirn, die wir künstlich hervorgebracht haben. Macht man denselben Versuch mit Teilen, die sich in aller anderen Rücksicht ganz gleich sind, z. B. mit beiden Händen, die man mit ihrer Volarseite aneinander legt, nachdem man die eine durch Berührung mit einem 18º C. kalten Tische oder mit Wäsche von derselben Temperatur abgekühlt, die andere dadurch, daß sie geschlossen war, erwärmt hat, so empfindet man auch zuerst die ungewöhnliche Temperatur, die Kälte, hierauf aber auch die Wärme und dann auch wohl Teile der sich berührenden Glieder, von welchen manche warm, andere kalt erscheinen.

    Taucht man die eine Hand einige Zeit in kaltes Wasser von 17º C. ein, trocknet sie dann ab und umfaßt damit den Rücken der anderen Hand, welche ihre gewöhnliche Temperatur hat, so empfindet man diese wärmere Hand als ein Objekt, das uns aber kalt zu sein scheint. Die Hohlhand hat nämlich einen feineren Ortsinn als der Rücken der Hand. Daher empfinden wir mit derselben den Rücken der wärmeren Hand als ein Objekt. Der Rücken der wärmeren Hand hat nun aber eine viel dünnere Oberhaut als die Hohlhand, und die Kälte dringt daher in ihn schneller ein, als die Wärme in diese. Daher fühlen wir die entstehende Temperaturveränderung mittelst des Handrückens, glauben sie aber mit der Hohlhand zu fühlen.

    Taucht man eine Hand in warmes Wasser, und legt nun beide Hände an einander, so fühlt man die Wärme der eingetaucht gewesenen Hand mit der anderen Hand. Bringt man eine Hand, die ihre gewöhnliche Temperatur hat, an die abgekühlte Stirn, so empfindet man die Kälte der Stirn. Man empfindet daher immer den Temperaturzustand der Haut, der künstlich hervorgebracht worden ist, mit dem Gliede, das seine gewöhnliche Temperatur hat. Es versteht sich von selbst, daß hierbei vermieden werden muß, eine starke Erwärmung oder Erkältung herbeizuführen, welche, wie wir oben gesehen haben, das Empfindungsvermögen aufhebt oder schwächt, denn in einem solchen Falle erweckt der erwärmte oder erkältete Teil nur Empfindung in dem ihn berührenden Gliede und ist selbst unvermögend, Temperatureindrücke aufzunehmen. Ungeachtet die Empfindung der Wärme mit der der Kälte bei den erwähnten Versuchen nicht zu der Empfindung einer mittleren Temperatur verschmilzt, so verursacht doch das gleichzeitige Vorhandensein von zwei entgegengesetzten Empfindungen eine beträchtliche Störung, und die Empfindung der Kälte oder Wärme ist daher viel deutlicher und bestimmter, wenn ein anderer seine Hand an unsere Stirn legt, als wenn wir die Stirn mit unserer eigenen Hand berühren. Wenn ein Anderer seine Hand an unsere Stirn legt, so empfinden wir nicht nur die Temperatur der fremden Hand deutlich, sondern wir empfinden auch dieselbe als ein Objekt. Diese Versuche überzeugen uns übrigens, daß unsere Macht, unsere Aufmerksamkeit zu beherrschen und sie auf die Empfindungen zu richten, welche wir beobachten wollen, doch mehr beschränkt ist, als man gewöhnlich glaubt.

    Volkmann hat schon die interessante Bemerkung gemacht, daß wir beim Sehen hinsichtlich der Richtung unserer Aufmerksamkeit auf diesen oder jenen sichtbaren Gegenstand gar sehr unterstützt werden durch physiologische Hilfsmittel, und hat sogar für zweifelhaft gehalten, ob unser Wille ohne eine solche Unterstützung die Aufmerksamkeit in unserem Körper herumführen könne. In der Tat ist es unserer Seele durch den Bau des Auges sehr leicht gemacht, mittelbar ihre Aufmerksamkeit bei der Betrachtung der in den Gesichtskreis fallenden Dinge zu beherrschen und zu führen. Da nämlich nur ein sehr kleiner Teil der Retina, der etwa 1/3 Linie oder höchstens 1/2 Linie im Durchmesser hat, so organisiert ist, daß wir die Gegenstände, die sich darauf abbilden, hinreichend scharf sehen können und da auch wieder nur das Zentrum von diesem Teile das schärfste Sehen möglich macht, so bewegen wir die Augen so, daß der Gegenstand, auf den wir unsere Aufmerksamkeit richten wollen, sich auf diesem empfindlichsten Teile der Nervenhaut abbildet. Wären alle auf unserer Nervenhaut gleichzeitig abgebildeten Gegenstände fast gleich deutlich, was der Fall sein würde, wenn alle Teile der Nervenhaut gleich empfindlich wären, so würde es unstreitig einer großen geistigen Anstrengung bedürfen, um die Aufmerksamkeit von gewissen fast gleichstarken und vollkommenen Empfindungen abzulenken und sie auf andere hinzulenken. Viel leichter ist es uns, das Auge oder den Kopf zu bewegen und herumzuführen und dadurch zu bewirken, daß nur derjenige Gegenstand einen lebhaften und vollkommenen Eindruck auf das Auge mache, den wir eben sehen wollen, und dieser Eindruck wird noch stärker, wenn wir beide Augen auf denselben Gegenstand richten, so daß sich die verlängerten Augenachsen in ihm schneiden.

    Ein anderes physiologisches Hilfsmittel liegt, wie auch schon Volkmann gezeigt hat, in dem Vermögen, unser Auge verschiedenen Entfernungen anpassen zu können, denn dadurch können wir bewirken, daß bald der nähere, bald der entferntere Gegenstand scharf und bestimmt gesehen wird. Wir können sogar unbestimmt gleichsam ins Blaue hinaus sehen und also bewirken, daß wir das nicht einmal deutlich sehen, was vor Augen liegt. Wir stellen dann unser Auge für diejenige Entfernung nicht ein, in welcher die sichtbaren Dinge liegen, sondern für eine andere, in welcher nichts zu sehen ist. Dieses ist bei den Menschen der Fall, von denen man sagt: sie seien in Gedanken, sie träumten wachend. Indessen bin ich weit entfernt, dem Menschen das Vermögen abzusprechen, seine Aufmerksamkeit auch unmittelbar zu lenken. So beweist z. B. der Versuch, wo wir die seitwärts vom Auge gehaltene Hand sehen, wenn wir bei unverwandt vorwärts sehendem Auge unsere Aufmerksamkeit auf den seitlichen Gegenstand richten, dieses Vermögen.

Über die kleinsten Verschiedenheiten der Gewichte, die wir mit dem Tastsinne,^der Länge der Linien, die wir mit dem Gesichte und
der Töne, die wir mit dem Gehör unterscheiden können.

    Die kleinste Verschiedenheit zweier Gewichte, die wir noch mittelst des Gefühls der Anstrengung unserer Muskeln unterscheiden können, scheint nach meinen Versuchen die zu sein, wenn die beiden Gewichte sich ungefähr verhalten wie 39 zu 40, d. h. wenn das eine ungefähr um 1/40 schwerer ist, als das andere. Mittelst des Gefühls vom Drucke, den die beiden Gewichte auf unsere Haut ausüben, können wir nur noch einen Gewichtsunterschied entdecken, der 1/30 beträgt, so daß sich also die Gewichte verhalten wie 29 zu 30.

    Wenn man eine Linie nach der anderen ansieht, so kann Jemand, der ein sehr ausgezeichnetes Augenmaß besitzt, nach meinen Versuchen noch einen Unterschied entdecken zwischen 2 Linien, deren Längen sich ungefähr wie 50 : 51, oder sogar wie 100 : 101 verhalten. Menschen, welche ein weniger feines Augenmaß haben, unterscheiden Linien, die um 1/25 ihrer Länge von einander verschieden sind. Die kleinste Verschiedenheit der Höhe zweier Töne, (die nahe in Unisono sind) welche ein Künstler noch wahrnimmt, wenn er einen Ton nach dem anderen hört, ist nach Delezenne31) 1/4 Komma (81/80) 1/4. Ein Liebhaber der Musik unterscheidet nach ihm nur etwa 1/2 Komma (81/80) 1/2. Werden die Töne gleichzeitig gehört, so kann man so geringe Tonunterschiede nach Delezenne’s Versuchen nicht wahrnehmen. 1/4 Komma ist nahe das Verhältnis von 321 : 322, 1/2 Komma aber ist nahe das Verhältnis von 160 : 161.

31) Delezenne in Recueil des travaux de la soc. des sc. de Lille 1827 im Auszuge in Bull. univ des sc. nat. XI. 275 und in Fechners Repertorium der Experimentalphysik. Leipzig, 1832. B. I. p. 341.
 
 
    Ich habe gezeigt, daß der Erfolg bei den Gewichtsbestimmungen derselbe ist, man mag Unzen oder Lote nehmen, denn es kommt nicht auf die Zahl der Grane an, die das Übergewicht bilden, sondern darauf, ob das Übergewicht den 30sten oder den 50sten Teil des Gewichtes ausmacht, welches mit einem zweiten Gewichte verglichen wird. Ebenso verhält es sich bei der Vergleichung der Länge von zwei Linien und der Höhe zweier Töne. Es macht keinen Unterschied, ob man Linien vergleicht, die ungefähr 2 Zoll oder die 1 Zoll lang sind, wenn man erst die eine und dann die andere betrachtet und nicht beide zugleich nebeneinander sehen kann, und doch ist das Stück, um welches die eine Linie die andere überragt, im ersteren Falle noch einmal so groß als im letzteren. Freilich, wenn beide Linien nahe neben einander und einander parallel sind, so vergleicht man nur die Enden der Linien und untersucht, um wie viel die eine Linie die andere überragt, und hierbei kommt es dann nur darauf an, wie groß das überragende Stück der Linie ist, und wie nahe beide Linien einander liegen.

    Auch bei der Vergleichung der Höhe zweier Töne kommt nichts darauf an, ob beide Töne um 7 Tonstufen hoher sind oder tiefer, wenn sie nur nicht an dem Ende der Tonreihe liegen, wo dann die genaue Unterscheidung kleiner Tonunterschiede schwieriger wird. Es kommt daher auch hier nicht auf die Zahl der Schwingungen an, die der eine Ton mehr hat als der andere, sondern auf das Verhältnis der Zahl der Schwingungen der beiden Töne, die wir vergleichen. Zählte unsere Seele die Schwingungen beider Töne, so ließe es sich denken, daß sie nur auf die Zahl der Schwingungen achtete, die der eine Ton mehr hat als der andere. Wenn wir erst eine Linie und hierauf eine zweite mit dem Auge fixieren, und sich also beide nach einander auf dem empfindlichsten Teile der Retina abbilden lassen, so könnte man geneigt sein, anzunehmen, daß man die Spuren des Eindrucks, die das erste Bild zurückließ, mit dem Eindrucke vergliche, den das zweite Bild auf die nämlichen Teile der Retina machte und daß man also bemerkte, um wie viel das zweite Bild das erste überrage und umgekehrt. Denn auf ähnliche Weise vergleichen wir zwei Maßstäbe miteinander, wir legen sie übereinander, so daß sie sich decken, und sehen nun, um wie viel der eine den anderen überragt. Daraus, daß wir diese so sehr vorteilhafte Methode nicht anwenden, folgt wohl, daß wir sie nicht anwenden können, und daß also der vorausgehende Eindruck keine solche Spur auf der Nervenhaut oder im Gehirne hinterläßt, die sich mit dem nachfolgenden Eindrucke auf die angegebene Weise vergleichen ließe. Daß unsere Seele auf andere Weise bei der Vergleichung der Längen zweier Linien zu Werke gehen könne, sieht man schon daraus, daß wir 2 Linien untereinander vergleichen können, welche zu lang sind, als daß sie sich auf einmal ganz auf dem empfindlichsten Teile der Nervenhaut abbilden können. Wir müssen in diesem Falle das Auge bewegen und dadurch bewirken, daß sich die verschiedenen Stücken derselben Linie sukzessiv auf den nämlichen Teilen der Nervenhaut abbilden. Unter diesen Umständen müssen wir also die Bewegung des Auges mit in Rechnung bringen, und erhalten erst dadurch eine Vorstellung von der Länge der Linien. Wären die Eindrücke, die wir von sichtbaren Dingen im Gedächtnisse aufbewahren, Spuren, welche die sinnlichen Eindrücke im Gehirne zurückließen, und deren räumliche Verhältnisse den räumlichen Verhältnissen der sinnlichen Eindrücke entsprächen, und also gleichsam Daguerreotvpen derselben, so würde es schwer fallen, sich einer Figur zu erinnern, die zu groß ist, als daß sie sich auf einmal auf dem empfindlichen Teile der Nervenhaut abbilden könnte. Es scheint mir zwar, als ob sich eine Figur, die wir mit einem Blicke übersehen können, besser unserem Gedächtnisse und unserer Phantasie einprägte, als eine Figur, die wir nur sukzessiv übersehen können, indem wir die Augen bewegen, allein dennoch können wir uns auch die erstere mittelst der Phantasie vorstellen. Aber es scheint von uns in diesem Falle die Vorstellung von der ganzen Figur aus den Stücken, die wir auf einmal wahrnehmen, zusammengesetzt zu werden.

    Wenn man zwei Striche vergleicht, die 20 und 21 Linien lang sind, so ist der letztere um 1/20 länger, der absolute Unterschied der Länge beträgt aber 1 Linie; wenn man dagegen 2 Striche vergleicht, die 1 Linie und 1,05 Linie lang sind, so beträgt der Unterschied auch 1/20, aber der eine Strich ist nur um 1/20 Lin. länger als der andere, demnach ist im letzteren Falle der absolute Unterschied 20 Mal kleiner. 1/20 Linie ist aber eine Größe, die wie ein feiner Nadelstich an der Grenze des Sichtbaren liegt. Man ist nur eben noch im Stande, einen Punkt zu sehen, dessen Durchmesser 1/20 Linie beträgt und doch ist, wer ein sehr gutes Augenmaß hat, noch fähig, 2 Linien hinsichtlich ihrer Länge zu unterscheiden, von denen die eine um 1/20 Linie länger ist. Zwei Beobachter, welchen ich solche Striche vorlegte, unterschieden beide den längeren von dem kürzeren, und ihr Augenmaß reichte sogar noch weiter. Ich selbst unterschied 2 Striche, deren relativer Längenunterschied 1/20 betrug und von welchen die eine zwischen 1/17 und 1/18 Linie länger war als die andere. Die Auffassung der Verhältnisse ganzer Größen, ohne daß man die Größen durch einen kleineren Maßstab ausgemessen und den absoluten Unterschied beider kennen gelernt hat, ist eine äußerst interessante psychologische Erscheinung. In der Musik fassen wir die Tonverhältnisse auf, ohne die Schwingungszahlen zu kennen, in der Baukunst die Verhältnisse räumlicher Größen, ohne sie nach Zollen bestimmt zu haben, und eben so fassen wir die Empfindungsgrößen oder Kraftgrößen so auf bei der Vergleichung der Gewichte.

Verwandtschaft des Tastsinns mit anderen Sinnen.

    Die Tastorgane haben den Ortsinn mit den Sehorganen gemeinschaftlich, nur in einem viel unvollkommneren Grade, daher verdanken wir beiden Sinnen die genauere Wahrnehmung räumlicher Verhältnisse.

    Dadurch, daß sehr schnell aufeinanderfolgende, auf die Tastorgane geschehende Stöße zu einer Empfindung zusammenfließen, die Zeiträume aber, in welchen sich die Stöße folgen, die Empfindung abändern, haben wir einen Übergang vom Tasten zum Hören. Wir fühlen die Erzitterungen als ein Beben, die wir mit dem Gehörorgane als einen Ton wahrnehmen, und dieses Beben ist der mannigfaltigsten Modifikationen fähig, die man sehr gut beim Schlittschuhfahren empfindet, wo vom glattesten Eise bis zum rauhesten verschiedene Abänderungen der Empfindungen wahrgenommen werden, die noch viel bestimmter sein würden, wenn es Strecken gäbe, wo die Erhabenheiten und Vertiefungen der Oberfläche in bestimmten Abständen lägen, auf der einen Strecke in größeren, auf der anderen in kleineren.

    Wo die Haut nur von einer sehr dünnen und feuchten Oberhaut bedeckt, und zugleich empfindlich ist, da haben wir einen Übergang vom Tastsinne zu den Sinnen des Geruchs und Geschmacks. Dieses ist an der Bindehaut des Auges der Fall, wo wir lebhafte Empfindung haben, wenn Dämpfe von schwefliger Säure, und Ammoniak mit jener Haut in Berührung kommen. Der Teil der Schleimhaut der Nase, welcher den Boden der Nasenhöhle überzieht, und die Schleimhaut an einem Teile des Rachens sind ebenfalls fähig, Eindrücke von Ammoniak und Ätherdämpfen aufzunehmen. Vernichtet man die Fähigkeit zu riechen für einige Zeit, indem man die Nase mit Wasser füllt und dasselbe alsbald wieder entfernt (siehe oben pag. 499 u. 515), so bleibt auf dem Boden der Nase, am Gaumen und am Rachen das Vermögen übrig, durch Dämpfe von Ammoniak, von schwefliger Säure und von Eau de Cologne Eindrücke zu bekommen, die schwer zu beschreiben sind und beim Ammoniak stechend genannt werden können. Atmet man über einer weiten Öffnung einer großen Flasche wässrigen ätzenden Ammoniaks durch den Mund Ammoniakdämpfe ein, so hat man keine Empfindung an der Zunge, wohl aber eine stechende Empfindung in einer großen Strecke des Rachens. Beim Riechen und Schmecken vermischen sich diese Empfindungen, die uns die Tastorgane verschaffen, mit den Empfindungen des Geruch- und Geschmacksorgans.